Lobbyismus in der EU

EU will Ethikgremium mit Biss – blockiert die CDU?

Die EU-Institutionen planen eine strengere Kontrolle für Seitenwechsler:innen. Die CDU versucht, das geplante Gremium zu schwächen.
von 15. September 2021

Die EU-Institutionen planen eine strengere Kontrolle für Seitenwechsler:innen, die aus Kommission, Rat, Parlament und Verwaltung in die Wirtschaft wechseln wollen. Auch andere Bereiche, in denen Interessenkonflikte auftreten können, sollen kritischer als bisher unter die Lupe genommen werden, zum Beispiel Nebentätigkeiten oder Unternehmensbeteiligungen von EU-Abgeordneten.

Grundsätzlich geht es um die Frage, wie mögliche Interessenkonflikte geprüft werden und wer Sanktionen bei Regelverletzungen verhängt: Wer also dafür sorgt, dass die Regeln, die Integrität und Unabhängigkeit der EU-Institutionen sicherstellen und sie vor übermäßigem Einfluss einseitiger und intransparenter Interessen schützen sollen, auch durchgesetzt werden.

Bisher haben Kommission und Parlament ihre jeweils eigenen Ethikausschüsse, besetzt mit Akteuren aus den eigenen Reihen. Im „Beratenden Ausschuss“ des Parlaments sind dies aktive Abgeordnete.  Auch der "unabhängige Ethikausschuss“ der Kommission ist nicht so unabhängig, wie der Name glauben macht. Derzeit finden sich dort ein ehemaliger hoher EU-Beamter, eine Sonderberaterin der EU-Kommission und – immerhin – ein ehemaliger EuGH-Richter.

Status Quo: Ethikgremien sind zahnlose Tiger

Die Praxis zeigt, dass beide Gremien zu zahm sind: Häufig setzen sie die geltenden Regeln kaum um oder legen sie sehr großzügig aus. So erlaubte das Ethikgremium der Kommission 2016 Ex-Kommissionspräsident Barroso den Wechsel als Berater zur Investmentbank Goldman-Sachs. Dem Gremium reichte ein Brief Barrosos an Kommissionspräsident Juncker, in dem er schrieb, dass er keine Lobbyarbeit betreiben werde. Allerdings hielt dieser sich nicht an die Ankündigung, wie sich später herausstellte. Zwar wurden Verhaltenskodex und Ethikgremium seither gestärkt. Aber auch aktuelle Seitenwechsel von EU-Kommissaren geben Anlass zur Kritik:

Ein Ex-Kommissar - 15 neue Jobs

Günther Oettinger war von 2010 bis 2019 deutscher EU-Kommissar, hintereinander in den Bereichen Energie, Digitales und Haushalt. Er hat mittlerweile allein 15 neue Tätigkeiten, und bei vielen ist die Frage berechtigt, warum der Ethikausschuss sie durchgehen ließ. So durfte er seine eigene Lobbyberatung gründen, er findet sich nun als „Oettinger Consulting Wirtschafts- und Politikberatung GmbH“ im EU-Lobbyregister. Als Bedingung stellt ihm das Ethikkomitee unter anderem, dass er kein vertrauliches Insiderwissen aus seiner Zeit als EU-Kommissar bei der Lobbyarbeit weitergibt und keinen Rat gibt, der dazu dient, Entscheidungen der Kommission aus seiner Zeit als Kommissar anzufechten. Dies dürfte schwer zu kontrollieren sein. Seine Kunden soll er zwar der Kommission mitteilen – aber das Ethikgremium erlaubte ihm sogar, sie gegenüber der Öffentlichkeit vertraulich zu halten. Das, obwohl jedes Unternehmen, das in Brüssel Lobbyarbeit betreibt oder zu ihr berät, seine Kunden im Transparenzregister öffentlich machen soll. Mit dem offiziellen Eintrag Oettingers ins EU-Transparenzregister gilt diese Vertraulichkeit hoffentlich nicht mehr.

Die Facebook-Cheflobbyistin kommt aus der EU-Verwaltung

Bei den Beamten und Mitarbeiter:innen der EU-Institutionen sind die Regeln gegen Seitenwechsel schon von sich aus schwach, werden aber auch kaum umgesetzt. 2019 hat die EU-Kommission von 363 Anfragen von Ex-EU-Beamten für eine Genehmigung eines Anschlussjobs nur 3 abgelehnt. Ein Beispiel für einen genehmigten Fall ist z.B. Aura Salla. Sie arbeitete unter anderem für den EU-Wirtschaftskommissar und später für eine kommissionsinterne Denkfabrik zu Themen wie Desinformation und Einmischung in Wahlen. Themen, die ihren neuen Arbeitgeber Facebook wohl durchaus interessieren dürften. Nach nur drei Monaten Pause nahm sie dort einen Job als Cheflobbyistin auf. Auch hier werden Bedingungen wie „keine geheimen Kommissionsinformationen an Facebook weitergeben“ wohl unmöglich zu kontrollieren sein.

Im EU-Parlament wurden bisher kein einziges Mitglied für einen Bruch der Regeln gegen Interessenkonflikte sanktioniert. Der Parlamentspräsident gab die Fälle entweder gar nicht erst an den beratenden Ausschuss weiter. Er darf nämlich nicht von sich aus tätig werden. Oder er ließ Empfehlungen des Ausschusses stillschweigend in den Schubladen der Präsidialverwaltung verschwinden. Sie werden nämlich nicht veröffentlicht, und das letzte Wort zu den Sanktionen hat der Parlamentspräsident.

Ein unabhängiges Gremium mit Biss

Das soll jetzt anders werden. Geht es nach dem Vorschlag, den der Berichterstatter Daniel Freund mit den anderen Fraktionen ausgehandelt hat, soll es zukünftig einen gemeinsamen Ethikausschuss für alle drei Institutionen (Rat, Kommission und Parlament) geben, der hauptsächlich aus unabhängigen Expert:innen besteht. Der Vorschlag sieht vor, dass es neun Ethikwächter:innen geben wird; sie sollen sich zum Beispiel aus früheren Abgeordneten, Richter:innen, Bürgerbeauftragten oder Rechnungshof-Mitgliedern rekrutieren. Anders als bisherige Gremien soll er nicht darauf warten müssen, dass ihm Fälle übergeben werden, sondern bei Hinweisen auf Fehlverhalten auf eigene Initiative mögliche Regelverstöße untersuchen können. Er darf zwar über Sanktionen nicht entscheiden. Aber seine Empfehlungen werden nach einer bestimmten Frist veröffentlicht – so dass es für die Entscheidungsträger:innen peinlich wird, sie einfach zu ignorieren.

Im zuständigen Verfassungsausschuss hat der Vorschlag bereits eine Mehrheit erhalten. Am morgigen Donnerstag stimmt nun das EU-Parlament darüber ab. Stimmt auch das Parlament zu, ist als nächstes die EU-Kommission am Zug. Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte bereits in ihren politischen Leitlinien vor Amtsantritt einen solchen gemeinsamen Ethikausschuss vorgeschlagen.

CDU blockiert Durchsetzungsfähigkeit des Gremiums

Sorge bereitet das Verhalten der christlich-konservativen Gruppe im EU-Parlament, namentlich der CDU/CSU. Sie stellt sich zwar nicht gegen ein gemeinsames Gremium für alle Institutionen – ansonsten hat sie aber im Ausschuss alles zu verhindern versucht, was dem Ethikausschuss seinen Biss verleihen würde, wie uns Abgeordnete berichtet haben. Zum Beispiel, dass das Gremium initiativ tätig werden kann und nicht darauf warten muss, angerufen zu werden. Oder dass es eigene Ermittlungen betreiben kann. Als diese Schwächungsversuche nicht aufgingen, hat sie gegen den neuen Ausschuss gestimmt. Die Union möchte, so scheint es, anstelle von zwei zahnlosen Gremien eines setzen, das weiterhin nichts ausrichten kann.

EU-Ethikrat könnte ein Vorbild auch für Deutschland sein

Nach Maskendeals und Aserbaidschanskandal haben die Schwesterparteien in den vergangenen Monaten vielen neuen Regeln auf Bundesebene zugestimmt, wie wir auch in unserem aktuellen Lobbyreport darstellen. Nun scheint das Engagement jedoch allmählich zu erlahmen. Liegt es an der Hoffnung, dass bei der EU-Ebene die Öffentlichkeit nicht so genau hinschaut? Oder fürchtet sie gar, dass ein solches Gremium auch als Vorbild für die Bundesebene dienen könnte? Die Durchsetzung von Regeln zur Sicherung von Integrität und Unabhängigkeit ist nämlich auf Bundesebene mindestens ebenso schwach wie in Brüssel. Der Bundestagspräsident hat bisher lediglich einmal ein Ordnungsgeld wegen eines Verstoßes gegen die Transparenzregeln für Abgeordnete verhängt. Zudem haben viele Abgeordnete im Nachgang der Maskenaffäre Nebeneinkünfte, Kunden und Tätigkeiten in Lobbyorganisationen nachgemeldet. Dass vieles davon so lange regelwidrig nicht angezeigt wurde, zeigt, wie schwach die Kontrolle und Durchsetzung der Regeln ist. Auch bei Seitenwechseln von ehemaligen Minister:innen oder hohen Beamten fehlt es an Sanktionen und Kontrolle, wenn sich jemand nicht an die Vorgaben hält, ausführlich berichten wir darüber im aktuellen Lobbyreport.

Es ist wichtig, dass am Donnerstag neben SPD, Grünen, Linken und Liberalen auch die konservativen Parteien zustimmen. Ein breiter Konsens wäre ein deutliches Signal an die EU-Kommission. Außerdem wäre es ein fatales Signal, wenn ausgerechnet CDU/CSU im EU-Parlament gegen strengere Regeln und Lobbykontrolle stimmen würden, diese beiden Parteien müssen verloren gegangenes Vertrauen besonders dringend zurückgewinnen. Wir behalten die Abstimmung im Auge und werden Sie auf dem Laufenden halten.

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