Parteienfinanzierung

Ungleicher Einfluss: Lobbyismus im Wahlkampf

Der Wahlkampf ist eine wichtige Zeit für Lobbyisten. Auch sie wollen im Wahlkampf die richtigen Themen für die Zeit danach setzen. Doch wer in welcher Form Einfluss nimmt, ist selbst in Wahlkampfzeiten häufig nicht sichtbar. Deswegen zeigt sich gerade jetzt, wie wichtig Transparenz und Schranken für Lobbyismus sind.
von 22. September 2017

Der Wahlkampf ist eine wichtige Zeit für Lobbyisten. Auch sie wollen im Wahlkampf die richtigen Themen für die Zeit danach setzen  – und im Idealfall dafür sorgen, dass sich die Wählerinnen und Wähler für die Parteien entscheiden, die am ehesten die Interessen ihres Verbands oder Unternehmen vertreten. Doch wer in welcher Form Einfluss nimmt, ist selbst in Wahlkampfzeiten häufig nicht sichtbar. Deswegen zeigt sich gerade jetzt, wie wichtig Transparenz und Schranken für Lobbyismus sind.

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Wahlkampfthema Diesel

Vor vier Jahren hätte wohl kaum jemand erwartet, dass das Dieselauto zum Wahlkampfthema werden würde. Der Abgasskandal schwelt schon seit zwei Jahren, doch kurz vor Beginn der heißen Wahlkampfphase brachten neue Enthüllungen zu Kartellabsprachen und ein äußerst unausgewogener Dieselgipfel das Thema wieder mit aller Wucht in die Öffentlichkeit. Ein wichtiges Thema dabei: Der Einfluss der Autolobby – ein Bereich, den auch wir immer wieder in die Debatte eingebracht haben. Die öffentliche Deutungshoheit haben die Konzernlobbyisten an manchen Stellen verloren. Dennoch haben sie sich politisch zunächst weitgehend durchgesetzt.

Gute Beziehungen zur Autoindustrie: Sogar Merkels Wahlkampfstratege ist ein früherer Autolobbyist

Dabei haben gute Kontakte sicher auch eine Rolle gespielt. Bei der CDU managt zum Beispiel seit Frühjahr 2017 mit Joachim Koschnike ein früherer Autolobbyist den Wahlkampf. Als Opel-Cheflobbyist hatte er auch bei CDU-Politikern immer wieder zugunsten der Autoindustrie interventiert. Gerade in der Dieselaffäre hatte er eine eher unrühmliche Rolle gespielt: Koschnicke hatte sich vehement dafür eingesetzt, dass ein Opel-Modell, das bei Abgastests aufgefallen war, die zunächst zurückgehaltene Typenzulassung am Ende doch noch erhielt. Ein CDU-Wahlkampf mit dem Thema Abgasskandal unter der Leitung eines früheren Autolobbyisten? Das ist keine gute Voraussetzung für einen unabhängigen und distanzierten Umgang mit der Autolobby. Hier hätte die CDU deutlich mehr Fingerspitzengefühl zeigen können.

Mit dem Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) meldete sich auch einer der mächtigsten und einflussreichsten deutschen Lobbyverbände im Wahlkampf zu Wort. Der VDA hatte eine Studie beim ifo-Institut in Auftrag gegeben, die davor warnte, dass ein Verbot des Verbrennungsmotors mehr als 600.000 Arbeitsplätze bedrohe. Solche Schreckensszenarien zu zeichnen, ist eine übliche und sehr beliebte Lobbyintervention von Wirtschaftsverbänden. Umweltministerin Hendricks kritisierte die Kernbotschaft der Studie scharf, weil unberücksichtigt bliebe, dass auch andere Antriebsarten Arbeitsplätze schaffen.

Gerechtigkeit – ein Wahlkampfthema?

Als Martin Schulz seine Kanzlerkandidatur antrat, war zunächst viel vom Gerechtigkeitswahlkampf die Rede. Davon ist nun – in der Abschlussphase des Wahlkampfs – nicht mehr viel zu spüren. Sozial- oder steuerpolitische Themen spielten etwa in den Fernsehduellen und in der medialen Berichterstattung kaum eine Rolle. Das war im letzten Bundestagswahlkampf noch ganz anders. Die damaligen Oppositionsparteien – SPD, Grüne und Linke – zogen mit der Forderung nach der Wiedereinführung der Vermögenssteuer in den Wahlkampf. Unterstützt wurde dies durch ein breites zivilgeschaftliches „Bündnis Umverteilen“.

Screenshot der INSM-Facebook-Fanpage: Arbeitgeber-Positionen auf dem Heißluftballon

Einigen Lobbyverbänden gefiel das überhaupt nicht. Der Verband „Die Familienunternehmen“ machte mit Großplakaten und ganzseitigen Zeitungsanzeigen Stimmung gegen die Vorschläge zur Vermögenssteuer. Die arbeitgeberfinanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft reagierte auf die Steuerforderungen mit großflächigen Plakaten und der Aufschrift „Ist es gerecht, Steuern zu erhöhen?“
Auch die Wald- und Grundbesitzerverbände, die Stiftung Familienunternehmen und die Stiftung Eigentum wandten sich öffentlich gegen die „rot-grünen Steuererhöhungspläne“. Die Kampagne zeigte Wirkung: Die damaligen Oppositionsparteien – allen voran die Grünen – gerieten im Wahlkampf wegen ihrer steuerpolitischen Forderungen medial massiv unter Druck. Auch das mag ein Grund sein, warum SPD und Grüne in diesem Wahlkampf sehr zurückhaltend bei Fragen der Umverteilung sind.

In diesem Jahr ist es nun zumindest in der Öffentlichkeit auch von Lobbyseite auffallend ruhiger um das Thema. Mit einer Ausnahme: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eine Lobbyorganisation der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, nimmt viel Geld in die Hand, um für eine arbeitgeberfreundliche Steuer- und Rentenpolitik zu werben. Sie ist wie in den vergangenen Jahren wieder mit Großplakaten im Regierungsviertel präsent, sponsorte einen Twitter-Hashtag anlässlich des Merkel-Schulz-TV-Duells und finanzierte die Aufschrift eines Heißluftballons, der zwei Wochen lang mit INSM-Botschaften im Berliner Regierungsviertel schwebte. Problematisch dabei: Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, dass die Wahlkampfunterstützung von einem Arbeitgeber-Lobbyverband kommt.

Fragwürdige Verkürzungen bei der INSM

Fragwürdig: Nicht alle INSM-Slogans lassen sich klar aus der Umfrage ableiten.

Zuweilen griff die INSM dabei auch zu fragwürdigen Mitteln. So suggerierte ein Plakat zu den Steuerplänen des SPD-Kanzlerkandidaten Schulz fälschlicherweise, dass dieser schon ab einem Bruttojahresverdienst von 60.000 eine Reichensteuer einführen wolle – und platzierte diese „Nachricht“ in einer Anzeige auf die Titelseite der Bild-Zeitung. Die Initiative korrigierte ihre Botschaft nach heftiger Kritik zumindest teilweise. Die Bild-Zeitungsleser wird dies nicht mehr erreicht haben.

Auch bei der Darstellung einer eigens in Auftrag gegebenen Umfrage griff die INSM zu unlauteren Verkürzungen. In der Umfrage befürworten 63% der Befragten, dass die nächste Bundesregierung mittlere Einkommen steuerlich entlasten sollte. In der Außendarstellung heißt es dagegen nur noch, „63% der Deutschen fordern: Steuern runter.“  Eine Verkürzung, die vor allem mit Bezug auf die umstrittene Frage der Steuererhöhungen für obere Einkommen zentral ist. Doch die Botschaft verbreitete die INSM über großflächige Außenwerbung, Taxiaufschriften und ihre viel besuchten Social Media-Kanäle. Weitere Beispiele für verkürzte Slogans hier.

Ungleiche Wahlkampffinanzierung

Parteispenden: Klares Plädoyer für Schwarz-Gelb

Wahlkampf ist teuer. Deshalb steigen in den Wahljahren traditionell die Parteispenden signifikant an. Und 2017 ist dieser Anstieg besonders ausgeprägt, wie ein Blick auf die bereits veröffentlichten Großspenden über 50.000 Euro zeigt. Insbesondere die CDU mit 2,25 Millionen Euro und die FDP mit 1,7 Millionen Euro profitieren davon. Auf sie entfallen über 90% der Großspenden über 50.000 in diesem Jahr. Es gibt offenbar ein gestiegenes Interesse bei Unternehmen und Vermögenden an Schwarz-Gelb und besonders am Erstarken der FDP. Die beiden Parteien bekamen bereits im ersten Halbjahr 2017 mehr Spenden von Unternehmen und Vermögenden als im gesamten Wahljahr 2013. 

Insbesondere zeigt sich ein großes Interesse in Wirtschaftskreisen, der FDP ihren Wiedereinzug in den Bundestag zu ermöglichen. Die FDP hat dafür Anfang 2016 mit dem FDP-Wirtschaftsforum eine organisatorische Plattform geschaffen. Hier treffen Unternehmer regelmäßig mit Politikern und liberalen Ökonomen zusammen. Zu dem Kreis gehören unter anderem die Großspender Lutz Helmig, der Gründer der Helios-Kliniken (300.000 Euro im Jahr 2017) und das ehemalige CDU-Mitglied Hans-Georg Näder vom Medizinproduktehersteller Ottobock (100.000 Euro im Jahr 2017).

Bei der Union gibt es bereits seit Jahrzehnten mit dem Wirtschaftsrat eine ähnliche Institution. Die SPD gründete 2015 ebenfalls ein Wirtschaftsforum, die AfD im selben Jahr ein Mittelstandsforum. Die FDP ließ sich zusätzlich noch Wahlplakate von der Fluggesellschaft Ryan Air sponsorn. Dazu muss man wissen: In Berlin findet parallel zur Bundestagswahl eine Volksabstimmung über den Erhalt des Flughafens Tegels statt – hier hat Ryan Air klare wirtschaftliche Interessen.

Intransparente Geldflüsse bei der AfD

Warum fehlt die AfD in der Übersicht der Großspenden? Keinesfalls, weil sie keine finanzielle Wahlkampfunterstützung erhielt. Die AfD fiel mit ihren ganz eigenen fragwürdigen Methoden der Wahlkampffinanzierung auf. Anonyme Geldgeber unterstützen die AfD seit Langem mit millionenschweren Wahlkampfhilfen, die sie der Partei über einen Wahlwerbeverein zukommen lassen. Auch bei der Bundestagswahl profitiert die Partei wieder von dieser verdeckten Wahlwerbung mit einer deutschlandweiten Plakatoffensive. Lobbycontrol-Recherchen legen nahe, dass die Gelder von anonymen Großspendern stammten. Schließlich finanzierte der Spendensammelverein seine ersten millionenschweren Wahlunterstütungsaktionen aus dem Stand heraus, ohne vorher jemals in Erscheinung getreten zu sein.

Soweit bekannt handelt es sich hierbei um die größten intransparenten Geldflüsse zugunsten einer einzelnen Partei der letzten Jahre. Der AfD-Unterstützerverein nutzt eine Gesetzeslücke. Während Parteien Spenden ab 10.001 Euro offenlegen müssen, gibt es für Wahlwerbung durch Dritte keine Transparenzpflichten. Die Finanziers des Wahlwerbe-Vereins können dadurch verborgen bleiben. Dieses Schlupfloch muss dringend geschlossen werden.

Verbände: Meist keine expliziten Wahlempfehlungen

Parteiencheck mit klarem Punktsieger: So explizite Wahlempfehlungen geben nur wenige Lobbyverbände

Viele Lobbyverbände haben in ihrer Öffentlichkeitsarbeit zwar klare Handlungsvorschläge für die nächste Wahlperiode, sprechen sich aber meist nicht explizit und eindeutig für eine Partei aus – siehe zum Beispiel das „Info-Tool zur Bundestagswahl“ des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), das auf spielerische Art die Positionen des Verbands vermittelt oder die Wahl-Webseite vom DGB mit Videoclip und Forderungen an die Parteien. Schließlich müssen Verbände auf ihre diverse Mitgliedschaft Rücksicht nehmen und wollen nicht zukünftige Entscheidungsträger verprellen.

Anders der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA): In seinem aufwändig gestalteten „Obverser 2017“, der die Wahlprogramme der Parteien „unter die Lupe nimmt“, gibt es einen klaren Punktsieger: die FDP. Auch die INSM zögerte nicht, dem Spitzenkandidaten der FDP, Christian Lindner, mitten im Wahlkampf zu einem großen Auftritt vor dem Heißluftballon mit INSM-Botschaften zu verhelfen.

Fazit: Ungleicher Wahlkampf

Im Wahlkampf zeigen sich noch einmal besonders deutlich, wie sich gesellschaftliche Machtungleichgewichte auch in der Politik widerspiegeln. Es macht einen Unterschied, ob eine Partei oder auch nur ein Lager im Wahlkampf Unterstützung in Form von hohen Wahlkampfspenden, großflächigen Anzeigen oder teuren Studien erhält. Jetzt und auch später in den Koalitionsverhandlungen wird sich außerdem auszahlen, wenn es sich ein Lobbyverband oder ein Unternehmen leisten kann, sich einen Spitzenpolitiker mit seinem Insider-Wissen und Kontaktnetzwerke einzukaufen.

Die Beispiele, die wir hier vorstellen, sind vermutlich nur die Oberfläche der Wahlkampfunterstützung durch Unternehmen und Verbände. Doch gerade jetzt wollen wir wissen, wer die Parteien auf welche Weise unterstützt. In Großbritannien müssen die Parteien vor den Wahlen wöchentlich offenlegen, von wem sie welche Spenden erhalten. In Deutschland werden wir erst im Frühjahr 2019 genauere Angaben über die Wahlkampffinanzierung erhalten – denn erst dann werden alle Spenden über 10.000 Euro veröffentlicht. Deshalb fordern wir mehr Transparenz und Schranken für Lobbyismus!

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Wie viele andere Verbände haben auch wir einen Parteiencheck für die Bundestagswahl erstellt.

Foto (Merkel/Zetsche): RudolfSimon/Wikimedia/CC BY-SA 3.0

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