Lobbyismus in der EU

Eurogruppe: Hinterzimmerpolitik im Herzen Europas

Eines der mächtigsten Gremien der europäischen Politik tagt bislang im Geheimen: Die Eurogruppe – eine informelle Arbeitsgruppe des Rats der EU. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Rat endlich Transparenz und demokratische Kontrolle braucht.
von 15. August 2016

Eines der mächtigsten Gremien der europäischen Politik tagt bislang im Geheimen: Die Eurogruppe – eine informelle Arbeitsgruppe des Rats der EU – entscheidet zwar über Griechenland-Rettungspakete. Doch die intern laufenden Abstimmungen werden der Öffentlichkeit vorenthalten. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Rat und seine Arbeitsgruppen endlich Transparenz und demokratische Kontrolle brauchen.

Was ist und macht die Eurogruppe?

Finanzminister Schäuble beim Sondertreffen der Eurogruppe am 9. Mai 2016 in Brüssel.

Finanzminister Schäuble beim Sondertreffen der Eurogruppe am 9. Mai 2016 in Brüssel.

Die Eurogruppe ist eine informelle Arbeitsgruppe des Rats der Europäischen Union. In ihr koordinieren die für Finanzen zuständigen Minister der Euro-Länder die Wirtschaftspolitik innerhalb des Währungsraumes. Der Wirtschafts- und Währungskommissar der Europäischen Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) nehmen in der Regel ebenfalls an den Treffen teil.

In der Eurogruppe werden zwar formal keine Entscheidungen getroffen. Aber faktisch werden sie dort gefällt und dann im Rat der EU-Finanzminister (ECOFIN) beziehungweise in einzelnen Fällen von den nationalen Parlamenten durchgewunken. Die haushalts- und wirtschaftspolitische Überwachung der Staaten der Eurozone findet in diesem informellen Gremium statt. Hier werden Staatsverschuldung, Sparmaßnahmen und Rettungspakete für die vom Finanzcrash am härtesten getroffenen Länder diskutiert. Und es werden dazu weitreichende Entscheidungen getroffen, die alle Bürgerinnen und Bürger in der EU betreffen und angehen. Letztlich hängen Wohl und Wehe unserer Volkswirtschaften, und damit die Existenz von Millionen Menschen davon ab, wer dort wie entscheidet. Die Entscheidungen werden zwar im Konsens getroffen, allerdings sind mächtigere Staaten wie Deutschland eine „de facto Vetomacht.“

Transparenz unzureichend

Lange tagte die Eurogruppe vollständig im Geheimen. Doch im Sommer 2015 kam es zwischen dem griechischen Finanzminister Varoufakis, seinem Amtskollegen Schäuble und dem Eurogruppen-Chef Dijsselbloem zum Eklat. Die Geheimniskrämerei wurde erstmals zum Gegenstand eines Streits auf offener Bühne, und im Dezember 2015 reagierte der Eurogruppen-Chef Dijsselbloem auf den zunehmenden öffentlichen Druck. Seither werden die Tagesordnungen der Treffen, eine Zusammenfassung der Sitzung aus Sicht des Präsidenten und ausgewählte Teile von Sitzungsdokumenten veröffentlicht.

Dijsselbloems Einlenken wurde von der Europäischen Bürgerbeauftragten O’Reilly begrüßt – doch sie machte auch klar, dass seine Minimal-Maßnahmen nicht reichen. Ihr Einspruch blieb allerdings bis heute folgenlos.

Demokratische Kontrolle: Fehlanzeige

Da ist etwa die Arbeitsgruppe, welche die Sitzungen der Eurogruppe vorbereitet, die sogenannte Eurozone Working Group: Sie tagt weiter komplett im Geheimen. Zudem reichen eine Tagesordnung und eine subjektive – von persönlichen und machtpolitischen Kriterien geprägte – Zusammenfassung einer Sitzung nicht aus, um den Verlauf einer Sitzung nachzuvollziehen. Informationen über unterschiedliche Positionen der Mitgliedsstaaten und ihre Argumente, über die Diskussionen und Auseinandersetzungen innerhalb des Gremiums – Fehlanzeige. Es wird nicht einmal veröffentlicht, wie welche Regierung abgestimmt hat! Wir Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, mehr zu erfahren – denn anders ist demokratische Kontrolle nicht möglich.

Doppeltes Spiel auf unsere Kosten

Die Geheimhaltung erlaubt Regierungen ein doppeltes Spiel auf Kosten der Wählerinnen und Wähler. Insider sagen: In den Ratsgruppen setzen sich Regierungen immer wieder für Vorschläge ein, die von den Bürgern ihres Landes nicht gewollt werden, aber den Regierungsvertretern oder ihnen nahestehenden Lobbyisten von Vorteil sind. Zuhause verkaufen sie dann das selbst herbeigeführte Ergebnis als ungeliebtes Diktat aus Brüssel, gegen das sie sich leider nicht durchsetzen konnten. Auch der britische Premier Cameron trieb jahrelang ein solches Spiel – bis es zu spät war.

Rat muss insgesamt transparent werden

Die Eurogruppe ist nur eine der vielen politisch bedeutsamen Arbeitsgruppen des Rats – mit dem Sonderstatus des „Informellen“, weil nicht alle EU-Staaten in ihr vertreten sind. Doch in den anderen Rats-Arbeitsgruppen sieht es nicht besser aus. Die wechselnden Vorsitzenden interpretieren die Geschäftsordnung willkürlich, je nach Laune gibt es sporadisch mal ein Protokoll oder monatelang/meistens keins. Solche Praktiken lassen den Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern, in deren Auftrag sie schließlich handeln sollen, vermissen. Sie verstärken das Misstrauen, das viele Menschen gegen „Brüssel“ hegen, gefährden das europäische Projekt und sind einer Demokratie schlichtweg unwürdig. Europa kann nur gelingen, wenn seine Institutionen offen, transparent und bürgernah sind. Wir fordern eine grundlegende Abkehr von der Geheimniskrämerei. Zumindest sollte für die europäische Öffentlichkeit sichtbar werden, welche Regierung wie abgestimmt hat. Nur so kann verhindert werden, dass die Regierungen auf EU-Ebene das eine beschließen und zu Hause ihren Wählerinnen und Wählern etwas anderes erzählen können.

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Bild: Bundesfinanzministerium.

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3 Kommentare

Traumschau16. August 2016 um 6:58

Die Eurogruppe gehört aufgelöst und ersatzlos gestrichen! Ich glaube ferner nicht daran, dass es gelingt die europäischen Institutionen zu demokratisieren. Und weil eine Demokratisierung von den Eliten auch gar nicht gewünscht ist sondern ganz im Gegenteil, die Souveränität der Staaten vollständig nach Brüssel übertragen werden soll, wird die Eurozone aufgrund der unzureichenden Legitimation auseinander brechen. Die Menschen in Europa sehen die Verwerfungen und Katastrophen, die das neoliberale EU-Projekt angerichtet hat. Sie verstehen, dass Abkommen wie TTIP, TISA, CETA nur dann durchgedrückt werden können, wenn Brüssel die die alleinige Entscheidungskompetenz hat. Der ökonomische Hebel, mit welchem die Staaten gefügig gemacht werden, ist eben nur durch eine im Kern faschistoide Ideologie und supranationale Konstruktion erfolgreich. Das lehnt die breite Masse der Bevölkerung vehement ab. Die Eurozone ist am Ende – das haben die Politik-Eliten aber noch nicht verstanden. Wir sollten uns lieber auf den Zusammenbruch der Eurozone vorbereiten, denn in Italien und Frankreich stehen Wahlen an …

Fritz - Ulrich Hein16. August 2016 um 10:33

Darum brauchen wir einen totalen Umbau der Eurogruppe ohne abgehalfterte/abgeschobene Politiker.

Jörg Feder16. August 2016 um 12:38

Zunächst mal zu mir: Ich bin Familienvater mit 4 Kindern, das Familieneinkommen will ich mal mit „Facharbeiterniveau“ bezeichnen. Zwar bin ich Kleinunternehmer, aber nicht wirklich „Lobbyistenzielgruppe“
Andererseits kann ich Ihrer Forderung so gar nicht zustimmen.
Begründung:
A) Wahlrecht: die gewählten Volksvertreter entscheiden autark. Rechenschaftlegung über das Abstimmungsverhalten wäre Systemwiedrig. Die komplette Regierungsarbeit müsste im Ergebnis auf „imperatives Mandat“ umgestellt werden.

B) Sicherstellung der Durchführbarkeit: Die Entscheidungen haben Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn während der Diskusion Teilergebnisse bekannt werden, werden diese Grundlage für Währungsspekulationen und haben damit Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse. Spekulanten hätten es auch leichter bestimmte „Rahmendedingungen“ zu generieren. Letztendlich würde zu viel Transparenz den Spekulanten mehr nützen als dem Bürger.

C) Analogie zur Innenpolitik: Gibt es offene Protokolle der Kabinettssitzungen, warum welcher Minister sich in dieser Frage wie entschieden hat?

D) Regierbarkeit: nehmen wir mal aus Punkt C) heraus an, die Kabinetts-Etatverhandlungen wären öffentlich und kämen abends im Fernsehen und jede Interessengruppe würde sofort kommentieren.
Ein Konsens und damit Etatplan für das nächste Jahr wäre nicht zu schaffen.