Konzerne und Wirtschaftslobbyverbände leisten sich neben der klassischen Lobbyarbeit auch PR-Kampagnen, um ihre Geschäfts- und Gewinninteressen durchzusetzen. Die Botschaften der PR-Lobbyinitiative INSM konzentrieren sich dabei aktuell auf den Begriff Bürokratieabbau. Dieser wird als Feigenblatt genutzt, um ganz bestimmte Gesetze für Konzerne zu verhindern. Das kann zu Lasten des Gemeinwohls gehen – etwa wenn der Schutz von Menschenrechten in Lieferketten nur als Bürokratie-Last dargestellt wird. Wir nehmen eine PR-Lobbykampagne der INSM genauer unter die Lupe.
Bürokratieabbau gehört aktuell zu den zentralen Forderungen aus der Wirtschaft, die auch die Konzernlobby über die Medien an Politik und Öffentlichkeit richtet. Besonders fällt dabei die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) auf. Die INSM ist eine von Arbeitgeberverbänden finanzierte PR- und Lobbyorganisation. Sie nutzt den Begriff für eine umfangreiche Kampagne, die unter dem Deckmantel „Bürokratieabbau“ ganz bestimmte Gesetze verhindern will. Auch die Debatte um das deutsche Lieferkettengesetz wurde von diesem Begriff gelenkt.
Bürokratieabbau ist zu Recht ein Begriff, dem viele Menschen etwas abgewinnen können. Die INSM benutzt ihn jedoch, um dahinter ihre Lobbyanliegen zu verstecken, die zu Lasten des Gemeinwohls gehen könnten: Die INSM will erreichen, dass es weniger gesetzliche Regeln für Unternehmen gibt. Dabei geht es ihr hauptsächlich um Bürokratie, die Konzerne betrifft. Manche Gesetze sollen sogar ganz verhindert werden – zum Beispiel das Lieferkettengesetz. Dabei braucht es Regeln, um sicherzustellen, dass Konzerne nicht ihre Gewinne höher priorisieren als Menschenrechte, faire Löhne, Umwelt- oder Verbraucherstandards.
Unliebsame Gesetze und die Erzählung von „Bürokratie“: Das deutsche Lieferkettengesetz
Die Auseinandersetzung um das Lieferkettengesetz ist ein Paradebeispiel für ein Bürokratie-Framing. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich lange für eine Regelung eingesetzt, die sicherstellt, dass Unternehmen verantwortungsvoll wirtschaften. Etwa, um menschengemachte Tragödien wie den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza zu verhindern oder Kinderarbeit und die Ausbeutung von Arbeitenden in Lieferketten. Dafür wurde das Lieferkettengesetz geschaffen. Doch die wichtigen neuen Regeln gingen in der Erzählung als „Bürokratie“ unter.
Lobbyist:innen von Wirtschaftsverbänden wie dem BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) sind von Anfang an energisch gegen das Lieferkettengesetz vorgegangen und haben es bereits in der Entwurfsphase abgeschwächt. Die Positionen der Wirtschaftslobby lassen sich im Gesetz aufspüren. Es wurde am Ende schwächer umgesetzt, als es erste Entwürfe vorsahen. Von Wirtschaftsverbänden wie dem Wirtschaftsrat der CDU und aus Union und FDP kam die Forderung, das inzwischen eingeführte Gesetz auszusetzen oder abzuschaffen. Die Ampelregierung hat es nun mit dem neuen Haushalts- und Wachstumspaket erneut abgeschwächt. Die Erzählung um Bürokratie hat hier anscheinend verfangen, die Abschwächung des Gesetzes steht unter der Überschrift „Unnötige Bürokratie abbauen“.
INSM – PR- und Lobbyarbeit finanzstarker Arbeitgeberverbände
Die INSM ist eine PR- und Lobbyorganisation, die sich an Medien und die breite Öffentlichkeit richtet, um Debatten zu prägen. Sie finanziert sich vollständig durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Sie ergänzt deren klassische Lobbyarbeit, die sich direkt an die Politik richtet. Für das Jahr 2023 erhielt die INSM von Gesamtmetall laut Lobbyregister 5,6 Millionen Euro. Mitglieder der Arbeitgeberverbände Gesamtmetall und der regionalen Verbände sind zwar Unternehmen jeder Größe aus verschiedenen Branchen, vor allem aus der Autoindustrie. Prägend sind jedoch meist große Konzerne, etwa über Sitze in Gremien.
Der irreführende Name verschleiert die klare Verbindung mit Arbeitgeberverbänden und somit auch, dass dahinter Unternehmensinteressen stehen. Die INSM fällt vor allem mit klassischen Arbeitgeberthemen mit starker neoliberaler Prägung auf – wie etwa die Verhinderung von Steuererhöhungen für Unternehmen und Superreiche oder die Torpedierung des Mindestlohns. Auch das Lieferkettengesetz ist der INSM schon länger ein Dorn im Auge. Schon 2021 schaltete sie Anzeigen etwa im Handelsblatt und der Frankfurter Allgemeine Zeitung, um das deutsche Gesetz zu verhindern. Die aktuelle Kampagne nutzt zwar den Begriff „Bürokratieabbau“, doch tatsächlich dreht es sich erneut um die Abschaffung unliebsamer Gesetze, allen voran offenbar des Lieferkettengesetzes.
Lobbymethoden der INSM
Für die aktuelle Kampagne zu „Bürokratieabbau“ nutzt die INSM ihre bewährten Mittel. Um die Öffentlichkeit zu erreichen, schaltet sie regelmäßig großflächige Anzeigen in Zeitungen und auf Social Media-Plattformen. In Berlin wurde etwa am Hauptbahnhof großflächig plakatiert.
Großflächige Werbung für das „Bürokratiemuseum“ der Lobbyorganisation am Bahnhof Berlin Friedrichstraße. Im Regierungsviertel befindet sich das Lobbybüro der INSM.
Über ein Netz aus Kampagnen-Botschaftern und Unterstützer:innen bindet die INSM immer wieder Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft für ihre Anliegen ein. Für die aktuelle Kampagne wurden diverse „Bürokratie-Paten“ auserkoren, die für bestimmte Gesetze (oder deren Abschaffung) eine Patenschaft übernehmen und über die INSM-Webseite darüber berichten. Zu diesen Paten gehören hauptsächlich Abgeordnete von CDU/CSU, z.B. Julia Klöckner oder Philipp Amthor, sowie einige FDP-Abgeordnete.
Der Bundestagsabgeordnete Klaus Wiener (CDU) hat die INSM-„Patenschaft“ für das Lieferkettengesetz übernommen.
Für die aktuelle Kampagne hat die INSM mit Hilfe einer Kreativagentur mächtig aufgefahren und sogar ein „Bürokratie-Museum“ in den Räumen des Lobbybüros im Berliner Regierungsviertel eingerichtet. Der Ausstellungsraum will Bürokratie nach eigenen Aussagen „sichtbar“ und „fühlbar“ machen, aber erklärt oder gar aufgeklärt wird dabei wenig. Die meisten Installationen sind kurze Gags mit provokanten politischen Botschaften: Es gibt etwa ein Terrarium mit Schnecken, das den langsamen „Staatsapparat“ darstellt oder einen Raum „Daddy Staat“ mit BDSM-Ästhetik. Doch in einigen Installationen werden die Botschaften ganz konkret. Zum „Sado-Maso-Raum“ schreibt die INSM etwa: „Der aktuellste Peitschenhieb: Das Lieferkettengesetz.“ Das Museum verbreitet aktiv ein politisches Framing bestimmter Gesetze als bürokratische Last – vorrangig solcher, die Unternehmen betreffen. Nochmal deutlich übersetzt wird das an der Installation im Hauptraum: Am Papier-Schredder können die unliebsamen Gesetze symbolisch vernichtet werden. Dazu gehört auch das Lieferkettengesetz, das man hier in den Papier-Vernichter schickt – und den Schutz von Menschenrechten gleich mit.
Julia Klöckner (CDU) freut sich im Bürokratie-"Museum" über die Schnecken im Terrarium. Name der Installation: "Staatsapparat"
Direkter Draht zur Politik
Mit diesem PR-Museum schafft die INSM einen Raum, in dem sie ihre interessengeleiteten Botschaften direkt an Politiker:innen herantragen kann: Die Besuche zahlreicher Politiker:innen oder Vertreter:innen großer Verbände wurden auf der Webseite dokumentiert. Die INSM berichtet u.a. von Justizminister Marco Buschmann (FDP), den Generalsekretären von CDU und FDP, Carsten Linnemann und Bijan Djir-Sarai, oder Julia Klöckner, der wirtschaftspolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. Prominentester Besucher war wohl Finanzminister Christian Lindner, der eine Führung durch den INSM-Chef Thorsten Alsleben bekam und die Lobbybotschaften der INSM gleich über seinen eigenen Instagram-Kanal weiterverbreitete.
Christian Lindnder im Bürokratie-"Museum" der INSM
Beim CDU-Parteitag Anfang Mai 2024 wandte sich die INSM ebenfalls mit einem Stand direkt an die Politik. Die Parteitags-Besucher:innen wurden auch hier eingeladen, die vermeintlichen Bürokratie-Lasten zu zerschreddern und sich dabei ablichten zu lassen. Das Lieferkettengesetz und damit auch den Schutz von Menschenrechten mit einem Lächeln in den Schredder zu jagen, mag man pietätlos finden. Bei den meisten Parteitags-Besucher:innen kam der Gag aber scheinbar gut an. Selbst CDU-Spitzenpersonal war sich nicht zu schade, sich für ein Foto mit dem „Bürokratie-Vernichter“ ablichten zu lassen.
Links: Julia Klöckner (CDU) und Parteichef Friedrich Merz am Stand der Lobbyorganisation INSM, vernichten sinnbildlich das Lieferkettengesetz. Rechts Christoph Plöß (CDU) mit INSM-Chef Thorsten Alsleben am "Bürokratie-Vernichter".
Teure Kampagne mit lauten Botschaften
Es sind die Interessen großer Konzerne und ihrer Verbände, für die die INSM hier gegen vermeintliche Bürokratie und das Lieferkettengesetz wettert. Die großen Verbände sprechen dabei mit eigener Stimme und nicht für alle Unternehmen: Eine repräsentative Umfrage hat gezeigt, dass nur sieben Prozent der Betriebe in Deutschland die Verpflichtung ablehnen, auf Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten. Die große Mehrheit ist dafür.
Die INSM hat für die PR-Kampagne jedoch tief in die Tasche gegriffen. Allein das PR-“Museum“ kostete laut Medienberichten 500.000 Euro. Hinzu kommen die Werbebanner etwa am Berliner Hauptbahnhof und Werbeanzeigen in Printmedien und sozialen Netzwerken. Teuer bezahlen müssen am Ende aber trotzdem andere, wenn Gesetze wie das Lieferkettengesetz geschwächt werden und Menschen und Umwelt weiter ausgebeutet werden.
Die Lobby der großen Konzerne hat ein Interesse daran, sich Regeln zu entziehen, um mehr Gewinne zu erzielen und ihre wirtschaftliche Macht auszubauen. Zu den Forderungen nach Bürokratieabbau zählt für die INSM auch, dass Konzerne noch mehr Mitspracherechte im Gesetzgebungsprozess erhalten sollen. Das würde ihre ohnehin schon privilegierten Zugänge als mächtige Lobbyakteure weiter stärken. Diesen Einfluss von Konzernen auf die Politik werden wir genau beobachten. Wir setzen uns schon lange dafür ein, dass Konzerne keine privilegierten Zugänge in die Politik nutzen können, sondern dass die Interessen des Gemeinwohls stärker gehört werden. Medien und Zivilgesellschaft sollten dafür die Erzählungen der Konzernlobby kritisch hinterfragen.
Stellen wir sicher, dass die Stimmen für das Gemeinwohl nicht von teuren Lobbykampagnen übertönt werden!
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Auch auf EU-Ebene ist zu beobachten, dass Lobbykampagnen für mehr Konzerneinfluss und weniger Regeln Erzählungen um bestimmte Begriffe stricken, wie es hier zu Bürokratieabbau der Fall ist. In Brüssel läuft derweil eine Kampagne zum Thema Wettbewerbsfähigkeit, zu der hier mehr zu lesen ist.