Macht der Digitalkonzerne

Google und die Denkfabriken: Transparenz mangelhaft

In Brüssel wird intensiv über neue Regeln für Internet-Plattformen debattiert. Dabei mischen viele Denkfabriken mit – ohne dass deren Verbindungen zu Google & Co. klar erkennbar sind. Wir zeigen an zwei Beispielen, dass wir mehr Transparenz brauchen.
von 18. Juni 2020

Der Konflikt zwischen US-Präsident Donald Trump und Twitter sorgte auch in Europa für viel Aufmerksamkeit. Nach einem Faktencheck von Twitter erließ Trump ein Dekret, das damit drohte, Plattformen wie Twitter für die Inhalte ihrer Nutzer*innen haftbar zu machen. Auch in Europa wird heftig über Internet-Plattformen und deren Haftung diskutiert: Die EU-Kommission will die Spielregeln für Dienste im Netz erneuern. Ein neuer „Digital Services Act“ soll die bisherige E-Commerce-Richtlinie ersetzen und die Grundlagen für Online-Handel und Online-Dienste neu regeln.

Die Lobby-Aktivitäten dazu laufen auf Hochtouren. Mittendrin sind dabei Denkfabriken, die mit Tech-Firmen wie Google zusammenarbeiten. Allerdings sind diese Verbindungen nicht immer direkt erkennbar. Wir brauchen hier mehr Transparenz, denn wichtige Entscheidungen über die Digitalisierung dürfen nicht einseitig und undurchsichtig von den Digitalkonzernen beeinflusst werden.

Jetzt unseren offenen Brief an Google unterzeichnen

Beispiel 1: das Center for Data Innovation (CDI)

Im Januar veröffentlichte die Denkfabrik „Center for Data Innovation“ eine Stellungnahme zum Digital Services Act (DSA). Zu dieser Zeit reisten gerade die Facebook- und Google Chefs nach Brüssel, um medienwirksam zu verkünden, sie seien für mehr Regulierung ihrer Branche. In der Stellungnahme des CDI klingt das jedoch ganz anders: es propagiert „non-regulatory options“ - d.h. die EU-Kommission solle freiwillige Ansätze prüfen, Selbstverpflichtungen sowie eine „Ko-Regulierung“ von Staaten und Digitalfirmen.

Die Ausnahmen von der Haftung sollten für Internet-Plattformen ausgeweitet werden. Die Plattformen sollten auch nicht verpflichtet sein, nach illegalen Inhalten auf ihren Plattformen zu suchen. Diese Frage ist betrifft nicht nur Social Media, sondern z.B. auch die Debatte um Airbnb und die Zweckentfremdung von Wohnungen. Denn Airbnb will auf der eigenen Plattform nicht nach Angeboten suchen, die gegen städtische Regeln verstoßen.

Anreize für freiwillige Filter-Systeme

Statt Haftung für Internet-Plattformen soll es Anreize für freiwillige Filter-Systeme geben: „The new framework should incentivize companies to employ standard technical measures (such as automated filtering systems) to mitigate illegal content. Policymakers should not increase the liability exposure of service providers that use these voluntary measures to detect and remove illegal content online.“ (S. 7)

Das ist ein brisanter Punkt. Denn vielfach wird in der netzpolitischen Szene eine Haftung von Internet-Plattformen aus Angst vor Filter-Systemen abgelehnt. Die Sorge ist, dass solche Systeme wie etwa Upload-Filter zu einem übertriebenen, fehlerhaften Blocken von Inhalten führen könnten. Im Papier des Center for Data Innovation ist der Ansatz dagegen anders: mehr Filtern auf freiwilliger Basis soll gerade dazu dienen, eine gesetzliche Haftung zu verhindern.

Das CDI ist dabei als Denkfabrik eng mit Tech-Firmen verbunden, ohne damit besonders transparent umzugehen. In der Selbstbeschreibung auf der Webseite findet sich kein Hinweis auf diese Verbindungen. Sichtbar ist nur, dass das CDI ein Ableger der Information Technology and Innovation Foundation ist. Deren Webseite liefert in der Selbstbeschreibung jedoch auch keine Hinweise auf Google & Co. Erst wenn man die Vorstandsmitglieder durchgeht, stößt man auf die Verbindung etwa in Person von Johannah Shelton von Google, Direktorin für Government Affairs & Public Policy, also für Lobbyarbeit. In den Publikationen wie etwa der Stellungnahme zum Digital Services Act legt das CDI dies nicht offen. Finanzdaten konnten wir weder auf der Webseite des CDI noch der ITIF finden. Google selbst gibt in seinem EU-Lobbyregister-Eintrag zwar an, Mitglied des CDI zu sein. Aber dort sucht man kaum als erstes.

Beispiel 2: Lisbon Council

Eine weitere Denkfabrik mit Google-Verbindungen ist das Lisbon Council, eine neoliberale Denkfabrik, die sich der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit verschrieben hat. Der letzte Jahresbericht auf der Webseite ist für das Jahr 2015. Dort gibt das Lisbon Council an, Unterstützung u.a. von Apple, Google, IBM, Oracle, Telefónica und Uber erhalten zu haben. Die Höhe der Beiträge wird nicht genannt.

Im Dezember 2019 hat die Denkfabrik eine eigene Webseite zum Thema Haftung von Internet-Plattformen gestartet, den Intermediary Liability Evidence Hub. In der Beschreibung des Projekts tauchen die Verbindungen zu Google und anderen Tech-Firmen nicht auf. Die Seite versucht den Eindruck einer neutralen Plattform zu erwecken, zu der jeder beitragen könne.

Die Seite enthält aber auch einen Blog, in dem das Lisbon Council selbst Position bezieht: Ja, Selbstregulierung funktioniere. Corona habe gezeigt, dass es einen neuen Geist von öffentlich-privater Zusammenarbeit gebe. Das geht in eine ähnliche Richtung wie die Stellungnahme des CDI: statt Regulierung freiwillige Maßnahmen der Internet-Plattformen und eine Partnerschaft zwischen Staaten und Digitalkonzernen.

Fehlende Transparenz und die Verantwortung von Google & Co

Diese Botschaft erklingt so, scheinbar unabhängig voneinander, aus verschiedenen Richtungen. Dass diese Stimmen beide von Google unterstützt werden, ist nur sichtbar, wenn man sich genauer damit beschäftigt. Die Beispiele zeigen, wie Anliegen der Digital-Lobby über Denkfabriken gespielt werden. Und sie verdeutlichen, dass es hier große Transparenzprobleme gibt – und zwar auf zwei Ebenen:

  1.  Die Denkfabriken machen ihre Verbindungen zu Google und anderen Tech-Firmen gar nicht oder nicht ausreichend transparent. Beim Lisbon Council haben wir angefragt, ob Geld von Tech-Firmen für den Evidence Hub verwendet würden und welche Tech-Firmen die Denkfabrik aktuell unterstützen. Es kam keine Antwort.
  2. Google selbst listet in seinem Lobbyregister-Beitrag zwar CDI und Lisbon Council auf, weil das Unternehmen dort selbst Mitglied ist. Aber die finanzielle Unterstützung für andere Denkfabriken oder Lobbyorganisationen ohne Mitgliedschaft bleibt im Dunkeln. In den USA hat Google eine umfassendere Liste vorgelegt. Dort führt das Unternehmen 94 Wirtschaftsverbände und Mitgliedsorganisationen auf sowie 256 „Third Party Organizations“. D.h. in den USA kommen auf 1 Mitgliedsorganisation im Durchschnitt noch 2,5 weitere Organistionen, die Geld von Google erhalten.

Die Denkfabriken und die Tech-Konzerne müssen hier dringend für mehr Transparenz sorgen. Google etwa hat bislang nicht offengelegt, welche Denkfabriken es in Europa finanziert. Seit Monaten versuchen wir von Google dazu Auskünfte zu bekommen.

Nachdem wir unseren offenen Brief an Google gestartet haben, gibt es immerhin eine erste Reaktion. Auf Anfrage des Online-Mediums Politico antwortete Google, dass unsere Anfrage geprüft werde. Man habe in anderen Fällen bereits geantwortet und habe Regeln, die die Unabhängigkeit von geförderten Organisationen sichern würden. Dazu gehöre auch, dass die Organisationen die Förderung durch Google offenlegen sollten. Nach unserer kleinen Recherche wird das in der Praxis aber offensichtlich nicht so genau genommen. Wir sind nun gespannt, welche Informationen Google wirklich offenlegen wird.

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