Lobbyismus in der EU

Junckers Halbzeitbilanz: Vorfahrt für die Industrielobby

Noch immer ist der Lobbyeinfluss auf die EU-Kommission unausgewogen – zugunsten der Vertreter von Unternehmensinteressen. Das zeigen exemplarisch unsere neuen Auswertungen der Lobbytreffen der letzten zwei Jahre von sämtlichen Ressorts. Doch es gibt erfreuliche Ausnahmen. Davon brauchen wir mehr.
von 24. April 2017

Noch immer ist der Lobbyeinfluss auf die EU-Kommission unausgewogen – zugunsten der Vertreter von Unternehmensinteressen. Das zeigen unsere neuen Auswertungen der Lobbytreffen der letzten zwei Jahre von sämtlichen Ressorts unter Präsident Juncker. Doch es gibt erfreuliche Ausnahmen. Davon brauchen wir mehr.

Kommissionspräsident Juncker beim EU-Bratislava Gipfel im September 2016.

Kommissionspräsident Juncker beim EU-Bratislava Gipfel im September 2016.

Junckers Auswewogenheitsgebot nicht umgesetzt?

Immer wieder macht die EU-Kommission mit Negativschlagzeilen beim Thema Lobbyeinfluss auf sich aufmerksam. Gesellschaftlich hochrelevante Generaldirektionen (diese entsprechen den deutschen Ministerien) wie das Klima- und das Steuerressort treffen sich ganz überwiegend mit Konzernlobbyisten. Und zwar obwohl Kommissionspräsident Juncker zu Beginn seiner Amtszeit vorgegeben hatte, “ Mitglieder der EU-Kommission sollten bei ihren Lobbytreffen eine angemessene Balance zwischen verschiedenen Interessen anstreben.“

Dabei beschäftigen sich sowohl das Klima- als auch das Steuerressort durchaus mit Themen, die gesellschaftlich hochbrisant sind und zu denen auch zahlreiche seriöse zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten. In den letzten zwei Jahren verbrachte etwa Klimakommissar Canete viel Zeit mit wichtigen Themen wie den UN-Klimaverhandlungen oder der Koordinierung der Energiepolitik in der EU – Sachverhalte, die er auch bei Lobbytreffen regelmäßig besprach. Steuerkommissar Moscovici beschäftigte sich gleichzeitig mit der Besteuerung von Unternehmen oder der Einführung einer Finanztransaktionssteuer – ebenfalls Themen, die soziale Sprengkraft haben.

Auch in anderen Ressorts sieht die Lage eher düster aus.

Transparenz ist nur der erste Schritt

Uns war immer klar: Transparenz ist nur der erste Schritt, um ungezügelten Lobbyeinfluss zu regeln. Seit zwei Jahren sind die Lobbykontakte der obersten Ebene der Kommission – Kommissare und deren Kabinette – öffentlich einsehbar. Das ist gut, denn esmacht die Dimensionen von unausgewogenem Einfluss auf die Politik sichtbar.

Und diese Dimension ist gravierend: Neun der 30 Kommissare, also rund ein Drittel, treffen sich zu mehr als 70 Prozent mit Unternehmensvertretern. Wir haben deshalb nachgefragt, welche Maßnahmen in den Generaldirektionen getroffen wurden, um Junckers Vorgabe umzusetzen. Die Antwort lautet: Keine einzige. Jedenfalls keine, die irgendwann einmal zu Papier gebracht wurde. Das muss Juncker zu denken geben. Die Balance bei der Anhörung verschiedener Interessen ist bisher in den meisten Generaldirektionen nicht mehr als eine leere Worthülse geblieben.

Finanzstarke Akteure dominieren

Das liegt sicher nicht nur an der Kommission. Die Kräfteverhältnisse in unserer Gesellschaft sind das Problem. Zwei Drittel der rund 30.000 Lobbyisten in Brüssel vertreten Unternehmen und Vermögende. Finanzstarke Interessen können sich deshalb oftmals mehr Gehör bei den politisch Verantwortlichen verschaffen.

Gebot der Ausgewogenheit muss geachtet werden

Doch es gibt erfreuliche Ausnahmen. Dem Entwicklungsressort der Kommission etwa gelingt es, ausgewogen Unternehmen und Zivilgesellschaft anzuhören. Dabei fällt eines besonders ins Auge: Die Entwicklungsdirektion nimmt schlichtweg weniger Lobbytreffen wahr. Wer also das Ausgewogenheitsgebiet von Präsident Juncker ernst nimmt, wird automatisch weniger Lobbytreffen wahrnehmen.

Mehr interne Expertise für EU-Institutionen

Ein Grund, der von der Kommission für Lobbytreffen angeführt wird, ist die externe Expertise, die man einholen will. Ein durchaus legitimer Grund. Wir finden allerdings: Selbst wenn man Expertise von außen einholt, darf man als politische Institutionen nicht darauf angewiesen sein. Man sollte mindestens dazu in der Lage sein, die von außen eingeholte Expertise intern zu prüfen.

Kommission: Es gibt kein bürokratisches Monster!

Brisant dabei: Die Entwicklungsdirektion verfügt über den größten Personalbestand der EU-Kommission. Das zeigt: Politische Institutionen sollten – gerade, was die inhaltliche Expertise angeht – personell exzellent ausgestattet sein.
Schaut man sich die EU-Kommission genau an, so hat sie weitaus weniger Angestellte als etwa die Stadt Hamburg. Mit rund 32.000 Mitarbeitern gegenüber der Stadt Hamburg mit 50.000 Angestellten gibt sie sich äußerst bescheiden dafür, dass sie das Initativrecht für einen großen Teil europäischer Gesetzgebung hat und außerdem für ihre Umsetzung verantwortlich ist.

Die Grafik zeigt die Anzahl der Beschäftigten der EU-Kommission nach Generaldirektionen.

Die Grafik zeigt die Anzahl der Beschäftigten der EU-Kommission nach Generaldirektionen. Bildquelle: EU-Kommission.

Beispiel Entwicklungsdirektion muss Schule machen

Die Auswertung sämtlicher Ressorts der EU-Kommission zeigt, dass Juncker das Ziel eines ausgewogeneren Lobbyeinflusses verfehlt hat. So, wie es etwa in der Steuer- und Klimapolitik läuft, kann es nicht weitergehen. Das Beispiel des Entwicklungsressorts hingegen muss Schule machen. Juncker muss seine Kommissare zwingen, sich dies zum Vorbild zu nehmen und strategische Überlegungen anzustellen, wie sie eine Balance bei der Anhörung von Interessen erreichen können.

Die Anstrengung der einzelnen Ressorts wird aber nicht reichen, um die Dominanz von Unternehmenslobbyisten zu brechen.Dazu brauchen wir ein grundsätzlicheres Nachdenken über die politischen Institutionen in der EU.

Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie politische Institutionen ausgestattet sein müssen, damit sie künftig nicht auf externe Expertise angewiesen sind. Einen Wettbewerb um Ressourcen werden zivilgesellschaftliche Akteure stets verlieren. Ausgewogene Anhörung von Interessen erreichen wir also nur, wenn sich die Ausstattung und das Verhalten der Kommission grundsätzlich verändert!

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