Zwei Jahre nach der Pleite der Investmentbank Lehman wird sowohl in den USA als auch innerhalb der EU um eine Regulierung der Finanzbranche gerungen. Obama will am 4. Juli – dem Tag der Unabhängigkeit – medienwirksam ein Gesetz zur Eindämmung der Spekulation unterzeichnen. Es geht um den Marktzugang von Hedgefonds, die Kontrolle von Ratingagenturen, Eigenkapital-Vorschriften etc. Auch wenn die angestrebten Maßnahmen vielen Kritikern nicht weit genug gehen – selbst kleine Verbesserungen sind schwer durchzusetzen. Denn die Finanzbranche besitzt eine der mächtigsten Lobbys der Welt. Wir tragen einigen interessante Meldungen der letzten Wochen zusammen:
1) Obamas Finanzmarktreform von Lobbyisten kastriert
„Bei uns atmen alle auf. Abgesehen von ein paar populistischen Zugeständnissen wird die Wall Street weitermachen wie bisher“, zitiert Spiegel online einen Wall-Street-Banker. Barack Obama will bis Anfang Juli 2010 – zwei Jahre nach der Lehman-Pleite ein Gesetz zur Regulierung der Finanzmärkte durch bringen. Seit Anfang 2009 konzentriert die Finanzlobby ihr Bemühungen darauf, möglichst ungeschoren davon zu kommen. Mindestens 1447 LobbyistInnen sollen mit diesem Thema beschäftigt – und haben offenbar ganze Arbeit geleistet. Die Zahl stammt von Public Citizen, einer Organisation, die sich immer mal wieder das Washingtoner Lobbyregister anschaut. Dabei fand sie heraus, dass fast tausend Lobbyisten alleine die Beratungen um den Derivate-Handel begleiteten. Immerhin 79 von ihnen befürworteten eine Neuregulierung dieses Geschäftsfeldes; mehr als elfmal so viele, nämlich 903, sahen ihren Auftrag allerdings in der Verhinderung von Reformen.: „Zerredet, zerlegt, zerronnen„, betitelt der Spiegel seine Einschätzung des Gesetzes, das sich derzeit im Vermittlungsausschuss befindet und Ende des Monats ratifiziert werden soll. (siehe auch Artikel aus der Schweiz)
2) Dominanz der Finanzbranche in den EU-Expertengruppen
Immerhin kann man in den USA – wenn man sich dafür interessiert – erfahren, wer hinter der Beeinflussung der Politik steckt. Die Brüsseler EU-Behörden werden weitgehend under cover von Lobbyisten bearbeitet. Nach wie vor haben sich dort nicht einmal die Hälfte der professionellen Interssensvertreter im Brüsseler Lobbyregiaster eintragen lassen, das nach Meinung von LobbyControl falsch konzipiert ist (siehe unser Blogbeitrag vom 18. März). Aber auch ohne konkrete Zahlen lässt sich leicht feststellen, dass das dichte Geflecht von Verbänden und Lobby-Agenturen dem Finanzsektor gegenüber VertreterInnen der Zivilgesellschaft ein deutliches Übergewicht verschafft. Privilegierten Zutritt zu EntscheidungsträgerInnen erhält die Branche zudem durch ihre Einbindung in Expertengruppen. Wir haben dieses Ungleichgewicht Ende letzten Jahres schon in einer Studie durchleuchtet. Frontal21 hat den aktuellen Einfluss der Finanzlobby in Brüssel in einem Beitrag am 25. Mai durchleuchtet (siehe Video oder Manuskript) und dazu eine gute Animation zum Lobbygeflecht in Brüssel erstellt.
3) Internationaler Bankenverband koordiniert Aktivitäten gegen Regulierung
Am 8. Juni 2010 kamen Finanzgrößen aus aller Welt auf Einladung von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nach Wien. Im Mittelpunkt des Treffens stand der Kampf gegen strengere Bankenregeln. Die Presse aus Wien schreibt in einem lesenswerten Beitrag:
„Der Plan einer europäischen Finanzaufsicht mit Durchgriffsrechten ist gescheitert. Auch Hedgefonds und Ratingagenturen haben wenig zu befürchten. Eine internationale Finanztransaktionssteuer ist nicht in Sicht. Weltweit abgeschmettert wurden zudem sämtliche Versuche, die Branche über eine eigene „Bankensteuer“ zur Kasse zu bitten und so einen Teil der Krisenkosten zu schultern. Die Finanzbranche argumentiert, dass von diesen Abgaben nur die Kunden betroffen wären. Kritiker werfen den Banken indessen vor, ungeniert Verluste zu sozialisieren.“
4) Kreditkarten-Gebühren in USA deutlich gesenkt – trotz Lobby-Widerstand und Tricks
Bereits am 15. Mai berichtete die New York Times, dass die Finanzlobby amerikanischen Politikern ganz offen mit Entzug von Wahlkampfspenden gedroht haben soll. Es ging um eine deutliche Begrenzung von Kreditkarten-Gebühren bei Einkäufen. Das neue Gesetz sollte den Einzelhandel vor willkürlicher Gebührengestaltung beim elektronischen Bezahlen schützen. 19,7 Mrd. $ allein im letzten Jahr für Visa und MasterCard waren Pfründe, die zu verteidigen sich lohnte.
Bankster installieren simulierte Verbraucher-Organisation
Eine reichlich durchsichtige „Konsumentenorganisation“ (Consumers Against Retailer Discrimination: KonsumentInnen gegen Diskriminierung durch den Einzelhandel, CARD) warb auf ihrer Website um Unterschriften, damit diese Einnahmen den Finanzinstituten auch in Zukunft in vollem Umfang erhalten bleibt. Ganz unten im Kleingedruckten kann man sehen, wer sich da wirklich Sorgen macht: „A Project of Electronic Payments Coalition“. Die EPC ist ein Zusammenschluss von über 60 US-amerikanischen Geldinstituten und deren Verbänden. Mehr zu CARD bei www.sourcewatch.org und PR Watch.
Dass die Beschneidung dieser lukrativen Einnahme-Quelle für Geldinstitute, die zu Lasten von Millionen Endverbrauchern ging, letztendlich durchkam, lag auch am massiven Gegen-Lobbying von Coca-Cola, dem Verband der Einzelhänder und anderen, die keine Interesse an einer unnötigen zusätzlichen Belastung ihrer Kundschaft hatten. Dennoch nimmt die New York Times erstaunt zur Kenntnis, dass die scheinbar allmächtige Finanzlobby hier eine Niederlage einstecken musste.
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