Sandro Halank, Martin Rulsch (CC BY-SA 4.0), Public Domain -
Aus der Lobbywelt

Lobbypersonal: Interessenkonflikte am Kabinettstisch

Die Regierung Merz ist eng mit wirtschaftlichen Interessen verbandelt. Auffällig sind vor allem enge Verbindungen zum Lobbyverband Wirtschaftsrat und zur Gaslobby.

von 30. Mai 2025

Schon zum Amtsantritt haben wir vor Interessenkonflikten gewarnt – bei der Wirtschaftsministerin Reiche zeigen sich diese schon nach kurzer Zeit besonders deutlich. Die neue Bundesregierung muss nun Fragen nach Transparenz, Integrität und demokratischer Kontrolle auf die Tagesordnung setzen.

Regierungspersonal aus dem Wirtschaftsrat rekrutiert?

Sandro Halank - CC-BY-SA 4.0
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Friedrich Merz ist nicht nur Karrierepolitiker, sondern war jahrelang selbst in Lobbypositionen tätig. Er war Lobbyist bei Blackrock und hatte Spitzenfunktionen für den CDU-nahen Lobbyverband Wirtschaftsrat inne, zuletzt als dessen Vizepräsident. Der Wirtschaftsrat ist einer der größten und einflussreichsten Lobbyverbände Deutschlands.

Er vertritt die Interessen von Konzernen wie Deutsche Bank, Nestlé oder dem Verband der Automobilindustrie VDA und verfügt mit über fünf Millionen Euro jährlicher Lobbyausgaben über erhebliche Lobbypower. Besonders brisant: Der Wirtschaftsrat genießt einen Dauergaststatus im CDU-Parteivorstand – eine undemokratische und rechtswidrige Praxis, die Merz als Kanzler und Parteichef endlich beenden müsste.

Doch stattdessen nutzte Merz den Wirtschaftsrat offenbar, um daraus sein neues Regierungspersonal zu rekrutieren. Mit Karsten Wildberger, Katherina Reiche und Patrick Schnieder sitzen gleich mehrere aktive oder ehemalige Funktionäre des Wirtschaftsrats direkt am Kabinettstisch.

Reiche leitet die Fachkommission Energie und Nachhaltigkeit des Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Schnieder leitete bis Anfang 2023 die Fachkommission zu Verkehrsthemen des Wirtschaftsrats. Die Fachkommissionen des Wirtschaftsrats dienen dazu, die Lobbyinteressen der Wirtschaftsratsmitglieder thematisch zu bündeln, um diese an die Politik heranzutragen.

Nur halber Rückzug von Digitalminister Wildberger

Martin Rulsch - CC-BY-NC-ND 4.0
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Der neue Digitalminister Karsten Wildberger war bis vor kurzem Vizepräsident des Wirtschaftsrats und damit der Nachfolger von Merz in diesem Amt. Immerhin hat er diese prominente Funktion im Verband aufgegeben und damit möglicherweise auch auf unsere Kritik an dieser Doppelfunktion reagiert. Doch er bleibt weiterhin Mitglied im Präsidium des Wirtschaftsrats. Das ist nur ein halber Rückzug, der Interessenkonflikt bleibt bestehen.

Wildberger war vor seinem Amtsantritt als Minister Chef von Mediamarkt-Saturn. Der Konzern war einer der Hauptsponsoren des zentralen Jahrestreffens des Wirtschaftsrats in diesem Jahr. Wildberger muss nun einmal mehr beweisen, dass er keine politischen Entscheidungen einseitig zugunsten von MediaMarktSaturn oder anderen einflussreichen Mitgliedern oder Sponsoren des Wirtschaftsrats trifft. Das gleiche gilt auch für Reiche und Schnieder in ihren Arbeitsbereichen der Energie- bzw. Verkehrspolitik.

Katherina Reiche: Die Gaslobby im Wirtschaftsministerium

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Doch danach sieht es bei Reiche keineswegs aus. Bei der neuen Wirtschafts- und Energieministerin hatten wir zum Amtsantritt bereits vor besonders massiven Interessenkonflikten gewarnt – und nun leider recht behalten. Reiche war bis zu ihrem Amtsantritt Chefin der Eon-Tochter Westenergie, einem der größten Gasnetzbetreiber in Deutschland. Ihr Regierungsprogramm liest sich wie ein Wunschzettel der Gaslobby: Sie setzt auf den massiven Ausbau von Gaskraftwerken, wettert gegen einen angeblichen „Wärmepumpen-Zwang“ und verbreitet so irreführende Lobbybotschaften der Gasindustrie. Dabei blendet sie aus, dass Gas klimaschädlich und absehbar teuer ist und die Bundesregierung sich zum Ausstieg aus dem fossilen Energieträger bis 2045 verpflichtet hat.

Auch Reiches Auftritt beim Ludwig-Erhard-Gipfel gleich zu Beginn ihrer Amtszeit wirft Fragen nach einseitiger Nähe auf: Das exklusive Lobbyevent, das von dem Medienunternehmen ihres Amtskollegen und Merz-Freundes Wolfram Weimer organisiert wird, wurde von ihrem früheren Arbeitgeber Westenergie gesponsert. Ebenfalls problematisch: Mit Stephanie von Ahlefeldt könnte Reiche außerdem eine bekannte Energiewende-Gegnerin und frühere Abteilungsleiterin zurück ins Wirtschaftsministerium holen. Die Entscheidung dazu steht noch aus.

Kulturstaatsminister mit Interessenkonflikt

Martin Rulsch - CC-BY-NC-ND 4.0
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Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, der Medienunternehmer vom Tegernsee, ist eine weitere auffällige Personalie im Kabinett mit Blick auf Interessenkonflikte und einseitige Wirtschaftsnähe. Weimer ist in seinem neuen Amt unter anderem direkt für die Deutsche Welle zuständig, also eine öffentlich-rechtliche Konkurrenz zu seinem Unternehmen Weimer Media Group. Weimer hat in der Vergangenheit bereits die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten infrage gestellt und die Privatisierung des ZDF gefordert.

Weimer hat die Geschäftsführung der Weimer Media Group inzwischen abgegeben, seine Ehefrau ist nun alleinige Geschäftsführerin. Es ist aber außerdem üblich, dass Gründer Anteile ihres Unternehmens halten – ob das bei Weimer auch so ist, ist nicht bekannt. Entsprechende Offenlegungspflichten gibt es in Deutschland anders als in anderen Ländern nicht. Ein Interessenkonflikt ist nicht ausgeräumt, womit auch die Eignung Weimers für das Amt des Kulturstaatsministers in Frage steht.

Dass die Weimer Media Group ein jährliches exklusives Lobby-Netzwerktreffen am Tegernsee organisiert, ist ebenfalls problematisch. Bei solch inoffiziellen Foren mit Spitzenpolitiker*innen und Lobbyist*innen besteht immer die Gefahr, dass wichtige politische Absprachen intransparent auf Privatveranstaltungen getroffen werden. Zudem verschaffen solche Events Unternehmen und Vermögenden privilegierte Zugänge zur Politik. Weimers neues Amt verschafft Rollenkonflikt verschafft diesem Lobbyevent einen zusätzlichen offiziellen Anstrich. Politik und Wirtschaftslobby sollten deutlich mehr Abstand halten, so dass gar nicht erst der Anschein von exklusiven und undemokratischen Absprachen entstehen kann.

Philipp Amthor: Staatssekretär trotz Lobbyskandal

Der Name Philipp Amthor war noch vor wenigen Jahren gleichbedeutend mit einem Lobbyskandal, der wochenlang Schlagzeilen machte. Im Jahr 2020 nutzte Amthor seine Position als Bundestagsabgeordneter, um gleichzeitig Lobbyarbeit zu machen: Damals warb er in einem Brief an den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für das US-amerikanische Start-Up-Unternehmen Augustus Intelligence, von dem er später Aktienoptionen und einen Direktorenposten erhielt. Auch als Bundesschatzmeister der Jungen Union geriet Amthor in die Kritik, da es laut Der Spiegel diskrete Vereinbarungen über Zuwendungen zwischen der chinesischen Videoplattform TikTok und der Jungen Union gegeben haben soll.

Für die neue Merz-Regierung ist Amthor trotz dieser Lobbyvergangenheit nun eine Schlüsselfigur. Er war bereits Teil der Koalitionsverhandlungen und ist nun Parlamentarischer Staatssekretär im neuen Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Dass er bis heute nicht viel von Transparenz hält, hat er mit einem ersten Schnellschuss bereits bewiesen. Die Aussage aus einem Verhandlungspapier während der Koalitionsverhandlungen, dass das Informationsfreiheitsgesetz abgeschafft werden solle, ging auf ihn zurück. Nach massivem Protest ruderte Amthor zurück – laut Koalitionsvertrag soll das Gesetz nun nur noch „reformiert“ werden. Es bleibt abzuwarten, wie Amthor diese Reform ausgestaltet.

Wirtschaftsflügel dominiert stärker als zuvor

Für einseitige Nähe steht auch, dass Merz besonders viele dem Umfeld der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) für neue Positionen angeworben hat. Laut dem Berlin Playbook-Newsletter von Politico waren im April 2025 28 der damals schon bekannten 32 neuen Regierungsposten der CDU an Mitglieder der MIT vergeben worden. Die parteiinterne Wirtschaftsvereinigung bildet zusammen mit dem CDU-nahen Lobbyverband Wirtschaftsrat die Basis des Wirtschaftsflügels der CDU – beide Organisationen dienen als Sprachrohre von Wirtschaftslobbyinteressen in die Partei hinein.

Die MIT-Bundesvorsitzende Gitta Connemann ist nun parlamentarische Staatssekretärin in Reiches Wirtschaftsministerium; Thomas Jarzombek ist als Mitglied des MIT-Bundesvorstands Parlamentarischer Staatssekretär im neuen Digitalministerium. Dennis Radtke, Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), dem Arbeitnehmerflügel, kritisierte diese einseitige Besetzung mit Personal vom CDU-Wirtschaftsflügel scharf: Eine Regierung ohne Beteiligung der CDA kenne er bisher nur aus Oppositionszeiten. Es sei „befremdlich und falsch“, dass „Vertreter der christlich-sozialen Wurzel“ nicht im Kabinett vertreten seien.

Wehrbeauftragter mit Nähe zur Rüstungslobby

Olaf Kosinsky - CC-BY-SA 3.0
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Bereits während der Koalitionsverhandlungen hatten wir kritisiert, dass in den Verhandlungsteams Personen mit Lobbynähe teilgenommen haben - so vor allem zu Landwirtschaft, aber auch zu Verteidigung. Dazu gehörte auch Henning Otte, der nun der neue Wehrbeauftragte des Bundestags ist. Otte ist eng mit der Rüstungsindustrie vernetzt: Bis 2023 war er Vizepräsident des Förderkreis Deutsches Heer, einer Organisation, die insbesondere Rüstungsunternehmen Zugang zu Bundestagsabgeordneten verschafft. Er pflegt zudem intensive Kontakte zum Rüstungskonzern Rheinmetall, der in Ottes Wahlkreis Panzer baut.

Otte muss in seinem Amt nun beweisen, dass er trotz seiner ausgeprägten Kontakte zur Rüstungsindustrie Interessenkonflikte vermeidet. Das gilt gerade in einer Zeit, in der die Bundesregierung Rekordinvestitionen in die Bundeswehr und die Rüstungsindustrie tätigt. Die Gefahr besteht, dass die Kontrolle über die Bundeswehr hinter den Interessen der Industrie zurücksteht. Durch einen Politiker wie Otte könnte die Rüstungsindustrie privilegierte Zugänge ins Parlament bekommen. Die Position des Wehrbeauftragten braucht maximale Unabhängigkeit und Distanz zu Lobbyinteressen – beides ist bei Otte nicht ausreichend gewährleistet.

Doppelte Rollen, doppelte Standards

Die Doppelrollen von Minister*innen, die gleichzeitig Funktionen in Lobbyverbänden ausüben, sind problematisch. Wildberger, Reiche und Schnieder sollten ihre Ämter im Wirtschaftsrat vollständig niederlegen, um Interessenkonflikte auszuschließen. Doch bisher fehlen klare Regeln für den Umgang mit solchen Interessenkonflikten in den Ministerien – ein eklatanter Missstand, den wir seit Jahren kritisieren.

Besonders pikant ist zudem: In der letzten Wahlperiode warnten führende Unionspolitiker wie Friedrich Merz und Markus Söder immer wieder vor „Filz“ und „Vetternwirtschaft“ in der Ampel-Regierung. Jetzt, mit eigener Regierungsverantwortung, müssen sie zeigen, dass sie ihre eigenen Forderungen ernst nehmen. Doch bisher sieht es danach aus, als würde mit zweierlei Maß gemessen werden.

Einseitigen Einfluss verhindern, ausgewogene Beteiligung sicherstellen!

Die neue Bundesregierung hat in Sachen Integrität und Umgang mit Interessenkonflikten einen Fehlstart hingelegt. Das zeigt die Besetzung wichtiger Posten ebenso wie die Leerstelle bei den Themen Lobbyregeln im Koalitionsvertrag. Die Regierung Merz steht vor der großen Herausforderung, verloren gegangenes Vertrauen in unsere Demokratie wiederherzustellen. Das kann sie nur, indem sie einseitigen Lobbyeinfluss auf die Politik wirksam zurückdrängt und Transparenz und Integrität stärkt. Es braucht klare Regeln für Transparenz und Integrität, um die Demokratie zu stärken und demokratiefeindliche Kräfte zurückzudrängen.

Dazu braucht es eine politische Kultur, die ausgewogene Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sicherstellt. Und es braucht weitere wirksame Maßnahmen gegen einseitigen und unzulässigen Lobbyeinfluss. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Allen voran haben wir uns zuletzt für einen Parteispendendeckel eingesetzt, um einseitigen Einfluss u. a. auf die Wahlkampffinanzierung zu verhindern. Trotz einiger positiver Signale vor allem aus der SPD hat es das Thema nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.

Auch andere zentrale Lobbyregulierungsforderungen fehlten dort: Dazu zählt eine Offenlegungspflicht für Lobbytreffen auf Minister- und Staatssekretärsebene – wie es die EU-Kommission schon vormacht. Außerdem braucht es Anzeigepflichten für Unternehmensbeteiligungen von Minister*innen, wie es in anderen Ländern bereits üblich ist.

LobbyControl/Markus Jäger - CC-BY-NC-ND 4.0

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