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Gabriele Bischoff (SPD) war die zuständige Berichterstatterin für die Änderung der Verhaltensregeln.
Lobbyismus in der EU

Nach Katargate: Fortschritte und Blockaden bei neuen Regeln für EU-Abgeordnete

Vor wenigen Tagen änderte das EU-Parlament die Verhaltensregeln für die Abgeordneten. Der nächste Skandal lässt sich so aber kaum verhindern.

von 29. September 2023

Nach dem größten Korruptionsskandal in der Geschichte des Europäischen Parlaments haben die Abgeordneten nun die Verhaltensregeln reformiert.

Die Verpflichtung für alle Abgeordneten, ihre Lobbytreffen zu veröffentlichen, setzt neue Standards bei der Lobbytransparenz. Viele andere Lobby-Einfallstore bleiben aber unberührt. Das liegt auch daran, dass besonders die Abgeordneten von CDU und CSU wichtige Verbesserungen blockiert haben.

Drei zentrale Transparenz-Veränderungen

1. Abgeordnete müssen in Zukunft zu Beginn und Ende der Wahlperiode ihre Vermögen gegenüber der Verwaltung offenlegen. Diese Maßnahme macht Bestechung schwieriger, weil ein enormer Anstieg der Vermögenswerte auffallen würde. EU-Abgeordnete aus vielen Mitgliedsländern wie Frankreich, Italien, Polen oder Rumänien mussten dies bereits bisher tun. Es ist äußerst sinnvoll, dass die Regelung nun einheitlich für alle gilt.

2. Alle Abgeordneten, die die Arbeit des Parlaments an einem bestimmten Gesetzesvorhaben koordinieren, die sogenannten Berichterstatter:innen, müssen in Zukunft offenlegen, mit welchen Lobbyakteuren sie zu dem Gesetzesvorhaben gesprochen haben. Damit hat das Europäische Parlament einen legislativen Fußabdruck, den es bisher weder bei der EU-Kommission noch der Bundesregierung gibt.

3. Alle Abgeordneten und ihre Mitarbeiter:innen müssen in Zukunft ihre Lobbytreffen veröffentlichen – sowohl mit allen Akteuren im Brüsseler Lobbyregister, als auch mit Vertreter:innen von Nicht-EU-Staaten. Damit kann die Öffentlichkeit in Zukunft nachvollziehen, mit wem sich Abgeordnete zu einem bestimmten Thema getroffen haben.

Die Veröffentlichung von Lobbytreffen durch Abgeordnete setzt durchaus neue Standards bei der Lobbytransparenz. Bisher tun dies in anderen Ländern, wenn überhaupt, nur Minister:innen. In Deutschland werben wir bei der Regierung bisher vergebens. Offen bleibt natürlich, ob die Abgeordneten die Vorgabe auch befolgen.

Verstöße werden selten bemerkt, geschweige denn geahndet

Und hier kommen wir schon zu einem zentralen Teil der ungelösten Probleme. Denn wer wird die Regeln zukünftig überprüfen und durchsetzen? Zuständig wären eigentlich die Verwaltung der Parlamentspräsidentin – die für das Aussprechen von Sanktionen zuständig ist – oder der Beratende Ausschuss, das Kontrollgremium des Europäischen Parlaments für Verhaltensregeln und Interessenkonflikte. Doch keine von beiden Institutionen hat sich in der Vergangenheit mit Ruhm bekleckert, was die Kontrolle und Durchsetzung der Verhaltensregeln angeht.

Schon kurz nach dem Skandal hatten wir thematisiert, dass fehlende Aufsicht und Durchsetzung der Verhaltensregeln die zentralen Probleme sind. Abgeordnete im EU-Parlament haben bisher nicht viel zu befürchten, wenn sie die Regeln nicht einhalten. Eine Nebentätigkeit zu verschweigen bleibt in der Regel sanktionsfrei, denn man kann die Angaben jederzeit nachliefern. Ein Lobbytreffen wurde nicht offen gelegt? Für einige Abgeordnete galt diese Pflicht schon bisher – aber es wurde nicht nachgeprüft.

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Unzureichende Kontroll-Kompetenzen

Immerhin hat der Beratende Ausschuss mit der Reform zwei neue Kompetenzen bekommen. Er soll das Verhalten der Abgeordneten auch selbst beobachten und mögliche Regelverstöße an die Parlamentspräsidentin weiterleiten. Bisher hat er nur auf Aufträge des/der Präsident:in reagiert. Außerdem dürfen Akteure wie z. B. Abgeordnete oder Lobbyakteure mutmaßliche Verstöße gegen den Verhaltenskodex dem Gremium auch direkt melden. Bisher durfte man dies nur dem/der Präsident:in melden – und alle unsere Beschwerden der vergangenen Wahlperioden sind dort versandet.

Es bleibt aber offen, was der Ausschuss mit diesen neuen Kompetenzen am Ende macht, denn er hat keinerlei Sekretariat oder ähnliches, das ihm beim Beobachten von Verstößen behilflich sein könnte. Ein Vorschlag für eine solche personelle Unterstützung bekam keine Mehrheiten.

Roberta Metsola (Partit Nazzjonalista), Präsidentin des Europäischen Parlaments
European Parliament - CC-BY 2.0
Die jetzige Reform bleibt weit hinter den Vorschlägen von Parlamentespräsidentin Roberta Metsola (Partit Nazzjonalista Malta) kurz nach Bekanntwerden des Skandals zurück
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Roberta Metsola (Partit Nazzjonalista), Präsidentin des Europäischen Parlaments
Die jetzige Reform bleibt weit hinter den Vorschlägen von Parlamentespräsidentin Roberta Metsola (Partit Nazzjonalista Malta) kurz nach Bekanntwerden des Skandals zurück

Weitere Vorschläge wie eine Erweiterung des Gremiums durch externe Sachverständige oder die Veröffentlichung der Empfehlungen des Beratenden Ausschusses an die Parlamentspräsidentin konnten sich ebenfalls nicht durchsetzen. So kann die Leitung des Parlaments vorgeschlagene Sanktionen für einen konkreten Regelverstoß jederzeit in der Schublade verschwinden lassen. Ob die Kontrolle und Durchsetzung der Regeln sich mit diesem Reförmchen verbessert, bleibt abzuwarten.

Lobby-Nebentätigkeiten trotz Verbot weiter möglich

Bei den Nebenverdiensten bleibt die Reform weit hinter dem zurück, was nötig gewesen wäre, um zukünftige Skandale möglichst effektiv zu verhindern. Trotz eines allgemeinen Verbots von Lobbytätigkeiten neben dem Mandat dürfen Abgeordnete nämlich weiterhin als Berater:innen z.B. bei Anwaltskanzleien oder Beratungsfirmen arbeiten, die in Brüssel Lobbyarbeit betreiben.

Laut einer aktuellen Analyse von Transparency International sind 12 Abgeordnete neben dem Mandat Berater:innen, 16 Anwält:innen. Wenn solche Tätigkeiten bei Lobbyakteuren ausgeübt werden, die die Brüsseler Institutionen bearbeiten, kann dies zu schwerwiegenden Interessenkonflikten führen. Wir haben in diesem Jahr die Parlamentspräsidentin um Klärung der Nebentätigkeiten der deutschen Abgeordneten Angelika Niebler und Axel Voss gebeten – ohne Ergebnis.

Niebler bringt immer wieder Änderungsanträge zu Gesetzen ein, die im Interesse ihrer Kund:innen als Anwältin sein könnten. Um dies besser beurteilen zu können, müssten die Abgeordneten offenlegen, für welche Kund:innen sie konkret arbeiten. Die Verpflichtung, diese Information offenzulegen, scheiterte ebenfalls an den Mehrheiten im Parlament.

Verbesserte Regeln zu Interessenkonflikten

Lange strittig war unter den Abgeordneten, die die Reform vorbereiteten, was alles einen Interessenkonflikt konstituiert und was Abgeordnete tun müssen, wenn sie einem solchen unterliegen. Gut ist, dass die Definition eines Interessenkonfliktes ausgeweitet wurde, und hier z.B. die Familie der Abgeordneten mit aufgenommen wurde. Auch müssen Abgeordnete, wenn sie beispielsweise einen Ausschussvorsitz oder eine Berichterstatterrolle übernehmen wollen, Interessenkonflikte offenlegen. Der entsprechende Ausschuss kann dann beschließen, ob der Interessenkonflikt zu schwerwiegend ist oder nicht. Abgeordnete dürfen also einen Interessenkonflikt haben, sie sollten ihn lediglich offenlegen.

Seitenwechsel nach sechs Monaten erlaubt

Schon im Mai beschloss das Parlament, eine Karenzzeit einzuführen. Das war begrüßenswert, denn Karenzzeiten für Abgeordnete sind immer noch eine Seltenheit. Die EU ist mit diesen Regeln also Vorreiterin, auch im Vergleich mit Deutschland. Allerdings beträgt die Karenzzeit nur sechs Monate und ist damit viel zu kurz. Bis Abgeordnete nach Ende ihres Mandats einen neuen Job haben, dürfte sie in der Regel schon vorbei sein.

Lange hatte eine Arbeitsgruppe aus Abgeordneten aller Fraktionen darum gerungen, welche Veränderungen nötig sind, um einem weiteren Korruptionsskandal wirkungsvoll vorzubeugen. Leider haben die Christdemokraten viele Reformen blockiert. Es sind zwar ein paar echte Fortschritte herausgekommen, aber an vielen wichtigen Stellen wurde auch nichts geändert. Der nächste Lobbyskandal lässt sich so nicht verhindern. Nach der Wahl im kommenden Jahr muss das neue Parlament nochmal nachbessern.

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Prozess um Katargate vorläufig gestoppt

Der Prozess um den EU-Korruptionsskandal ist derweil gestoppt. Statt weiter aufklären zu können, steht die belgische Justiz inzwischen selbst unter Beschuss. Der leitende Ermittlungsrichter Michel Claise wird verdächtigt, Marie Arena, die ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte, von Ermittlungen verschont zu haben, weil die Söhne beider Familien gemeinsamen Geschäftstätigkeiten nachgehen.

Arena, gegen die zunächst nicht ermittelt wurde, hatte an einer Konferenz über Menschenrechte in Doha teilgenommen, Flüge und Hotel ließ sie sich vom Gastgeber Katar bezahlen. Arena meldete dies nicht unmittelbar der Parlamentsverwaltung. Erst deutlich nach Bekanntwerden des Korruptionsskandals legte sie die von Katar bezahlte Dienstreise offen.

Darüber hinaus ist sie eng mit Pier Antonio Panzeri bekannt. Ihr Vorgänger als Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses gab bereits zu, Anführer des Korruptionsringes gewesen zu sein. Die belgische Polizei hat mittlerweile im Haus von Marie Arenas Sohn 280.000 Euro in bar gefunden – ob sie etwas mit Katargate zu tun haben, ist unklar.

Nun muss erst einmal aufgeklärt werden, ob Claise einem Interessenkonflikt unterlag und ob es weitere Fehler bei den Ermittlungen gab. Die angeklagten Abgeordneten sind derweil wieder auf freiem Fuß und sogar ins EU-Parlament zurückgekehrt. Es wäre hochproblematisch, wenn Katargate niemals aufgeklärt würde, und sich Verschwörungsmythen statt Fakten durchsetzen könnten.

Gesetz für Einflussnahme aus dem Ausland?

Während die neuen Abgeordnetenregeln vorerst abgeschlossen sind und die strafrechtlichen Ermittlungen in einen Justizskandal abzudriften scheinen, läuft noch ein weiterer Prozess, der durch Katargate losgetreten wurde: die neuen Regeln für Einflussnahme aus dem Ausland. Derzeit plant die Kommission eine Richtlinie, die alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, eine Art Lobbyregister für ausländische Einflüsse zu verabschieden.

Verdeckte oder manipulative Einflussnahme auf demokratische Prozesse ist immer problematisch. Wir haben aber Zweifel, dass ein spezielles Gesetz für Einflussnahme aus dem Ausland zielführend wäre. Es birgt viele grundrechtliche Risiken und mögliche weitere Einschränkungen für die Zivilgesellschaft. Es steht allerdings auch in den Sternen, ob die EU-Kommission das noch vor der Wahl durchsetzen kann.


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