Lobbyismus und Klima

Gaslobbyist Pflüger: ein Sachverständiger mit Lobbyverstrickungen

Im Untersuchungsausschuss zur umstrittenen „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ und den Lobbyverstrickungen zwischen Landesregierung und Nord Stream 2 in Mecklenburg-Vorpommern ist der Gaslobbyist Friedbert Pflüger als Sachverständiger eingeladen. Er soll Auskunft darüber geben, was die Begründungen zum Bau der Nord Stream 2-Pipelines waren. Doch Pflüger kann kaum gänzlich unparteiische Informationen liefern, da er selbst Gaslobbyist ist und unter anderem im Auftrag der Nord Stream 2 AG gearbeitet hatte.

von 10. März 2023

Am 10. März 2023 tagt der Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern zur Stiftung Klima- und Umweltschutz. Diese Stiftung hatte die Schweriner Staatskanzlei in enger Zusammenarbeit mit der Gazprom-Tochter Nord Stream 2 AG gegründet, um die Nord Stream 2-Pipeline trotz US-Sanktionen bauen zu können. Weitere Informationen dazu gibt es dazu in unserer Studie „Pipelines in die Politik – Die Macht der Gaslobby in Deutschland.“ Ministerpräsidentin Schwesig ordnete inzwischen die Auflösung der Stiftung an, stößt dabei aber auf großen Widerstand durch ihren Amtsvorgänger und Stiftungsvorstand Erwin Sellering. Die massiven Lobbyverstrickungen zwischen der Landesregierung, Gazprom, der Nord Stream 2 AG und dem russischen Regime sind noch bei weitem nicht vollständig aufgeklärt.

Friedbert Pflüger 2009 noch als Politiker
Adleraugenblick - CC-BY-SA 3.0
Friedbert Pflüger 2009 noch als Politiker

Dass nun die Regierungsfraktionen SPD und Linke ausgerechnet den Gaslobbyisten Friedbert Pflüger trotz seiner Nähe zur Nord Stream 2 AG als Sachverständigen – und nicht etwa als Zeugen – einladen, ist äußerst fragwürdig. In der SPD-Landtagsfraktion gibt es offenbar wenig Bewusstsein über Pflügers Verstrickungen in die Lobbyarbeit rund um die Pipelines. Thomas Krüger, SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, sagte in einem Interview mit dem NDR im November 2022: Pflüger sei „im Bereich Gas unterwegs gewesen“ und könne daher Aussagen darüber machen, ob das Gas und die Pipeline benötigt worden seien. Pflüger soll dem Ausschuss vortragen, warum die zweite Nord Stream-Pipeline damals gebaut werden sollte. Als weitere Sachverständige ist die Energiewissenschaftlerin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geladen.

Lobbyist und „Schattenmann“ für das Nord Stream 2-Projekt

Laut Gesetz müssen Sachverständige für einen Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern „unparteiisch, vollständig und wahrheitsgemäß“ Bericht erstatten. Mit Friedbert Pflüger befragt der Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpomme keinesfalls einen unparteiischen Sachverständigen – sondern einen Gaslobbyisten, der in die Lobby-Verstrickungen um Nord Stream 2 tief involviert war. Er war selbst ein aktiver Lobbyist rund um das Pipeline-Projekt und agiert noch immer als eine Art „Spin-Doktor“ der deutschen Gaspolitik.

Pflüger startete seine Karriere als CDU-Politiker, baute sich aber ab 2009 eine zweite Karriere mit der Gründung seiner eigenen Lobbyagentur auf: Pflüger International, später Bingmann Pflüger International. Zu den Kunden seiner Agentur zählte seit Mai 2016 auch die Nord Stream 2 AG. 2017 beauftragte zudem das Gashandelsunternehmen Uniper – eines der Unternehmen, die die Pipeline mitfinanzierten – Pflüger International als Lobbyagentur, wie uns das Unternehmen bestätigt hat. Auftrag war die Organisation und Durchführung von Diskussionsveranstaltungen mit verschiedensten Stakeholdern (Politiker:innen, Unternehmensvertreter:innen, Vertreter:innen von Think Tanks u.a.) „zu aktuellen Fragestellungen des Unternehmens“, wie Uniper LobbyControl damals mitteilte.

Enge Verquickung von Lobbyarbeit und wissenschaftlicher Arbeit

Besonders problematisch war diese Lobbyarbeit, weil Pflüger zugleich als Wissenschaftler auftrat – und seine beiden Rollen dabei häufig vermischte. Das hatte LobbyControl bereits 2017 scharf kritisiert. Nur wenige Monate nach Aufbau seiner Lobbyagentur gründete Pflüger im Oktober 2010 das European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) und agierte fortan als dessen Direktor. Dieses war zunächst an das renommierte King's College in London angebunden. Thema des Instituts war die europäische Energie- und Ressourcensicherheit. Mittlerweile ist es an der Universität Bonn angesiedelt.

Wenn Pflüger öffentlich auftritt, steht in seiner Personenbeschreibung meist an erster Stelle seine Rolle an der Universität. Dies verleiht ihm einen Anstrich als vermeintlich unabhängiger Wissenschaftler. Diese Rolle setzte Pflüger offenbar gezielt ein – u.a. zum Vorteil der Nord Stream 2 AG. Im Juli 2016 veröffentlichte Pflüger in seiner Rolle als Institutsleiter gemeinsam mit dem Russia Institut des King’s College eine Studie zur Nord Stream 2-Pipeline. Diese bescheinigte der Pipeline einen Nutzen für die Energiesicherheit in Europa. Finanziert wurde sie von den Nord Stream 2-Finanzinvestoren Shell, OMV, Wintershall, Engie und auch Uniper. Pflüger ließ also in seiner Rolle als Wissenschaftler eine Studie im Auftrag der Nord Stream 2-Investoren schreiben, während er das profitierende Unternehmen gleichzeitig als Lobbyist beriet. Pflügers Auftragsverhältnis mit der Nord Stream 2 AG als Lobbyist blieb dabei unsichtbar.

Auch bei den EU-Institutionen betrieb Pflüger Lobbyarbeit für Nord Stream 2: 2017 veranstaltete er beispielsweise ein Energiesymposium mit dem EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, Miguel Arias Cañete. Eingeladen hatte Pflüger über seine Agentur, im Programm stand er allerdings als Wissenschaftler. Klaus Schäfer, Vorstandschef vom Gaskonzern Uniper – für den er ja einen Lobbyauftrag hatte – saß mit auf dem Panel, das Cañete mit einer Keynote eröffnete. Zu der Veranstaltung war auch Matthias Warnig, Geschäftsführer und Lobbyist von Nord Stream 2 als Kommentator eingeladen. Für Uniper führte Pflüger im gleichen Jahr eine Diskussionsveranstaltung zur Europäischen Energie-Partnerschaft mit Russland durch. Eingeladen waren Europa-Abgeordnete, die gegenüber der geplanten Nord Stream 2-Pipeline eher kritisch eingestellt waren.

Studie mit unklaren Auftraggebern

Pflüger war aber auch in weitere Aufträge involviert, die direkt im Interesse der russischen Energiepolitik lagen. Im Mai 2021 veröffentlichte Pflüger mit seiner Lobbyagentur „Bingmann Pflüger International“ eine Studie mit dem Titel „The European Green Deal and Russia“. Die Studie hob hervor, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Russland für das europäische Klimaprogramm „European Green Deal“ sei. Sie identifizierte Russland als „idealen Partner“ für die Erreichung der europäischen Klimaziele. So könne das Land zum Beispiel Wasserstoff auf Basis von Atomkraft oder Erdgas nach Europa liefern, solange nicht genug Wasserstoff auf Basis erneuerbarer Energien da sei. Die Nord Stream 2-Pipeline könne beim Transport eine wichtige Rolle spielen. Dass Pflüger selbst die Nord Stream 2 AG beraten hat, wird in den Medienberichten zur Studie nicht erwähnt.

Das Thema europäische Energiewende war für die russische Regierung durchaus bedrohlich, da diese ihr fossilen Exporte in Frage stellte. Deshalb versuchte Putins Regierung laut einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik, Einfluss auf die EU-Institutionen zu nehmen, um ihr fossiles Geschäftsmodell zu erhalten – z.B. indem die EU Wasserstoff auch aus fossilen Quellen als klimaneutral ansehen sollte. In diesem Zusammenhang konnte so eine Studie natürlich dienlich für die russischen Interessen sein.

Wer die Studie finanziert und mit ihr Lobbyarbeit betrieben hat, bleibt unklar. Der Auftraggeber ist ein Think Tank mit dem Namen Dialog Europe-Russia (DER). Laut Handelsblatt wurde er 2011 in Wien gegründet, im Frühjahr 2022 löschte er seine Webseiten. In seinem Vorstand saßen zahlreiche namhafte Persönlichkeiten, darunter mehrere bekannte russische Oligarchen. Mitglied waren aber auch mehrere Akteure, die potenziell Einfluss auf die EU-Institutionen nehmen konnten: Dazu zählte Wolfgang Ischinger, damals Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, und der frühere österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel, der selbst zu dieser Zeit einen Aufsichtsratsposten beim russischen Staatskonzern Lukoil innehatte. Auch der CEO des europäischen Arbeitgeberverbands Businesss Europe, Markus Beyrer, war Mitglied im Vorstand. Daneben saßen dort verschiedene ehemalige Politiker:innen aus europäischen Mitgliedstaaten. Wir haben bei Friedbert Pflüger nachgefragt, wer die Studie bezahlt hat. Eine Antwort ist angekündigt, aber bisher nicht eingetroffen.

Im Mai 2018 moderierte er zudem beim St. Petersburg International Economic Forum ein „Nord Stream 2 Business Breakfast“. Auf seinem Panel mit dem Titel Energy for Europe: A Reliable Partnership war Gerhard Schröder als Keynote Speaker. Das Forum wurde von der russischen Regierung veranstaltet und stand unter der Schirmherrschaft von Wladimir Putin.

Pflüger: als Wissenschaftler getarnter Gaslobbyist

Pflüger ist auch aktuell weiter als Gaslobbyist tätig. Seine Lobbyagentur erhielt im Juni 2022 wieder eine neuen Namen: Strategic Minds Company. Dort ist er nun nicht mehr Geschäftsführer, sondern nur noch als „Partner“ tätig. Die Agentur berät laut Lobbyregister aktuell unter anderem das Gasunternehmen Uniper und den Fernleitungsnetzbetreiber Fluxys. Weitere Partner der Agentur sind Joachim Lang, ehemals Hauptgeschäftsführer des BDI und zuvor Eon-Lobbyist. Und der Ex-CDU-Abgeordnete Karsten Möring, den Pflüger noch aus der gemeinsamen Zeit beim Beirat des PR-Verbands der Gasindustrie Zukunft Gas kennt. Bei diesem ist Pflüger außerdem inzwischen Aufsichtsratsvorsitzender. Hauptaufgabe von Zukunft Gas ist es, Erdgas als klimafreundlichen Energieträger zu inszenieren, um das Geschäft mit dem fossilen Energieträger noch so lange wie möglich am Leben zu erhalten.

In seiner wissenschaftlichen Rolle hat Pflüger sein Institut EUCERS inzwischen an das Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) an der Universität Bonn angebunden. Zugleich hat er auch eine Lehrtätigkeit am CASSIS inne. Wie viel von Pflügers Arbeitszeit in die Wissenschaft einfließt, haben wir ihn gefragt, ebenso, wie sich das EUCERS finanziert. Auch hier warten wir noch auf Antwort. Es fällt zumindest auf, dass die Studien, die das Institut auf seine Webseite gestellt hat, nicht in seinem Namen verfasst wurden.

Unbeantwortet ist bisher auch, welche Rolle ein „Beirat“ des EUCERS spielt. Dort saßen oder sitzen laut dem Spiegel u.a. Ilya Kochevrin, ehemals Direktor der Gazprom-Tochter Gazprom Export, oder Oliver Bettzüge, Direktor des Energiewissenschaftlichen Instituts an der Uni Köln. Auf der Seite des EUCERS ist der Beirat aber nicht zu finden.

Seine Doppelrolle als Gaslobbyist, der als Wissenschaftler getarnt ist, behält Pflüger bei. Heute gibt er eher beide Rollen an als früher, dabei aber gerne die wissenschaftliche zuerst, wie bei den von ihm organisierten „Energiegesprächen am Reichstag“. Dabei bleibt unklar, welche Rolle er am EUCERS überhaupt spielt.

Fazit: Pflügers Lobbystrategien sichtbar machen!

Es ist eine übliche Lobbystrategien, eigenen Interessen oder den von Kunden einen neutralen Anstrich zu verleihen. Diese wird insbesondere auch von Lobbyagenturen immer wieder angewandt. Pflüger betreibt diese Strategie nun seit vielen Jahren mit großem Aufwand. Es wird Zeit, dass er offenlegt, welche Rolle seine Tätigkeit am EUCERS an der Universität Bonn für seine Arbeit spielt – und ob er überhaupt nennenswert wissenschaftliche Arbeit betreibt.

Es ist wichtig, dass Politik, Medien und Öffentlichkeit sich über diese Hintergründe Pflügers als Gaslobbyist und früherer Auftragnehmer der Nord Stream 2 AG bewusst sind – insbesondere da er nun als vermeintlich neutraler Sachverständiger im Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern auftritt. Geeignet wäre er eher als Zeuge, um Lobbyverstrickungen rund um Nord Stream 2 aufzuklären. Es bleibt zu hoffen, dass einige Abgeordnete ihm auch kritische Fragen zu seiner Tätigkeit für die Nord Stream 2 AG stellen. Denn viele Fragen bleiben hier noch offen.

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