Lobbyismus in der EU

Neue Kampagne gegen Wechsel von EU-Beamten in Lobbyjobs

In Brüssel gibt es keine wirksamen Regeln, wenn Angestellte und Beamte der EU die Seite wechseln und Lobbyisten werden. Dies kann zu Machtmissbrauch und Interessenkonflikten führen. Mit der Allianz für Lobby Transparenz und ethische Regeln (ALTER-EU) haben wir heute eine Studie veröffentlicht, die 15 solcher Wechsel untersucht. Die Veröffentlichung ist der Auftakt einer gemeinsamen Kampagne, […]
von 24. November 2011

In Brüssel gibt es keine wirksamen Regeln, wenn Angestellte und Beamte der EU die Seite wechseln und Lobbyisten werden. Dies kann zu Machtmissbrauch und Interessenkonflikten führen. Mit der Allianz für Lobby Transparenz und ethische Regeln (ALTER-EU) haben wir heute eine Studie veröffentlicht, die 15 solcher Wechsel untersucht. Die Veröffentlichung ist der Auftakt einer gemeinsamen Kampagne, um mehr Transparenz und striktere Regeln für Personalwechsel zwischen EU-Institutionen und Lobbyorganisationen durchzusetzen. ALTER-EU wird von 200 Organisationen aus ganz Europa getragen, LobbyControl ist Mitglied in der Steuerungsgruppe des Netzwerks.

Seitenwechsel als Vorteil für finanzstarke Lobbyisten

Der Bericht zeigt, dass die häufig mit Interessenkonflikten behafteten Gänge durch die Drehtür zu oft ohne explizite Genehmigung oder Karenzzeit stattfinden. Das Abwerben von EU-Angestellten erlaubt es finanzstarken Lobbyorganisationen, Zugang zu Schlüsselpersonen innerhalb der EU-Bürokratie und Insiderwissen zu erlangen. Diese privilegierten Zugänge könne Lobbyakteuren einen entscheidenden Vorteil bei der Beeinflussung politischer Entscheidungen liefern. Der Bericht warnt außerdem davor, dass EU-Beamte ihre Position nutzen könnten, um Entscheidungen zu treffen, die zukünftigen Arbeitgebern auf Kosten des Gemeinwohls zu Gute kommen. Besonders problematisch sei es, wenn Verhandlungen über eine neue Tätigkeit noch während der Amtszeit stattfinden.

„Die Drehtür verbindet die EU-Kommission mit der Brüsseler Lobbyindustrie und enthüllt eine politische Kultur, die es zu vielen EU-Offiziellen erlaubt, ihr wertvolles Expertenwissen und ihre Kontakte privatwirtschaftlichen Einzelinteressen zur Verfügung zu stellen. Die gegenwärtigen Personalvorschriften sollen Machtmissbrauch eigentlich eindämmen, aber die Regeln sind zu weich und schlecht umgesetzt. Es ist Zeit, dass die EU-Kommission einen Keil in die kreisende Drehtür schiebt“, kommentiert die ALTER-EU-Campaignerin Vicky Cann von der Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory.

„Problematisch ist neben dem Wechsel aus EU-Institutionen in Lobbyjobs auch der umgekehrte Fall: Wenn hochrangige EU-Positionen mit Lobbyisten besetzt werden, kann dies ebenso zu Interessenkonflikten und einem privilegierten Zugang für Lobbyakteure führen“, ergänzt LobbyControl-Campaigner Timo Lange. „Präsident Obama hat daher in den USA Regeln eingeführt, die verhindern, dass registrierte Lobbyisten ohne Übergangsfrist für das Weiße Haus arbeiten können. Die EU-Institutionen sollten zumindest eine Befangenheitserklärung von neuen Angestellten verlangen.“

Studie zeigt zahlreiche brisante Seitenwechsel

Im heute veröffentlichten Bericht sind 15 Drehtürfälle beschrieben, in denen EU-Angestellte ohne ausreichende Kontrolle und teilweise ohne Auflagen in einflussreiche Lobbytätigkeiten gewechselt sind. Eine kleine Auswahl:

  • Derek Taylor: Taylor war ranghoher Berater der Kommission in Energiefragen und wechselte zur Lobbyagentur Burson-Marsteller, um dort ebenfalls als Energieberater zu arbeiten. Dies geschah nur wenige Wochen, nachdem er seine Tätigkeit bei der Kommission im Sommer 2009 aufgab. Der Wechsel wurde von der EU-Kommission bis heute nicht autorisiert.
  • Petra Erler: Die ehemalige Kabinettschefin von Ex-Kommissar Günter Verheugen arbeitete auch nach Verheugens Ausscheiden aus der EU-Kommission 2010 weiter eng mit ihm zusammen. Beide gründeten die Lobbyagentur „European Experience Company“ im April des selben Jahres. Erst im August 2010 richtete Erler sich mit einer Bitte um Genehmigung an die EU-Kommission.
  • Mogens Peter Carl: Der ehemalige Generaldirektor der Generaldirektion Handel und später Umwelt wechselte zur Lobbyagentur Kreab Gavin Andersen – nur sechs Monate nachdem er die Kommission 2009 verließ. Er zeigte den Wechsel entsprechend der geltenden Regeln bei der Kommission an. Diese sah jedoch keinerlei Konflikte und sprach sich weder für eine Abkühlphase noch für andere Einschränkungen aus.
  • Marten Westrup: Er arbeitete bis September 2010 für die Generaldirektion Unternehmen und Industrie und nahm anschließend einen Beraterjob bei BusinessEurope an, um den mächtigen Arbeitgeberverband in Klimafragen zu beraten. 2011 wechselte er zurück in die Kommission zur Generaldirektion Energie. Die Kommission erteilte für diese Wechsel eine Ausnahmegenehmigung.
  • Bruno Dethomas: Der ehemalige Vorsitzende der Eastern Partnership Taskforce der EU-Kommission legte seine Tätigkeit im Dezember 2010 nieder. Im März 2011 begann er für die Lobbyagentur G+ zu arbeiten, zu deren Kunden Gazprom Export und die Russische Föderation zählen. Die Kommission genehmigte den Wechsel ohne Auflagen.

EU-Kommission muss die Seitenwechsel bremsen

ALTER-EU fordert EU-Verwaltungskommissar Maroš Šef?ovi? vor diesem Hintergrund auf, neue Regeln im Rahmen der laufenden Überarbeitung der Personalregeln der EU-Kommission einzuführen:

  • Eine verpflichtende Abkühlphase von zwei Jahren für alle Angestellten der EU-Institutionen. In dieser Zeit darf nicht in Lobbytätigkeiten und andere Jobs gewechselt werden, die einen Interessenkonflikt provozieren könnten.
  • Mehr Transparenz: Die EU-Institutionen sollten alle Drehtürfälle online veröffentlichen.
  • Die EU-Institutionen sollten alle neuen Mitarbeitenden auf mögliche Interessenkonflikte mit vorherigen Arbeitgebern prüfen.

Zusammen mit der Studie haben wir dem Kommissar einen Brief zugesandt, in dem wir unsere Positionen und Forderungen ausführlich darstellen und ihn zum Handeln auffordern.

Weiterlesen:

Eine deutsche Übersetzung der Studie wird in den kommenden Wochen erscheinen.

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