Lobbyismus und Klima

VW-Skandal: Bundesregierung muss auf Abstand zur Autolobby gehen

Der VW-Skandal zeigt: Die Bundesregierung darf nicht länger eine schützende Hand über der Autolobby halten. Wir liefern Hintergründe zum Lobbyakteur VW und den engen Verflechtungen zwischen Politik und deutscher Autoindustrie.
von 25. September 2015

Oben Lobby, unten Showroom: Direkt am Boulevard Unter den Linden sitzt das Berliner Lobbybüro von Volkswagen. In unserem neuen Stadtführer LobbyPlanet Berlin ist das VW-Gebäude eine Station auf unseren Routen durch die deutsche Lobbyszene. Den VW-Skandal nehmen wir zum Anlass, die VW-Station vorzustellen und einen Blick zu werfen auf den Kuschelkurs der Bundesregierung mit der Autoindustrie. Dabei wird deutlich: Die Bundesregierung muss dringend ihr enges Verhältnis zur deutschen Autolobby überprüfen.

Warnschuss an die deutsche Politik

VW

Unten Showroom, oben Lobby: Hier residiert die Hauptstadtrepräsentanz von Volkswagen.

Der VW-Abgasskandal ist ein Warnschuss an die deutsche Politik. Es ist schon lange bekannt, dass die Ergebnisse der Abgastests nicht mit den realen Bedingungen auf der Straße übereinstimmen. Trotzdem hielt die Bundesregierung weiter ihre schützende Hand über der Autoindustrie. Sie zeigte keinen Einsatz, sich gegen die Interessen der Autolobby zu stellen und realitätsnähere Tests zugunsten der Verbraucher, der Gesundheit und der Umwelt einzuführen.

Die Bundesregierung muss auf Abstand zur Autolobby gehen: Verkehrspolitische Entscheidungen dürfen nicht allein zugunsten einiger finanzstarker Konzerne getroffen werden, sondern müssen auch Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutz in den Mittelpunkt stellen. Die deutsche Politik liefert sonst den Nährboden, der Tricksereien und Betrügereien wie im jüngsten Abgasskandal erst möglich macht.

Volkswagen und die Bundesregierung

Auch zwischen VW und der deutschen Politik gibt es eine ungute Nähe. Der VW-Konzern ist für seine außerordentlich engen Beziehungen zur Politik bekannt, insbesondere in Niedersachsen. Das Bundesland selbst hält 20 Prozent der Aktien an Volkswagen. Das „VW-Gesetz“ sichert Niedersachsen besondere Rechte zu, etwa eine Sperrminorität bei allen Entscheidungen in der VW-Hauptversammlung. „Wenn VW hustet, wird Niedersachsen krank“, lautete ein Leitspruch Gerhard Schröders, den der ehemalige niedersächische Ministerpräsident auch während seiner Zeit im Kanzleramt beherzigte.

VW_

Hier glitzert und glänzt es: Der VW-Showroom Drive wurde nach langer Umbauphase im Frühjahr 2015 neu eröffnet.

Die personellen Verflechtungen mit den Netzwerken Gerhard Schröders haben bis heute Bestand: Die Karriere des heutigen Chef-Lobbyisten, Thomas Steg, begann in der niedersächsischen Politik. Vom Pressesprecher des dortigen Sozialministeriums arbeitete sich Steg bis zum stellvertretenden Regierungssprecher unter Kanzler Schröder hoch – und wurde sogar nach dem Regierungswechsel 2009 von Angela Merkel weiter beschäftigt. Im Wahlkampf 2009 beriet er zwischenzeitlich den damaligen Kanzlerkandidaten und heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Im Jahr 2011 berichtete der Spiegel, dass der heutige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zwischenzeitlich für eine Beratungsagentur tätig war, die von VW den Autrag bekommen hatte, Lobbyarbeit in Brüssel zu leisten. Mit dem Leiter der Berliner Konzernrepräsentanz, Michael Jansen, heuerte sich VW im Frühjahr 2015 einen weiteren Kanzlerkenner an: Jansen war von 2006 bis 2009 Leiter des Büros von Angela Merkel in der CDU-Bundesgeschäftsstelle.

Greenwashing und Tricksereien zum Nachteil des Verbraucherschutzes

Volkswagen stellt sich – wie die anderen Autokonzerne auch – gerne als verantwortungsvoller und umweltfreundlicher Konzern dar. Doch hinter den Kulissen manipuliert der Konzern nicht nur die Messung der Abgase. Schon 2011 fiel der Konzern mit Tricksereien zum Nachteil der Verbraucher/innen und der Umwelt auf. Damals ergänzte VW das neue Umweltlabel für Neuwagen kurzerhand um eine weitere Klasse als vorgesehen, damit das Modell Phaeton nicht in der schlechtesten Klassen landet.

Effizienzlabel_lizenzfrei

VW ergänzte das PKW-Umweltlabel um die Kategorie H, damit die eigenen Wagen nicht in der schlechtesten Kategorie stehen.

Zum Hintergrund: Das Umweltlabel sollte Verbraucherinnen und Verbrauchern Orientierung beim Autokauf bieten. Doch die Auto-Lobby hat die entsprechende Verordnung eigenhändig verfasst – und die Politik übernahm den Text fast vollständig. Im Ergebnis kann nun ein Geländewagen als umweltfreundlicher eingestuft werden als ein Kleinwagen. Und selbst bei den Wagen, die tatsächlich in der schlechtesten Klasse landen, trickst VW weiter und ergänzt die zusätzliche Klasse H.

Ein solches Greenwashing zeugt davon, dass dem Konzern gute Verkaufszahlen offenbar wichtiger sind als Umweltschutz und Transparenz gegenüber Verbrauchern. Was beim Effizienzlabel vielleicht noch als dreiste Trickserei bezeichnet werden konnte, ist bei den Abgasmanipulationen klarer Betrug. Das Image des verantwortungsvollen und umweltfreundlichen Autokonzerns ist damit nicht mehr nur angekratzt, sondern zerstört.

Enge Verflechtungen: Seitenwechsel, zahlreiche Treffen und Parteispenden

Die deutsche Autolobby ist eine der mächtigsten und einflussreichsten Lobbybranchen der Republik. Sinnbild dafür ist Matthias Wissmann. Der Chef des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) war in den 1990er Jahren Kabinettskollege von Kanzlerin Angela Merkel und gilt noch heute als ihr enger Vertrauter. Sein Brief mit der Überschrift „Liebe Angela“, als es der Autolobby darum ging, niedrige Grenzwerte für den CO2-Ausstoß zu verhindern, wurde im Sommer 2013 viel diskutiert. Unter dem Druck der Autolobby verhinderte Merkel damals einen bereits vereinbarten europäischen Kompromiss zur Senkung der klimaschädlichen Abgase.

VDA (2)

So mächtig wie der Verband der Deutschen Automobilindustrie ist auch dessen Gebäude am Gendarmenmarkt in Berlin

Heute belegen zahlreiche Treffen zwischen Spitzenpolitikern der Bundesregierung und Herrn Wissmann, dass der Kontakt offenbar noch immer sehr eng ist. Allein seit dem Jahr 2014 trafen sich Spitzenvertreter aus der Bundesregierung bereits neun Mal persönlich mit Wissmann, sechs Mal mit dem nun zurückgetretenden VW-Chef Martin Winterkorn. Das zeigen zwei jüngst veröffentlichte Anworten der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfragen der Linksfraktion (hier und hier).

Der Seitenwechsel von Eckart von Klaeden – bis 2013 Staatsminister im Kanzleramt, heute Daimler-Cheflobbyist – ist ein weiterer Beleg für die symbiotischen Beziehungen zwischen Autolobby und Politik. Auch bei den Parteispenden ist die Autobranche Spitzenreiter. Allein im Wahljahr 2013 erhielten die Parteien über eine Million Spendengelder aus dem Umfeld der Autolobby sowie weitere hohe Summen aus den Verbänden der Metall- und Elektroindustrie, in denen die Autoindustrie eine wichtige Rolle spielt. Für Seitenwechsler führte die Bundesregierung jüngst – wenn auch unzureichende – Karenzzeiten ein, bei Parteispenden brauchen wir dringend klare Obergrenzen von 50.000 Euro pro Spender und Jahr, um übermäßigen Einfluss auf die Parteien einzudämmen.

+++ Mehr zur Autolobby im neuen LobbyPlanet Berlin +++

Mehr Informationen zur Autolobby und zu Volkswagen als Lobbyakteur finden Sie in unserem lobbykritischen Stadtführer LobbyPlanet Berlin. Mit weiteren Stationen zu Daimler, BMW und zum Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) bietet unser Stadtführer einen guten Überblick über die Akteure, Strategien und Ziele der deutschen Autolobby.

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Fotos: Nick Jaussi/LobbyControl (Gebäude), Thomas Springer/Wikipedia (Effizienzlabel)

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10 Kommentare

Mario Bezani25. September 2015 um 17:23

Das mit dem Abstand von Politik und Autobauern aus Wolfsburg dürfte schwierig werden,
da das Land Niedersachsen ja Anteile bei VW hält, was sogar Brüssel bemämgelte.
Aber die Kungelei zwischen Vorstand, IG Metall, Betriebsräten und SPD scheint auch nicht mehr so recht zu funktionieren. Nur schade, dass die Arbeitnehmer den größten Schaden durch den Verlust Ihrer Arbeitsplätze haben,- alles ohne Millionen Abfindung.

Harald Link25. September 2015 um 22:11

Es ist erstaunlich zu hören und zu lesen, wie überrascht man tut, daß mit dem deutschen Auto etwas nicht stimmt. Mir ist noch nie gelungen, wenigstens den „durchschnittlichen“ veröffentlichten Verbrauchswert zu „erfahren“ (auch nicht bei dem aktuellen Japaner). Was für eine Heuchelei, wenn schon der alltägliche Verbrauch mehr Dreck hinterläßt, als die „reingewaschenen“ publizierten Abgasnorm vorgibt. Man hat sich an den Betrug gewöhnt, dennoch sind die Scheinheiligkeit und Verleugnungsversuche ein Skandal. Wir können doch wenigstens die Schuldverschiebung erwarten, daß die verantwortungslose Raserei auf den Straßen in der Abgasbelastung nicht eingerechnet war…

Gerd Joppich25. September 2015 um 22:45

Da ist wohl eine falsche Abbildung des Umweltlabels plaziert, denn hier ist nicht die Stufe H zu sehen und mit Stufe E ist der Audi auch nicht in der letzten Stufe gewesen. Ich glaube eurer Darstellung, aber um den Wahrheitsgehalt zu untermauern, sollte man dann ein entsprechendes Umweltlabel, hier vom Phaeton, abbilden.

Hans Hentschel25. September 2015 um 23:41

Die deutschen Krämerseelen in der Automobilindustrie sind mal kräftig
auf die Nase gefallen. Mal gespannt, wer aus dem automobilen Oberhaus
den nächsten Offenbarungseid leisten muß!
Die Zeche zahlt mal wieder der sog. „kleine Mann“ mit Arbeitsplatzverlust
weil Minderabsatzzahlen!

Christiane Bowien-Böll26. September 2015 um 21:05

Es ist höchst ungerecht und eigentlich mit dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung nicht vereinbar, dass bestimmte Konzerne und damit deren Arbeitnehmer von der Politik bevorzugt behandelt werden. Wer bei einer kleineren Firma beschäftigt ist, die nichts mit Pharma, Chemie oder eben Kfz zu tun hat, verliert eben seinen Job und steht draußen. Wer bei VW arbeitet, für den werden sogar extra Gesetze gemacht….

Wenn einzelne Firmen oder Banken als „too bog to fail“ betrachtet werden, führt das im Grunde zu eine anderen Art von Totalitarismus

Ich finde schon lange, dass diese Gesellschaft in fast jeder Hinsicht völlig vom Götzen Kfz beherrscht wird.

Peter Ettinger28. September 2015 um 8:47

Es erstaunt mich das Politiker in Deutschland “ VW “ Vorwürfe machen ,den sie haben durch ihre Gesetze (die wahrscheinlich von der Autoindustrie vorbereitet worden sind durch Lobbyisten ) Tür und Tor für den Betrug geöffnet.
Es ist nicht nur VW die falsche Angaben machen
Schaut man sich in den Prospekten die Verbrauchswerte der Fahrzeuge an und vergleicht sie mit den realen Verbrauch ,dann liegen da Welten da zwischen .
Höherer Verbrauch ist gleich höherer Schadstoff Ausstoß.
Wenn das die amtlichen Prüfer nicht erkannt haben ,dann sind das staatliche Gehaltsempfänger die ihren Beamten Status nicht verdienen .

Ich habe Gestern in einem TV Bericht erfahren ,das Private Messungen der Abgase nicht gemacht werden können (von Autotest Zeitungen) ,weil bei der Installation der Geräte für den Straßentest die Allgemeine Betriebserlaubnis erlischt .
So einfach ist es mit einer Gesetzgebung die Überprüfungen zu umgehen.

Für mich ist ein Lobbyist ein bezahlter legal Bestecher der von der Politik toleriert wir.

P. Stg.28. September 2015 um 10:52

Auf der IAA wird das Auto der Zukunft, das Elektroauto mit Wasserstoff und
Brennstoffzellen vorgestellt.
Warum wird das nicht als in der Presse diskutiert?
Es gibt hier fast keine Informationen darüber.
Nur Berichte über die großen Stincker!
Auch hier arbeitet die Autolobby wunderbar.

Christina Deckwirth28. September 2015 um 16:25

Lieber Herr Joppich,
das abgebildete Effizienzlabel gibt tatsächlich das offizielle Label wider und nicht das von VW manipulierte. Oben im Artikel finden Sie einen Link, auf dem Sie das Foto von dem manipulierten Label finden. Hier finden Sie es auch noch einmal: http://www.spiegel.de/auto/aktuell/fingierte-effizienztabelle-vw-trickst-beim-oeko-label-a-802228.html Der Fall ging 2011 durch einigen Medien. Ich habe leider keine Rechte an dem Foto von dem manipulierten Effizienzlabel, daher habe ich das nur das „normale“ hier abgebildet. Ich bitte um Entschuldigung, wenn das bei Ihnen zu Verwirrung geführt hat.
Mit freundlichen Grüßen,
Christina Deckwirth

Gerhard Hippmann30. September 2015 um 13:12

Es gibt kein Auto der Zukunft, sondern zukunftsfähige Mobilität ohne Auto.

Redaktion ichtragenaturl.de1. Oktober 2015 um 10:52

Danke für den tollen Bericht und die sehr guten Kommentar.

Mit nachhaltigen Grüßen