Macht der Digitalkonzerne

Mit diesen Erzählungen wollen Facebook, Google, Amazon & Co die Debatten über strengere Regeln für Internetplattformen beeinflussen

Mit Rekordausgaben für Lobbyarbeit wollen Facebook, Google, Amazon & Co strengere Regeln für Internetplattformen verhindern. Mit einer geschickten Kommunikationsstrategie sollen die politischen Narrative rund um die Debatten über strengere Regeln für Internetplattformen beeinflusst werden.
von 19. Oktober 2021

Mit Rekordausgaben für Lobbyarbeit wollen Facebook, Google, Amazon & Co strengere Regeln für Internetplattformen verhindern. Dabei steht ihnen nicht nur ein rekordverdächtiges Lobbybudget zur Verfügung. Mit einer geschickten Kommunikationsstrategie sollen die politischen Narrative rund um die Debatten über strengere Regeln für Internetplattformen beeinflusst werden.

Laut einer Lobbystrategie von Google, die bereits im Herbst 2020 an die Öffentlichkeit gelangte, soll so „die politische Debatte grundlegend geändert werden“ („reset the political narrative“). Solche Narrative (Erzählungen) stärken als Hintergrundrauschen die Lobbyarbeit an den konkreten Gesetzen. Erfolgreich vorgetragene Narrative sind sehr wirkungsvoll und werden darum nicht dem Zufall überlassen, wie das durchgesickerten Strategiepapier von Google eindrucksvoll zeigt.

Mike Deerkoski - CC-BY 2.0
Das Motto „Move fast and break things“ stammt von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, hier auf der Bühne der Facebook-Entwicklerkonferenz „F8“ 2014 zu sehen. Inzwischen wurde es abgelöst durch „Move fast with stable infrastructure“.

Bei dieser Kommunikationsstrategie geht es darum, die Botschaft so oft wie möglich zu wiederholen. So werden dieselben Argumente immer wieder vorgetragen, egal um welches Thema oder welches Gesetz es gerade geht und welche Punkte genau kritisiert werden. Es geht einfach darum, in der Debatte den Ton anzugeben.

Drei Narrative stechen dabei besonders hervor:

Digitalkonzerne sind „unabdingbar“ für die Lösung von Problemen

Digitalkonzerne würde am liebsten selbst entscheiden, wie die Branche reguliert werden soll. Oder, wie Facebook es selbstbewusst ausdrückt: Die politischen Entscheidungsträger agieren zu langsam. „Facebook wartet nicht länger auf Regulierung.“ Die Online-Plattformen haben erkannt, dass sie sich strikteren Gesetzen nicht länger grundsätzlich verweigern können. Also versuchen sie, den Inhalt dieser Gesetze soweit wie möglich selbst mitzubestimmen und zu beeinflussen.

Weil sie erkannt haben, dass sich neue Regulierungen nicht vermeiden lassen, versuchen die großen Internetplattformen jetzt, die Regeln zum eigenen Vorteil zu gestalten.

Dabei versuchen sie immer wieder, die Debatte auf einzelne technische Aspekte zu lenken und von größeren Zusammenhängen abzulenken.

Wenn sich also Google-Chef Sundar Pichai für eine Regulierung von Gesichtserkennung ausspricht, dann bezieht er sich lediglich auf einen kleinen Teil des tatsächlichen Problems und der eigentlichen Debatte. Bei der Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) geht es um viel mehr als nur um Gesichtserkennung, die lediglich eine von vielen technischen Möglichkeiten zur Identifizierung von Personen ist. Es geht z. B. auch um die Frage wie Daten gesammelt und ausgewertet werden dürfen, die bei der Identifizierung anfallen. Die Frage wie KI reguliert werden muss, geht weit über den Umgang mit Gesichtserkennung hinaus.

Google versucht, von weiterreichender Regulierung abzulenken, indem sich das Unternehmen auf einen ganz spezifischen Aspekt konzentriert. So sollen die politischen Entscheidungsträger davon abgehalten werden, weiterreichende Probleme um das Thema Künstliche Intelligenz anzugehen.

„Wir verteidigen lediglich kleine Unternehmen und Verbraucher*innen“

Internetplattformen wollen uns einreden, man spreche Bedenken über die Regulierung nur an, um die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen und Verbraucher*innen zu schützen, nicht die eigenen. Die großen Techkonzerne geben sich wohlwollend, verheimlichen dabei jedoch nicht selten ihre wahren Interessen und betonen stattdessen die möglichen negativen Auswirkungen von Regulierung auf kleine Unternehmen und Verbraucher*innen.

So geschehen im September 2020, als Google sich mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) zusammentat und sich als selbstlosen Unterstützer von kleinen Unternehmen, Verbraucher*innen und der ganzen Gesellschaft präsentierte: „Für unsere Städte und die Vielfalt“. So soll der Eindruck erweckt werden, dass Regelungen wie der Digital Markets Act (DMA) nicht in erster Linie Unternehmen wie Google beeinträchtigen, sondern kleine Unternehmen und Verbraucher*innen. Die Kampagne scheint gar zu unterstellen, dass Regulierung die Vielfalt in den Innenstädten bedrohe. Big Tech versucht auf diese Weise von der eigenen Marktmacht, die dringend reguliert werden muss, abzulenken.

Google präsentiert sich in einer Kampagne mit dem Handelsverband Deutschland als selbstloser Unterstützer von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Google Zukunftswerkstatt/Screenshot

Vor allem im Zusammenhang mit Digital Markets Act (DMA) und Digital Services Act (DSA) werden solche Argumente gern angeführt. Die Denkfabrik ECIPE prophezeite in einem von Google finanzierten Bericht über das seinerzeit noch unveröffentlichte Gesetz über digitale Dienste, dieses würde in der EU einen BIP-Verlust in Höhe von 85 Mrd. Euro verursachen. Der US-amerikanische Verband der Computer- und Kommunikationsindustrie CCIA wiederum unterstreicht in einem Bericht die angeblichen Vorteile der großen Plattformen für kleine und mittlere Unternehmen. Auch von den Denkfabriken organisierte und von Unternehmen wie Apple oder Google gesponserte Diskussionsveranstaltungen befassen sich oft mit den Auswirkungen der vorgeschlagenen Gesetze auf kleine und mittlere Unternehmen. Aus Googles geleakter Lobbystrategie geht hervor, dass man unter anderem „die politische Debatte grundlegend ändern“ wolle, indem man behauptet, der Digital Services Act (DSA) ginge „zu Lasten der Verbraucher*innen und Unternehmen“.

Angst vor China

Die Internetplattformen nutzen bei ihrer Argumentation auch gerne die Angst vor China und chinesischen Unternehmen aus. Man warnt davor, dass Europa aufgrund von Überregulierung hinter den USA und insbesondere China zurückbleiben könnte. Europa müsse also entweder den technologischen Wettlauf mit China gewinnen oder es werde wieder in der Steinzeit landen. Eine solche Darstellung reduziert das Thema Regulierung jedoch auf geopolitische Überlegungen. So gesehen sind zum Beispiel die Transparenzbestimmungen der EU für Künstliche Intelligenz (KI) „für Europa äußerst schädigend“, wie der Ex-Google-Chef Eric Schmidt warnt. Das erschwert auch ungemein die Diskussion um die Frage, ob ein solcher Wettlauf mit China überhaupt sinnvoll ist, und welches die Interessen der EU-Bürger*innen sind.

Schon seit Jahren stellt die Wirtschaft Regulierung grundsätzlich infrage und Big Tech spielt dabei eine wichtige Rolle. Versinnbildlicht wird diese Einstellung durch das leichtfertige Klischee von der Regulierung als „Innovationsbremse“. Das zugrundeliegende Politikverständnis ist problematisch, weil es politisches Handeln zugunsten des Gemeinwohls nicht schätzt. Stattdessen werden Unternehmensinteressen als entscheidend für das Wohlergehen der Gesellschaft dargestellt. Damit legitimiert man einseitigen Lobbyeinfluss der Wirtschaft und setzt Regulierungsvorhaben unter großen Rechtfertigungsdruck.

Oft werden die Narrative auch miteinander kombiniert, wie in einem Text von Nick Clegg, Chef der Facebook-Unternehmenskommunikation, zum Thema Regulierung vom Mai 2021. Darin erklärt Clegg, dass Facebook „sich schon seit einiger Zeit öffentlich für die Regulierung bestimmter Bereiche“ einsetzt, nur um dann mit den Worten „das chinesische Modell stellt für das freie Internet, wie wir es kennen, eine Gefahr dar“ die Angst vor dem chinesischen Markt zu schüren. Er mahnt: „Die politischen Entscheidungsträger müssen zwei unbeabsichtigte Konsequenzen vermeiden: das unnötige Ausbremsen von Innovation in Europa und die versehentliche Beschleunigung der Fragmentierung des globalen Internets“. Hier sind alle drei Argumente in einem Text vereint.

Was Nick Clegg dabei nicht ganz zufällig unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass Facebook eigentlich erst seit den Enthüllungen um Cambridge Analytica Regulierung ernster nimmt. Seitdem wird Facebook nämlich von der Politik heftig kritisiert. Eine Untersuchung des britischen Parlaments deckte noch weitere Probleme bei Facebooks Umgang mit Nutzerdaten und möglichen Wettbewerbern auf. Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass eine Regulierung der Branche notwendig sei, damit Unternehmen wie Facebook „sich in der Online-Welt nicht wie ‚digitale Gangster‘ aufführen, die der Meinung sind, sie stünden über dem Gesetz“. Seitdem hat Facebooks Ansehen wiederholt gelitten, weshalb das Unternehmen inzwischen öffentlich beteuert, Teil der Lösung sein zu wollen. Protokolle von Treffen zwischen EU-Kommission und Facebook zeigen, dass vor 2018 das Unternehmen der Meinung war, dass keine Regulierung erforderlich sei. Facebooks Lösungen gehen jedoch selten über Selbstregulierung hinaus und man setzt sich gleichzeitig aktiv gegen verbindliche Regelungen ein.

Wer betont welche Erzählung? Und wem bringt das etwas?

Politische Entscheidungsträger*innen, Journalist*innen und die Zivilgesellschaft sollten sich klar machen, mit welchen Narrativen Facebook, Google & Co versuchen, die dringend erforderliche Debatten um die Regulierung der Techkonzerne zu beinflussen. Wie viel Einfluss sie wirklich haben, lässt sich nur schwer bemessen. Angesichts des deutlichen Interessenkonflikts zwischen Gemeinwohl und den Geschäftsinteressen von Big Tech bei Themen wie Datenschutz, Desinformation und Entflechtung von Monopolen muss die Politik jedoch umso genauer auf die Aussagen der Tech-Lobbyisten achten und sie hinterfragen.

Dieser Text wurde bereits am 31. August als Kapitel in unserer Studie "Die Lobbymacht von Big Tech: Wie Google & Co die EU beeinflussen" veröffentlicht:

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