Lobbyismus in der EU

Europawahl: Unsere Fragen an die Spitzenkandidaten

In wenigen Tagen ist Europawahl. Wir haben die europäischen SpitzenkandidatInnen dazu befragt, wie sie zum Thema Lobbykontrolle und Konzerneinfluss stehen.
von 21. Mai 2019

Bei der Europawahl haben die europäischen Parteien sogenannte SpitzenkandidatInnen aufgestellt. Die stärkste Partei kann voraussichtlich die Kommissionspräsidentin oder den Kommissionspräsidenten stellen. Wir wollten wissen, wie sie zum Thema Lobbykontrolle stehen und welche Maßnahmen sie für den Fall ihrer Wahl ergreifen werden. Dazu haben wir gemeinsam mit unserer europäischen Allianz ALTER-EU einen Fragebogen an die KandidatInnen verschickt und die Antworten jetzt ausgewertet. Es wird deutlich, wer es wirklich ernst meint mit mehr Lobbykontrolle und wer auf der anderen Seite das Thema vernachlässigt.

Sieben Fragen zu Lobbykontrolle und Konzerneinfluss

Wir haben Manfred Weber (Union/EVP), Frans Timmermans (Sozialdemokraten), Margrethe Vestager und Guy Verhofstadt (Liberale), Jan Zahradil (Europäische Konservative und Reformer) Nico Cué und Violeta Tomic (Europäische Linke), Ska Keller und Bas Eikhout (Europäische Grüne) sowie Oriol Junqueras (Europäische Freie Allianz) folgende sieben Fragen zugeschickt:

  1. Wie werden Sie sicherstellen, dass die Interessen von BürgerInnen Priorität vor den Interessen von Konzernen haben?
  2. Werden Sie sicherstellen, dass die Richtlinien für KommissarInnen umgesetzt werden, so dass es eine Ausgewogenheit bei Lobbytreffen mit Unternehmen und Zivilgesellschaft gibt? Wenn ja, wie werden sie dies sicherstellen? Wenn nein, warum nicht?
  3. Werden Sie
    a) sich für die Einführung eines wirklich verpflichtenden Lobbyregisters einsetzen, an dem sich alle drei EU-Institutionen (Rat, Kommission, Parlament) beteiligen;
    b) sicherstellen, dass ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen vorhanden sind, um das Lobbyregister zu pflegen
    c) sich für wirksame Sanktionen einsetzen für diejenigen, die sich nicht an die Regeln des Lobbyregisters halten?
  1. Werden Sie das Verbot von Treffen mit unregistrierten Lobbyisten auf alle Ebenen der EU-Kommission ausweiten?
  2. Werden Sie eine legislative Fußspur einführen, die Eingaben von Lobbyisten zu Gesetzen dokumentiert?
  3. Werden Sie die Empfehlung der Europäischen Bürgerbeauftragten Emily O‘Reilly umsetzen und dafür sorgen, dass alle Interaktionen mit Tabaklobbyisten vollständig offengelegt werden, so dass Artikel 5.3 des Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs der WHO effektiv angewendet wird?
  4. Werden Sie strengere Regeln für Seitenwechsel für Ex-Kommissare einführen und ein unabhängiges Ethik-Gremium zur Überprüfung von Seitenwechseln schaffen, das im Zweifelsfall eigenständig Untersuchungen einleitet und dafür über die notwendigen Ressourcen verfügt?

Die Ergebnisse im Überblick

Unsere Auswertung der Antworten zeigt, dass die KandidatInnen der Europäischen Grünen, der Freien Europäischen Allianz und der Europäischen Linken umfangreich und mit konkreten Vorschlägen und Maßnahmen auf unsere Fragen geantwortet haben. Bei den Sozialdemokraten fallen die Antworten weniger konkret aus. Enttäuschend sind hingegen die fehlenden Antworten der Europäischen Volkspartei und ihrem deutschen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU), sowie der der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa, zu denen die FDP gehört. Auch von den Europäischen Konservativen und Reformer blieb eine Antwort aus.

Grüne und Freie Europäische Allianz

Die Europäischen Grünen sowie die Freie Europäische Allianz haben in den letzten fünf Jahren eine gemeinsame Fraktion im EU-Parlament gebildet. Sie schlagen in ihren Antworten umsetzbare und konkrete Maßnahmen vor.

Ihr Vorschlag enthält konkrete Maßnahmen für mehr Lobbykontrolle. Unter anderem wollen sie ein verpflichtendes Lobbyregister einführen, die Einflussmöglichkeiten der Bürger auf die EU-Politik verbessern und die Regeln bei Seitenwechseln verschärfen. Ein Seitenwechsel, wie der von Ex-Kommissionspräsident Barroso zur globalen Investmentbank Goldman Sachs wäre damit nicht mehr möglich. Die SpitzenkandidatInnen Ska Keller, Bas Eickhout und Oriol Junqueras haben sich zudem dafür ausgesprochen, die Richtlinie der Weltgesungsheitsorganisation (WHO) zum Umgang mit LobbyistInnen der Tabakindustrie vollständig umzusetzen und somit Kontakte zur Tabakindustrie auf ein Minimum zu beschränken.

Sowohl Europäische Grüne als auch die Freie Europäische Allianz konnten herausstellen, dass sie sich bereits in den letzten Jahren im Kampf für bessere Transparenzregeln engagiert haben und dieses Ziel auch weiterhin verfolgen, sowohl auf Kommissionsebene als auch im Parlament. Die vollständigen Antworten finden Sie hier.

Rückmeldung der Europäischen Linken

Violeta Tomic und Nico Cué, die beiden Spitzenkandidaten der Europäischen Linken, setzen sich ebenfalls ein für ein verpflichtendes Lobbyregister und eine Ausweitung des Verbots von Treffen mit unregistrierten Lobbyisten. Die Anwendung der Empfehlungen der WHO zu Lobbyisten der Tabakindustrie sowie Nachbesserungen bei den Regeln für Seitenwechseln fordern sie ebenfalls. Die vollständigen Antworten finden Sie hier.

Spannender Vorschlag zu Unausgewogenheit beim Lobbyeinfluss

Einen interessanten Lösungsvorschlag, um mehr Ausgewogenheit bei Lobbytreffen mit Unternehmen und Zivilgesellschaft zu schaffen, präsentierte Violeta Tomic. Sie schlägt vor, dass eine Ethikbehörde einmal jährlich die Lobbytreffen der Kommissare auf Ausgewogenheit hin überprüfen soll. Im Falle von Unausgewogenheit müssten die betroffenen Kommissare „einen Plan vorlegen, durch den das Ungleichgewicht korrigiert würde“. Die vollständigen Antworten finden Sie hier.

Frans Timmermans: Sozialdemokraten und Lobbykontrolle

Die Antworten von Franz Timmermans, dem Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, waren insgesamt allgemeiner und enthielten weniger konkrete Vorschläge für tatsächlich umsetzbare Maßnahmen.

Begrüßenswert ist jedoch Timmermans Versprechen, Kontakte der Kommission zu Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Vertretern der Zivilgesellschaft auszubauen. Besser noch ist, dass der Spitzenkandidat sich auch dafür ausspricht, über den Brüsseler Tellerrand zu schauen und „regelmäßige Bürgerdialoge, zu Hause und in ganz Europa [abzuhalten], um mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu kommen.“

Anders als Grüne, Freie Europäische Allianz und Linke, wollen die Sozialdemokraten allerdings lediglich das derzeit freiwillige Lobbyregister verbessern anstatt ein neues, rechtlich verpflichtendes Lobbyregister auf gesetzlicher Grundlage zu schaffen. Auch beim Thema Sanktionen, etwa bei Treffen mit nicht registrierten Lobbyisten, sind die Sozialdemokraten zwar diskussionsbereit, aber zurückhaltend. Ähnliches gilt für die Ausweitung dieser Vorschrift auf sämtliche Ebenen der EU-Kommission. Bei der Umsetzung der WHO-Empfehlungen zum Umgang mit der Tabakindustrie sowie der Regeln bei Seitenwechseln von der Politik in die Wirtschaft sah Timmermans keinen Nachbesserungsbedarf. Mit anderen Worten: Der Sozialdemokrat ist beim Thema Lobbykontrolle offen, bleibt jedoch wenig konkret und gibt dem Thema nicht die gleiche Priorität wie Grüne/ Freie Europäische Allianz und Linke. Die vollständigen Antworten finden Sie hier.

Enttschäuschend: Keine Antwort von Union und Liberalen

Die vielleicht größte Erkenntnis der Befragung lässt sich daraus ziehen, welche Parteien trotz mehrfacher Nachfragen nicht geantwortet haben: Die Europäische Volkspartei, die Liberalen sowie die Europäischen Konservativen und Reformer, der unter anderem die britischen Tories sowie zu Beginn der letzten Legislatur die deutsche AfD angehörten.

Der Umgang mit Lobbyismus ist für die Zukunft der EU von zentraler Bedeutung. Umso bedauerlicher, dass die Spitzenkandidaten Manfred Weber, Margrethe Vestager, Jan Zahradil und Guy Verhofstad dieses Thema derart vernachlässigen. Und doch spiegelt es das Verhalten der Parteien im Europäischen Parlament in den letzten fünf Jahren wider (mehr lesen Sie in unserem Parteiencheck). Dort haben ihre Vertreter Fortschritte in der Lobbyregulierung verzögert oder abgelehnt.


Die vollständigen Antworten der KandidatInnen finden Sie hier (Englisch, pdf):

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10 Kommentare

Peter23. Mai 2019 um 22:27

Oben steht doch klar und deutlich, dass nicht nur die Grünen, sondern auch die Linken (z. B. die Linkspartei in Deutschland) und die „Freie Europäische Allianz“ (trotz des Namens haben diese nichts mit der deutschen FDP zu tun, sondern sind ein Zusammenschluss von regionalen Parteien) strengere Regeln für Lobbyismus-Kontrolle fordern.

Peter23. Mai 2019 um 22:39

Herr Pütz,

wenn Ihnen die Grünen zu konzernnah sind, können Sie z. B. die Linke wählen. Diese ist die einzige der im Bundestag vertretenen Parteien, die keine Firmenspenden und keine Großspenden von Privatpersonen die Firmeneigner/Anteilseigner sind, annimmt.

Die Grünen erhielten z. B. Großspenden von Daimler, von BMW, von der Allianz-Versicherung und von den Verbänden der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie und der Baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie, in denen auch Rüstungskonzerne vertreten sind.

Peter23. Mai 2019 um 22:44

Wieso „bis auf die Grünen“?

Oben steht doch, dass auch die Linken (in Deutschland: Linkspartei) und die Freie Europäische Allianz (in Deutschland: Bayernpartei, Die Friesen, Südschleswigscher Wählerverband, Lausitzer Allianz) zum Thema Lobbyismus im Wesentlichen das gleiche wollen wie die Grünen.

Peter23. Mai 2019 um 22:52

Dass die Europäische Linke nicht „grün“ ist, stimmt nicht. Zu der Fraktion im EU-Parlament gehören z. B. grüne linke Parteien aus Skandinavien. Auch die Linkspartei in Deutschland fordert besseren Klima- und Umweltschutz, eine sozial gerechte Energie- und Verkehrswende, mehr Investitionen in erneuerbare Energien usw. (siehe auch: https://www.linksfraktion.de/themen/a-z/detailansicht/umwelt/ ).
Auch bei den „Fridays for Future“-Demos sind regelmäßig Leute von der Linkspartei mit dabei.

Peter23. Mai 2019 um 23:06

Nein, die Linken wollen, dass alle Treffen der Kommissare während des gesamten Jahres sollen durch eine Ethikbehörde überprüft werden. Die Kontrolle findet also ständig während des gesamten Jahres statt.

Einmal im Jahr gibt es dann von dieser Ethikbehörde einen Rechenschaftsbericht oder ähnliches, wo drinsteht, wer sich wann wie oft mit wem getroffen hat.

Kommissare, die sich zu oft nur mit Lobbygruppen von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden etc. getroffen haben, werden sanktioniert, in Extremfällen bis hin zum Verlust ihres Jobs bei der EU-Kommission.

Gruber Johann23. Mai 2019 um 23:32

Warum wurden nicht alle zur Wahl zugelassenen Parteien gefragt?

Elias K.23. Mai 2019 um 23:58

Sehr geehrte Frau Katzemich,
ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie nun in zwei aufeinanderfolgenden Newslettern die Partei „Bündnis 90/ Die Grünen“ bzw. ihre europäische Partei als positives Beispiel hervorgehoben haben, wo Sie doch selbst sagen, dass die Partei „DIE LINKE“ bzw. ihr europäisches Pendant genauso den Ansprüchen Ihrer Organisation gerecht wird. Dies ist zumindest eine Ungleichbehandlung, die rechtfertigt, dass Sie sich des Vorwurfs der Wahlkampfhilfe zugunsten der „Grünen“ ausgesetzt sehen. Leider macht es Sie auch nicht glaubwürdiger, dass Sie in diesem Zusammenhang gleichzeitig verschweigen, von welchen Konzernen und Banken einige Parteien Spenden erhalten. Ich schätze mich mit Ihnen einig, dass dies von höchster Relevanz ist, wenn es um den Einfluss von Lobby-Interessen auf die Politik geht. Auch dies hat aus meiner Sicht ein Geschmäckle, weil Sie dort Ihr Bild der „Grünen“ als vermeintliche Vorzeige-Lobbycontroler nicht würden halten können und Sie „DIE LINKE“ nach Lage der Fakten als einzige Partei (unter den im Bundestag vertretenen Parteien) deklarieren müssten, die sich frei von Konzernspenden finanziert. Im Sinne Ihrer Glaubwürdigkeit möchte ich Sie bitten, zukünftig Ihre Newsletter nicht tendenziös zu gestalten und beide Parteien hervorzuheben, sollten zwei Parteien Ihre Kriterien erfüllen. Außerdem halte ich auch die Berücksichtigung von Parteispenden für angebracht. Über eine Stellungnahme von Ihnen würde ich mich freuen!

Monika Ehfentraut24. Mai 2019 um 12:48

Die Hessischen Grünen beteiligen sich an der Verheimlichen eines Sonderkontos aus der ehemaligen DDR, das von 1990 bis 2012 mit 5 Mio Euro jaehrlich der Hessischen CDU diente. Dafür „feiert“ man den früheren Syndicus der DDR-Treuhand in der Wiesbadener Zeitung als „glücklichen Ehemann“ und nicht als Verwalter einer gestohlenen englischen Erbschaft, illegal in den Kassen der CDU

Dietmar Witte25. Mai 2019 um 11:17

Was ist mit meinem Freund Martin Sonneborn.
Das ist doch der Beste. Den würde ich dringends empfehlen zu wählen.
Alles andere ist doch nichts !!!

Nina Katzemich5. Juni 2019 um 16:31

Lieber Elias K.,
tut mir leid, wenn durch die vergangenen Newsletter der Eindruck entstanden ist, wir würden hier eine bestimmte Partei bevorzugen. Ich kann das nachvollziehen und werde beim nächsten Mal noch stärker darauf achten. Ich weiß natürlich auch, dass die Grünen inzwischen Unternehmensspenden erhalten, anders als die Linke. Wir zeigen das ja auch regelmäßig, wenn wir die Rechenschaftsberichte auswerten. Ich denke übrigens schon, dass man grundsätzlich Spenden erhalten und gleichzeitig gegen unausgewogenen Lobbyismus entschieden vorgehen kann. Dennoch, dass es hier ein gesellschaftliches Problem mit ungleichen Einflüssen gibt, zeigt sich sehr wohl beim Thema Parteispenden.
Ich hoffe, Sie bleiben uns gewogen
Mit freundlichen Grüßen
Nina Katzemich