Lobbyismus an Schulen

20 von 30 DAX-Unternehmen bieten Unterrichtsmaterial an

Eine neue Studie der Otto Brenner Stiftung hat die Lehr- und Lernmaterialien aller deutschen DAX-Konzerne untersucht. Von den 30 Unternehmen bieten demnach zwei Drittel Unterrichtsmaterialien an. Dieses Ergebnis zeigt, dass Unternehmen die Schulen längst als Ort der Meinungsmache für sich entdeckt haben.
von 28. Oktober 2019
Otto Brenner Stiftung - All rights reserved

Die Warnung könnte kaum deutlicher ausfallen: „Das öffentliche Bildungswesen droht mit den gegenwärtigen Lobbypraktiken seine demokratische Legitimation zu verlieren.“ Denn, so das Ergebnis einer neuen Studie der Otto Brenner Stiftung, gerate das Schulwesen durch die Lobbyaktivitäten der Unternehmen zu einem Handlungsfeld, in dem sie frei von Vorgaben durch Lehrpläne agieren können, so dass „ein Ungleichgewicht geschaffen wird, das sich in finanziellen und gegebenenfalls inhaltlichen Abhängigkeiten niederschlägt.“ Zudem würden die Unternehmen nahezu ausschließlich branchenaffine Methoden, Themen und Kompetenzen vorweisen. Aktivitäten finde also dort statt, wo es sich am meisten lohnt und nicht, wo der Bedarf am größten ist.

In der Studie untersucht Tim Engartner, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., die Lehr- und Lernmaterialien aller deutschen DAX-Konzerne. Von den dort gelisteten 30 Unternehmen bieten demnach zwei Drittel Unterrichtsmaterialien an. Dieses Ergebnis zeigt, dass Unternehmen die Schulen längst als Ort der Meinungsmache für sich entdeckt haben. Dabei liegt es auf der Hand, dass der Kontakt zu Unternehmen für die Schüler*innen eine Bereicherung sein kann. Häufig geht es in den von Unternehmen organisierten Unterrichtsmaterialien, Schulwettbewerben oder Lehrerfortbildungen jedoch nicht um Erkenntnis oder Bildung, sondern um Meinungsmache. Das zeigt auch ein Blick darauf, wer in den Unternehmen für die Schulaktivitäten zuständig ist: In 28 der 30 untersuchten Unternehmen wurden sie „erkennbar unter dem Dach der jeweiligen PR- und Kommunikationsabteilungen […] durchgeführt oder jedenfalls von dort flankiert,“ so Engartner. Zurecht fordert der Autor der Studie daher die zuständigen Ministerien auf, gemeinsam aktiv zu werden, um Lobbyismus an Schulen entgegenzuwirken.

Vorschläge dafür, was Lehrkräfte, Eltern und SchülerInnen dagegen tun können und wie die Politik konkret handeln sollte, haben wir in unserer Broschüre „Lobbyismus an Schulen“ veröffentlicht. Darin zeigen wir außerdem, wie Lobbyismus an Schulen aussieht und warum er ein Problem ist. Denn hinter den scheinbar wohlmeinenden Schulaktivitäten von Unternehmen stehen konkrete Interessen, die dazu führen, dass die Inhalte einseitig werden. Kinder und Jugendliche als Wähler und Konsumenten von morgen werden zum Ziel einer langfristigen und umfassenden Lobbystrategie.

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4 Kommentare

Anna Pflug21. November 2019 um 16:16

Als langjährige Pädagogin, mit allen Altersstufen und auf verschiedenen Ebenen erfahren (Hochschule und Forschung, Gymnasium, Förderschule) weiß ich um die Plastizität des Gehirns in jungen Jahren Bescheid und halte das Hineinschleichen der wirtschaftlichen Interessen über schulische Materialien und Aktivitäten als sehr gefährlich. Spätere kritische Beurteilung wird durch Gewohnheitspfade hintertrieben. Heranzüchten von unkritischen Konsum, und das mithilfe von Steuergeldern? Davor müssen Heranwachsende und junge Menschen bewahrt werden. Auch wennes so mehr kostet. Denn die geringen Ersparnisse werden zu teuer bezahlt.
(Auch das Vermischen von universitärer Forschung und Partikularinteressen durch Forschungsaufträge und Sposoring aus der Wirtschaft sehe ich sehr kritisch. Wenn wir nicht amerikanische oder angelsächsische Verhältnisse züchten wollen…)
Wir brauchen weder Untertanen, noch fraglose unmündige Konsumenten, sondern mundige Bürger auf allen Ebenen. Und dem muss man früh umfassend Rechnung tragen.

Dieter Prohaska21. November 2019 um 16:32

Sind die Lehrer zu dumm, um zu erkennen, wie und wo sie benützt werden oder zu faul, Lehr- und Lernmittel zu änderm. Ich hoffe ja nicht, dass sie sich von Politikern inspirieren lassen haben und korrupt sind.

Rudy el cuervo Platzer22. November 2019 um 12:29

Anna Pflug kann man nur zustimmen. Aber dies wird überwiegend einfach so hingenommen und als selbstverständlich angesehen. Besonders darauf hinzuweisen ist, dass Bundeswehr Jugend Offiziere sich ebenfalls -rechtzeitig- in die Köpfe der Kinder einschleichen. die Aufrüstungspolitik aller Bundesverteidigungsminister, nicht nur seit Ursula von der Laien (Tochter des Herrn Biedenkopf), sondern jetzt von der Neuen, Frau Anne „Kampf“ – Karrenbauer, Die NATO Osterweiterung, Aufrüstung usw., lassen düstere Zeiten erahnen.

Felix Kamella26. November 2019 um 11:45

Nein, das sind Lehrer*innen sicherlich nicht.

Dennoch haben es auch kritische LehrerInnen bei vielen Materialien schwer: Man sollte nicht unterschätzen, wie professionell die Manipulation von Inhalten teilweise versteckt wird. Sie ist dann auch für ein kritisches Auge nicht immer zu erkennen. Hinter der Meinungsmache an Schulen steckt häufig viel Geld und Know-how mit dem Ziel, interessengeleitetes Material neutral zu verpacken und so in den Unterricht zu bringen.

Eine kritische Auseinandersetzung wird zudem strukturell erschwert: Die zunehmend schlechte Finanzierung macht Schulen anfälliger, sich auf externe Angebote einzulassen, um einen attraktiven Schulalttag zu gewährleisten. Zudem ist es keine Seltenheit, dass Lehrer*innen in Fächern unterrichten, in denen sie nicht ausgebildet wurden. Auch das macht es nicht einfacher.

Wir sehen daher die Politik in der Verantwortung, das Problem nicht allein auf die Lehrer*innen abzuwälzen. Sie muss einen kritischen Umgang mit externen Materialien und Angeboten fördern und das Thema gezielt in der Schule und im Schulumfeld zu behandeln. Dabei geht es nicht um simple Verbote. Die Freiheit, die Lehrer*innen vor allem im Umgang mit Materialien für den Unterricht haben, ist richtig und wichtig. Als „Gatekeeper“ können sie mit Materialien und Kooperationen kritisch umgehen und sie sogar verhindern. Wir fordern die Politik auf, sie dabei stärker zu unterstützen.