Lobbyismus und Klima

Lobbyismus bremst Klimaschutz: problematische Nähe zwischen fossiler Industrie und Politik

Die Politik reagiert nicht angemessen auf diese Bedrohung durch die Klimakrise. Ein Grund dafür sind allzu enge Verbindungen zwischen fossiler Wirtschaft und Politik.
von 24. September 2021

Die Klimakrise ist eines der wichtigsten Themen dieser Zeit – davon sind auch die deutschen Wählerinnen und Wähler überwiegend überzeugt. Trotzdem reagiert die Politik nicht angemessen auf diese Bedrohung. Ein Grund dafür sind allzu enge Verbindungen zwischen fossiler Wirtschaft und Politik: Problematische Nähe, privilegierte Zugänge und einseitig besetzte Beratergremien erschweren ausgewogene politische Entscheidungen zugunsten des Gemeinwohls. Das zeigen exklusive Klüngelrunden wie der Autogipfel der Bundesregierung oder quasi-parteiinterne Lobbygremien wie der Wirtschaftsrat der CDU. Daher braucht es klare Trennlinien zwischen Politik und fossiler Wirtschaftslobby, mehr Ausgewogenheit bei der Beteiligung verschiedener Interessen und auch neue Beteiligungsformate, kurz: ein Update der Demokratie.

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"Autogipfel Menschenkette" vor dem Kanzleramt im Frühjahr 2020.

Klimabremser-Allianzen verschärfen die Klimakrise

In der vergangenen Legislaturperiode ist die Klimakrise zu einer der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben avanciert – und zählt auch im Wahlkampf zu einem der zentralen Themen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Warnungen der Klimawissenschaftler:innen werden immer deutlicher, die Proteste vor allem durch die Fridays-for-Future-Bewegung immer stärker und die Auswirkungen der Klimakrise in Form von Extremwetterereignissen auch in Deutschland immer spürbarer.

Auch in der Politik gab es deutliche Verschiebungen – nicht zuletzt, weil sie am Ende der Legislaturperiode sogar durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum schnellen Handeln gezwungen wurde, um die Rechte zukünftiger Generationen nicht zu gefährden. Schon zuvor wurde der Kohleausstieg eingeleitet, ein umfangreiches Klimapaket beschlossen und die EU-Klimaziele unter deutscher Beteiligung erhöht. Doch die beschlossenen Maßnahmen reichen längst nicht aus – laut weit geteilter Einschätzung von Klimawissenschaftler:innen –, um angemessen auf die Klimakrise zu reagieren. Zwischen dem politisch Notwendigen und dem, was tatsächlich getan wird, klafft eine große Lücke – oder drastischer formuliert: Die Bundesregierung hat darin versagt, angemessen auf die größte Menschheitsbedrohung dieser Zeit zu reagieren.

Woran liegt es, dass der Handlungsbedarf in der Klimapolitik sich nicht in einem angemessenen politischen Handeln niederschlägt? Ein wichtiger Grund dafür sind mächtige Klimabremser-Allianzen zwischen Politik und fossiler Wirtschaft, die eine ambitionierte deutsche Klimapolitik ausbremsen. Diese Allianzen bestehen aus einflussreichen Unternehmen, die fest in fossilen Strukturen verankert sind und ökonomische Pfadabhängigkeiten geschaffen haben. Dazu zählen die drei großen Autokonzerne, die für die deutsche Exportwirtschaft übermäßig bedeutsam sind. Und dazu zählen die oligopolistischen Strukturen im Strommarkt, der aus wenigen Stromversorgern besteht. Auch im Erdgas- und Erdölmarkt oder Agrarsektor dominieren wenige große Konzerne den Markt.

Um weitere Gewinne zu erzielen, streben diese mächtigen Konzerne samt der von ihnen abhängigen Unternehmen danach, ihre klimaschädlichen Geschäftsmodelle noch so lange wie möglich zu erhalten. Sie erschweren damit auch den Markteintritt kleinerer Akteure oder neuer Unternehmen mit klimafreundlichen Geschäftsmodellen, etwa bei dezentralen Strukturen im Bereich der erneuerbaren Energien, Stichwort Bürgerenergie. Zugleich nehmen sie massiv politisch Einfluss: Sie investieren viel Geld in Lobbyarbeit und sie können ihr ökonomisches Gewicht als politischen Hebel nutzen. Über lange Jahre hinweg sind so enge Verflechtungen mit politischen Akteuren entstanden.

Aufseiten der Politik bestehen die Klimabremser-Allianzen aus politischen Institutionen wie dem Verkehrsministerium, das sehr stark auf die Förderung von Autoverkehr und Straßenbau ausgerichtet ist. Getragen werden sie außerdem von Politiker:innen, die selbst in fossile Netzwerke eingebunden sind, etwa über Nebentätigkeiten. Diese Mischung aus ökonomischer Macht und personellen und finanziellen Verflechtungen trägt dazu bei, dass die nötige Regulierung zugunsten des Klimaschutzes ausbleibt.

Lobbystrateg:innen haben dies geschickt verstärkt durch das diffamierende Framing von Klimaschutzmaßnahmen als „Verbotspolitik“. Dadurch geraten die Verantwortung des Einzelnen und die unbeliebte Forderung nach Verzicht (z. B. „nicht mehr fliegen dürfen“) in den Fokus, anstatt eine gemeinwohlorientierte Regulierung der fossilen Industrie zu adressieren (z. B. Grenzwerte). Außerdem stellt der vermeintliche Gegensatz „Verbotspolitik versus Marktkräfte“ die Interessen privater Akteure höher als die der Allgemeinheit. Damit wird auch deren Beteiligung an politischen Prozessen legitimiert, sprich die Lobbyarbeit für private Interessen. Insgesamt wird deutlich: Die übermäßige einseitige Einflussnahme der fossilen Lobby und das so deutliche politische Versagen in der Klimapolitik machen die Klimakrise auch zu einer Demokratiekrise. Besonders schädlich sind die problematische Einflussnahme in einseitig besetzten Gremien und die engen Verflechtungen zwischen politischen Institutionen und fossiler Lobby.

Unausgewogen besetzte Gremien

Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren viel zu einseitig beraten lassen – sei es im Rahmen ihrer Kontakt- und Netzwerkpflege oder sogar durch eigens einberufene Gremien, in denen die fossile Wirtschaft dominiert. Durch diese privilegierten Zugänge hat sie den Interessen fossiler Unternehmen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als jenen Akteuren, die sich für Klimaschutz starkmachen.

Ein besonders drastisches Beispiel für unausgewogene Beteiligung sind die sogenannten Autogipfel der Bundesregierung. Unter der offiziellen Bezeichnung „Konzertierte Aktion Mobilität“ lädt die Bundesregierung seit März 2019 regelmäßig zu diesen hochrangigen Treffen ins Kanzleramt ein. Die Federführung hat das Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU), der einen exklusiven Personenkreis einlädt: Aufseiten der Politik sind in der Regel Kanzlerin Angela Merkel sowie die Minister:innen aus den Ressorts Wirtschaft, Finanzen, Verkehr, Arbeit, Umwelt und dem Kanzleramt sowie die Ministerpräsident:innen der wichtigsten Auto-Bundesländer Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg dabei.

Für die Industrie sind Spitzenvertreter:innen vom Autolobbyverband VDA sowie die Vorstandschefs der großen deutschen Autokonzerne geladen. Teilweise kommen Konzerne dazu, die in Deutschland produzieren, etwa Ford und Opel, sowie Zulieferunternehmen. Für die Arbeitnehmerseite ist die IG Metall dabei, in größerer Runde kommen dazu auch die Betriebsratsvorsitzenden der teilnehmenden Unternehmen. Außerdem regelmäßig anwesend ist der Präsident des Lenkungskreises des Expertengremiums „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ (s. u.). Beim Blick auf die Einladungsliste ist offensichtlich, welche Teilnehmer:innen fehlen: Umwelt- und Verbraucherschutzvereine, Verbände aus anderen Verkehrssektoren und Wissenschaftler:innen sind nicht geladen.

Anders als es der offizielle Titel „Konzertierte Aktion Mobilität“ suggeriert, geht es bei diesen Gipfeltreffen nicht um den Verkehrssektor insgesamt, sondern einzig und allein um die Autoindustrie. Die Themen Umwelt- und Klimaschutz werden sogar explizit ausgeklammert. Zwar wurden im Rahmen der „Konzertierten Aktion Mobilität“ auch satte Kaufprämien für Elektroautos beschlossen, doch ein größerer Strukturwandel über den Individualverkehr hinaus war kein Thema. „Mobilität“ heißt hier für die Bundesregierung also offensichtlich nur eins: Auto fahren.

Zum Thema Klima und Mobilität verweist die Bundesregierung gerne auf ein anderes Gremium: die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM). Dieser Expertenrat wurde 2018 von Verkehrsminister Andreas Scheuer eingesetzt. Die NPM soll die Bundesregierung dazu beraten, wie die Mobilität der Zukunft mit Blick auf den Klimaschutz aussehen könnte – sie ist thematisch also breiter aufgestellt als die Autogipfel der Bundesregierung.

Aber auch dieses Beratungsgremium ist einseitig besetzt. Auch hier dominieren Vertreter:innen mit Verbindungen zur Autoindustrie und Mineralölwirtschaft. In den Leitungsfunktionen etwa kommen fünf von sieben Mitgliedern aus der Autoindustrie. Die Arbeitsgruppe „Klima und Verkehr“ wird von einem früheren Daimler-Manager geleitet, der Lenkungskreis von einem langjährigen Aufsichtsrat von BMW. Selbst in der Arbeitsgruppe Klima kommen nur drei der 24 Vertreter:innen aus Umweltverbänden. Impulse für eine Verkehrswende sind von dieser Plattform nicht zu erwarten.

80 zu 1: Verkehrsminister Scheuers Treffen mit der Autoindustrie

Verkehrsminister Andreas Scheuer versteht sich offenbar vor allem als Minister der Autoindustrie. Seit seinem Amtsantritt im März 2018 traf sich Scheuer 80 Mal mit Vertreter:innen der Autoindustrie, darunter zahlreiche Einzeltreffen mit den Konzernchefs von VW, Daimler und BMW sowie mit VDA-Chefin Hildegard Müller. Einige Treffen fanden bei Werkseröffnungen und Empfängen statt, doch meistens traf sich Scheuer mit Autokonzernen und dem VDA im kleinsten Kreis. Von einer solchen Nähe zum Verkehrsminister können Umweltverbände nur träumen. BUND, Nabu, Greenpeace, WWF und Deutsche Umweltverbände trafen nur einmal mit dem Minister zusammen – und das auch nur gemeinsam mit vielen anderen auf einem parlamentarischen Abend Anfang 2020.

Mangelnde Distanz und Verflechtungen zwischen Lobbyakteuren und Politik

Politik hat die Aufgabe, Regulierung im Sinne des Gemeinwohls durchzusetzen. Immer wieder ist es dazu nötig, auch gegen die Interessen mächtiger Konzerne und deren Umfeld zu handeln. Dies erfordert Politiker:innen und politische Institutionen, die ausreichend Abstand, Integrität und Unabhängigkeit wahren. Doch diese Werte und Qualitäten sind in vielen politischen Bereichen durch eine problematische Nähe zwischen Lobbyakteuren und politischen Institutionen gefährdet.

Besonders eng verflochten sind Unternehmen und Politik über den Wirtschaftsrat der CDU. Der Wirtschaftsrat ist – anders als sein Name suggeriert – keine Parteiorganisation, sondern ein Lobbyverband. Mitglieder sind ca. 12.000 Unternehmen, darunter viele aus der fossilen Wirtschaft wie Daimler, Fraport oder MIBRAG. Das Besondere an diesem Lobbyverband: Er agiert wie ein Parteigremium und ist eng mit der CDU verbunden: Die Präsidentin des Verbands, Astrid Hamker, ist Dauergast bei wirtschaftspolitischen Beratungen der Partei und hat sogar einen ständigen Gaststatus im Parteivorstand, zwar ohne Stimmrecht, aber mit Rederecht. Damit ist ein unternehmerischer Lobbyverband direkt in der Partei verankert.

Andere gesellschaftliche Gruppen verfügen nicht über solche privilegierten Zugänge ins innerste Machtzentrum der größten Regierungspartei. Problematisch ist außerdem, dass der Verband nicht die Interessen aller Unternehmen vertritt. Im Bereich Energie- und Klimapolitik vertritt er vor allem jene Großunternehmen, die auf den Erhalt ihrer klimaschädlichen fossilen Geschäftsmodelle drängen. Zentrale Funktionen in den energie- und umweltpolitischen Fachkommissionen des Lobbyverbands kamen und kommen u. a. von RWE Power, der Braunkohlesparte von RWE, von E.on, Bayer und dem sächsischen Kohlekonzern MIBRAG. Mitglied im Vorstand des Wirtschaftsrats ist außerdem Hildegard Müller, Präsidentin des Autolobbyverbands VDA. Als wichtiger Türöffner in die Partei dient Wirtschaftsratsvizepräsident Friedrich Merz, der trotz dieser Funktion als Top-Lobbyist hohe politische Ämter anstrebt, wie sein versuchter Griff nach dem Wirtschaftsministerium kurz nach seiner gescheiterten Wahl zum Parteivorsitzenden zeigte.

Wie der Wirtschaftsrat die Kohlelobby und Politik vernetzt, zeigt das Beispiel Kohleausstiegsgesetz: Während andere Verbände Anfang 2020 ihre offiziellen Stellungnahmen beim Wirtschaftsministerium einreichten, wählte der Wirtschaftsrat lieber den direkten Draht und schrieb einen Lobby-Drohbrief samt Gesprächsanfrage an CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier: Bei zu schnellem Ausstieg käme es zu Enteignungsdebatten und kostspieligen Klagen. Insbesondere Steinkohlekraftwerke wurden explizit erwähnt.

Wenig später kam es zu dem gewünschten Gespräch zwischen dem Wirtschaftsrat und BMWi-Staatssekretär Andreas Feicht. Wieder einige Wochen später empfingen Altmaier, sein Staatssekretär Thomas Bareiß (CDU) und Abteilungsleiterin Stephanie von Ahlefeldt mehrere Betreiber von Steinkohlekraftwerken (EnBW, RWE, Uniper, Vattenfall, Steag) zu einem hochrangigen Treffen im Wirtschaftsministerium. Bareiß und von Ahlefeldt gelten beide als ausgemachte Energiewende-Gegner, Bareiß hat enge Verbindungen zum Wirtschaftsrat. Mindestens drei der fünf anwesenden Unternehmen hatten im Jahr 2020 energiepolitische Veranstaltungen des Wirtschaftsrats gesponsert, an denen auch Altmaier und sein Staatssekretär Feicht teilnahmen.

Am Ende wurde ein Kohleausstiegsgesetz beschlossen, das deutliche Zugeständnisse für Steinkohlekraftwerke enthielt. Dies sei ein Ergebnis „erfolgreicher Lobbyarbeit“ seitens der Kohleindustrie gewesen, schlussfolgert der Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid: „Dass defizitär wirtschaftende Kohlekraftwerke überhaupt Entschädigungen erhalten, ist bizarr. Aufgrund von Überkapazitäten wären sie ohnehin vom Netz genommen worden.“ Der Eindruck liegt nahe, dass die Netzwerke rund um den Wirtschaftsrat hier eine Rolle spielten.

Einseitige Beratung, einseitige Politik: die Bundesregierung und die Gaslobby

Nach dem geplanten Kohleausstieg rückt die Rolle von Erdgas und Wasserstoff immer mehr in den Fokus der Politik. Auch hier gibt es mehrere einseitig besetzte Gremien und Verflechtungen zwischen Politik und Gasindustrie, die der Gaspolitik der Bundesregierung eine Schlagseite zugunsten der Erdgaslobby verpassen. Dazu zählt vor allem der „Dialogprozess Gas 2030“, zu dem das Wirtschaftsministerium seit Dezember 2018 einlädt. Die Treffen fanden zunächst in einer exklusiven Runde aus Unternehmenslobbyist:innen und Ministerialbeamten hinter verschlossenen Türen statt. Nicht einmal Vertreter:innen des Bundesumweltministeriums waren eingeladen, geschweige denn Umweltverbände.

Erst nachdem die „Deutsche Umwelthilfe“ (DUH) von dem einseitigen Beratungsprozess erfahren hatte und diesen kritisierte, bezog das Wirtschaftsministerium im Juni 2019 erstmals auch Umweltverbände in die Beratungen ein. Doch das kam offenbar zu spät: Laut DUH wurden deren Einwände nicht in die Ergebnisse des „Dialogprozesses“ aufgenommen. Auch eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamts wurde nicht aufgenommen, die zu dem Schluss kam, dass der von der Bundesregierung prognostizierte Gasbedarf zurückgehen müsse, um vereinbarte Klimaziele zu erreichen. Stattdessen stützte sich der Abschlussbericht auf eine von der Nord Stream 2 AG in Auftrag gegebene Studie. Tatsächlich setzt die Bundesregierung gleich mit mehreren Großprojekten auf den Ausbau der Infrastruktur für das klimaschädliche Erdgas: In Stade und Brunsbüttel werden Flüssiggas-Terminals geplant, und die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 ist fast fertiggestellt.

Auch zum Thema Wasserstoff lässt sich die Bundesregierung von einem einseitig besetzten Gremium beraten. Der „Nationale Wasserstoffrat“ soll das Wirtschaftsministerium dabei unterstützen, die nationale Wasserstoffstrategie umzusetzen. Die Mitgliedsliste hat eine deutliche Schlagseite: Neben 15 Unternehmen, viele davon mit Verbindungen zur Gasindustrie, kommen sieben Teilnehmer:innen aus der Wissenschaft. Für die Arbeitnehmer:innen sitzt die IGBCE mit am Tisch, aus der Zivilgesellschaft zwei Umweltverbände. Die industrielastige Zusammensetzung birgt die große Gefahr, dass weniger die Rolle des Wasserstoffs für den Klimaschutz diskutiert wird, sondern eher, wie die verschiedenen Industrien von ihm profitieren können. Die Gasindustrie nutzt das Thema Wasserstoff, um sich mit dem Label „klimafreundliche Gase“ einen grünen Anstrich zu verpassen.

So empfiehlt der Nationale Wasserstoffrat der Bundesregierung auch, den sogenannten „blauen Wasserstoff“ in ihre Wasserstoffstrategie einzubeziehen, der jedoch mithilfe von fossilem Erdgas produziert wird. Und das, obwohl die Bundesregierung sich zuvor schon in ihrer Wasserstoffstrategie darauf geeinigt hatte, nur den wirklich klimafreundlichen „grünen Wasserstoff“ einzubeziehen, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Innerhalb des Wasserstoffrats sprachen sich immerhin die beiden Vertreterinnen der Umweltverbände in einem Minderheitenvotum gegen die Verwendung von „blauem Wasserstoff“ aus.

Ein weiteres Beispiel für enge Verbindungen zwischen Politik und fossiler Industrie ist der PR-Lobbyverband „Zukunft Gas“, ein Zusammenschluss von Unternehmen und Verbänden aus der Gaswirtschaft. Der Verband wurde 2013 ursprünglich als „Zukunft Erdgas“ gegründet, um das klimaschädliche Erdgas als klimafreundliche „Brückentechnologie“ zu vermarkten. Neben den etablierten Verbänden der Energie- und Gaswirtschaft setzt Zukunft Gas vor allem auf Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung. Zu letzterem Zweck dient auch der Beirat des Vereins, dessen Zusammensetzung dem PR-Verband offenbar Türen in die Politik öffnen soll.

Zu den Mitgliedern im Beirat zählen bzw. zählten neben zahlreichen Branchenverbänden und Unternehmen auch einige (Ex-)Politiker:innen . Das sind die beiden Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels (SPD, Mitglied im Wirtschaftsausschuss) und Karsten Möring (CDU, Mitglied im Umweltausschuss). Besonders interessant ist die Mitgliedschaft des früheren CDU-Politikers und heutigen Gaslobbyisten Friedbert Pflüger. Pflüger tritt nach außen gerne als Wissenschaftler auf, ist aber in seiner Haupttätigkeit Partner der Lobbyagentur Bingmann Pflüger International und vertritt dort unter anderem Nord Stream 2. Pflügers Netzwerke in die Politik haben sich offenbar für den Verband ausgezahlt: Er wurde im Juni 2021 zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Lobbyverbands gewählt.

Eine weitere wichtige Verbindungsperson zwischen Politik und Lobbyverband ist das frühere Beiratsmitglied Thomas Bareiß (CDU). Bareiß musste 2018 aus dem Beirat austreten, da er parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium wurde. Für Staatssekretär:innen gelten strengere Beschränkungen für Nebentätigkeiten als für Abgeordnete. Als Staatssekretär ist Bareiß für die Energiepolitik im Ministerium zuständig. Seine engen Verbindungen zum Verband pflegt er jedoch weiterhin, so etwa indem er als Redner auf dessen Veranstaltungen auftritt. Bareiß unterhält zudem enge Verbindungen zum Gaslieferanten Aserbaidschan. (Mehr zur Aserbaidschan-Connection im Lobbyreport auf S. 58)

Zukunft Gas ist auch über andere Wege eng mit der Politik verbunden: Bei seiner jährlichen PR-Großveranstaltung zur Verleihung des „Innovationspreises der deutschen Gaswirtschaft“ übernimmt jeweils ein:e Bundesminister:in im Wechsel die Schirmherrschaft.

Eine weitere pikante und einflussreiche Person im Beirat von Zukunft Gas ist Andreas Kuhlmann, der Chef der Deutschen Energieagentur dena. Die dena ist ein bundeseigenes Unternehmen und berät das Bundeswirtschafts- und Energieministerium in energiepolitischen Fragen. Eines ihrer zentralen Projekte sind die Klimaleitstudien, die LobbyControl wegen ihres einseitigen Sponsoring-Modells kritisierte. Dieses ermöglichte Unternehmen und Unternehmensverbänden gegen Bezahlung bei der Studie direkt mitzuentscheiden, während andere Stakeholder aus Zivilgesellschaft und Politik lediglich mitberaten durften. Insbesondere Akteure aus der Gasindustrie versuchten als Sponsoren der Studie deren Ergebnisse zu beeinflussen. Erste unveröffentlichte Zwischenergebnisse etwa zum Thema Heizen fielen deutlich im Sinne der Gasindustrie aus.

Forderungen: (Klima-)Politik braucht Ausgewogenheit und breite Partizipation

Demonstrant*innen auf der Straße halten rote Schilder in die Höhe. Aufschrift: Rote Klimakarte
Christian Mang/LobbyControl -
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Demonstrant*innen auf der Straße halten rote Schilder in die Höhe. Aufschrift: Rote Klimakarte

Politische Entscheidungen zugunsten des Gemeinwohls werden die Transformation der fossilen Wirtschaft in Richtung Klimaschutz beschleunigen müssen. Dazu sind Entscheidungen gegen fossile Geschäftsmodelle nötig – und das erfordert Unabhängigkeit und Integrität der politischen Entscheider:innen. Beides ist nur dann gewährleistet, wenn es ausreichend Distanz gibt zwischen Regulierern und denen, die reguliert werden sollen. Und wenn sich Politiker:innen breit und ausgewogen beraten lassen und ihre Ohren für alle gesellschaftlichen Anliegen offen halten.

Um angemessen auf große gesellschaftliche Fragen wie die Klimakrise zu reagieren, braucht es neben strengeren Lobby- und Transparenzregeln einen grundlegenden Wandel im Umgang mit der Lobby der fossilen Wirtschaft, eine ausgewogene Interesseneinbindung und innovative Beteiligungsformate – also ein Update der Demokratie!

  1. Abstand halten zu mächtigen Lobbyinteressen:
    Politiker:innen und politische Institutionen sollten Abstand nehmen von Mitgliedschaften in Lobbyverbänden, Schirmherrschaften von Lobbyveranstaltungen oder anderen Kooperationen, wenn diese Lobbyarbeit für den Erhalt klimaschädlicher Geschäftsmodelle betreiben. Strukturelle Kopplungen zwischen Parteien und Lobbyakteuren wie über den Wirtschaftsrat der CDU müssen beendet werden. Dazu braucht es einen stetigen Austausch über anerkannte gesellschaftliche Normen zur Sicherstellung politischer Integrität.
  2. Breite und ausgewogene Beteiligung sicherstellen und innovative Beteiligungsformate erproben:
    Partizipation ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Mehr Partizipation erhöht die Legitimität, Qualität und damit auch Akzeptanz politischer Entscheidungen und beugt Politikverdrossenheit vor. Partizipation funktioniert aber nur dann, wenn nicht ohnehin einflussreiche gesellschaftliche Gruppen stärker beteiligt werden als andere. Hier muss die Politik auf einen ständigen Ausgleich bedacht sein, um bestehende Machtungleichgewichte nicht zu reproduzieren. Ein erster Ansatzpunkt ist es, Beratergremien ausgewogen mit Akteuren aus den verschiedenen Bereichen zu besetzen und insbesondere darauf zu achten, dass Akteure mit Expertise im Bereich Klima einbezogen sind. Gleiches gilt für Lobbytreffen. Für beides braucht es Leitlinien. Vorbild könnte die EU sein: Dort gibt es die Vorgabe, dass Mitglieder der EU-Kommission bei ihren Lobbytreffen eine angemessene Balance zwischen verschiedenen Interessen anstreben sollten. Die Umsetzung hapert hier allerdings noch sehr. Um noch breitere Teile der Gesellschaft in politische Entscheidungen einzubinden, bedarf es außerdem innovativer Beteiligungsformate. Als Vorbild können Modellprojekte auf kommunaler Ebene dienen: Diese reichen von Bürgerhaushalten bis hin zu Zukunftskonferenzen. Als besonders vielversprechend hat sich in den letzten Jahren vor allem beim Klimathema das Format der Bürgerräte erwiesen – und das seit einigen Jahren auch auf Bundesebene (vgl. Kasten). Auch Formen direkter Demokratie sollten auf die Bundesebene ausgeweitet werden. Um Lobbyeinflüsse auch hier zurückzudrängen, sollte dabei offengelegt werden müssen, wer die Kampagnen für ein bestimmtes Volksbegehren in welchem Umfang finanziert.
  3. Konzernmacht beschränken:
    Um die Demokratie zu stärken, müssen wir die Konzentration ökonomischer Macht zurückdrängen. Die Politik muss hier einen Kurswechsel einleiten: Es darf keine weiteren Sonderrechte für Großunternehmen geben, etwa beim Investitionsschutz. Stattdessen sollte über Kartellrecht und sektorspezifische Regulierungen die Marktmacht übermächtiger Konzerne beschnitten werden. Gerade in der Energiewirtschaft bietet sich die Gelegenheit, stärker dezentrale Wirtschaftsstrukturen zu fördern (Stichwort Bürgerenergie).

Klimabürgerrat – ein Gegenmodell zu einseitigen Lobby-Klüngelrunden

Mitte Juni 2021 stellte der erste bundesweit organisierte Bürgerrat Klima seine Ergebnisse vor. Die Ergebnisse waren beachtlich. So wurde etwa dieser Satz mit einer Zustimmung von 95 % aller Bürgerratsmitglieder angenommen: „Im Sinne des Gemeinwohls hat der Schutz des Planeten oberste Priorität, diesem müssen sich wirtschaftliche Interessen und Einzelinteressen unterordnen. Insbesondere die großen Unternehmen müssen verpflichtet werden, im Sinne des Klimaschutzes und des Gemeinwohls zu handeln.“ Gelöscht: Die 160 Mitglieder des Bürgerrates bildeten eine Art „Mini-Deutschland“ ab, sie wurden aus einem Pool von per Los ausgewählten Menschen nach den Kriterien Geschlecht, Herkunft (Region, Stadt-Land/Migrationshintergrund), Bildungsabschluss und Alter zusammengesetzt. Über mehrere Monate hatten die Mitglieder des Bürgerrats dann die Aufgabe, politische Empfehlungen für die vier Themenbereiche Energie, Ernährung, Mobilität, Energie und Wärme zu erarbeiten. Dabei erhielten sie umfangreiche Unterstützung durch Expert:innen, Wissenschaftler:innen und ein unabhängiges Moderationsteam. Gelöscht: Aus lobbykritischer Perspektive bietet der Bürgerrat eine Vorlage dafür, wie breite Partizipation weitgehend frei von einseitigen Lobbyeinflüssen praktiziert werden kann – und zwar in Ergänzung zu parlamentarischen Verfahren und anderen Beratungsgremien. Vertreter:innen von Lobbygruppen treten zwar als Expert:innen vor dem Bürgerrat auf, sie werden aber durch ein aufwendiges Verfahren so ausgewählt, dass sie eine große Bandbreite gesellschaftlicher Anliegen abdecken. Und: Am Ende sind es ausschließlich die gelosten Bürger:innen, die nach langen Diskussionen über die Empfehlungen des Bürgerrats abstimmen. Gelöscht: In Deutschland wurden bereits drei Bürgerräte bundesweit durchgeführt – darunter einer im Auftrag des Ältestenrats des Bundestags. Auch in anderen Ländern gab es auf Landes- oder regionaler Ebene bereits mehrere Bürgerräte, darunter besonders viele zum Thema Klima. Große Aufmerksamkeit erlangte vor allem der Bürgerrat Klima in Frankreich.

Quelle: Lobbyreport 2021: Beispiellose Skandale - strengere Lobbyregeln: Eine Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot

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