Handelspolitik

TTIP 2.0: Exportindustrie setzt Bundesregierung unter Druck

Nahezu ohne öffentliche Aufmerksamkeit führte die EU-Kommission vergangene Woche wieder einmal Gespräche über ein Handelsabkommen mit den USA. Der Erfolgsdruck bei den Verhandlungen in Washington ist groß, vonseiten der USA, der deutschen Exportindustrielobby und der Bundesregierung. Sowohl Inhalte als auch die Verhandlungsweise sind besorgniserregend.
von 13. Mai 2019
Ein LobbyControl-Aktivist bei Protesten zur EU-Handelspolitik in Brüssel. © LobbyControl

Aus der Not geboren: Neues Mandat für Verhandlungen mit den USA

Als Wirtschaftsminister Altmaier am 30. Januar den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung 2019 vorstellte, betonte er angesichts sich eintrübender Konjunkturaussichten die Chancen einer Neuauflage des Freihandelsabkommens TTIP mit den USA – gewissermaßen TTIP 2.0.

Dazu hatte die EU-Kommission einige Tage zuvor ein Verhandlungsmandat vorgelegt, das die Bundesregierung ausdrücklich begrüße, so Altmaier. In dem Mandat ist festgelegt, wie und worüber die EU-Kommission mit den USA verhandeln soll. Es geht dabei - neben den üblichen Zollsenkungen - ähnlich wie schon bei TTIP auch um sogenannte regulatorische Kooperation.

Hinter dem technisch klingenden Begriff verbergen sich neue Einflussmöglichkeiten für Konzernlobbyisten auf die Politik. Das ist gefährlich, denn Erfahrungen aus der Vergangenheit belegen, dass die regulatorische Kooperation mit den USA zur Schwächung von Verbraucher- und Umweltstandards führen könnte.

Vergangene Woche hat nun – ohne große öffentliche Aufmerksamkeit - die erste Verhandlungsrunde mit den USA in Washington stattgefunden. Der Erfolgsdruck ist groß, vonseiten der USA, von der deutschen Exportindustrielobby und von der Bundesregierung. Keine gute Voraussetzung für ein ausgewogenes Ergebnis.

US-Zolldrohungen und die Basis der neuen Verhandlungen

Stein des Anstoßes für die Aufnahme neuer Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen sind die Drohungen von US-Präsident Donald Trump, Zölle für Autos und Autoteile zu erhöhen, sollte die EU ihre Märkte nicht für weitere US-Produkte öffnen. Eine Erhöhung der US-Zölle würde dem Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft, der Autoindustrie, massiv schaden. Vor diesem Hintergrund sind die im April vom EU-Agrarministerrat bewilligten neuen Verhandlungsmandate für Industriezollsenkungen und regulatorische Kooperation zu sehen.

Ob die EU-Kommission jedoch wirklich auf Basis des Mandats verhandelt oder ob sie möglicherweise darüber hinausgeht, ist derzeit vollkommen unklar. Eine kurze Nebenbemerkung von Handelskommissarin Malmström bei ihrer Pressekonferenz am 15. April 2019 deutet an, dass die Verhandlungen möglicherweise sehr weit gehen. Malmström kommentierte damals, man verhandle mit den USA auch über andere Bereiche, für die es bereits ein Verhandlungsmandat des Rats gebe oder für die man kein formales Mandat benötige, wie etwa im Fall der regulatorischen Kooperation (Englisches Original: „we are also engaged with the US in other areas where we already have authority from the Council or do not need a formal mandate, like in the field of regulatory cooperation.").

Unsere Anfrage an die EU-Kommission vom 15. April, auf der Basis welchen Mandates man denn nun mit den USA Verhandlungen über regulatorische Kooperation führt, blieb trotz mehrfacher Nachfrage bislang unbeantwortet. Damit bleibt unklar, ob das Mandat des Rats die Verhandlungen abdeckt, ob etwa im Rahmen des alten, umstrittenen TTIP-Mandats verhandelt wird oder ob es überhaupt keine Mandatsgrundlage für diesen Bereich der Verhandlungen gibt.

Junckers Mission im Juli 2018: Startschuss für neue Verhandlungen

Um die Dimension der derzeitigen Verhandlungen zu verstehen, gilt es einen Blick zurück zu werfen: In Anbetracht der drohenden Zölle aus den USA war die EU-Kommission bereits Mitte 2018 alarmiert. Kommissionspräsident Juncker reiste Ende Juli nach Washington und traf sich mit US-Präsident Trump zu einem Gespräch über den transatlantischen Handel. Die auf das Gespräch folgende Erklärung war der Startschuss für neue Verhandlungen und ist entscheidend für die Interpretation des aktuellen Verhandlungsmandats.

Ambitionierte transatlantische Handelsagenda

Juncker und Trump einigten sich damals auf eine ambitionierte Agenda: die Abschaffung aller Zölle, aller nicht-tarifären Handelsbarrieren (i.e. Angleichung von Verbraucher- und Umweltstandards) sowie aller Subventionen für Industriegüter mit Ausnahme von Autoprodukten. Explizit genannt werden in der anschließenden Juncker-Trump-Erklärung zudem folgende Sektoren: Dienstleistungen, Chemikalien, Pharma, Medizinprodukte und Sojabohnen. Um diese Agenda umzusetzen, wurde damals eine Arbeitsgruppe („Executive Working Group“) gegründet, die bis heute unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitet und deren Mitglieder nicht bekannt sind. Diese Intransparenz ist in Anbetracht der Sensibilität der Themen skandalös.

Deutsche Exportindustrie macht Druck für Verhandlungen

Doch nicht nur der Druck aus den USA für Verhandlungen ist groß: Schon seit Monaten ist auch die deutsche Industrie nervös und macht sich stark für möglichst umfassende Verhandlungen. Der Verband der deutschen Autoindustrie VDA trommelt für ein „WTO-konformes transatlantisches Abkommen für Industriegüter, das den Automobilsektor einschließt.“ Der VDA weiter: „Die Beseitigung von Importzöllen und größtmögliche Verständigung über Regulierungen wären der richtige Weg.” Dazu traf sich der VDA zwischen September 2018 und Januar 2019 dreimal mit der Handelsdirektion in Brüssel, einmal davon mit Generaldirektor Jean-Luc Démarty und zweimal mit Christian Burgsmueller, dem für die Verhandlungen mit den USA zuständigen Kabinettsmitglied von Handelskommissarin Malmström.

Ähnlich äußert sich der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI. Er begrüßte die Verhandlungsmandate der Kommission und „unterstützt den Abbau von Zöllen und regulatorische[n] Barrieren im transatlantischen Handel.“ Der BDI traf sich ebenfalls im Februar 2019 mit Burgsmueller aus dem Handelsressort der EU-Kommission zu den Verhandlungen mit den USA.

Auch der Maschinenbauindustrieverband VDMA schlägt in dieselbe Kerbe: „Schon lange fordert der VDMA ein schlankes Freihandelsabkommen mit den USA, das alle Industriezölle abbaut und Erleichterungen bei den nicht-tarifären Handelshemmnissen schafft.“ In der Vergangenheit gehörte der Maschinenbauverband zu den treuesten Unterstützern von TTIP, wie ein Brief des Verbands an Handelskommissarin Malmström von 2015 zeigt. Darin macht der Verband deutlich, dass er den Einsatz für TTIP von Handelskommissarin Malmström „sehr schätzt“ (englisch: „strongly appreciate“). Entsprechend begrüßte der VDMA dann auch die Annahme des Mandats durch den Rat am 15. April und sprach von einem „politischen Signal für den Freihandel.“ Durch die Zolldrohungen der USA sieht die deutsche Exportindustrie offenbar eine neue Chance gekommen, um für weitgehende regulatorische Kooperation mit den USA zu werben.

Geheime Dokumente zeigen: Deutschland macht Druck im Rat

Ähnlich sieht es offenbar die Bundesregierung, die sorgenvoll die aktuellen Einbrüche der Auftragszahlen der deutschen Exportindustrie im Blick hat und deshalb – gemeinsam mit Schweden - Druck macht für einen raschen Verhandlungsstart. Das geht aus internen Ratsdokumenten hervor, die LobbyControl vorliegen.

Entsprechend setzte sich Wirtschaftsminister Altmaier zunächst vehement beim informellen Wirtschafts- und Handelsministerrat in Bukarest für neue Verhandlungen mit den USA ein. Im Rat bestand jedoch Ende Februar noch weiterer Diskussionsbedarf über die zwei vorliegenden Mandate. In der anschließenden Pressekonferenz war damals die Rede von „starker Zustimmung“ (englisch: „strong support“), heißt keine volle Zustimmung („full support“), der in Bukarest versammelten Minister.

Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung hat insbesondere Frankreich Vorbehalte, die bis heute nicht vom Tisch sind. Das zeigte sich auch beim Agrarministerrat am 15. April, bei dem Frankreich als einziges Land gegen die Aufnahme von Verhandlungen stimmte. Damit ist das Mandat dennoch angenommen. Kommissarin Malmström machte noch am selben Tag klar, dass sie einen Abschluss der Verhandlungen bis Oktober 2019 anstrebt.

Gefahren bei Verhandlungen mit den USA

Verhandlungen mit den USA sind unter den gegebenen Voraussetzungen aus mehreren Gründen problematisch:

  • In einer Situation, in der die USA erheblichen Druck machen, indem sie mit Zollerhöhungen für die Automobilindustrie drohen – was insbesondere Deutschland betrifft – sind Verhandlungen auf Augenhöhe nicht gegeben. Gerade bei heiklen Umwelt- und Verbraucherstandards droht die Gefahr, dass die Verhandler in Anbetracht der Drohkulisse der US-Seite und dem Druck der deutschen Exportindustrie nachgeben. Diese Gefahr betont auch das Europäische Parlament. Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, dazu: „Außerdem dürfen wir Europäerinnen und Europäer uns nicht an den Verhandlungstisch zwingen und uns dann auch noch den Umfang der Gespräche diktieren lassen.“
  • Da die Arbeitsweise der Executive Working Group vollständig im Geheimen abläuft und Unklarheiten hinsichtlich des Mandats für die Verhandlungen bestehen, werden wir lange nicht wissen, welche Sektoren und Bereiche die regulatorische Kooperation mit den USA umfasst und wie ambitioniert sie angelegt ist. Das ist in Anbetracht der angespannten Handelsbeziehungen doppelt gefährlich.
  • Die USA und die EU haben sehr unterschiedliche Standards und Regulierungen. Das gilt für die Zulassung von Produkten (in den USA sind genmanipulierte Produkte erlaubt), das gilt auch etwa für Pestizidrückstände in Lebensmitteln. Wenn es hier zu einer Anpassung kommt, könnten die hohen EU-Standards unter die Räder kommen.
  • Die USA haben bereits klargemacht, dass sie auf Standards bei Agrarprodukten, freien Datenfluss und weniger Datenschutz abzielen. Das zeigt die Zusammenfassung der US-Verhandlungsziele, die im Januar vom US-Handelsbeauftragten Lighthizer veröffentlicht wurde.

Unsere Forderungen:

  • Transparenz: Offenlegung der Arbeit der Executive Working Group, die Verhandlungen mit den USA seit Mitte 2018 im Geheimen vorbereitet und deren Mitglieder bislang nicht bekannt sind.17
  • Keine Verhandlungen mit den USA unter Druck: Die USA machen massiven Druck im Interesse ihrer wettbewerbsfähigen Agrar- und Internetkonzerne. Das ist keine gute Voraussetzung für ausgewogene Verhandlungen. Auch das Europäische Parlament empfiehlt, die Verhandlungen nicht aufzunehmen.18
  • Keine regulatorische Kooperation in Handelsabkommen: Regulatorische Kooperation degradiert wichtigen Verbraucher- und Umweltschutz zu „Handelsbarrieren.“ Diese Perspektive ist schädlich für Menschen und Umwelt. Zudem schafft regulatorische Kooperation zusätzliche Einflussmöglichkeiten von Lobbyisten auf Gesetzgebung. Wenn überhaupt, muss sie unter demokratischer Kontrolle des Europäischen Parlaments stattfinden.

Weitere Infos:

Analyse des aktuellen Verhandlungsmandats in englischer Sprache.

Unsere kritische Eingabe bei der Konsultation zu regulatorischer Kooperation mit den USA.

Pressekonferenz mit Handelskommissarin Malmström vom 15.4.2019.

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