Lobbyismus in der EU

Abgeordnete im EU-Parlament: Neuer Kodex, alte Verhaltensweisen?

Ein knappes Jahr vor der Wahl zum Europäischen Parlament zeigt eine neue Studie:  Der 2012 eingeführte Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete hat zwar Verbesserungen in puncto Transparenz gebracht. Aber weiterhin gibt es Parlamentarier, die mit ihren Verbindungen zu Unternehmen oder Lobbygruppen – zum Beispiel in Form von Nebentätigkeiten – das Risiko eines Interessenkonflikts eingehen. Diese lässt der […]
von 18. Juli 2013

Händedruck EU-PortalEin knappes Jahr vor der Wahl zum Europäischen Parlament zeigt eine neue Studie:  Der 2012 eingeführte Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete hat zwar Verbesserungen in puncto Transparenz gebracht. Aber weiterhin gibt es Parlamentarier, die mit ihren Verbindungen zu Unternehmen oder Lobbygruppen – zum Beispiel in Form von Nebentätigkeiten – das Risiko eines Interessenkonflikts eingehen. Diese lässt der neue Verhaltenskodex bisher unbehelligt – obwohl ursprünglich eingeführt, um Interessenkonflikte nach dem so genannten „Geld-für-Gesetze-Skandal“ im Frühjahr 2011 zukünftig zu vermeiden.

Nebentätigkeiten mit Interessenkonflikten existieren weiter

Die Studie ist eine Gemeinschaftsanalyse der vier Nichtregierungsorganisationen Friends of the Earth Europe, Corporate Europe Observatory, LobbyControl und Spinwatch. Die vier Abgeordneten sind Fälle, die uns im Laufe unserer Kampagnenarbeit aufgefallen sind und bereits vor dem neuen Verhaltenskodex existierten, durch diesen aber nicht abgestellt wurden. Es geht in der Studie also weniger darum, neue Fälle von fragwürdigen Nebentätigkeiten zu skandalisieren. Sondern darum, zu zeigen, dass es Abgeordneten trotz neuem Kodex weiterhin möglich ist, Tätigkeiten neben der parlamentarischen Arbeit innezuhaben, die ein großes Risiko für einen Interessenkonflikt in sich tragen. Unseres Erachtens widerspricht dies dem Grundgekdanken des neuen Verhaltenskodex.

Alle vier beschriebenen Abgeordneten  haben Nebentätigkeiten oder andere enge Verbindungen zu Unternehmen oder Lobbyverbänden, die ein direktes Interesse an EU-Gesetzgebung haben und aktiv Einfluss auf die EU-Institutionen zu nehmen suchen.

Dies sind die Abgeordneten im Einzelnen:

  • Der EU-Parlamentsabgeordnete Bendt Bendtsen (Dänemark, Konservative Volkspartei) deklariert bezahlte und unbezahlte Mitgliedschaften in Gremien von Danske Bank (der größten dänischen Bank), sowie den Unternehmen Esvagt und Seamull (beide aus dem Bereich des Schiffs- und Seewesens). Alle haben kommerzielle Interessen an Fragen, die im Europäischen Parlament behandelt werden. Danske Bank ist betreibt selbst Lobbyarbeit bei den Europäischen Institutionen.
  • Der EU-Parlamentsabgeordnete Klaus-Heiner Lehne (Deutschland, CDU) deklariert eine Partnerschaft in der internationalen Anwaltskanzlei Taylor-Wessing. Zudem ist er Vorsitzender des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments. Geschäftsinteressen und Gebiete, in denen Taylor-Wessing Firmenkunden berät, beinhalten Finanz- und Patentrechte, in die Herr Lehne auf Berichterstatterebene involviert war.
  • Der EU-Parlamentsabgeordnete Paul Rübig (Österreich, Österreichische Volkspartei ÖVP) deklariert Einkünfte zwischen 1001€ und und 5000€ monatlich von der österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ), die alle österreichischen Unternehmen repräsentiert. Der Abgeordnete war mehrfach Berichterstatter zu Themen, die von Interesse für die Mitglieder der Kammer sein dürften, so zum Beispiel in Fragen zum Thema geistiges Eigentumsrecht oder Wettbewerbsfähigkeit. Die Wirtschaftskammer Österreich betreibt auch selbst EU-Lobbyarbeit.
  • Sowohl der Abgeordnete Paul Rübig als auch der Vizepräsident des Europäischen Parlaments Othmar Karas (Österreich, ÖVP) geben an, als Abgeordnete Unterstützung in Form von Mitarbeiterinnen von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und dem Institut für Bildung und Innovation (IV) erhalten zu haben. Letzteres ist mit der Vereinigung der Österreichischen Industrie verbunden (dem österreichischen Mitglied der europäischen Arbeitgeberdachorganisation BusinessEurope). Die WKÖ und  die Vereinigung der Österreichischen Industrie sind selbst Lobbyakteure in der EU.

Unterstützung der Abgeordneten durch Personal finanziert von Verbänden?

Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu wissen, dass es Abgeordneten erlaubt ist, im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit Unterstützung durch Dritte anzunehmen – zum Beispiel in Form von Personal.  Beide Abgeordnete, Paul Rübig und Othmar Karas, geben in ihrer Interessenerklärung an, dass es sich bei ihrer personellen Unterstützung durch die WKÖ und das IV um ein Trainee-Programm handelt, in dessen Rahmen die Trainees für einige Zeit bei den Abgeordneten arbeiten. Es wirft aber dennoch Fragen auf, wenn beide Trainees als akkreditierte Assistentinnen auf der Webseite des Parlaments zu sehen sind – und zugleich als Mitarbeiterinnen bei der Wirtschafskammer im Brüsseler Bereich – mit der Email-Adresse des Parlaments. Auf unsere Nachfrage hat Othmar Karas in einem Brief (S.11) geäußert, dass es sich hierbei um einen Fehler des WKÖ gehandelt hat. Tatsächlich sind die beiden Assistentinnen nicht mehr auf der Webseite des WKÖ zu sehen. Beide arbeiten laut den aktuellen Webseiten des europäischen Parlaments aber weiterhin für die Abgeordneten.

Generell halten wir die direkt oder indirekt finanzielle Unterstützung der politischen Arbeit von Abgeordneten durch in Brüssel aktive Lobbyakteure für nicht mit dem allgemeinen Geist des Kodex vereinbar und fordern, dass dies zukünftig nicht mehr gestattet sein sollte.

Empfehlungen für einen wirklich wirksamen Kodex

Es ist nicht so, als habe der Verhaltenskodex keine Besserungen gebracht. Die weiter bestehenden Interessenkonflikte der hier aufgeführten Abgeordneten sind auch deshalb gut zu erkennen, weil die Transparenzvorschriften wesentlich verbessert wurden. Aber der Kodex wurde unseres Erachtens nicht nur eingeführt, um Interessenkonflikte sichtbar zu machen. Sondern auch, um sie so weit wie möglich aufzulösen.

Damit der Kodex seinen Zweck erfüllen kann, mangelt es vor allem noch an seiner Kontrolle und Umsetzung. LobbyControl und die anderen Nichtregierungsorganisationen haben die folgenden Empfehlungen entwickelt, damit der Verhaltenskodex wirklich dazu dienen kann, problematische Interessenkonstellationen zu zeigen und aufzulösen, und neue Skandale zu verhindern:

  • Die Erstellung einer Liste mit Kriterien, um klar definieren zu können, welche Tätigkeiten einen Interessenkonflikt darstellen. Darunter sollten bezahlte oder unbezahlte Positionen oder Anteile bei Unternehmen oder Organisationen fallen, die ein direktes Interesse an EU-Gesetzgebung haben und/oder selbst Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen betreiben;
  • Eine aktive Überprüfung der finanziellen Interessenerklärungen auf ihre Plausibilität und die Überprüfung etwaiger Unstimmigkeiten;
  • Das Mandat des Beratenden Auschusses sollte so erweitert werden, dass er Stichprobenprüfungen von eingereichten Erklärungen durchführen kann und Untersuchungen in etwaigen Interessenkonflikte anregen;
  • Die finanziellen Interessenerklärungen müssen in einer durchsuchbaren Datenbank bereitgestellt werden, um die öffentlich Überprüfbarkeit zu verbessern;
  • Angemessene Maßnahmen gegen Interessenkonflikte sind zu ergreifen, indem die bestehenden Lösungsansätze und Sanktionen erweitert und diese auch angewendet werden;
  • Es sollte nicht länger erlaubt sein, dass Akteure, die EU-Lobbyarbeit betreiben (Unternehmen, Verbände, etc.), Abgeordneten Unterstützung bei ihrer politischen Arbeit gewähren können (z.B. in Form von Mitarbeiter/innen).

Die gesamte Studie „New code, old conduct? Transparency and conflict of interest rules in the European Parliament: Too lose to deliver?“ finden Sie hier.

Mehr: Im Februar 2012 hat LobbyControl im Februar 2012 eine eigene Studie zu den 99 deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament und ihren Nebentätigkeiten herausgegeben.

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