Lobby-Fußspur

Jetzt Lobbytreffen offenlegen!

Mit wem sich Regierungsmitglieder treffen, erfährt die Öffentlichkeit selten. Wir fordern Bundeskanzler Scholz auf, endlich für Lobbytransparenz zu sorgen.

von 20. September 2022

Finanzminister Christian Lindner bat den Porsche-Chef um "Argumentationshilfe" zum Thema Verbrenner-Motoren. Mit einem Umweltverband, dessen Meinung er nicht teilt, wolle er aber nicht reden - so Lindner im ZDF. Diese einseitige Haltung ist für einen Bundesminister untragbar.

Regierungsmitglieder sollten sich vielfältig informieren und nicht nur Argumente anhören, die mit der eigenen Lieblingsmeinung konform sind. Ob sie das aber tun, ist für die Öffentlichkeit bisher kaum sichtbar. Mit wem sich Regierungsmitglieder treffen, erfahren wir nur selten, mit großer Verzögerung und vielen Einschränkungen. Die Ergebnisse sind bisweilen erschütternd: Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer etwa traf sich in seiner Amtszeit 80 Mal mit der Autolobby – aber nur ein einziges Mal mit Umweltverbänden.

Wir fordern, dass Regierungsmitglieder ihre Lobbytreffen offenlegen. EU-Kommissar:innen tun dies schon lange. Der Sinn der Sache: Die Politik soll verschiedene Interessen ausgewogen beteiligen. Einseitiger Austausch schadet der Demokratie, denn er führt oft zu Entscheidungen, die nur den Lobbygruppen mit dem besten Draht zur Politik nutzen. Die Kosten dafür tragen wir alle. Ein Beispiel dafür ist das dichte Lobby-Netzwerk des Gazprom-Konzerns, durch das Deutschland sich in eine fatale Abhängigkeit von russischem Gas manövrierte.

Bitte helfen Sie mit, Druck auf die Bundesregierung zu machen, damit sie sich endlich zu mehr Transparenz und Ausgewogenheit durchringt. Unterzeichnen Sie jetzt unseren Appell an Bundeskanzler Olaf Scholz:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,

schon lange sorge ich mich um den übermäßigen Einfluss großer Konzerne und starker Lobbys auf die Politik. Viel zu lange hat etwa die Autoindustrie eine konsequentes Umsteuern in der Verkehrspolitik blockiert – und wurde zugleich von der Politik hofiert. Vergleichbares lässt sich über die Lobby der fossilen Energien und die bislang unzureichende Energiewende sowie die fatale Abhängigkeit von russischem Gas sagen. Mit unausgewogener Beteiligung muss jetzt Schluss sein!

Unsere Welt steht zweifellos vor großen Herausforderungen: Ukraine-Krieg, Klimakrise und Energiepreisexplosion. Krisen erfordern schnelles Handeln. Dennoch, ja sogar gerade wegen solcher Krisen darf eine ausgewogene Beteiligung der verschiedenen Interessen an wichtigen politischen Entscheidungen und transparentes Regierungshandeln nicht unter die Räder geraten.

Herr Scholz, gehen Sie jetzt einen beherzten Schritt in Richtung mehr Transparenz und ausgewogene Beteiligung! Sorgen Sie als Regierungschef dafür, dass

1) Sie als Bundeskanzler, Ihre Minister:innen sowie Staatssekretär:innen und Abteilungsleitende künftig ihre Treffen mit im Lobbyregister eingetragenen Lobbyist:innen offenlegen, wie es die EU-Kommission bereits seit Jahren vormacht, und

2) die Mitglieder der Bundesregierung bei ihren Treffen mit Interessenvertreter:innen bewusst auf eine Balance verschiedener Interessen und Perspektiven achten und Kommissionen und Beratungsgremien der Bundesregierung ausgewogen besetzt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Hintergrund

Warum sollten die Lobbytreffen der Bundesregierung sowie der Leitungsebene von Kanzleramt und Ministerien öffentlich sein?

Bislang ist es extrem aufwändig und nur selten möglich, aktuelle Angaben darüber zu erhalten, mit welchen Lobbyakteuren sich die Leitungsebenen der Ministerien direkt austauschen. Es gibt zwar Transparenz über die Beteiligung von Lobbyakteuren an der Gesetzgebung, und weitere Maßnahmen sind geplant (siehe dazu unten). Doch diese sehen die Veröffentlichung von Informationen über Lobbytermine nur in Einzelfällen vor. Dabei wäre eine Termin-Transparenz aus verschiedenen Gründen richtig und wichtig:

  • Wenn illegitime Einflüsse sichtbar gemacht werden müssen, finden sie meist gar nicht erst statt. Wer mit wem sprach, wann und worüber, das ist oft Gegenstand der Arbeit von Untersuchungsausschüssen. Man denke an Karl-Theodor zu Guttenbergs Lobbyarbeit bei Angela Merkel zu Gunsten von Wirecard, oder an die Treffen von Olaf Scholz in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal. Wenn Lobby-Termine stets zeitnah offengelegt werden müssen, ist es für die Öffentlichkeit, aber auch für die Abgeordneten leichter, die Arbeit der Bundesregierung zu kontrollieren.
  • Einseitige Beteiligung wird öffentlich sichtbar und kann damit zum Thema öffentlicher Diskussion und Kritik werden. Damit wird für Politiker:innen ein Anreiz gesetzt, bewusst auf eine gute Balance bei den Terminen mit den Vertreter:innen verschiedener Interessen zu achten. Ein Anreiz auch, aktiv auf weniger gut vernetzte oder finanziell schwächere Interessengruppen zuzugehen und sie einzubinden.
  • Eine solche Öffnung der Lobby-Terminkalender wäre vergleichsweise einfach rechtlich und technisch umzusetzen. Sie würde die bisherigen und geplanten Transparenz-Maßnahmen gut ergänzen. Und sie würde ein gerade in den aktuellen Krisen wichtiges Signal senden, dass die Ampel-Regierung Lobbytransparenz und Ausgewogenheit groß schreibt.

Sollen alle Gesprächstermine veröffentlicht werden?

Veröffentlicht werden sollen alle Termine mit Akteuren, die im Lobbyregister eingetragen sind. Andere Gespräche oder Termine wären davon nicht betroffen, etwa Gespräche mit Bürger:innen aus dem Wahlkreis oder anderen Privatpersonen.

Welche Informationen sollen veröffentlicht werden?

Bei jedem Termin mit Lobbyakteuren sollen Angaben gemacht werden zum Datum, zu den Teilnehmenden, dem Thema und der Form des Termins (Präsenztermin, Video-Call, Telefonkonferenz).

Es gibt doch bereits das Lobbyregister. Warum reicht das nicht aus?

Das Lobbyregister macht sichtbar, wer in wessen Auftrag, wozu und mit welchem Budget Lobbyarbeit gegenüber Bundestag und Bundesregierung betreibt. Es macht also die Strukturen der Interessenvertretung, Auftraggeber:innen und Finanzquellen sichtbar und legt Regeln und Schranken für die Lobbyarbeit fest. Es macht aber nicht sichtbar, welche Lobbyist:innen konkret an einzelnen Entscheidungen oder Gesetzesvorhaben beteiligt waren oder sind.

Was ist mit der geplanten „legislativen Fußspur“?

Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien die Einführung einer sogenannten legislativen Fußspur (auch Fußabdruck genannt) angekündigt. Das begrüßen wir, denn so soll die Beteiligung von Lobbyakteuren an Gesetzesvorhaben transparent werden. Die Fußspur soll sowohl schriftliche Stellungnahmen von Lobbyist:innen offenlegen als auch Gesprächstermine - aber nur solche, bei denen es ganz konkret um ein laufendes Gesetzesvorhaben geht. Politiker:innen treffen jedoch nicht nur laufenden Gesetzesvorhaben mit Lobbyist:innen, sondern auch zu anderen Themen, beispielsweise zu Wirtschaftsförderung im Ausland (Fall Merkel-Wirecard), EU-Themen (Fall Lindner-Porsche, Stichwort E-Fuels) oder auf Drängen eines Unternehmens, das sich vom Fiskus unangenehm behandelt fühlt (Fall Scholz-Warburg). Wir fordern in unserem Appell deshalb eine Offenlegung von Lobbyterminen unabhängig vom Thema oder formalen Zusammenhang. Diese Offenlegungspflicht sollte für den Kanzler, Minister:innen, Staatssekretär:innen sowie Abteilungsleitungen gelten. Sie ergänzt also die „Lobby-Fußspur für Gesetze“ und geht darüber hinaus.

Wie genau ist die Regelung zu Lobbytreffen auf EU-Ebene? Was bringt das?

EU-Kommissar:innen, ihre Kabinette sowie die Generaldirektor:innen (in etwa vergleichbar mit den Staatssekretär:innen) müssen bereits seit Ende 2014 ihre Lobbytreffen online veröffentlichen. Die EU-Kommissar:innen sind zudem in den Leitlinien der Zusammenarbeit ausdrücklich dazu aufgefordert, auf Ausgewogenheit bei ihren Lobbytreffen zu achten. Allerdings gibt es keinerlei Kontrollen, ob dies tatsächlich eingehalten wird. Brüssel kann also nur teilweise als Vorbild für Berlin gelten. Die Bundesregierung sollte sich die Regelung auf EU-Ebene dennoch genau anschauen und noch einen Schritt weiter gehen, indem sie eine regelmäßige Prüfung vorsieht, ob Beteiligung tatächlich transparent und ausgewogen erfolgt.

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