Seitenwechsel

Barroso, Kroes, De Gucht: Juncker muss skandalöse Seitenwechsel verhindern!

Direkt nach Ende ihrer 18-monatigen Karenzzeit wechseln Ex-Kommissionspräsident Barroso und zwei weitere Kommissar/-innen in problematische bis skandalöse Tätigkeiten – als hätten sie nur auf das Ende ihrer viel zu kurzen Karenzzeit gewartet. Wir haben uns bei Kommissionspräsident Juncker über seine Untätigkeit beschwert und fordern strengere Verhaltensregeln.
von 29. September 2016

Direkt nach Ende ihrer 18-monatigen Karenzzeit wechseln Ex-Kommissionspräsident Barroso und zwei weitere Kommissar/-innen in problematische bis skandalöse Tätigkeiten - als hätten sie nur auf das Ende ihrer viel zu kurzen Karenzzeit gewartet. Gemeinsam mit unserem europäischen Netzwerk ALTER-EU haben wir uns bei Kommissionspräsident Juncker über seine Untätigkeit beschwert und fordern strengere Verhaltensregeln.

Barroso in seiner Zeit als EU-Kommissionspräsident.
EPP - Public Domain
José Manuel Barroso in seiner Zeit als EU-Kommissionspräsident.

Fall Barroso: Juncker handelt erst auf Druck der Öffentlichkeit

Es ist ein wahrer Skandalsommer bei der EU-Kommission: Kaum dass die 18-monatige Karenzzeit für die Kommissare der vorigen EU-Kommission vorbei ist, kündigte Ex-Kommissionspräsident Barroso an, in Zukunft die Investment Bank Goldman-Sachs zu beraten. Ein Wechsel, der an Kaltschneuzigkeit und Verantwortungslosigkeit gegenüber der EU und ihrer Integrität nicht zu überbieten ist (LobbyControl berichtete). Juncker hätte sofort handeln müssen. Zwar hat er Barroso jetzt seiner Privilegien enthoben und lässt seinen Vertrag mit Goldman Sachs prüfen - aber dies ist erst auf den Druck einer empörten Öffentlichkeit geschehen. Punkt eins, über den wir uns in unserem Brief an Juncker beschweren.

Fragwürdige Tätigkeiten auch bei Neelie Kroes...

Aber auch andere Ex-Kommissar/-innen haben direkt nach Ende ihrer Karenzzeit Tätigkeiten ergriffen, die wir für schwer bis gar nicht hinnehmbar halten: Neelie Kroes, ehemalige Digitalkommissarin (vorher Wettbewerbskommissarin), sitzt in einem Strategiegremium des Online-Taxivermittlers Uber und soll helfen, die rechtlichen Hürden für dessen Geschäftsmodell zu umschiffen. Sie hatte bereits als EU-Kommissarin das Vorgehen der Behörden gegen Uber als innovationsfeindlich kritisiert. Selbst wenn sie hier Überzeugungstäterin sein sollte, hinterlässt dieser Wechsel einen schalen Geschmack.

Problematischer noch aber ist ihr Sitz im Verwaltungsrat von Salesforce einzuschätzen. Der weltgrößte Anbieter von Online-Software aus den USA hat direkte Interessen an ihrem letzten Fachbereich als Digitalkommissarin. Hier besteht unserer Meinung nach ein klarer Interessenkonflikt.

Ihr Direktorinnenposten bei einer Offshorefirma auf den Bahamas während ihrer Zeit als EU-Kommissarin und ihr gleichzeitiger Schutz von Steuersümpfen sollen hier nur am Rande erwähnt werden. Die EU-Kommission muss diesen Vorwürfen detailliert nachgehen und sie eindeutig sanktionieren.

...und Karel de Gucht

Der ehemalige Handelskommissar sitzt seit Mai 2016 im Aufsichtsrat des Stahlriesen ArcelorMittal, einem großen und aktiven Lobbyisten bei den europäischen Institutionen, der jährlich 1.500.000 Euro für Lobbyarbeit dort ausgibt. Das Unternehmen hat durch geschickte Lobbyarbeit extrem gut vom EU-Emissionshandel profitiert und mehrere Millionen Euro mit überschüssigen Klimagaszertifikaten verdient.

Hinzu kommen weitere fragwürdige Nebentätigkeiten: De Gucht wechselte in die Vorstände des Telekommunikationskonzerns Belgacom und der Privatbank Merit Capital. Beide Unternehmen betreiben Lobbyarbeit auf EU-Ebene. Es bestehen somit erheblich Gefahren für Interessenkonflikte mit seinem ehemaligen Job. Mehr zu diesen Seitenwechseln hier.

Verhaltenskodex für EU-Kommissare: Verträge richtig umgesetzt?

All diese Tätigkeiten sollten die Kommissare auch nach 18 Monaten unserer Meinung nach nicht ergreifen dürfen. Es handelt sich um klare Interessenkonflikte. Die EU-Kommission tut so, als seien ihr die Hände gebunden. In Wahrheit stünde es ihr frei, den Verhaltenskodex für Kommissare strenger zu fassen. Ja, uns scheint dies sogar durch die  EU-Verträge geboten: Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellt in Artikel 245 fest, die Kommissar/-innen verpflichten sich bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit, "...bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile nach Ablauf dieser Tätigkeit ehrenhaft und zurückhaltend zu sein." Unter anderem kann die EU-Kommission bei Verletzung dieser Pflichten den Kommissar/-innen "ihre Ruhegehaltsansprüche oder andere an ihrer Stelle gewährte Vergünstigungen aberkennen."

Reicht eine Karenzzeit von 18 Monaten aus, um diesen Vertrag zu erfüllen? Läuft die Pflicht, ehrenhaft und zurückhaltend zu sein, nach 18 Monaten ab?  Wir denken nein, und wir verlangen von Juncker, dass er den Vertrag besser umsetzt.

Erhöhung der Karenzzeit auf drei Jahre...

Dazu gehört für uns die Erhöhung der Karenzzeit auf drei Jahre und eine Reform des Ad-hoc-Ethik-Komitees. Dieses Gremium, dass bisher Seitenwechsel von EU-Kommissaren untersucht, wenn die EU-Kommission es beauftragt, sollte vollkommen unabhängig besetzt werden. Es muss von vornherein bei jedem Seitenwechsel tätig werden, Investigativrechte haben und Verbote/Sanktionen aussprechen können.

...Und: Ethik-Kommittee unabhängig besetzen

Apropos unabhängig besetzt: Davon kann beim aktuell amtierenden Ethik-Kommittee ein weiteres Mal keine Rede sein. 2013 beschwerten wir uns erfolgreich über den damaligen Vorsitzenden des Kommitees: Der ehemalige Generaldirektor des Justiziariats der EU-Kommission Michel Petite hatte selbst die Seiten gewechselt und arbeitete als Anwalt und Lobbyist unter anderem für die Tabaklobby. Er wurde schließlich von seinem Vorsitz enthoben - allerdings erst nach Einschreiten des europäischen Bürgerbeauftragten.

Heute sitzt in dem dreiköpfigen Gremium - neben einem ehemaligen EuGH-Richter - Dagmar Roth-Berendt, Sonderberaterin des EU-Gesundheitskommissars Andriukaitis, sowie ein ehemaliger Generaldirektor der EU-Kommission. Wir bezweifeln, dass die beiden unabhängig genannt werden könnten. Sie sind oder waren dem europäischen Spitzenpersonal viel zu nahe für ein neutrales Urteil. Man kann anzweifeln, ob Frau Roth-Berendt dem Kommissar, den sie berät, wirklich den lukrativen Seitenwechsel in die Industrie vermiesen würde.

Foto: José Manuel Barroso, © bit.ly/EPP onFlickr

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