Seitenwechsel

Karenzzeit-Gesetz: ein schwacher Schritt vorwärts

Wenn Minister oder Staatssekretäre die Seiten wechseln und Jobs als Lobbyisten annehmen, folgen meist kontroversen Diskussionen. Zu Recht, denn der Gang durch die Drehtür zwischen Politik, Verbänden und Unternehmen, führt regelmäßig zu Interessenkonflikten. Heute will das schwarz-rote Kabinett endlich einen konkrete Regelung für solche Seitenwechsel beschließen. Ein genauerer Blick auf den Gesetzesentwurf zeigt: Ohne Nachbesserungen wird die Karenzzeit trotz einiger positiver Aspekte zu schwach ausfallen.
von 4. Februar 2015
pofalla kanzleramt

Die Liste der Seitenwechsel aus der Regierung ist inzwischen lang. Hier ein Bild von unserer Aktion im März 2014 vor dem Kanzleramt.

Wenn Minister oder Staatssekretäre die Seiten wechseln und Jobs als Lobbyisten annehmen, folgen meist kontroverse Diskussionen. Zu Recht, denn der Gang durch die Drehtür zwischen Politik, Verbänden und Unternehmen führt regelmäßig zu Interessenkonflikten und ist oft mit einem „bösen Schein“ behaftet. Heute will die schwarz-rote Koalition endlich eine konkrete Regelung für solche Seitenwechsel auf gesetzlicher Grundlage beschließen. Das ist positiv, schließlich haben wir uns seit vielen Jahren für eine solche Karenzzeit-Regelung eingesetzt.

Doch ein genauerer Blick auf den Gesetzesentwurf des Innenministeriums zeigt: Ohne Nachbesserungen wird die Karenzzeit trotz vieler positiver Aspekte zu schwach ausfallen. Gemeinsam mit Transparency International Deutschland haben wir daher heute Veränderungen bei vier der wichtigsten Punkte angemahnt: Wechsel in Lobbytätigkeiten sollen explizit untersagt werden und die Karenzzeit sollte länger gelten. Außerdem sollte das Gesetz Sanktionsmöglichkeiten enthalten, falls die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten werden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass das Gesetz auf seine Wirkung überprüft wird. Spielraum für Veränderungen gibt es noch, denn das Gesetz muss erst noch vom Bundestag verabschiedet werden. In Kraft treten wird die Neuregelung daher frühestens im Sommer.

Zu schwach

Der Gesetzesentwurf der Koalition sieht vor, dass die Annahme von Tätigkeiten bei Verbänden oder Unternehmen untersagt werden kann, wenn ein direkter Interessenkonflikt auf Grund von inhaltlichen Überschneidungen zwischen Amt und neuem Job vorliegt. Das ist ein wichtiger Punkt und es ist gut, dass das Gesetz dies regelt.

Darüber hinaus sollen Seitenwechsel während der Karenzzeit auch dann untersagt werden können, wenn durch den Wechsel „das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Bundesregierung“ gefährdet werden kann. Damit bleibt die Regelung aber vage. Unter dieser Regelung können auch Wechsel in Lobbytätigkeiten erfasst werden, aber das ist nicht eindeutig geregelt. Fliegende Wechsel in Lobbytätigkeiten verschaffen finanzstarken Lobbyakteuren Vorteile gegenüber anderen Interessensvertretern und sind deshalb für die Demokratie problematisch. Daher sollte das Gesetz konkret klarstellen, dass Wechsel in Lobbyjobs grundsätzlich und unabhängig vom vorherigen Verantwortungsbereich während der Karenzzeit zu untersagen sind.

Zu schwach bleibt der Entwurf an einem weiteren Punkt: Sanktionen für gesetzwidriges Verhalten sind nicht vorgesehen. Sollte ein Minister oder Staatssekretär aus Versehen oder mit Absicht die Vorschriften der Karenzzeit-Regel nicht beachten, bliebe dies nach derzeitigem Stand folgenlos. Die Politik vertraut auf die öffentliche Kritik als Sanktionsmittel. Dessen Wirkung ist aber gerade bei ehemaligen Politikern zweifelhaft. Hier muss nachgebessert werden.

Zu kurz

Auch die Länge der Karenzzeit sollte nachgebessert werden. Vorgesehen sind laut Gesetzesentwurf in der Regel zwölf Monate, in Ausnahmefällen 18 Monate. Für welche Fälle 18 Monate gelten sollen, ist noch unklar. Beides ist jedoch nicht ausreichend für eine echte Abkühlphase. Für EU-Kommissare gelten 18 Monate und Bundesbeamte müssen mindestens drei Jahre lang die Aufnahme neuer Jobs anzeigen (§ 105 BBG). Das Übergangsgeld für Minister wird bis zu zwei Jahre lang gezahlt und ist bisher mit keinerlei Verpflichtungen verbunden. Das ist die Messlatte, an der sich die Koalition orientieren sollte. Wir fordern eine Karenzzeit von drei Jahren, da politische Prozesse oft nach zwölf oder 18 Monaten nicht abgeschlossen sind und das Kontaktnetzwerk nicht ausreichend abgekühlt ist.

Zu spät

Trotz dieser Minuspunkte ist es erfreulich, dass die Koalition endlich überhaupt eine konkrete Regelung beschließen möchte. Es gibt auch positive Seiten der vorgeschlagenen Regelung. So soll ein neu zu schaffendes Gremium jeden Seitenwechsel prüfen und eine Empfehlung an die Bundesregierung aussprechen. Transparency Deutschland und LobbyControl begrüßen, dass alle Empfehlungen veröffentlicht werden sollen und die Bundesregierung nicht allein und ohne Begründung Entscheidungen über Karenzzeiten treffen kann.

Allerdings kommt die Karenzzeit reichlich spät und vor allem zu spät für all die prominenten Seitenwechsel der letzten Monate und Jahre. Viele Minister und Staatssekretäre der 2013 abgewählten schwarz-gelben Koalition haben inzwischen neue Tätigkeiten aufgenommen, ohne dass diese auf Interessenkonflikte geprüft wurde. Einige Beispiele, die auch noch einmal die Problematik der Seitenwechsel verdeutlichen:

  • Der ehemalige Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) setzt seine gesundheitspolitischen und -ökonomischen Kenntnisse nun für die Allianz AG ein – genauer: für die für Privatversicherungen zuständige Tochter des Konzerns. Dort ist Bahr unter anderem für eben jenes Produkt zuständig, das so eng mit dem Gesundheitsminister Bahr verbunden ist, dass es seinen Namen trägt: Mit dem sogenannten Pflege-Bahr wurde ergänzend zur gesetzlichen Pflegeversicherung unter Bahrs Ägide eine staatlich subventionierte private Pflegeversicherung eingeführt. Die Allianz und andere Versichungskonzerne dürfte das gefreut haben. Auch sonst hat sich Bahr wiederholt für die Interessen der Anbieter privater Krankenversicherungen eingesetzt.
  • Der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel ist der nächste Seitenwechsler in der Reihe der FDP-Ex-Minister. Als Entwicklungshilfe-Minister war Niebel Mitglied im Bundessicherheitsrat, jenem geheim tagenden Gremium, das unter anderem über Rüstungsexporte entscheidet. Auch dürfte Niebel qua Amt ein stattliches Kontaktnetzwerk zu ausländischen Regierungen aufgebaut haben, schließlich sind viele Länder nicht nur Partner bei der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch wichtige Kunden für die deutsche Rüstungsindustrie. Der Wechsel zum Rüstungkonzern Rheinmetall in die Position des Cheflobbyisten erscheint vor diesem Hintergrund sehr fragwürdig.

Anders als die FDP ist die Union nach wie vor Regierungspartei und im Bundestag vertreteten. Einige Unionsminister aus der schwarz-gelben Zeit – wie Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen oder Thomas de Maizière – sind weiter im Amt. Andere sind zwar nicht mehr Teil der Regierung, aber Mitglieder des Bundestages. So ist Ex-Verkehrsminister Ramsauer (CSU) inzwischen der Vorsitzende des wichtigen Ausschusses für Wirtschaft und Energie. Doch das scheint den ehemaligen Minister nicht vollständig auszulasten: So zeigte er gegenüber der Bundestagsverwaltung an, seit Mai 2014 einen nicht näher benannten Mandanten in Strategiefragen zu beraten, was ihm monatliche Zusatzeinkünfte von mindestens 7.000 Euro sichert. Auch eine solche Nebentätigkeit eines Ex-Ministers und gegenwärtigen Bundestagsabgeordneten hätte bei bereits geltender Karenzzeitregelung geprüft werden müssen.

Zu spät kommt die Karenzzeit auch für die beiden Unions-Seitenwechsler aus dem Kanzleramt, Ronald Pofalla und Eckart von Klaeden. Die beiden sind enge Vetraute der Bundeskanzlerin und inzwischen beide Cheflobbyisten: Pofalla bei der Bahn, von Klaeden bei Daimler. Beide haben zwar freiwillig – oder wegen der öffentlichen Kritik – 12 Monate gewartet. Aber wegen der thematischen Überschneidung und der expliziten Lobytätigkeit hätte aus Sicht von LobbyControl bei der neuen Gesetzeslage mindestens der Rahmen von 18 Monaten Karenzzeit ausgeschöpft werden sollen. Neben den Ministern gab es weitere Wechsel auf Ebene der Staatssekretäre. Ein Beispiel ist Jan Mücke, der als Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium tätig war und nun als Geschäftsführer des Deutschen Zigarettenverbandes die Lobbyarbeit der Tabakindustrie koordiniert.

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