Lobbyismus in der EU

Wie navigiert man durch das Brüsseler Lobbylabyrinth?

Noch immer verstoßen zahlreiche Abgeordnete des EU-Parlaments gegen den offiziellen Verhaltenskodex – bislang ohne Folgen. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern von der Allianz für Lobby-Transparenz und ethische Regeln (ALTER-EU) haben wir deshalb einen Ethik-Leitfaden für Abgeordnete herausgebracht.
von 1. April 2015

Noch immer verstoßen zahlreiche Abgeordnete des EU-Parlaments gegen den offiziellen Verhaltenskodex – bislang ohne Folgen. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern von der Allianz für Lobby-Transparenz und ethische Regeln (ALTER-EU) haben wir deshalb einen Ethik-Leitfaden für Abgeordnete herausgebracht. Der Leitfaden zeigt, wie man als Parlamentarier Interessenkonflikte oder Vereinnahmungen durch Lobbyisten vermeidet. Zugleich liefern wir zehn Verbesserungsvorschläge für den derzeitigen Verhaltenskodex.

Weiterhin zahlreiche Abgeordnete mit Interessenkonflikten

Das Foto zeigt das Cover unseres Ethik-Leitfadens für EU-Parlamentarier.

Das Foto zeigt das Cover unseres Ethik-Leitfadens für EU-Parlamentarier.

Auch im neu gewählten EU-Parlament gibt es wieder zahlreiche Abgeordnete mit Interessenkonflikten. In Kürze werden wir eine Studie herausbringen, in der wir konkrete Fälle aufzeigen. Ein bereits bekanntes Beispiel ist die französische Abgeordnete und ehemalige Ministerin Rachida Dati: Als Anwältin verdient sie neben ihrem Parlamentsmandat über 10.000 Euro. Dies gibt sie in ihrer finanziellen Interessenserklärung an. Französische Medien berichteten 2013, sie berate im Rahmen dieser Tätigkeit unter anderem den französischen Konzern GDF Suez, der Lobbyarbeit bei den Europäischen Institutionen betreibt. Gerade in Zusammenhang mit ihrem damaligen stellvertretenden Sitz im Industrieausschuss ergibt dies einen glasklaren Interessenkonflikt. Unserer Meinung nach verstößt ein solcher Interessenkonflikt eindeutig gegen den EU-Verhaltenskodex. Auf unser Schreiben dazu hat Dati nie geantwortet.

Parlamentspräsident Schulz verweigert die Umsetzung des Verhaltenskodex

Das Problem: Obwohl es seit drei Jahren einen akzeptablen Verhaltenskodex für die EU-Abgeordneten gibt, wurde kein einziger Verstoß gegen ihn in den vergangenen Jahren geahndet. Parlamentspräsident Martin Schulz verweigert jede Aktivität im Rahmen des Kodex. Und das, obwohl er während des Europawahlkampfs 2014 stets seine angeblich lobbykritische Haltung betonte. Selbst wenn das zuständige Ethik-Kommittee einmal Konsequenzen oder Aktivitäten forderte, ist ihnen der Parlamentspräsident meist nicht gefolgt. So auch im Fall Dati: Das Ethik-Kommittee forderte eine offizielle Untersuchung des Falles, aber soweit wir wissen, hat es diese nie gegeben. Auch Beschwerden von ALTER-EU zu bestimmten Abgeordneten ist er nie nachgegangen. Entsprechende abschlägige Antworten erhielten wir manchmal erst Monate später.

Aber damit nicht genug: Parlamentspräsident Schulz selbst hat in einem offiziellen Schreiben den Wortlaut des Verhaltenskodex  etrem weich interpretiert. Seiner Meinung nach ist es genug, Interessenkonflikte transparent zu machen, man muss sie nicht auflösen. Das widerspricht klar dem Wortlaut des Kodex. Diese Interpretation wurde aber in die offiziellen Benutzerleitlinien zum Kodex aufgenommen.

10 Forderungen von ALTER-EU zur Umsetzung und Verbesserung des Kodex

Wir haben daher die Vorstellung unseres Ethik-Leitfadens dazu genutzt, mit Abgeordneten im EU-Parlament über die mangelnde Umsetzung des Verhatenskodex zu diskutieren. In unserem neuen Positionspapier haben wir zehn Forderungen zum Verhaltenskodex aufgestellt. Eine zentrale Forderung ist logischerweise, den Kodex endlich umzusetzen. Dazu muss klargestellt werden, welche Nebentätigkeiten einen Interessenkonflikt darstellen, und dass es nicht damit getan ist, diese nur transparent zu machen. Auch müssen die Sanktionen verstärkt werden, und das Ethik-Komitee soll selbst Nachforschungen anstellen können, wenn es konkrete Hinweise bekommt.

Der britische Abgeordnete Richard Corbett kündigte an, die Labour-Abgeordneten im EU-Parlament werden sich selbst verpflichten, keinen Nebentätigkeiten mit einem Lobbyhintergrund nachzugehen. Auch werden sie sich für eine Revision des Verhaltenskodex einsetzen. Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold erklärte, Martin Schulz habe schlampig gearbeitet, was die Umsetzung des Kodex betrifft.

17 Empfehlungen für das Brüsseler Lobbylabyrinth

Der Ethik-Leitfaden selbst zeigt 17 Beispiele von vorbildlicher Verhaltensweise. Darunter sind Ratschläge, wie der Verhaltenskodex unserer Einschätzung nach richtig einzuhalten ist oder wie man sogar darüber hinaus gehen kann. Zahlreiche Empfehlungen befassen sich mit Fragen, welche Fehler man im täglichen Umgang mit Lobbyisten unbedingt vermeiden sollte. Hier geht es beispielsweise um die Einladung zu kostspieligen Reisen durch Lobbyisten oder auch den Umgang mit fragwürdigen Regimen – 2014 wurden sieben Abgeordnete von der aserbaidschanischen Regierung – bzw. ihre nahestehenden Organisationen –  zur „Wahlbeobachtung“ in 5-Sterne-Hotels eingeladen (mehrere davon bezeichneten die Wahlen im Nachhinein als „frei und fair“, obwohl sie bei weitem nicht frei und fair waren.) Oder um die Frage, wie man mit den unzähligen ausformulierten Änderungsvorschlägen umgehen sollte, die mit der Bitte um wortgetreue Übernahme von Lobbyisten an Abgeordnetenbüros geschickt werden. Ein dritter Aspekt, mit dem wir uns befassen, ist wie Abgeordnete zu  Vorreitern in Sachen Transparenz werden können. Zum Beispiel, indem sie all ihre Treffen mit Lobbyisten online auflisten, sich nicht mit unregistrierten Lobbyakteuren treffen, oder als Berichterstatter zu einem bestimmten Dossier eine Liste vorlegen, die aufzeigt, welche Akteure Einfluss auf ihren Bericht ausgeübt haben.

Hoffnung liegt bei lobbykritischen Parlamentariern

Bis der Verhaltenskodex effektiv umgesetzt wird, müssen wir darauf setzen, dass möglichst viele Abgeordnete den Ratschlägen unseres Ethik-Leitfaden folgen. Grund zur Hoffnung gibt es da durchaus. Denn bei den Neuwahlen zum Europäischen Parlament sind 180 Abgeordnete ins Parlament eingezogen, die unsere lobbykritische „Politics-for-People“-Kampagne unterstützen. Sie haben den Wählerinnen und Wählern versprochen, sich nicht von Lobbyisten vereinnahmen zu lassen und Transparenz und Ethik im Europäischen Parlament voranzubringen. Sie wollen wir mit unserem Ethikleitfaden unterstützen und darin bestärken, Parlamentspräsident Schulz zu einer effektiven Umsetzung des Kodex zu drängen.

Weitere Infos:

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