Lobbyismus in der EU

Oettinger will Politikberatung gründen – Überprüfung durch Kommission steht noch aus

Die neue EU-Kommission ist noch nicht im Amt, da wird schon der erste Seitenwechsel eines scheidenden Kommissars bekannt: Günther Oettinger will eine Politikberatung gründen, ganz wie sein Amtsvorgänger Verheugen. Die Ethik-Kommission muss seinem Plan, sich als Lobbyist zu vermarkten, nun enge Grenzen setzen.
von 1. August 2019
Martin Kraft - CC-BY 3.0
Günther Oettinger 2014. Fotograf: Martin Kraft, CC BY 3.0 de

Die neue EU-Kommission ist noch nicht im Amt, da wird schon der erste Seitenwechsel eines scheidenden Kommissars bekannt: Günther Oettinger, derzeit zuständig für Haushalt und Personal, hat in Hamburg eine Wirtschafts- und Politikberatung gegründet. Oettinger, der zuvor bereits Kommissar für Energie sowie für Digitales war, wird bei seiner neuen Tätigkeit auf eine enorme Bandbreite internen Wissens und politischer und ökonomischer Netzwerke zurückgreifen können.

Ein Fall für das Ethik-Komitee

Begrüßenswert im Fall Oettinger ist: Kommissionschef Juncker bat am vergangenen Montag das unabhängige Ethik-Komitee um Stellungnahme. Das Komitee soll nun prüfen, ob Oettingers geplante Beratungstätigkeit Auswirkungen auf seine verbleibende Amtszeit hat, und ob nach Ende der Amtszeit Konflikte mit dem Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder zu befürchten sind. Das Ethik-Komitee muss immer dann befragt werden, wenn die geplante neue Tätigkeit mit dem Ressort des ehemaligen Kommissionsmitglieds in Verbindung steht. Bei einem bisher unklaren Profil der Beratungstätigkeit und der Tatsache, dass Oettinger innerhalb von knapp 10 Jahren in drei Ressorts Erfahrungen sammeln konnte, ist dies natürlich der Fall. Die Zukunftspläne des Kommissars dürften somit nur eingeschränkt umsetzbar sein. Damit das Komitee den Rahmen des Erlaubten korrekt abstecken kann, fordern wir Herrn Oettinger auf, genaue und vollständige Angaben zu den Bereichen seiner neuen Agentur zu machen.

Vorbild Verheugen?

Mit der Idee, eine Politikberatung zu eröffnen, tritt er in die Fußstapfen seines deutschen Amtsvorgängers Günter Verheugen. Mit einem wichtigen Unterschied: Oettinger kündigt seine Zukunftspläne frühzeitig an. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Selbstverständlichkeit – denn so schreibt es der Verhaltenskodex für scheidende Kommissar*innen schließlich vor. Verheugen hatte es damals allerdings nicht für nötig gehalten, dies der Kommission zu melden. Erst durch einen Medienbericht wurde der Wechsel aufgedeckt – das blieb aber folgenlos.

Seither wurde der entsprechende Ethikkodex bereits zweimal strenger gefasst. Er besagt nun, dass ehemalige Kommissar*innen zwei Jahre nach dem Ende ihrer Amtszeit keine Interessen an die Kommission herantragen dürfen, die in Verbindung zu ihrem ehemaligen Ressort stehen. Herr Oettinger darf also nicht erwarten, dass Interessenkonflikte schon ausgeräumt sind, indem er die Arbeit erst nach Amtsniederlegung aufnimmt, wie er seine Sprecherin ausrichten ließ. Dies erfüllt in Wahrheit lediglich eine weitere Mindestanforderung, denn Kommissare dürfen neben ihrem Amt keine Nebentätigkeiten ausführen.

Lobbyberatung bleibt problematisch – direkt wie indirekt

Nach Auffassung von LobbyControl sollten die Mitglieder des Ethikkomitees das Kontaktverbot mit der Kommission streng auslegen: Fast 10 Jahre Amtszeit bei der Kommission und der so erworbene Wissensschatz sprechen dafür, dass Herr Oettinger und seine neue Politikberatung für mindestens zwei Jahre überhaupt keine Lobbyarbeit bei der EU-Kommission betreiben dürfen sollte.

Problematisch wäre jedoch nicht nur die Interessenvertretung durch Oettinger bei den EU-Institutionen. Sein Wissen könnte er darüber hinaus bei der Beratung externer Unternehmen einbringen, und diesen so wertvolle Tipps für ihren Umgang mit den Institutionen verschaffen. Eine solche Tätigkeit würde zwar nicht unter die expliziten Bestimmungen des Verhaltenskodex fallen. Laut Artikel 11 des Kodex sind ehemalige Kommissionsmitglieder aber dazu verpflichtet, sich „weiter an die Pflicht zur Integrität und Diskretion“ zu halten. Es stünde dem Ethik-Komitee und Kommissionspräsident Juncker also offen, Oettingers Tätigkeiten im Hinblick auf genau diese Integrität und Diskretion zu bewerten.

Übrigens befand das Ethikkomitee auch im Fall Verheugen, dass dessen breit aufgestellte Beratungstätigkeit Gefahr laufe, in Konflikt mit früheren Geschäftsbereichen zu geraten. Damals hatte sich die Kommission noch über das Votum des Ethikkomitees hinweggesetzt. Im aktuellen Fall aber dürfte Juncker diesem Beispiel nicht folgen. Denn die vielen Seitenwechsel von ehemaligen Kommissar*innen in der Vergangenheit haben das Vertrauen in die Politik beschädigt. Neben José Manuel Barroso gehören dazu auch der neue Posten der ehemaligen Wettbewerbs- und Digitalkommissarin Neelie Kroes bei Uber und salesforce und der des ehemaligen Handelskommissars de Gucht bei ArcelorMittal. Als Reaktion darauf führte Kommissionspräsident Juncker einen deutlich verbesserten Ethikkodex für Kommissare ein, der nun hoffentlich auch rigoros Anwendung finden wird.

Immer noch Lücken im Verhaltenskodex

Unsere Analyse zeigt , dass der Verhaltenskodex nach wie vor problematische Lücken aufweist. Eine der Aufgabe der neuen Kommission um Ursula von der Leyen wird entsprechend darin bestehen, die Nutzung von Insiderwissen bei der Beratung von Unternehmen nach Seitenwechseln zu verhindern. Auch die Abkühlphase von derzeit zwei Jahren ist längst nicht ausreichend. Wir fordern eine Verlängerung der Karenzzeit auf drei Jahre für Kommissar*innen und auf fünf Jahre für den oder die Kommissionspräsident*in. In dieser Zeit muss ein umfassendes Verbot von Lobbytätigkeiten gelten.

Auch die Regelungen in Bezug auf das Ethikkomitee, vor allem in puncto Unabhängigkeit, sind ausbaufähig: Derzeit ist es mit einem ehemaligen EU-Beamten, einer externen Beraterin (special advisor) des amtierenden Gesundheitskommissars und einem ehemaligen EuGH-Richter besetzt. Den Wechsel von Ex-Kommissionspräsident Barroso zu Goldman Sachs hat es genehmigt. Ob die Entscheidung im Fall Oettinger ein Signal gegen die Drehtür zwischen Kommission und Privatwirtschaft setzt, wird sich zeigen. Wir werden den Fall für Sie weiter verfolgen.

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