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Lobbyismus in der EU

EU-Korruptionsskandal: Wie reagierten die Institutionen?

Der Skandal um Eva Kaili löste große Empörung aus. Nun wurde sie aus der U-Haft entlassen. Zeit, eine Bilanz zu ziehen.

von 14. April 2023

Nach monatelangen Ermittlungen griff die belgische Staatsanwaltschaft im Dezember 2022 zu: Rund 1,5 Mio. Euro Bargeld wurden sichergestellt, aufgefunden bei EU-Abgeordneten und ihrem Umfeld. Der ungeheuerliche Verdacht: Bestechung und Bestechlichkeit im Auftrag Marokkos und Katars.

Deshalb saßen die damalige Vizepräsidentin des Europaparlaments, die Griechin Eva Kaili und der 2019 aus dem EU-Parlament ausgeschiedene italenische Ex-Abgeordnete Antonio Panzeri sowie weitere Beschuldigte bis vor Kurzem in Untersuchungshaft. Ebenso Kailis Lebensgefährte, der als Assistent für einen weiteren Abgeordneten arbeitete, gegen den ebenfalls Ermittlungen laufen, sowie für Panzeri. Inzwischen sind alle Verdächtigen wieder aus der Haft entlassen, stehen aber noch unter Hausarrest.

Panzeri hatte nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament eine vermeintliche Menschenrechtsorganisation mit dem Namen Fight Impunity gegründet. Für diese Organisation, über die die Geldzahlungen abgewickelt worden sein sollen, arbeitete Kailis Mann nebenher.

Im Januar sagte Panzeri umfassend gegenüber den Ermittler:innen aus, wohl als Kronzeuge, um Straferleichterungen zu erzielen. Er beschuldigte Kailis Mann, der zentrale Drahtzieher des mutmaßlichen Korruptionsnetzwerkes zu sein, und sagte aus, die Zahlungen hätten mit Marokko begonnen. Katar sei erst später hinzugekommen. Sowohl Marokko als auch Katar bestreiten jede Beteiligung.

Die Reaktionen der Politik

Das EU-Parlament reagierte auf den Skandal zunächst in seltener Einigkeit mit Ankündigungen, durch strengere Verhaltensregeln und umfangreichere Aufsicht und Kontrolle Konsequenzen aus dem Skandal ziehen zu wollen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte entschiedene Maßnahmen an.

Doch wo stehen wir nun knapp vier Monate nach Bekanntwerden des Skandals? Welche Schritte haben die EU-Institutionen tatsächlich auf die Ankündigungen folgen lassen und – reicht das? Kurz gesagt: Nein, bei weitem nicht. Vielmehr drohen die notwendigen Reformen in Ausschüssen kleingeredet zu werden und Regeln bei anderen, statt bei sich selbst verschärft zu werden. Aber es gibt noch Hoffnung.

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Das Europäische Parlament, als von dem Skandal hauptsächlich Betroffene EU-Institution, reagierte im Dezember und erneut im Feburar mit durchaus scharfen, allerdings rechtlich unverbindlichen Entschließungen, in denen zum Teil weitreichende Reformen gefordert wurden. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola stellte Anfang dieses Jahres einen 14-Punkte-Plan vor, der unter anderem ein temporäres Lobbyverbot für ausgeschiedene Abgeordnete vorsah.

Die Verantwortung für die Umsetzung dieser Reformen liegt allerdings bei verschiedenen Gremien und Ausschüssen, dazu weiter unten mehr. Andere vom Parlament geforderte Verbesserungen kann es nicht selbst vornehmen, sondern ist auf andere EU-Institutionen angewiesen.

Unabhängiges Ethikgremium

Dazu gehört die Forderung nach einem unabhängigen Ethikgremium, das die Kontrolle und die Durchsetzung bestehender Transparenz- und Integritätsregeln für alle EU-Institutionen verbessern soll. Das Parlament hatte bereits lange vor dem Korruptionsskandal eine Position dazu erarbeitet und die Kommission zum Handeln aufgefordert.

Ziel war es, mit dem neuen Ethikgremium Abschied zu nehmen vom offensichtlich nicht ausreichenden Prinzip der Selbstkontrolle der Institutionen und dem neuen, unabhängigeren Gremium eigene Untersuchungskompetenzen zu geben. Vor dem Hintergrund des Skandals bekräftigte das Parlament im Februar seine Position und unterstrich, dass es nun schnell vorangehen müsse. Die zuständige Kommissarin Jourova kündigte Mitte Februar im Parlament einen konkreten Vorschlag der Kommission an.

Mitte April liegt dieser Vorschlag immer noch nicht vor. Es deutet sich aber an, dass er weit weniger ambitioniert ausfallen wird, als vom Parlament – und von uns – gefordert. So sollen gerade die so wichtigen eigenständigen Untersuchungskompetenzen nicht enthalten sein. Das Gremium würde damit „entkernt“ werden, wie der Grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund kritisierte.

EU-Lobbyregister bisher nicht verpflichtend

Ebenfalls nicht allein entscheiden kann das Parlament über das gemeinsam von EU-Kommission, Europäischem Rat und EU-Parlament betriebene EU-Transparenzregister, das europäische Lobbyregister. Dieses geriet durch den Korruptionsskandal besonders in den Fokus, da Panzeris vermeintliche Menschenrechtsorganisation Fight Impunity dort nicht registriert war – obwohl die Organisation sogar Veranstaltungen in Räumlichkeiten des Parlaments organisierte.

In seiner Dezember-Resolution forderte das Parlament daher richtigerweise, „dass das Transparenzregister verbindlich vorgeschrieben wird“. Bislang ist das Brüssler Lobbyregister nämlich nicht rechtlich verpflichtend, deshalb gibt es auch keine Bußgelder bei Regelverletzungen - wie etwa beim deutschen Lobbyregister.

Das EU-Transparenzregister rechtlich verpflichtend auszugestalten, ist aus unserer Sicht eine der wichtigsten Folgerungen aus dem Skandal. Fight Impunity nutzte verschiedene Schwachstellen und Schlupflöcher des Registers, so dass die Organisation sich nicht eintragen musste. Ohne rechtliche Verbindlichkeit, effektive Kontrollen und wirkungsvolle Sanktionen bleibt das Register zahnlos.

Doch jenseits der vagen Formulierung in der Parlamentsresolution zeichnet sich aktuell keine Tendenz ab, hier voranzukommen. Stattdessen nehmen einige EU-Parlamentarier:innen, insbesondere deutsche CDU-Abgeordnete, den Skandal zum Anlass, gegen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) insgesamt Stimmung zu machen. So twitterte der offizielle Account der Europäischen Volkspartei, zu der die CDU gehört, im Dezember: „NGOs at the heart of the scandal – we need to talk about NGOs“, also etwa „NGOs sind im Herzen des Skandals – wir müssen über NGOs reden.“

In einer Plenardebatte im Februar äußerten sich mehrere Unions-Abgeordnete entsprechend und forderten spezielle Offenlegungs- und Registrierungspflichten für NGOs. Teilweise wurde der Eindruck erweckt, es gäbe solche Vorschriften für NGOs bislang gar nicht, oder es würden für NGOs weniger Regeln gelten als für Unternehmen und Lobbyagenturen. Dabei ist im Fall des EU-Transparenzregisters das Gegenteil der Fall. NGOs müssen dort umfangreiche Angaben zu ihrer Finanzierung machen, während von Wirtschaftsverbänden lediglich eine Schätzung ihrer Lobbyausgaben verlangt wird.

Stimmungsmache gegen die Zivilgesellschaft

Der Versuch der Konservativen, den Skandal zur Stimmungsmache gegen zivilgesellschaftliche Organisationen zu nutzen, ist nicht neu. Die CDU stört offenbar, dass bei großen gesellschaftlichen Debatten NGOs durchaus erfolgreich mobilisieren können - und das häufig gegen politische Vorhaben, die der CDU wichtig sind. So gab es eine ähnliche Debatte auch schon vor einigen Jahren nach den Protesten gegen das deutsch-amerikanische Handelsabkommen TTIP. Die Stimmungsmache erntete zwar auch Kritik aus anderen Fraktionen. In der Entschließung des Parlaments vom 16. Februar fand sie aber durchaus ihren Niederschlag.

Dort heißt es zwar einerseits, das Parlamente bedauere, „dass der Korruptionsskandal dazu genutzt wird, eine fehlgeleitete Verleumdungskampagne gegen nichtstaatliche Organisationen einzuleiten und Fehlinformationen über die mangelnde Transparenz ihrer Finanzierung zu verbreiten.“ Hier bemängelt die Resolution also genau das, was von einigen CDU-Abgeordneten betrieben wird.

Andererseits fordert das Parlament aber laut der Resolution auch „nachdrücklich eine Überprüfung der bestehenden Vorschriften mit dem Ziel, die Transparenz und Rechenschaftspflicht nichtstaatlicher Organisationen zu erhöhen“ und eine „umfassende finanzielle Vorabkontrolle“ für NGOs, bevor sie sich überhaupt in das Transparenzregister eintragen können.

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Mit dem Korruptionsskandal haben diese Forderungen des Parlaments wenig zu tun: Es stimmt, dass die Verdächtigen für ihre mutmaßlich kriminellen Aktivitäten eine Menschenrechts-NGO als Tarnorganisation nutzten. Es hätte aber auch jede andere Organisationsform genutzt werden können, um illegal Gelder zu schleusen. Und auch nach den derzeitigen Regeln und Vorschriften hätte sich Panzeris Organisation im Transparenzregister eintragen sollen, inklusive Angaben zur Finanzierung und möglichen Geldgebern aus dem Ausland. Dass das nicht geschehen ist, weist somit vielmehr auf eine mangelnde Durchsetzung der bestehenden Regeln hin, als auf mangelnde Transparenzpflichten für NGOs.

Gegen transparente Finanzen ist an sich nichts einzuwenden. Aber verbesserte Transparenzanforderungen sollten nicht nur für NGOs gelten, sondern für alle Akteure. Die Forderungen nach Vorabprüfungen und besonderen Untersuchungen ausschließlich für NGOs sind keine vernünftige Antwort auf den Skandal.

Spezielle Gesetze für Auslands-Einflussnahme?

Vor dem Hintergrund dieser fragwürdigen Haltung gegenüber einer lebendigen und kritischen Zivilgesellschaft betrachten wir auch die Pläne mit Sorge, spezielle Gesetze gegen „ausländische Einflussnahme“ einzuführen. So forderte die CDU-Abgeordnete Monika Hohlmeier im Februar ein „EU-Äquivalent“ zum US-amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA), hier sei aber die EU-Kommission am Zug und müsse etwas vorlegen.

Passenderweise arbeitet man bei der EU-Kommission schon länger an einem „Paket zur Verteidigung der Demokratie“, das eine EU-Richtlinie zu ausländischer Einflussnahme vorsieht. Das Paket wurde im September 2022 von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer State of the Union-Rede angekündigt, maßgeblich unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und von Berichten über russische Einmischung in Wahlkämpfe.

Durch den Korruptionsskandal und die im Verdacht stehenden Regierungen Katars und Marokkos erhielt die Forderung nach speziellen Maßnahmen gegen Einmischung in demokratische Prozesse in der EU durch staatliche Akteure neue Aufmerksamkeit, wie die Äußerung von Monika Hohlmeier zeigt. Auch der Sonderausschuss des EU-Parlaments zum Thema Einflussnahme aus dem Ausland, der sich nun auch um den Korruptionsskandal kümmern soll, hatte sich bereits im März 2022 für ein derartiges Regelwerk ausgesprochen.

Sich gegen verdeckte oder anderweitig illegitime Einmischung durch staatliche ausländische Akteure zur Wehr zu setzen, ist grundsätzlich ein richtiges Ziel. Auch wir haben entsprechende Regeln gefordert, etwa bei der Wahlkampffinanzierung. Doch sollten nur dort spezielle Maßnahmen ergriffen werden, wo es tatsächlich notwendig ist. Es muss mit großem Augenmaß vorgegangen werden, damit es nicht die Falschen trifft.

Verdeckte oder manipulative Einflussnahme auf demokratische Prozesse ist immer problematisch, unabhängig davon, ob sie von innerhalb oder außerhalb der EU kommt. Daher ist die Unterscheidung, ob es sich um in- oder ausländische Auftrag- oder Geldgeber handelt, schlicht unerheblich: Transparenz- und Integritätsregeln sollten gleichermaßen für alle gelten. So müssen bereits aktuell NGOs im Transparenzregister Angaben zu Geldgeber:innen machen, gleichermaßen ob in- oder ausländisch, ob regierungsnah oder nicht. Gleiches gilt, wenn ausländische staatliche Stellen Lobbyagenturen oder andere Interessenvertreter:innen beauftragen. Dass es mit der Transparenz hier nicht ausreichend klappt, liegt mehr an der mangelnden Durchsetzung der Regeln und dem nach wie vor zu wenig verpflichtenden Charakter des EU-Lobbyregisters, als an fehlenden speziellen Regeln für Einflussnahme aus dem Ausland.

Ähnlich sieht es bei der Parteien- und Wahlkampffinanzierung aus: Spenden aus dem außereuropäischen Ausland sind bereits jetzt weitgehend untersagt. Wichtig ist aber auch hier die Schließung noch bestehender Regelungslücken, etwa bei Wahlwerbe-Kampagnen durch Dritte. Zu politischer Werbung und Wahlwerbung wird jedoch bereits aktuell eine EU-Verordnung zwischen Kommission, Parlament und Rat verhandelt. Die dort vorgesehenen Vorschriften würden auch für aus dem Ausland finanzierte Wahlwerbung gelten.

Ein spezielles Gesetz für Einflussnahme aus dem Ausland erscheint daher nicht zielführend, birgt aber viele grundrechtliche Risiken und mögliche weitere Einschränkungen für die Zivilgesellschaft. Dazu demnächst mehr.

Die 14 Punkte von Parlamentspräsidentin Metsola

Die von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola angekündigten Reformen und strengeren Regeln für das Parlament und Abgeordnete sind noch nicht beschlossen. Bisher gibt es lediglich rechtlich unverbindliche Entschließungen. Zugleich werden die nötigen Entscheidungen immer weiter in die Hinterzimmer vertagt. Immerhin wird im zuständigen Ausschuss inzwischen diskutiert. Feststellen lässt sich aber, dass der ursprüngliche Vorschlag von Metsola, Ex-Abgeordneten für eine gewisse Zeit Lobbyarbeit gegenüber dem Parlament zu verbieten, bereits deutlich abgeschwächt wurde.

Im Januar war noch geplant, diese Lobbysperre an die Dauer des Bezugs von Übergangsgeld zu knüpfen, also bis zu 24 Monate. Im März war diese Frist dann auf nur noch 6 Monate geschrumpft. Damit verliert die Lobbysperre weitgehend ihre Wirkung. Das lässt an der Entschlossenheit des Parlaments zweifeln, wirklich tiefgreifende Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen. Wir fordern das Parlament daher auf, die Umsetzung der weiteren Punkte nun entschieden anzugehen.

Wir werden Druck machen, damit das Parlament seine Hausaufgaben macht! Dazu gehören umfassende Angaben über Nebeneinkünfte von Abgeordneten, effektive Sanktionen bei Regelverletzungen und ein umfassender Whistleblower-Schutz.

Die wichtigsten LobbyControl-Forderungen zum Skandal im Überblick

  • Schaffung eines unabhängigen Ethikgremiums mit Untersuchungskompetenzen für die EU-Institutionen
  • Wirksame Durchsetzung und Ausweitung des europäischen und der nationalen Lobbyregister
  • rechtlich verbindliche Ausgestaltung des EU-Lobbyregisters
  • Offenlegung der Lobbytreffen von EU-Abgeordneten und der Arbeitsebene der EU-Kommission
  • Verbot der Finanzierung von Reisen Abgeordneter und Parlamentsmitarbeitender durch Drittstaaten
  • Ausweitung der Erklärung finanzieller Interessen von Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf Informationen zu Vermögen, Beteiligungen an Unternehmen, Transparenz über Klienten oder Kunden bei Beratungstätigkeiten
  • Beendigung der Privilegien von Ex-Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Ex-Kommissar:innen (etwa Entziehung des ständigen Zugangs zu EU-Parlament und EU-Kommission)
  • Zwei Jahre Karenzzeit für Ex-Abgeordnete vor dem Wechsel in eine Lobbytätigkeit
  • Verhinderung von Wahlkampfbeeinflussung: Politische Werbung und Drittkampagnen regeln
  • Stärkung des Whistleblower-Schutzes im Europäischen Parlament
  • Stärkung von Aufsichts- und Ermittlungsbehörden mit ausreichend Personal und Kompetenzen
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