Lobbyismus in der EU

Demokratiedefizit im Rat der EU – Deutschland muss die Initiative ergreifen

Einmal alle 14 Jahre übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr den Vorsitz des EU-Ministerrats, auch Rat der EU genannt. Von Juli bis Dezember wird Deutschland diesem wichtigen Gremium vorsitzen und damit wesentlichen Einfluss darauf haben, welche Initiativen ergriffen und welche Prioritäten gesetzt werden. Die Bundesregierung hat nun die Chance, das eklatante Demokratiedefizit im Rat anzugehen. Daran werden wir sie messen.
von 20. Januar 2020

Wir schreiben das Jahr 2020. Einmal alle 14 Jahre übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr den Vorsitz des EU-Ministerrats, auch Rat der EU genannt. Einfach gesagt handelt es sich um das Gremium der EU-Mitgliedstaaten, das gemeinsam mit EU-Kommission und Europäischem Parlament die Gesetze auf EU-Ebene erarbeitet. Dieses Jahr ist es so weit - von Juli bis Dezember wird Deutschland diesem wichtigen Gremium vorsitzen und damit wesentlichen Einfluss darauf haben, welche Initiativen ergriffen und welche Prioritäten gesetzt werden. Die Bundesregierung hat nun die Chance, das eklatante Demokratiedefizit im Rat anzugehen. Daran werden wir sie messen.

Von Nina Katzemich und Vicky Cann, Corporate Europe Observatory

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Bereits 2018 hat LobbyControl in einer großen Kampagne mehr Transparenz im Rat gefordert

Rat muss den Mangel an Transparenz bei seiner Arbeit endlich angehen

Neben inhaltlichen Themen, die die Bundesregierung auf ihre Prioritätenliste setzen muss - wie den Klimaschutz - muss auch eine Reform der Ratsarbeit dringend auf den Tisch. Parlament, Zivilgesellschaft und EU-Bürgerbeauftragte fordern den Rat schon länger eindringlich auf, sein riesiges Transparenz- und damit auch Demokratiedefizit endlich zu beheben. Denn obwohl er eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung von EU-Richtlinien und -Verordnungen spielt, findet ein Großteil seiner Arbeit hinter verschlossenen Türen statt.

In über 150 Arbeitsgruppen beraten und verhandeln nationale Beamte, angeleitet durch ihre Regierungen, die Vorlagen der EU-Kommission. Es sind kaum Informationen darüber öffentlich zugänglich, was hier verhandelt wird, geschweige denn, welcher Mitgliedstaat hier welche Position vertritt. Protokolle werden häufig gar nicht angefertigt. Wie aber können Bürgerinnen und Bürger ihre Regierung zur Verantwortung ziehen, wenn sie nicht einmal herausfinden können, welche Position diese in Brüssel überhaupt vertritt?

"Blackbox" Rat

Die EU-Bürgerbeauftragte hat den Rat deshalb in einer Untersuchung mit einer “Blackbox” verglichen und gefordert, dass der Rat die Positionen der einzelnen Mitgliedstaaten bei Entscheidungen offenlegt, und auch die Arbeitsgruppen des Rates deutlich mehr Dokumente veröffenlichen sollten als bisher. Auf ihre Empfehlungen hat der Rat jedoch nie reagiert. Das EU-Parlament hat den Rat deshalb in einer Resolution Anfang 2019 aufgefordert, seine Arbeitsmethoden an die Arbeitsweise einer wirklichen Demokratie anzupassen, um den EU-Verträgen zu genügen.

Immer wieder führt die Intransparenz des Rats dazu, dass hinter verschlossenen Türen Regierungen die Interessen ihrer heimischen Industrien durchsetzen und miteinander Deals aushandeln, wie sie sich bei den Abstimmungen dabei gegenseitig unterstützen können. Da die Positionen der Mitgliedstaaten nicht sichtbar sind, lässt sich im Nachhinein leicht "die EU" zum Sündenbock machen. Dabei war es beispielsweise nicht "die EU", sondern die Bundesregierung, die auf diese Weise z.B. extrem laxe Grenzwerte für Dieseltests durchgesetzt hat und öffentliche Steuertransparenz für Großunternehmen blockiert.

Finnlands Agenda für mehr Transparenz bei der Gesetzgebung

Die gerade vergangene finnische Ratspräsidentschaft hatte sich das Thema bereits für ihren Vorsitz der Ratspräsidentschaft (Juli bis Dezember 2019) auf die Agenda gesetzt und und vorgeschlagen, mehr Ministertreffen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und mehr Dokumente zur Verfügung zu stellen. Vorschläge, um die eklatante Intransparenz der Ratsarbeitsgruppen zu beheben, hat sie allerdings nicht auf den Tisch gelegt. Für jene, die EU-Entscheidungsprozesse kritisch beobachten wollen, ist es kaum nachvollziehbar, dass diese grobe Missachtung von Grundvoraussetzungen für ein demokratisches Arbeiten nicht schon längst behoben ist. Wahrscheinlich liegt es daran, dass kaum jemand in diese "Details" der EU-Gesetzgebung vordringt. Doch die Vorschläge blieben im Sande stecken - noch nicht einmal ein kleiner Reformvorschlag, den die Niederlande in einem Non-Paper niedergelegt hatten, fand breite Zustimmung.

Hinter diesem Vorschlag hatten sich immerhin zehn Mitgliedsstaaten versammelt: Belgien, Dänemark, Estland, Irland, Lettland, Luxemburg, Slowenien und Schweden und eben Finnland und die Niederlande. Diese Länder sprechen sich insbesondere für mehr Transparenz in der Trilog-Phase (wenn alle drei Institutionen einen Gesetzgebungsvorschlag gemeinsam beraten) aus und fordern mehr Informationen über die Gespräche, die im Rat stattfinden und die Positionen der Nationalstaaten, was vielversprechend klingt. Doch es ist wohl kein Zufall, dass die Unterstützer alle relativ kleine EU-Mitglieder sind; für sie ist Transparenz wohl nicht nur ein Selbstzweck, sondern auch eine Möglichkeit, ihre Verhandlungsposition gegenüber größeren Mitgliedsstaaten zu stärken.

Die übrigen 18 Länder scheinen jedoch noch nicht überzeugt zu sein von der Idee, den Rat transparenter zu gestalten. Berichten des französischen Onlinemagazins Contexte zufolge, sprach sich unter anderem die französische Regierung aktiv gegen eine Öffnung der Ratsarbeit nach außen aus, insbesondere was Standpunkte im Trilogverfahren angeht. Das steht im Widerspruch zur wiederholten Mahnung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die EU müsse „neu gegründet“ werden. In einer Rede im Jahr 2017 erklärte er, „die Demokratie [sei] die Essenz des europäischen Projektes“ und forderte: „Wir dürfen keine Angst mehr vor der europäischen Bevölkerung haben. Unser Ansatz darf nicht mehr sein, unser Europa von ihr abgeschottet zu gestalten.“ Französische Parlamentarier haben diesen Widerspruch inzwischen bemerkt und beginnen, ihrer Regierung dazu kritische Fragen zu stellen.

Kleine Fortschritte bei der Lobbytransparenz

Neben der Intransparenz der Arbeit an den Gesetzen ist auch die Intransparenz der Lobbyarbeit beim Rat ein Problem. Am EU-Lobbyregister beteiligt sich der Rat bisher nicht. Wer bei den Vertretungen der Mitgliedstaaten in Brüssel oder zuhause bei den nationalen Regierungen Lobbyarbeit leistet, bleibt im Dunkeln. Die wenigsten Vertretungen gaben bisher dazu Auskunft, wie das NGO-Bündnis ALTER-EU bereits 2016 in einer Studie zeigte. Hier gibt es inzwischen aber erste Schritte. Bereits die Niederlande und nun auch Finnland sind mit gutem Beispiel vorangegangen: Die Chefin der Ständigen Vertretung Finnlands in Brüssel (diese Einrichtungen vertreten ihr jeweiliges Land gegenüber den EU-Institutionen und sind für die alltägliche Arbeit des Ministerrats zuständig) und ihre Stellvertreterin veröffentlichten eine Liste von Treffen mit Lobbyist/innen, und sie wird diese Transparenz auch jetzt, nach Endes des Vorsitzes, beibehalten. Bemerkenswerterweise gab es solche Listen auch für die Treffen aller finnischen Minister/innen mit Lobbyist/innen, sofern diese EU-Entscheidungsprozesse während ihres Vorsitzes betrafen.

Vor kurzem überraschte uns der Ständige Vertreter Deutschlands in der EU, Botschafter Michael Clauß damit, dass er ab sofort seine Lobbytreffen veröffentlicht. Ein sehr wichtiger Schritt! Kurz zuvor hatte sich die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Jan Korte (Fraktion die Linke) darüber noch in Wolken gehüllt. Verbesserungspotenzial gibt es aber auch hier noch: Zusätzlich zur Veröffentlichung der Termine an sich, wäre es wichtig zu wissen, um welche Themen es dabei geht. Auch sollten weitere Beamte in der Vertretung ihre Lobbytreffen veröffentlichen.

Sponsoring der EU-Ratspräsidentschaften

Erfreulich ist auch, dass die Bundesregierung in der Antwort auf die gleiche Kleine Anfrage ankündigt, kein Sponsoring in ihrer Ratspräsidentschaft entgegennehmen zu wollen. Das EU-Parlament hatte diese Art der Finanzierung von Veranstaltungen im Rahmen der Ratspräsidentschaft deutlich kritisiert. Das Thema Sponsoring von Ratspräsidentschaften ist dabei keineswegs nur ein peinlicher Fauxpas: Es wirft Fragen über die Unabhängigkeit der Politik auf, wenn ein Konzern wie Coca Cola seine Imagewerbung als "Platin-Partner der rumänischen Ratspräsidentschaft präsentieren darf. Coca-Cola hatte seit Jahren massiv gegen Vorgaben zum Recycling oder zum Zuckergehalt auf europäischer Ebene lobbyiert. Derzeit lässt sich der kroatische Ratsvorsitz das Benzin für die offiziellen Fahrzeuge vom kroatischen Ölkonzern INA sponsorn.

Deutschland muss initiativ werden

Deutschland ist ein einflussreiches Land in der EU und diesen Einfluss gilt es jetzt im Sinne der Demokratie zu nutzen. Die Mitgliedstaaten dürfen nicht länger Angst davor haben, ihre eigenen Entscheidungsfindungsprozesse in der EU transparent zu machen. Denn Bürgerinnen und Bürger möchten nachvollziehen können, was genau in der EU passiert.

Wir werden Druck machen, damit Deutschland sich des Themas annimmt. Wir möchten, dass die Bundesregierung während ihrer Ratspräsidentschaft

  • sich an die Spitze der Bewegung für deutlich mehr Transparenz im Gesetzgebungsprozess im Rat der EU setzt
     
  • die Mitgliedstaaten davon überzeugt, dass alle zumindest Transparenz über die Lobbytreffen ihrer ständigen Vertretungen gewährleisten sollten (eigentlich aber auch aller nationalen Regierungen)
  • sich für gemeinsame Leitlinien einsetzt, was das Sponsoring der Ratspräsidentschaft betrifft.

Zum Weiterlesen:

Lesen Sie in der CEO-Studie "Captured States" mehr darüber, wie die Ratsarbeit funktioniert und wie nationale Regierungen die Interessen ihrer heimischen Unternehmen im Rat durchsetzen. Eine deutsche Kurzfassung finden Sie hier

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