Pressemitteilung

Junckers Halbzeitbilanz: EU-Kommission auf Kuschelkurs mit Konzernlobbyisten

Berlin, 27.4.2017 – Die EU-Kommission schenkt Konzernlobbyisten weiterhin überproportional viel Aufmerksamkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung aller Lobbytreffen der EU-Kommissare seit Dezember 2014. Demnach hat die Hälfte aller Kommissare mehr als 60 Prozent ihrer Lobbytreffen mit der Wirtschaft. Spitzenreiter sind die Kommissare Bienkowska (Binnenmarkt), Oettinger (ehemals Digitales, jetzt Haushalt) und Katainen (Wachstum, Beschäftigung) mit […]
von 27. April 2017

Berlin, 27.4.2017 – Die EU-Kommission schenkt Konzernlobbyisten weiterhin überproportional viel Aufmerksamkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung aller Lobbytreffen der EU-Kommissare seit Dezember 2014. Demnach hat die Hälfte aller Kommissare mehr als 60 Prozent ihrer Lobbytreffen mit der Wirtschaft. Spitzenreiter sind die Kommissare Bienkowska (Binnenmarkt), Oettinger (ehemals Digitales, jetzt Haushalt) und Katainen (Wachstum, Beschäftigung) mit Werten von 80 bis 87 Prozent. Dies steht im Widerspruch zur Anweisung von EU-Kommissionspräsident Juncker an sein Kollegium, sich um mehr „Ausgewogenheit“ beim Lobbyeinfluss zu bemühen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte zu Beginn seiner Amtszeit gefordert, dass die Kommissionsvertreter bei ihren Lobbytreffen auf mehr „Ausgewogenheit“ achten sollten. Zu Junckers Amtshalbzeit (1. Mai) steht fest: Diesen Worten sind keine Taten gefolgt. So teilte die EU-Kommission auf Nachfrage mit, dass in keiner Generaldirektion ein Dokument existiert, welches sich mit Junckers Ausgewogenheits-Aufforderung befasst.

Zudem belegt eine Auswertung aller Lobbytreffen seit Dezember 2014 durch LobbyControl und ALTER-EU: Von den 19 Kommissaren, die eine relevante Anzahl von mindestens 50 Lobbytreffen hatten, haben sich zwölf zu mindestens 60 Prozent mit Konzernvertretern getroffen. Das entspricht einem Anteil von knapp zwei Dritteln. Spitzenreiter sind die Kommissare Elzbieta Bieńkowska (Binnenmarkt/ 87 Prozent), Günther Oettinger (Personal & Haushalt, zuvor Digitales/ 83 Prozent) und Jyrki Katainen (Wachstum & Beschäftigung/ 80 Prozent). Die fünf wichtigsten Lobbyakteure insgesamt sind der Arbeitgeberverband BusinessEurope, der Internetgigant Google, das Europäische Büro der Verbraucherschutzorganisationen, der Flugzeughersteller Airbus und der Technologieverband DigitalEurope.

Nina Katzemich, EU-Expertin bei LobbyControl, kommentiert: „Die Politik sollte primär den Bürgerinnen und Bürgern dienen, nicht der Wirtschaft. Unsere Auswertung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die EU diesem Anspruch nicht gerecht wird. Das muss sich dringend ändern. Wohin eine zu große Nähe zwischen Politik und Konzernen führt, sieht man bei den Handelsabkommen CETA und TTIP oder dem aktuellen Abgasskandal. So haben die Automobilunternehmen Maßnahmen für weniger CO2 und bessere Abgastests durch Lobbyarbeit bei allen EU-Insitutionen und Mitgliestaaten seit Jahren immer wieder erfolgreich verwässert und verzögert.“

Das Ranking belegt auch, dass es im Ermessen der Kommissare liegt, wie sie mit Lobbyisten umgehen und wem sie wie viel Gehör schenken. Die Kommissarin für Arbeit & Soziales, Marianne Thyssen, hat zum Beispiel einen Anteil von Unternehmervertretern von lediglich 34 Prozent. Bei Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis sind es 49 Prozent. „Er ist auch der einzige, der sich an eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO hält, indem er Treffen mit Tabaklobbyisten auf das nötigste beschränkt und für größte Transparenz über diese Treffen sorgt. Es ist erschreckend, dass er damit die Ausnahme ist und nicht die Norm“, sagt Nina Katzemich. „Die ganze EU-Kommissare müsste der Empfehlung folgen.“

Katzemich weiter: „Dennoch begrüßen wir ausdrücklich, dass Juncker zu Beginn seiner Amtszeit die EU-Kommissare und ihre Kabinette verpflichtete, ihre Lobbytreffen zu veröffentlichen. Die Bundesregierung bietet nicht annähernd so viel Transparenz.“

LobbyControl und ALTER-EU fordern, dass Juncker in seiner zweiten Halbzeit seinen schönen Worten Taten folgen lässt. Gemeinsam mit seinen Kommissarinnen und Kommissaren muss er jetzt zügig Strategien beraten, wie die Vorgabe, sich um Ausgewogenheit beim Lobbyeinfluss zu bemühen, in allen Generaldirektionen umgesetzt werden kann. Dabei können sie sich an best-practice-Beispielen von KollegInnen wie Marianne Thyssen, Vytenis Andriukaitis oder Vera Jourova orientieren.

Hinweis an die Redaktion
Infografiken im Stile von Pannini-Abziehbildern mit den Daten zu den einzelnen KommissarInnen finden Sie hier.
Die Rohdaten zu den einzelnen KommissarInnen stellen wir auf Nachfrage gerne bereit. Die Übersicht mit den Top-Lobbyakteuren finden Sie hier.

Hintergrund zur Methodik
Die Auswertung basiert auf Daten der von Transparency International betriebenen Webseite http://www.integritywatch.eu/ (letzter Zugriff am 18./19. April).
Als Unternehmenslobbyisten zählen Vertreter von Anwaltskanzleien, Berater, Unternehmen, in-house Lobbyisten und Wirtschaftsverbände.
Als Lobbytreffen wurden einzelne „Lobbykontakte“ gewertet. Bei Einzeltreffen mit mehreren Lobbyisten wurden diese entsprechend mehrfach gewertet und den einzelnen Akteuren zugeordnet.

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