Lobbyismus in der EU

LobbyControl protestiert gegen Tabaklobbyist als EU-Ethikberater

Das Ethik-Komitee der EU-Kommission entscheidet über die Zulässigkeit von Seitenwechseln von EU-Kommissaren. Mitentscheiden soll dabei ein hochrangiger ehemaliger EU-Beamter, der heute als Lobbyist tätig ist. Er arbeitet unter anderem für die Tabakindustrie und verschaffte ihr bei der Tabakproduktrichtlinie privilegierten Zugang zur Kommission. Politik absurd! LobbyControl legt gegen diese Entscheidung der EU-Kommission Protest bei Präsident Barroso ein.
von 14. Januar 2013
Michel Petite

Michel Petite (rechts) 2004 in seiner Tätigkeit als EU-Beamter bei der Unterzeichnung des EU-Übereinkommens über Zigarettenschmuggel mit dem damaligen Philip Morris CEO, Andre Calantzopoulos. Photo: ec.europa.eu

Das Ethik-Komitee der EU-Kommission entscheidet über die Zulässigkeit von Seitenwechseln von EU-Kommissaren. Mitentscheiden soll dabei ein hochrangiger ehemaliger EU-Beamter, der heute als Lobbyist tätig ist. Er arbeitet unter anderem für die Tabakindustrie und verschaffte ihr bei der Tabakproduktrichtlinie privilegierten Zugang zur Kommission. Politik absurd! LobbyControl legt gegen diese Entscheidung der EU-Kommission Protest bei Präsident Barroso ein.

Bis 2008 war Michel Petite selbst Generaldirektor des Juristischen Diensts der Kommission. Dann wechselte er von seiner Beamtentätigkeit direkt zur Anwaltskanzlei Clifford Chance. Für diesen Seitenwechsel war er 2008 für den Worst EU Lobbying Award nominiert. Clifford Chance ist eine Anwaltskanzlei, die ihren Kunden, zumeist Großunternehmen, auch selber Lobbydienstleistungen anbietet. Ins EU-Lobbyregister trägt sie sich dennoch nicht ein.

Seit Dezember 2012 wissen wir, dass Petite unter anderem für den Tabakmulti Philip Morris Lobbyarbeit betreibt. 2011 und 2012 hat er für den Konzern Gespräche mit dem juristischen Dienst der EU-Kommission über die Tabakproduktrichtlinie geführt – angeblich über „juristische Fragen“ der Richtlinie, die die Tabakindustrie gerne verwässern möchte. Dabei pflegt der juristische Dienst in der Regel keine Industriekontakte. Petite erhielt hier also aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Generaldirektor des juristischen Dienstes privilegierten Zugang. Und das noch nach fünf Jahren – das zeigt, dass der Einfluss von Seitenwechslern sogar noch langanhaltender ist, als bisher gefürchtet.

Entscheidung zeigt: Die Kommission nimmt Interessenkonflikte nicht ernst

Und diesen Mann hat die EU-Kommission nun Ende letzten Jahres wieder als Mitglied ihres dreiköpfigen Ethik-Komitees bestätigt.  Dieses entscheidet in erster Linie, ob bei Seitenwechseln von EU-Kommissaren Interessenkonflikte vorliegen. Ob Petite – wie bisher – auch den Vorsitz des Gremiums innehaben wird, ist noch unklar. Die Wiederwahl ist eine absurde Entscheidung: die Kommission hat offensichtlich immer noch nicht verstanden, was Interessenkonflikte sind und worum es bei ihrer Verhinderung eigentlich geht. Den Wechsel ihres hohen Beamten hatte sie 2007 schließlich auch selbst genehmigt – mit der Einschränkung, ein Jahr lang nicht seine ehemaligen Kollegen zu Zwecken der Lobbyarbeit aufzusuchen und nicht an Fällen zu arbeiten, an denen seine ehemalige Abteilung beteiligt war.

Wiederberufung widerspricht den Vorschriften des Ethik-Komitees

LobbyControl legt gegen die Wiederwahl gemeinsam mit mehreren anderen europäischen Organisationen bei Barroso Protest ein. Michel Petite ist mit seiner Karriere als Lobbyist kein glaubwürdiger Kandidat für ein Komitee, das über mögliche Interessenkonflikte scheidender Kommissare bei ihren neuen Tätigkeiten entscheiden soll. Ein Blick in die Geschichte des Komitees zeigt, dass es unter seinem Vorsitz trotz zahlreicher Seitenwechsel mit Potenzial für Interessenkonflikte nur ein einziges Mal einen Seitenwechsel unterbunden hat: den von Charles McCreevy, als Kommissar zuständig für die Finanzmarktregulierung, zu einer Investmentbank.

Wir sind der Meinung, dass die Wiederberufung von Petite ins Ethik-Komitee der Kommission den Vorschriften zur Berufung dieses Komitees widerspricht: Laut Artikel 4 bedarf es für die Ernennung „Unabhängigkeit, einen makellosen Lebenslauf und ein fundiertes Wissen über gesetzliche Rahmenbedingungen und Arbeitsmethoden der Kommission“. Die Unabhängigkeit des Herrn Petite sehen wir aber nicht gewährleistet. Einmal davon abgesehen, dass es ihm selber an einer realistischen Einschätzung von Interessenkonflikten zu mangeln scheint: Was passiert, wenn ein Kommissar zu einem Unternehmen wechseln will, dass Kunde bei Clifford Chance ist? Welches Interesse sollte er haben, diesen Seitenwechsel zu unterbinden? Augrund der Tatsache, dass seine Kanzlei den Eintag ins Lobbyregister verweigert, kennen wir seine Kunden nicht einmal.

Prüfen lassen werden wir auch, ob die Ernennung Petites gegen die Regeln der Weltgesundsheitsorganisation WHO verstößt. Ihnen zufolge sollen Regierungen klare Regeln aufstellen, um Beamte aus dem Gesundheitsbereich davon abzuhalten, in die Tabakindustrie zu wechseln. Mit Herrn Petite im Ethikkomitee, der für seine Kanzlei für die Tabakindustrie tätig ist, kann dies nicht garantiert werden. Generell fordern wir, dass das Ethik-Komitee der Kommission mit externen und unabhängigen Experten besetzt wird.

Unterschriftenaktion gegen Dalli endet bald – unterschreiben Sie jetzt

Demnächst endet die Unterschriftenaktion, mit der wir Barroso auffordern, die Fakten über den Rücktritt von Dalli auf den Tisch zu legen und die Regeln rund um Lobbytransparenz und Ethik bei der Lobbyarbeit zu verbessern. Unterschreiben Sie jetzt – der Fall Petite zeigt einmal mehr, dass die Kommission unbedingt klarere Regeln benötigt!

Das Schreiben an Kommissionspräsident Barroso, in dem wir ihn auffordern, seine Entscheidung zur Berufung Petites zu überdenken, finden Sie hier (PDF).

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