Nebeneinkünfte

Lobbyskandal im EU-Parlament zeigt dringenden Bedarf für striktere Regeln

Wie die britische Sunday Times am Sonntag (20.3., Artikel kostenpflichtig) aufdeckte, hat sie drei Mitglieder des Europäischen Parlements der Bestechlichkeit überführt. Alle drei zeigten sich bereit, auf ein Angebot von Undercover-Reportern einzugehen und gegen Bezahlung auf Gesetzesänderungen im EU-Parlament hinzuwirken. Dieser Skandal ist zwar in seiner Dreistigkeit einzigartig, er ist aber zugleich exemplarisch für Probleme […]
von 22. März 2011
Ernst Strasser

Ernst Strasser, fotografiert von Michael Thurm (http://www.flickr.com/photos/farbfilmvergesser/); CC BY-NC-ND 2.0

Wie die britische Sunday Times am Sonntag (20.3., Artikel kostenpflichtig) aufdeckte, hat sie drei Mitglieder des Europäischen Parlements der Bestechlichkeit überführt. Alle drei zeigten sich bereit, auf ein Angebot von Undercover-Reportern einzugehen und gegen Bezahlung auf Gesetzesänderungen im EU-Parlament hinzuwirken. Dieser Skandal ist zwar in seiner Dreistigkeit einzigartig, er ist aber zugleich exemplarisch für Probleme im EU-Parlament, auf die wir seit langem hinweisen: Viel zu schwache Vorgaben für ethische Regeln und Interessenkonflikte sowie eine zu große Nähe zwischen Politik und Wirtschaftslobby, die sich unter anderem an zahlreichen Lobbynebentätigkeiten der Abgeordneten aufzeigen lässt. LobbyControl fordert das Europäische Parlament auf, es nicht bei der Untersuchung dieser drei Skandalfälle zu belassen.

Die Videos, die Sunday Times-Reporter von Gesprächen mit den drei überführten Abgteordneten Ernst Strasser (ehemaliger österreichischer Innenminister), Adrian Severin (ehemaliger rumänischer Außenminister) und und Zoran Thaler (ehemaliger slowenischer Außenminister) aufgenommen haben, bestätigen, dass sie der – vermeintlichen – Bestechung zugestimmt hatten, nachdem ihnen die Investigativreporter getarnt als Lobbyisten hohe Summen angeboten hatten.

I’m a lobbyist
Auch abgesehen von der Beweisführung sind die Videos sehenswert. „I’m a lobbyist“, erklärt der ÖVP-Europaparlamentsabgeordnete Ernst Strasser ziemlich unverblümt den vermeintlichen Lobbyisten. Ein Mitglied des Europäischen Parlaments zu sein, öffne ihm die Türen auf eine andere Art, als für Lobbyisten. Er wollte seine Position in Brüssel nutzen, um sich ein Netzwerk aufzubauen, das er für seine eigene Lobbyingfirma einsetzen kann. „This is a very good combination“, erklärt er weiter. Und auf die Frage, wie diese zwei Rollen zusammengehen, Abgeordneter und Lobbyist, antwortet er: „Oh, they work very well“. Das Video ist auf Youtube scheinbar aufgrund von Urheberrechten derzeit leider nicht einsehbar. Bedauerlich, denn mehr noch als die einzelnen Zitate gibt es einen Einblick in die Denkweise eines Politikers, für den das EU-Abgeordnetenmandat nichts anderes zu sein scheint als das Sprungbrett in den berühmten mit Geld gefüllten Swimmingpool.

60 EU-Parlamentarier versuchten die britischen Investigativ-Journalisten mit einem Honorar von bis zu 100.000 Euro und weiteren Gefälligkeiten zu ködern, immerhin 14 davon zeigten sich interessiert. Drei von ihnen unternahmen letzen Endes konkrete Schritte; setzten Vorgaben der als Lobbyisten getarnten Journalisten um. Alle drei sollten eine EU-Richtlinie über den Anlegerschutz von Investmentfirmen im Auftrag einer britischen Finanzfirma abändern. Strasser hatte zwei seiner EU-Kollegen im vergangenen Februar laut deren Aussagen zur Einbringung des Änderungsantrags gedrängt, wie unter anderem das Tiroler Tagblatt berichtet. Adrian Severin, der auch ehemaliger Vizepremier Rumäniens ist und als aussichtsreicher Kandidat für den Posten für das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik galt, schickte anscheinend sogar schon eine Rechnung über 12.000 Euro für seine Dienste. Er weigert sich weiterhin, zurückzutreten. Zoran Thaler, ehemaliger Außenminister Sloweniens, forderte laut Presse, dass sein Honorar über eine Londoner Firma fließen solle, um es geheim zu halten.

Strasser bezog Kunden auch über eigene Lobbyfirma

Wie das Interview zeigt, hatte Strasser bereits ein Netz an etwa fünf „Kunden“ aufgebaut, die ihm laut eigener Aussage 100.000 Euro pro Jahr bezahlen.Teilweise kamen diese Kunden wohl auch über die Beratungsfirma CCE – Consulting GesmbH, bei der er geschäftsführender Gesellschafter ist, wie er in seiner Erklärung der finanziellen Interessen für das EU-Parlament auch angibt. Vom Lobbyisten Peter Hochegger hatte er beispielsweise über die Firma zwischen 2006 und 2008 ein Honorar von 100.000 Euro erhalten, laut dem österreichischen Wirtschaftsblatt beriet er Hochegger bei der Beratung der bulgarischen Regierung. Diese Einkünfte hat er allerdings nicht in seiner Interessenerklärung angegeben, wie er eigentlich müsste. Er müsse schließlich „seine Klienten zu schützen“, wie er ja im Video angibt.

Nicht nur Bestechung sondern auch Lobby-Nebentätigkeiten bekämpfen

Insgesamt zeigen die Details der Geschichte vor allem das Gesamtproblem, das wir gemeinsam mit unserem Europäischen Netzwerk ALTER-EU seit Langem kritisieren: Erstens, die Vorgaben des Europäischen Parlaments zu Transparenz und finanziellen Interessen der Mitglieder sind weit davon entfernt, einen wirklichen Verhaltenskodex abzugeben. So ist zum Beispiel jede Nebentätigkeit erlaubt, auch eine klare Lobbytätigkeit, die Einnahmen für derartige Tätigkeiten sind nicht anzugeben. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle aufgedeckt, in denen Abgeordnete Nebentätigkeiten hatten, die sich klar mit ihren politischen Themen überschneiden. Wo Abgeordnete „Diener zweier Herren“ sind – der Politik und eines Unternehmens – sind Interessenkonflikte vorprogrammiert. Im Jahr 2008 hat die britische Nichtregierungsorganisation „Spinwatch“ in ihrer Studie Too close for Comfort dafür zwölf Beispiele aufgezeigt. Erst letzte Woche hat der EU-Korrespondent John O’Donnell zum selben Thema einen lesenswerten Bericht für die Agentur Reuters mit dem Titel The Rise of the EU-Lobby herausgegeben. Erstaunlich ist auch, dass EU-Abgeordnete scheinbar legal finanzielle, personelle oder materielle Unterstützung zusätzlich zu den vom Parlament bereitgestellten Mitteln im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit annehmen dürfen, wenn die Identität dieser Dritten angegeben wird. „Die Mitglieder versagen sich bei der Ausübung ihres Mandats die Annahme aller anderen Geschenke oder Zuwendungen“. Dieser anschließende Satz lässt viel Interpretationsspielraum offen.

Auch die Kontrolle scheint nicht gegeben – ansonsten hätte jemand zumindest das breit in der österreichischen Presse diskutierte Honorar von Peter Hochegger bemerken und das Fehlen dieser Tätigkeit in der Interessenerklärung Strassers munieren müssen. Es sei denn, es wurde als Teil seiner Arbeit als Geschäftsführer der CCE – Consulting GesmbH gewertet.

Das europäische Parlament darf nun nicht nur die drei groben Fälle von Bestechung untersuchen. Es sollte sich endlich ein Bild von den gesamten Nebentätigkeiten seiner Abgeordneten machen und Lobbytätigkeiten ausdrücklich verbieten. Andere Nebentätigkeiten müssen mit dazugehörigen Einnahmen in der Erklärung angegeben werden. Geschenke und Zuwendungen von außen sollten ab einer bestimmten Höhe generell überprüft – und das ganze dann auch wirklich kontrolliert werden.

Übrigens: Auf der Facebook-Seite des Grünen Europa-Abgeordneten Sven Gigold findet sich der Hinweis, dass offenbar auch der Nachfolger von Strasser, Dr. Hubert Pirker, ein Lobbyist ist. Seine Webseite mit der Firma Tri-Consulting wurde kürzlich gelöscht, ist aber im Google Cache noch zu finden.

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