Kurzmeldung

Der Atomdeal – Eine kleine Chronologie undemokratischer Politik

Die Entstehung des Deals zwischen Energiekonzernen und Bundesregierung über die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist ein Paradebeispiel für undemokratische Politik. Wir tragen die Tiefpunkte zusammen: In der Nacht vom 5. auf den 6. September brütet die Bundesregierung im Kanzleramt über der Frage, ob und wie viel die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängert werden sollen. Kanzlerin […]
von 14. September 2010

Die Entstehung des Deals zwischen Energiekonzernen und Bundesregierung über die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist ein Paradebeispiel für undemokratische Politik. Wir tragen die Tiefpunkte zusammen:

In der Nacht vom 5. auf den 6. September brütet die Bundesregierung im Kanzleramt über der Frage, ob und wie viel die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängert werden sollen. Kanzlerin Merkel präsentiert das Ergebnis am nächsten Morgen als „Revolution in der Energieversorgung“ – im Schnitt dürfen die AKW 12 Jahre länger laufen als nach dem Atomausstiegsgesetz von 2002 bisher vorgesehen. Im Gegenzug sollen die Konzerne eine Steuer auf Atombrennstäbe zahlen und zusätzlich einen Sonderbeitrag zur Förderung Erneuerbarer Energien.

Kanzlerin verschweigt schriftliche Vereinbarung mit Energiekonzernen
Was die Kanzlerin in ihrer morgendlichen Pressekonferenz verschweigt: Die Energiekonzerne waren in dieser Nacht nicht Adressat einer politischen Entscheidung, sondern Verhandlungspartner der Regierung. Per Konferenzschaltung wurden sie mit ins Kanzleramt geholt. Und am Ende der Verhandlung stand nicht etwa eine Vorlage der Regierung für das Gesetzgebungsverfahren im Parlament, sondern ein schriftlicher Vertrag mit den Energiekonzernen, überschrieben mit den Titel „Förderfondsvertrag: Term Sheet aus Besprechung Bund und EVU“ [Energieversorgungsunternehmen, Anm. H.Klein]. Kein Wort von der Kanzlerin zu diesem Papier.

Am nächsten Tag (Dienstag, 7.9.) kommt es heraus, durch einen Versprecher des RWE-Vorstandsmitglieds Rolf Martin Schmitz, der sich auf einer Konferenz verplappert und den nächtlichen Deal erwähnt. Die Regierung wiegelt ab, spricht von einem „ganz normalen Vorgang“ – aber herausrücken will sie das Papier nicht. Weder das Parlament – noch nicht einmal die Abgeordneten der Regierungsfraktionen – noch die Öffentlichkeit bekommen zu sehen, was im Kanzleramt des Nachts ausgedealt wurde. Die Opposition schimpft, Journalisten versuchen an das Papier zu kommen, LobbyControl fordert die sofortige Offenlegung des Geheimvertrages.

Irreführung der Öffentlichkeit

Am folgenden Tag (Mittwoch, 8.9.) veröffentlichen die Süddeutsche Zeitung und die Financial Times Inhalte aus dem Papier. Das Papier liegt den Zeitungen jedoch nicht vor. Sie wurden scheinbar telefonisch aus informellen Quellen über Teile des Inhaltes informiert. Wie später deutlich wird: es wurden offenbar nur die Aspekte der Vereinbarung an die Journalisten gegeben, die der Regierung zu Gute kamen. Die Süddeutsche titelt „Höhere Lasten für Atomkonzerne“ und berichtet, dass laut Vereinbarung die Zahlungen in den Sonderfonds bei höheren Gewinnen der Energiekonzerne steigen sollen. Die Autoren wundern sich, warum das Papier unter Verschluss gehalten wird. „Dabei entlastet es die Regierung zumindest teilweise von dem Vorwurf, sie habe sich in der Frage, welchen Teil der zusätzlichen Laufzeitgewinne die Konzerne an den Staat abführen müssen, von der Branche über den Tisch ziehen lassen“, schreiben sie. Der Artikel in der Financial Times mit dem Titel „Geheimvertrag: Bund schöpft hohe Atomstrompreise ab“, hat den gleichen Tenor.

Warum die geheime Vereinbarung der Regierung doch nicht so gut zu Gesichte steht, wird klar, als sie schließlich doch an die Öffentlichkeit kommt. Nachdem der Druck aus Opposition und Öffentlichkeit im Laufe des Tages immer größer geworden ist, verkündet Regierungssprecher Steffen Seibert, die Vereinbarung werde „demnächst öffentlich gemacht“. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) schränkt ein: „sofern er nicht Geschäftsgeheimnisse der Energieerzeuger betrifft“.

Am Abend gibt die Regierung endgültig nach und stellt den Vertrag ins Internet (pdf).

Am Donnerstag morgen (9.9.) sieht die Berichterstattung anders aus. Nachdem ihr nun das gesamte Papier vorliegt, schreibt die Financial Times: „Laufzeitverlängerung: Atom-Geheimvertrag schützt Konzerne“. Ganz offensichtlich wurde die Öffentlichkeit, man kann es nicht anders sagen, von der Bundesregierung verarscht. Da klingt es wie der blanke Hohn, wenn Regierungssprecher Seibert anschließend verlauten lässt, die Bundesregierung lege alles offen, was die Bürger zu diesem Konzept wissen wollten. „Transparenz war immer unsere Absicht und Transparenz wird auch weiterhin unsere Devise in dieser Sache sein“. Er kann sich sicher sein: Wir werden ihn beim Wort nehmen!

Offenlegung reicht nicht – Konzerne dürfen nicht mit der Kanzlerin ihre eigene Regulierung aushandeln!

Klar ist aber, dass auch nach der Offenlegung des Deals mit den Energiekonzernen keineswegs alles gut ist. Aus einer demokratischen Perspektive stinkt der gesamte Entstehungsprozess des Energiekonzeptes zum Himmel. Die Konzerne gehören nicht an den Verhandlungstisch im Kanzleramt, wenn über ihre Regulierung und Besteuerung entschieden wird. Sie können angehört werden – aber bitteschön nur als einer von vielen. Greenpeace oder die Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ wurde in der besagten Nacht auch nicht aus dem Bett geklingelt und gefragt, ob sie mit der Vereinbarung einverstanden sind. Auch die Stadtwerke, deren wirtschaftliche Interessen stark betroffen sind, wurden nicht gefragt. Mit Demokratie hat das nichts zu tun. Ganz abgesehen von dem zweifelhaften Gutachten, auf dem das Energiekonzept der Regierung angeblich beruht. Es sind noch viele Fragen offen – etwa die Rolle des Seitenwechslers Gerald Hennenhöfer in dieser Geschichte, der seinen Job in der Atomaufsichtsbehörde gegen Tätigkeiten in der Atomwirtschaft tauschte und nun wieder oberster Atomaufseher ist.

Wir bleiben dran. Helfen Sie uns dabei – mit Ihrer Unterschrift für die Rücknahme des undemokratischen Atom-Deals, mit einer Spende oder langfristig mit Ihrer Fördermitgliedschaft.

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8 Kommentare

Bodo Wagner15. September 2010 um 3:30

Was erwartet man von einer Kanzlerin, die als Umweltministerin nach einem Besuch in Gorleben auf die Frage nach Gefahren bei der Konditionierung antwortet: „Jeder von uns hat doch schon mal Backpulver in der Küche verschüttet“. Die Frau ist Physikerin!!! Kennt sie den Unterschied zwischen Plutonium und Backpulver???
Zur Bewältigung der Finanzkrise beruft sie ausgerechnet einen der Brandstifter (Herrn Ackermann mit seiner Forderung nach mindestens 25% Kapitalverzinsung) als Berater und richtet ihm auf Staatskosten eine Geburtstagsparty aus. Ausgerechnet dem Mann, der die Richtlinien der Politik einer Bank bestimmt, die zwar gut aus der Krise herausgekommen ist, deren Vorstände und Mitarbeiter aber maßgeblich am Entstehen dieser Krise beteiligt waren (Beispiel Beratung der IKB bzw. zweifelhafte Immobiliengeschäfte in den USA).
Meine Erwartungen an Frau Merkel: Was schon bei so einem schlichten Gemüt, das sich auf den „Fachverstand“ WICHTIGER Menschen verlässt?
SCHLIMMER GEHT’S IMMER!!! Um das zu verhindern klärt bitte über diese unheiligen Allianzen auf.

Korrektor15. September 2010 um 10:43

Hallo,

alle Wochentage sind falsch, Ihr seit insgesamt um einen Tag nach vorne verrutscht. Der 8te war ein Mittwoch, der 9te ein Donnerstag und der 10 ein Freitag ;-)

Heidi Klein15. September 2010 um 11:04

Hallo Korrektor,
vielen Dank für Ihren Hinweis. Tatsächlich waren die Daten falsch, nicht die Wochentage – also der RWE-Vorstand verplapperte sich wirklich am Dienstag, aber der Dienstag war der 7.9., nicht, wie ich geschrieben hatte, der 8.9. usw. . Ich habe das nun korrigiert.

angie16. September 2010 um 11:32

Hallo Frau Klein,

bitte ergänzen Sie doch Ihre sehr gute und informative Zusammenfassung noch um das Interview des DLF(Theo Geers) mit Hans-Josef Fell (energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen) bezüglich einer Sitzung des Umweltpolitischen Ausschusses vor der Bundestagsdebatte am 15.09. um 7Uhr30.
(http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/1273002/)
Dieses Interview legt meiner Meinung nach das ganze Ausmaß der energie-politischen Kehrtwende offen zutage.

Auszug:
„Geers(DLF): Sorge bereitet Ihnen, sprich der Opposition, der SPD wie den Grünen ja auch, dass die Regierung den bisher tragenden Säulen der Erneuerbaren, also der Windenergie an Land oder auch der Biomasse,
nicht mehr so große Wachstumsperspektiven zubilligt. Was sagte Norbert Röttgen denn dazu?

Fell: Dazu hat er sich überhaupt nicht geäußert, genauso wenig wie auf meine Interpellation gestern im Plenum des Deutschen Bundestages. Wir haben dann die Experten nur noch fragen können und die Frau
Staatssekretärin Heinen. Klar ist geworden: Diese Vorstellungen, wie sie im EWI-Gutachten der Bundesregierung vorgeschlagen wurden und die Grundlage ja für die sogenannte Brückentechnologie Atomenergie sind, ist in Wirklichkeit eine Kampfansage an die Branche erneuerbare Energien. Ab nächstem Jahr schon wird der Ausbau nur noch gedrosselt zulässig. Beispielsweise soll die Windkraft an Land um 60 Prozent reduziert werden, die Fotovoltaik soll um 75 Prozent gegen dem aktuellen Ausbau reduziert werden und die Bioenergien um sage und schreibe 80 Prozent. Ab 2020 soll es faktisch keinen Ausbau mehr geben. Dies ist nicht eine Brücke ins Solarzeitalter, sondern der Abbruch in das Solarzeitalter.“

Hier von Seiten der Bundeskanzlerin von einer „Energipolitischen Revolution“ zu sprechen, kann man nur als Zynismus begreifen.

Gruß Angie

Klaus El16. September 2010 um 15:34

Hallo,

es wäre interessant gewesen, die Aussage, der Bund wäre von den EVUs über den Tisch gezogen worden anhand der Klauseln des Vertrags zu belegen. Natürlich kann man den genauen Umfang der Besteuerung und Abgaben in den Förderungsfond an den EVUs vorbei regeln, aber wenn das auf Grund schlampiger Ausarbeitung des Gesetzes dazu führt, dass der Betrieb eines KKW am Ende nicht mehr rentabel ist, ist auch niemandem geholfen.
Daher sollten sie mal die Vertragsinhalte benennen, von denen sie glauben, dass sie die EVUs einseitig bevorteilen und über den Zweck der Maximierung des volkwirtschaftlichen und umweltschutzbezogenen Nutzens hinausgeht. So bleibt ihre Einordnung blutlos.

Mit freundlichen Grüßen

lorenzo g16. September 2010 um 19:01

aber auch in dieser darstellung wird vergessen, daß die verlängerung der akw laufzeiten in zeiten der großen koalition nicht von den konzernen, sonder von cdu politikern gefordert wurde.
das ist doch camals schon ganz perfide eingefädelt worden.

freundliche grüße

alexina21. September 2010 um 12:11

Da fordern sie vom „Volk“ Ruhe und Ordnung und können nicht mal Sonntag Nacht aufhören Geschäfte zu machen. Kein Wunder, dass die Arbeit da bis zum Totschlag geheiligt werden muss (und geopfert), sonst könnte man dort sein eigenes Handeln gar nicht mehr mit Sinn füllen, es wäre einfach zu absurd.
Das Unbewusste ist ja immer interessant, denn auch eine noch so wie-auch-immer-geartete Bundesregierung oder sonstwer ist dagegen nicht immun oder Ähnliches: dass man es für nötig hielt, die Sache überhaupt Nachts zu machen kommt nicht von ungefähr…fehlt nur noch, dass es im Keller stattgefunden hätte.

Tagsüber herrscht einfach die falsche Atmosphäre für sowas, zu viel Licht, zu wenig Schatten. Aber das Ganze noch Sonntagnacht ist schon fast Kulturvandalismus.

Hermann Schuldt22. September 2010 um 11:56

Liebe Leute,

Erlaubt mir ein Zitat von H. P. Dürr:

„Wer Atomenergie nutzt, spielt russisches Roulette“

Auch die friedliche Nutzung ist ethisch und moralisch inakzeptabel, weil der größte anzunehmende Unfall (GAU) zu einem Schaden führt, der weder versicherbar noch verantwortbar ist. (Sagt der bekannte Wissenschaftler und altern. Nobelpreisträger Hans-Peter Dürr in seinem Buch „Warum es ums Ganze geht“).

Wenn also ein Deal gemacht oder über einen Gegenstand „gebrütet“ wird, der ethisch und moralisch inakzeptabel ist (und in meinem Augen ein Verbrechen), dann ist verständlich, dass kriminelle Energie dabei frei gesetzt wird.

Ich hätte niemals gedacht, dass eine Christin zu so etwas fähig wäre.

Dieser „Atom-Deal“ hat nichts mehr mit Kompromiß oder mit Verhandlung der Kanzlerin für die BRD zu tun, sondern ist Verrat am eigenen Volk, an unseren Kindern und an alle kommende Generationen weltweit.

Der Ex-Kanzler Schroeder hatte einen „schoenen Nebenberuf“ bei Gazprom, der „Superminister“ Clemens sitzt jetzt bei RWE in der Atom-Lobby und Frau Dr. Merkel „vermittelt“ Atomtechnologie in Polen…

Gibt es noch eine unabhängige Instanz, die dieser Klientelpolitik Einhalt gebieten kann?

Schließlich ist das eindeutige und offene Korruption…

Da wünscht man sich ja Glasnow und Perestroika…

Ja, wo leben wir denn, in einer Demokratie?

Alles Gute wünsche ich Deutschland

Hermann Schuldt