Lobbyismus in der EU

Oh du Fröhliche: Der Rat der EU tritt dem EU-Lobbyregister bei

Der Rat beteiligt sich endlich an einem gemeinsamen Lobbyregister der drei EU-Institutionen! Sein Beitrag zur Transparenz bleibt fürs Erste jedoch ziemlich schmal.
von 17. Dezember 2020

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben EU-Kommission, Parlament und Rat der EU (das Gremium der nationalen Regierungen) in den letzten Monaten über mehr Lobbytransparenz verhandelt. Zum Jahresende überraschen sie nun mit einem Ergebnis: Der Rat beteiligt sich endlich an einem gemeinsamen Lobbyregister der drei EU-Institutionen! Sein Beitrag zur Transparenz bleibt fürs Erste jedoch ziemlich schmal.

Ein „de-facto-verpflichtendes“ Lobbyregister?

Der Rat wird in Zukunft Teil des EU-Transparenzregisters - damit hatten wir schon fast nicht mehr gerechnet. Zur Erinnerung: Die EU-Kommission kam dem zivilgesellschaftlichen Ruf nach einem Lobbyregister bereits 2008 nach, 2011 legten Parlament und Kommission ihre Register zusammen. Seitdem bekommen Lobbyist:innen ohne Eintrag ins Register keinen Dauerzugangspass ins Parlament. Seit 2014 müssen Lobbyakteure sich eintragen, wenn sie EU-Kommissar:innen und ihre Kabinette treffen wollen, und seit Anfang 2019 müssen Abgeordneten in herausgehobenen Positionen ihre Lobbytreffen immerhin veröffentlichen, so dass wir sehen können, ob sie unregistrierte Lobbyakteure treffen. Nur der Rat beteiligte sich bis jetzt nicht, obwohl die EU-Kommission bereits 2016 einen Vorschlag für ein gemeinsames Register aller drei Institutionen vorgelegt hat.

Die Idee: Alle drei sollten sich dazu verpflichten, dass bestimmte grundlegende Interaktionen mit Lobbyist:innen nur möglich sind, wenn diese sich zuvor im EU-Transparenzregister eingetragen und damit bestimmte Kerndaten ihrer Arbeit offengelegt haben. Damit sollte es Lobbyakteuren in Brüssel möglichst schwer gemacht werden, Lobbyarbeit ohne Registrierung zu betreiben. Ein Lobbyregister, das formal auf Freiwilligkeit beruht, aber „de facto verpflichtend“ wirken soll, ist aufgrund der rechtlichen Konstruktion der EU vorerst die einzige realistische Option. Denn ein auch formal verbindliches Register wäre wohl nur nach einer Änderung der EU-Verträge möglich, für die es die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten bräuchte.

Einigung auf kleinsten gemeinsamen Nenner

Vier Jahre hat es nun gedauert, sich auf eine so genannte interinstitutionelle Vereinbarung zu einigen. Die Verhandlungen waren kompliziert. Das lag vor allem daran, dass der Rat kaum Interesse an Transparenz zeigte. Nicht nur wir kritisierten das immer wieder, sondern auch die europäische Ombudsfrau, Abgeordnete aus Europas Parlamenten und Journalist*innen. Doch nicht nur der Rat, auch das Parlament wollte lange Zeit nicht dem Vorbild der EU-Kommission folgen, Lobbytreffen der Top-Entscheider:innen nur bei Registrierung zu erlauben und anschließend zu veröffentlichen.

Während das Parlament 2019 unter großem öffentlichem Druck, an dem wir nicht ganz unschuldig waren, wichtige Zugeständnisse machte, konnten sich die nationalen Regierungen bei diesem Thema lange nicht einigen. Herausgekommen ist ein Minimalkompromiss. Zwar liegt das offizielle Dokument noch nicht vor, aber die zentralen Beschlüsse kursieren bereits in der Öffentlichkeit.

Was ist positiv am Minimal-Kompromiss?

  • Die weite Definition des EU-Lobbyregisters wird beibehalten. Das heißt: Auch wer „nur“ indirekte Lobbyarbeit macht (z. B. Strategiepapiere verfasst, Lobbyakteure berät oder durch Studien, Artikel etc. auf die Öffentlichkeit Einfluss nimmt), soll sich eintragen. Darauf hatten wir mit unserem ALTER-EU-Netzwerk lange gepocht, da sonst wichtige Lobbyakteure wie Think Tanks, die keine direkten Treffen mit der Kommission suchen, aus dem Register verschwinden würden.
  • Lobbyfirmen und Kanzleien müssen auch die Lobbyarbeit für Nicht-EU-Staaten angeben. Auch dies haben wir immer wieder gefordert. Denn bisher konnten autokratisch regierte Staaten verdeckt Lobbyarbeit bei der EU betreiben, zum Beispiel um ihr Image aufzupolieren oder Geschäfte einzufädeln. Die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts oder nur zufällig, infolge investigativer Recherchen.
  • Des Weiteren sollen der Zugang zu den Gebäuden des Rats (dazu zählen nicht die ständigen Vertretungen, siehe unten) und die Teilnahme an Briefings und Veranstaltungen abhängig von der vorherigen Eintragung ins Lobbyregister gemacht werden.
  • Treffen mit Generalsekretär:in und Generaldirektor:innen des Rats gibt es nur nach Registrierung.

Anzumerken ist, dass das Sekretariat des Rats keineswegs ein viel besuchtes Lobbyziel ist. Es handelt sich um eine Einrichtung, die die Ratsarbeit organisatorisch unterstützt und koordiniert. Diejenigen, die politische Entscheidungen treffen und bei den Gesetzen mitwirken, sitzen ganz woanders - nämlich in den nationalen Regierungen und ihren Ständigen Vertretungen in Brüssel. Diese diplomatischen Vertretungen der Mitgliedstaaten haben wichtige Funktionen bei der europäischen Gesetzgebung inne: Sie bereiten die Ministerratssitzungen und die dort erzielten Kompromisse in zahlreichen Arbeitsgruppen vor, und sie koordinieren das Abstimmungsverhalten mit den anderen Mitgliedstaaten. Damit sind sie auch wichtige Zielscheiben für Lobbyarbeit.

Was steht also auf der Negativseite?

  • Nur die beiden ständigen Vertreter:innen (der/die Botschafter:in und damit Chef:in der ständigen Vertretungen sowie deren Stellvertretung) der Mitgliedstaaten sollen sich verpflichten, sich nur mit registrierten Lobbyakteuren zu treffen - und zwar nur ein halbes Jahr vor und während der Ratspräsidentschaft des jeweiligen Landes. Das ist absurd. Blicken wir zum Beispiel auf die deutsche Ständige Vertretung: Von 400 Mitarbeiter:innen werden nur zwei verpflichtet, alle 13 Jahre für 12 Monate keine unregistrierten Lobbyist:innen zu treffen.
  • Die interinstitutionelle Vereinbarung legt nicht fest, für welche Interaktionen die Registrierung Voraussetzung ist. Das beschließt jede Institution für sich allein. Damit fehlt es dem Register an Verbindlichkeit und Kohärenz.
  • Unklar bleibt, welchen Beitrag der Rat zum Sekretariat des Registers leisten wird. Dieses ist dafür zuständig, Einträge zu überprüfen und Sanktionen zu verhängen. Es ist seit Jahren dramatisch unterbesetzt.

Eine gemischte Zwischenbilanz

Das Register bleibt letztlich löchrig wie ein Schweizer Käse. Ausgerechnet die Personen, die am häufigsten mit Lobbyakteuren zusammentreffen (politische Mitarbeiter:innen in der Kommission, der Parlamentsfraktionen und der Abgeordneten sowie fast alle Mitarbeitenden des Rats) bleiben in allen drei Institutionen von der Verpflichtung ausgenommen, nur registrierte Lobbyist:innen zu treffen. Mit ihnen allen können sich Lobbyakteure treffen, ohne sich ins Register eintragen zu müssen. Dabei würde es für die Mitarbeiter:innen sogar eine Schutzfunktion erfüllen, auf den Eintrag ins Register pochen zu müssen: Dubiose Lobbyist:innen, die nicht genau sagen, in wessen Auftrag sie arbeiten, könnten nicht so leicht zu ihnen vordringen.

Auf der anderen Seite gibt es inzwischen durchaus eine Vielzahl von Anreizen für Lobbyakteure, sich ins Register einzutragen. Neben den bereits genannten sind z.B. auch Einladungen zu parlamentarischen Anhörungen und die Beteiligung an interfraktionellen Gruppen von Abgeordneten von einer vorherigen Registrierung abhängig. Auch wenn Unternehmen oder Verbände Vertreter:innen in die wichtigen EU-Expertengruppen schicken wollen, müssen sie sich eintragen.

Deutsche Ratspräsidentschaft muss Transparenz weiterführen

Dass der Rat nun dem Register beigetreten ist, ist zumindest ein erster begrüßenswerter Schritt. Die deutsche Ratspräsidentschaft brüstet sich damit, die Vereinbarung vorangetrieben zu haben – dies können wir aufgrund der Intransparenz der Ratsarbeit natürlich schwer beurteilen. Es ist jedenfalls erfreulich, dass der Chefverhandler für die deutsche Ratspräsidentschaft, Staatsminister für Europa Michael Roth, angekündigt hat, dass der deutsche ständige Vertreter und seine Stellvertreterin auch nach Ende der Ratspräsidentschaft weiterhin nur registrierte Lobbyist:innen treffen werden. Auch begrüßen wir, dass die beiden deutschen ständigen Vertreter:innen seit Anfang des Jahres ihre Lobbytreffen veröffentlichen. Dies sollte auch nach dem Ende der deutschen Ratspräsidentschaft fortgeführt werden, wenn die Bundesregierung sich in der EU als fortschrittlich im Bereich der Transparenz präsentieren will. Andere Länder wie Finnland, die Niederlande oder Irland machen es ja schon vor. Deutschland sollte zeigen, dass auch einer der wirtschaftlich stärksten EU-Staaten mit kontinuierlicher Lobbytransparenz kein Problem hat, und es so wahrscheinlicher machen, dass andere Länder dem Beispiel folgen. Nur so lässt sich wenigstens mittelfristig ein kleiner Lichtschimmer ins Lobbydunkel rund um den Rat bringen.

Wir werden weiterhin Druck machen, damit in den nächsten Jahren mehr Transparenz gewährleistet wird – bei allen drei Institutionen, aber insbesondere beim Rat. Wir erwarten:

  • Mindestens die ständigen Vertreter*innen der Mitgliedstaaten müssen dauerhaft ihre Lobbytreffen veröffentlichen, so wie es die Kommissar*innen, parlamentarische Ausschussvorsitzende und Berichterstatter*innen bereits tun.
  • Die ständigen Vertreter*innen und alle Mitarbeiter*innen der Vertretungen müssen dauerhaft der Regel „keine Registrierung – kein Treffen“ folgen.
  • Auch der Präsident des Europäischen Rats (des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs) muss am Lobbyregister teilnehmen und seine Treffen veröffentlichen.
  • Der Rat muss nationale Lobbyregister in allen Mitgliedstaaten initiieren.

Denn wir dürfen nicht vergessen, dass ein Großteil der Lobbyarbeit beim Rat über die nationalen Regierungen stattfindet. Wir brauchen daher dringend endlich auch ein deutsches Lobbyregister – inklusive einer legislativen Fußspur.

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