Die neue Studie „Coded for Privileged Access“ von Corporate Europe Observatory (CEO) und LobbyControl legt offen, wie Big Tech strukturelle Vorteile bei der Entwicklung des Kodex hatte und wie es ihnen gelang, die Regeln für KI erfolgreich zu verwässern. Die Studie basiert auf Interviews und der Auswertung von Lobby-Papieren.
Die Kernergebnisse im Überblick:
Privilegierter Zugang von Big Tech
Tech-Konzerne wie Google, Microsoft, Meta und Amazon hatten weit mehr Zugang zum Erarbeitungsprozess des Verhaltenskodex als andere Interessengruppen. Eine Gruppe von großen KI-Modellanbietern, die durch den Kodex reguliert werden sollen, wurde zu speziellen Workshops mit den Vorsitzenden der Arbeitsgruppen eingeladen. Darunter 15 Konzerne aus den USA.
Andere Stakeholder, einschließlich zivilgesellschaftlicher Organisationen und kleiner Unternehmen, hatten nur begrenzten Zugang zum Prozess. Deren Teilnahme an den Workshops beschränkte sich zumeist auf eine emoji-basierte Bewertung von Fragen und Kommentaren über eine Online-Plattform. Mehrere Stakeholder, darunter die NGO Reporter ohne Grenzen, zogen sich aufgrund des einseitigen Einflusses von Big Tech zurück.
Interessenkonflikte
Das AI-Office der EU-Kommission beauftragte externe Berater für die Ausarbeitung des Verhaltenskodex. Unsere Recherche zeigt, dass die Beraterfirmen geschäftliche Verbindungen zu Big Tech haben. Ein Beispiel: Der Hauptauftragnehmer, das französische Beratungsunternehmen Wavestone, implementiert das KI-Tool 365 Copilot von Microsoft in französischen Unternehmen – und zwar im Auftrag von Microsoft. 2024 wurde Wavestone mit dem „Microsoft Partner of the Year Award“ ausgezeichnet, während die Beraterfirma gleichzeitig bereits die EU-Kommission bei der Entwicklung des Verhaltenskodex unterstützte.
Illegale Diskriminierung als weniger riskant eingestuft
Eines der umstrittensten Themen ist die Risikotaxonomie. Der zweite Entwurf des Kodex unterscheidet nur noch zwischen „systemischen Risiken“, wie dem Verlust menschlicher Aufsicht, und einer viel schwächeren Kategorie zusätzlicher Risiken. Die Recherche zeigt die konzertierte und erfolgreiche Lobbyarbeit von Google und Microsoft. Sie bewirkte, dass „illegale Diskriminierung“ aus der Liste der systemischen Risiken gestrichen und die Risikoabschätzung somit geschwächt wurde.
Felix Duffy, Campaigner bei LobbyControl, kommentiert:
„Der einseitige Prozess zur Entwicklung des KI-Verhaltenskodex’ hat den Tech-Konzernen einen privilegierten Zugang verschafft, über den die Zivilgesellschaft nicht verfügte. Das ist inakzeptabel und stärkt die Macht von Google, Meta, Microsoft & Co. Big Tech hat aufgrund seiner enormen Ressourcen ohnehin bereits erheblichen Einfluss auf die EU-Politik.
Es ist keine Überraschung, dass die Lobbykampagne der KI-Industrie zu einer Verwässerung der KI-Regeln geführt hat. Aber wir brauchen bessere statt abgeschwächte Regeln. Die EU muss daher nachbessern, die Regulierung von KI stärken und entschieden gegen die Agenda der Tech-Monopole vorgehen.“
Der Verhaltenskodex für Allzweck-KI-Modelle scheint eines der ersten Ziele der aktuellen Deregulierungswelle in der EU zu sein. Da die wichtigsten Vorschriften zu KI, Datenschutz und Privatsphäre in diesem Jahr zur Überprüfung anstehen, dürften die Hauptnutznießer die großen Tech-Konzerne sein. Sie verfügen über enorme Lobbymacht, um das in den letzten Jahren geschaffene digitale Regelwerk der EU zu schwächen. Hinzu kommt der Lobbydruck der US-Regierung mit ihren engen Verbindungen zu den Tech-Oligarchen aus dem Silicon Valley.
Bram Vranken, Campaigner bei Corporate Europe Observatory, kommentiert:
„Die EU-Kommission ist besessen von sogenannter ‚Vereinfachung‘ und ‚Wettbewerbsfähigkeit‘. Sie öffnet damit der aggressiven Lobbyarbeit von Big Tech Tür und Tor. Der KI-Verhaltenskodex ist nur eines der ersten Opfer dieses zielstrebigen Fokus auf Deregulierung. Da die Grundrechte auf dem Spiel stehen, sollte die Kommission dringend ihren Kurs ändern und eine echte Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie einen starken Verhaltenskodex sicherstellen.“
Anstatt die Deregulierungstrommel zu rühren, fordern Corporate Europe Observatory und LobbyControl die EU-Kommission auf, sich entschieden gegen die Agenda der Tech-Monopole zu stellen und die Regulierung von KI zu stärken.
Hintergrund
- Gemeinsam mit Corporate Europe Observatory und Observatoire des Multinationales hat LobbyControl bereits im März 2024 aufgedeckt, wie Big Tech und europäische Start-ups erfolgreich den AI Act verwässert haben.
- Ausführliche Recherche von Corporate Europe Observatory zum Lobbyeinfluss von Big Tech auf die Standardsetzung im AI Act