Reichtum und Einfluss

Lobbyismus in Deutschland und Europa: Die Machtfrage

Lobbyismus gehört zur Demokratie, doch die Waffen sind ungleich verteilt: Einfluss haben zu oft diejenigen, die ihn sich leisten können. Mit Korruption und käuflichen Politikern hat das aber nicht zwangsläufig etwas zu tun.
von 10. Oktober 2017

Auf Spiegel Online hat es in den vergangenen Wochen eine Debatte über Lobbyismus in Deutschland und Europa gegeben, an der sich sich auch unsere Geschäftsführerin Imke Dierßen mit einem Gastbeitrag beteiligt hat. Wir veröffentlichen diesen Beitrag an dieser Stelle in einer leicht erweiterten Version.

In den vergangenen Wochen haben Stephan Götz-Richter und Andreas Polk auf Spiegel Online auf Fehlentwicklungen des Lobbyismus in Deutschland hingewiesen. Während Götz-Richter eine „Amerikanisierung“ der Berliner Republik und einen zu großen Einfluss von Industrieinteressen dank der Anwerbung von ehemaligen Politikern als Lobbyisten konstatiert, argumentiert Polk, der Vorwurf der systematischen Käuflichkeit der Politiker sei sowohl falsch als auch gefährlich. Dadurch, so Polk, würde die Politikverdrossenheit geschürt.

Nun wäre es einfach, auf die zahlreichen Beispiele zu verweisen, die es auch in Deutschland gibt, bei denen Geld tatsächlich einen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen oder zumindest den Zugang zur Politik hatte: angefangen bei der Flick-Affäre über die schwarzen Konten Helmut Kohls bis hin zur Parteispendenaffäre in Regensburg als Beispiel aus jüngster Zeit.

Doch das Kernproblem des Lobbyismus ist eigentlich ein anderes: Es geht um Machtverhältnisse. Wer ernsthaft über Lobbyismus und dessen Wirkung auf die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie reden will, sollte nicht nur auf das individuelle Verhalten einzelner Politiker schauen, sondern vor allem in den Blick nehmen, dass Lobbyismus vor dem Hintergrund struktureller Machtungleichheiten stattfindet.

Wer beeinflusst die Politik? Beim Lobbyismus geht es vor allem um Machtverhältnisse.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Lobbyismus gehört zur Demokratie dazu. Unterschiedliche, auch konträre Interessen müssen in einer Demokratie zu Wort kommen. Politik muss sich um deren Ausgleich bemühen. Doch das ist aktuell zu oft nicht gewährleistet: Der Lobbyismus hat eine Schlagseite.

In Brüssel und Berlin arbeiten tausende Lobbyisten daran, Gesetze im Sinne ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Finanzkräftige und mächtige Akteure sind dabei im Vorteil. Sie können Stiftungen gründen, Universitäten sponsern, Studien in Auftrag geben, teure Werbekampagnen starten und natürlich auch gut ausgebildetes und bestens vernetztes Lobby-Personal einkaufen.

So beschäftigt allein die Finanzindustrie rund 1700 Lobbyisten in Brüssel. Das sind vier für jeden EU-Beamten, der mit diesen Themen beschäftigt ist. Das lassen sich die Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter rund 120 Millionen Euro pro Jahr kosten. Zum Vergleich: Das ist 30 mal so viel, wie allen Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen gemeinsam für ihre Lobbyarbeit zu diesem Thema in Brüssel zur Verfügung steht, wie eine Studie unserer Partnerorganisation Corporate Europe Oberservatory herausgefunden hat.

Aber auch in Deutschland gibt es ein eklatantes Missverhältnis. Durch den jahrelangen Sparkurs fehlt es den Behörden schlicht an fachlicher Expertise – die sie dann mit interessengeleitertem externem Sachverstand auszugleichen versuchen. Wohin das führt, hat der gigantische Steuerraubzug durch mehrfach erstattete Kapitalertragssteuern („Cum-Ex-Skandal“) gezeigt. Dabei hatte die Finanzbranche quasi einen Maulwurf im Finanzministerium installiert, der dazu beitrug, dass dem Betrug jahrelang kein Riegel vorgeschoben wurde. Kosten für den Steuerzahler: Rund zehn Milliarden Euro. Zum Vergleich: Damit könnte man rund 18.000 Lehrer bezahlen. Oder 24.000 Polizisten. Oder 28.000 Krankenschwestern. Für jeweils zehn Jahre (mehr zum Cum-Ex-Skandal finden Sie in unserem Lobbyreport 2017).

Verknüpfung einer politischen Entscheidung mit privaten finanziellen Interessen

Die Autoindustrie pflegt einen engen Draht zu Angela Merkel. Foto: RudolfSimon/ Wikimedia/ CC BY-SA 3.0

Ein anderes Beispiel ist die Autoindustrie. Sie hat ihre überragende ökonomische Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem durch das Anwerben einer Vielzahl an ehemaligen Politikern in politisches Kapital übersetzt. Und es macht natürlich einen Unterschied, wenn ihr Cheflobbyist, Matthias Wissmann, mal eben bei seiner Ex-Kollegin Angela Merkel anrufen kann und sagt „Liebe Angela…“ (mehr zur Autolobby und dem Dieselskandal im Lobbyreport 2017).

Auch die ökonomische Bedeutung ist ein durchaus problematischer Machtfaktor. Während der Finanzkrise lernten wir, dass die Politik die Finanzindustrie als „too big to fail“ einschätzte, als zu groß und wichtig, um sie scheitern zu lassen. Dadurch macht sich die Politik aber erpressbar. Die Autoindustrie ist dafür ein gutes Beispiel. Die Autokonzerne verweisen gerne auf ihren Beitrag zur Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Arbeitsplätze sind wichtig, keine Frage. Die etablierte Sichtweise in der Politik lautet entsprechend: Arbeitsplätze haben Vorrang. So nachvollziehbar dieser Standpunkt ist, so problematisch kann er zugleich sein, vor allem dann, wenn das Interesse an Arbeitsplätzen mit Unternehmensinteressen gleichgesetzt werden.

Macht sich die Politik diese Perspektive nämlich zu sehr zu eigen, erhalten Unternehmensinteressen grundsätzlich Vorrang vor diffuseren Interessen, etwa denen zu Gunsten der Verbraucher, der Steuerzahler, der Umwelt, der Gesundheit. Das kann auf lange Sicht für alle und letztlich auch für die Unternehmen und ihre Beschäftigten selbst Nachteile haben.

Aber auch auf der individuellen Ebene gibt es problematische Interessenkonstellationen, die nicht einfach einfach in das Schema käuflich oder nicht-käuflich fallen: Wenn ein Abgeordneter im Bundestag an zentraler Stelle über ein Rüstungsprojekt mitentscheidet, zugleich aber im Aufsichtsrat einer Firma sitzt, die direkt von der Auftragsvergabe profitiert, wirft das berechtigte Fragen auf. Die Verknüpfung einer politischen Entscheidung mit privaten finanziellen Interessen kann in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen werden und darf deshalb nicht unter den Tisch fallen. Wenn zu befürchten steht, dass die privaten Interessen eines Amts- oder Mandatsträgers einen unzulässigen Einfluss auf die öffentlichen Aufgaben haben, liegt ein Interessenkonflikt vor. In den „Richtlinien zum Umgang mit Interessenkonflikten“ der OECD ist das nachzulesen.

Es gehört inzwischen zum Glück zum internationalen Standard, den Umgang mit Interessenkonflikten in staatlichen Institutionen nicht dem Zufall und politischem Gutdünken zu überlassen, sondern sinnvoll zu regeln. In Deutschland ist dies nicht zufriedenstellend gelungen.

Karin Strenz und Aserbaidschans Präsident Alijew. Foto: ARD/ Screenshot von Screenshot www.azertag.az

Welche Konsequenzen das haben kann, zeigt der Fall Karin Strenz. Die CDU-Bundestagsabgeordnete bekam Geld von einer Firma, die offenbar bezahlte Lobbyarbeit für das umstrittene Regime in Aserbaidschan leistete. Gleichzeitig gilt Strenz als treue Unterstützerin Aserbaidschans, pflegt ein gutes Verhaltnis zum Machthaber Ilham Alijew. So stimmte sie im Juni 2015 im Europarat als einzige Deutsche gegen eine Forderung, politische Gefangene in Aserbaidschan freizulassen. Und im aserbaidschanischen Staatsfernsehen trat sie auf, um den Wahlen dort ein gutes Zeugnis auszustellen – im Widerspruch zu den Erkenntnissen der OSZE. Der Vorwurf der Abgeordnetenbestechung steht weiterhin im Raum.

Es ist aber zu einfach, beim Umgang mit Interessenkonflikten nur von dem Gegensatzpaar käuflich oder unkäuflich auszugehen. Ob jemand aufgrund einer vergüteten Nebentätigkeit oder eines Jobangebots eine bestimmte Entscheidung fällt oder nicht, ist dabei sogar unerheblich. Allein der Anschein kann das Vertrauen in die Politik ins Wanken bringen. Wenn private Interessen im Spiel sind, sollte deshalb nicht einfach nur auf die persönliche Integrität des Politikers gesetzt werden.

Geld ist ein Machtfaktor

Richtig ist, dass die große Mehrheit (rund Dreiviertel) der Bundestagsabgeordneten keinen bezahlten Nebentätigkeiten nachgeht. Die allermeisten üben ihr Mandat tatsächlich mit vollem Einsatz und großem Engagement aus. Und nicht jede Nebentätigkeit ist problematisch. Doch kann das im Umkehrschluss heißen, dass Stillschweigen gewahrt werden sollte über diejenigen, die aufgrund ihrer Nebentätigkeiten in Interessenkonflikte geraten und den politischen Unwillen, Interessenkonflikte streng zu regulieren? Soll es zulässig sein, dass ein Obmann im Verbraucherschutzausschuss, der über den Dieselskandal berät, zugleich Partner einer Kanzlei ist, die VW in dieser Affäre vertritt? Soll es möglich sein, dass der stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses zugleich Ärzte-Lobbyist ist? Das Europäische Parlament hat im letzten Dezember beschlossen, dass Abgeordnete keinen Lobbynebentätigkeiten nachgehen dürfen. Auch dem Bundestag stünde eine solche Entscheidung gut zu Gesicht.

Richtig ist auch: Es gibt keine systematische Käuflichkeit deutscher Politiker. Doch finanzielle Verflechtungen und die Finanzkraft von Lobbyakteuren können auch einen Einfluss haben, ohne dass direkt von Korruption oder „gekauften Entscheidungen“ zu sprechen wäre. So kaufen Einzelpersonen oder Unternehmen in den seltensten Fällen mit einer Parteispende eine konkrete politische Entscheidung. Das wäre übrigens auch strafbar. Dennoch verfolgen sie mit ihrer Zuwendung einen Zweck – zum Beispiel, der Partei, die ihre Interessen am besten vertritt, einen Vorteil zu verschaffen. Dass es dabei keinesfalls um Peanuts geht, verdeutlicht ein Blick auf die Zahlen. Seit 2013 flossen rund 200 Millionen Euro Spenden an die deutschen Parteien. Den Löwenanteil verbuchte dabei mit 110,6 Millionen Euro die Union. Ihr größter Parteikonkurrent, die SPD, konnte dagegen „nur“ 39,9 Millionen Euro an Spenden einsammeln – und hatte somit für Wahlkämpfe, Personal und andere Ausgaben rund 70,7 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Auch ein Blick auf die Großspenden über 50.000 Euro im Wahljahr 2017 zeigt ein deutliches Bild: 4.6 Millionen Euro haben Unternehmen und Vermögende gespendet – fast alles (86 Prozent) davon an Union und FDP (Stand: 10.10.2017. Quelle: Deutscher Bundestag/ LobbyControl-Parteispendendatenbank). Dass vermögende Einzelpersonen oder Firmen mit ihren Spenden das Wahlkampfbudget einer Partei signifikant aufbessern und damit den Wahlausgang durchaus beeinflussen können, ist problematisch. Es widerspricht dem demokratischen Grundprinzip „ein Mensch, eine Stimme“.

LobbyControl-Protestaktion vor dem Kanzleramt gegen die Macht des Geldes. Foto: J. Huber/ LobbyControl

LobbyControl-Protestaktion vor dem Kanzleramt. Foto: J. Huber/ LobbyControl von Jakob Huber/LobbyControl Alle Rechte vorbehalten

Geld ist eben ein Machtfaktor. Dass ein Zusammenhang zwischen Reichtum und Einfluss besteht, hat vor Kurzem auch eine wissenschaftliche Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgezeigt, derzufolge Entscheidungen des Bundestages häufig mit den Einstellungen der oberen Einkommensschichten übereinstimmen. Die Meinungen der unteren und mittleren Einkommensschichten haben dagegen – insbesondere bei kontroversen politischen Fragen – kaum einen Einfluss. Dass das Kanzleramt diese brisanten Forschungsergebnisse im Armuts- und Reichtumsbericht entschärfen und beschönigen lassen wollte, gehört nicht zu den politischen Sternstunden der zu Ende gehenden Legislaturperiode.

Statt diese Zusammenhänge kleinzureden, sollte die Politik diese näher ergründen und dazu beitragen, dass die bestehenden Machtungleichgewichte nicht zu einseitiger Einflussnahme führen. Ein Anfang wäre die Schaffung von mehr Lobbykontrolle und Transparenz. In diesen Feldern hinkt Deutschland im internationalen Vergleich weit hinterher. Dass die Eindämmung des Lobbyismus immer noch nicht ganz oben auf der politischen Tagesordnung steht, ist Ausdruck mangelnden politischen Willens. Dies verstärkt das Misstrauen gegenüber der Politik – und nicht, wie von Polk behauptet, das Bemühen von Akteuren wie LobbyControl, diese Missstände immer wieder zu thematisieren.

Geld ist aber zum Glück nicht der einzige Machtfaktor. Wenn viele Menschen sich zusammenschließen und ein Anliegen mit Nachdruck und Engagement auf die Straße, in die Medien und damit auch in die Politik bringen, können auch die finanzkräftigsten Lobbyakteure das Nachsehen haben. Beispiel dafür ist die nachhaltige Kritik an der Atomenergie, an genveränderten Pflanzen in der Landwirtschaft oder an den Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Hier hat das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger ein starkes Signal gesendet und so die Pläne finanzstarker Lobbyakteure durchkreuzt. Sicher ist nicht jedes Thema derart mobilisierbar – aber die Beispiele zeigen, dass Engagement sich lohnt und eine lebendige Demokratie, in der auch schwächere Interessen gehört werden, möglich ist.

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