Lobbyismus in der EU

Geleakte Philip Morris-Lobbydokumente zeigen Unbrauchbarkeit des EU-Lobbyregisters

Nach fünfjähriger Debatte wurde gestern die Tabakproduktrichtlinie vom  Europäischen Parlament mit einigen Verwässerungen beschlossen – sie geht nun in die Verhandlungen mit dem Ministerrat und der EU-Kommission. Im September publik gewordene firmeninterne Dokumente des Tabakriesen Philip Morris International zeigen die massive Lobbyarbeit, die allein dieser Konzern aufgewendet hat, um EU-Abgeordnete gegen die Richtlinie einzuschwören. Die […]
von 10. Oktober 2013
Bild: elycefeliz. Lizenz: Creative Commons

Bild: elycefeliz. Lizenz: Creative Commons

Nach fünfjähriger Debatte wurde gestern die Tabakproduktrichtlinie vom  Europäischen Parlament mit einigen Verwässerungen beschlossen – sie geht nun in die Verhandlungen mit dem Ministerrat und der EU-Kommission. Im September publik gewordene firmeninterne Dokumente des Tabakriesen Philip Morris International zeigen die massive Lobbyarbeit, die allein dieser Konzern aufgewendet hat, um EU-Abgeordnete gegen die Richtlinie einzuschwören. Die Enthüllungen deuten darauf hin, dass die Einträge des Unternehmens im EU-Lobbyregister wohl kaum den realen Lobbykosten des Unternehmens entsprechen. Damit liegt ein weiterer Beweis für die Unbrauchbarkeit des freiwilligen Registers vor. Kommission und Parlament müssen dem bei ihren laufenden Verhandlungen über Verbesserungen am Register Rechnung tragen.

Die firmeninternen Dokumente geben einen sehr genauen Einblick in die Lobbystrategie des Branchenriesen Philip Morris International. Der Großteil der Abgeordneten wurde auf seine Haltung zur Tabakindustrie hin geprüft und danach eingeteilt, mit welchen Argumenten sie zu gewinnen wären. Auch wurde überlegt, ob eher die Veränderung oder das Hinausschieben der Richtlinie sinnvoll ist – die Zeit, die Richtlinie noch umzusetzen, ist aufgrund der im Mai 2014 anstehenden Europawahl knapp. Sie können mehr Details über die Dokumente unter anderem bei Spiegel Online, der Süddeutschen Zeitung, oder bei The Guardian lesen.

Nicht die Strategien an sich sind unserer Meinung nach außergewöhnlich – die Abgeordneten in Gegner und Unterstützer einzuteilen und die richtigen Argumente abzuwägen, ist wohl etwas, was so ziemlich jeder Lobbyakteur tut. Durchaus aufsehenerregend ist allerdings die Größe der Philip Morris-Lobbymaschinerie: Bis zu 161 Mitarbeiter haben zumindest einen Teil ihrer Zeit in Treffen mit EU-Parlamentariern investiert. 233 EU-Abgeordnete wurden allein bis Ende 2012 mindestens einmal kontaktiert, manche auch vier oder fünfmal.

Eintrag im EU-Lobbyregister spiegelt Ausmaß der Lobbyarbeit nicht wieder

Diesem gigantischen Aufwand kann wohl keine einzige NGO, können auch nicht alle auf Gesundheitsthemen ausgerichteten NGOs gemeinsam etwas entgegensetzen – und hier handelt es sich um lediglich einen der vier großen in Europa tätigen Tabakkonzerne. Die internen Dokumente machen aber nicht nur die Übermacht internationaler Konzerne bei der Lobbyarbeit deutlich. Sie sind auch ein weiterer Beweis dafür, dass das freiwillige Lobbyregister von EU-Kommission und Parlament nicht funktioniert.

Das Unternehmen gibt in seinem Eintrag in das Register an, 9 Mitarbeiter/innen seien 2012 an Tätigkeiten im Rahmen des Transparenzregisters beteiligt gewesen. Das Lobbybudget soll zwischen 1 und 1.25 Mio. Euro gelegen haben – das echte Ausmaß der Lobbyarbeit, das die internen Dokumente enthüllen, spiegelt sich in diesem Eintrag bei Weitem nicht wieder. In einer Pressemitteilung ging Philip Morris im Septembre auf die Medienberichte zu den internen Lobbydokumenten ein und erläuterte die darin enthaltenen Zahlenangaben wie folgt: Man habe 161 Mitarbeiter/innen befragt, die potentiell als Gesprächspartner von EU-Vertreter/innen in Betracht kamen, und hätte dann die Zeiten, die tatsächlich mit Gesprächen verbracht wurden, in Vollzeitäquivalente umgerechnet. Erster Fehler ist dabei, dass das Transparenzregister als Lobbyarbeit nicht nur die direkten Kontakte mit EU-Eliten zählt – sondern auch die Vorbereitung der Kontakte und alle anderen Tätigkeiten, die indirekt auf die Beeinflussung von Politikinhalten abzielen.

Außerdem beschränken sich die Berechnungen für das Lobbyregister auf drei Kostenpunkte, wie die internen Dokumente zeigen, nämlich Reisekosten, Beratungshonorare und Ausgaben für Mitgliedschaften/Events. Andere Faktoren, die auch in das Register gehören, wie Büromiete und Sekretariat, fehlen völlig.

Ein weiterer interessanter Aspekt: Der Eintrag zeigt auch die Inkonsistenzen des Registers, wenn es um die Unterstützung durch Lobbyagenturen geht. In den publik gewordnen Dokumenten nennt Philip Morris 561.100 Euro als Summe für Beratungstätigkeiten. Im Lobbyregister findet sich aber nur eine einzige Agentur, die Lobbyarbeit für das Unternehmen angibt, Europtimum Conseil, und damit ist der Betrag nur etwa zur Hälfte ausgeschöpft. Das heißt, eine weitere (oder mehrere) Agenturen geben ihren Kunden Philip Morris nicht an – oder der Tabakkonzern beschäftigt unregistrierte Lobbyunternehmen. Nun wissen wir, dass die Anwaltskanzlei Clifford Chance für Philip Morris tätig ist – ohne im EU-Register eingetragen zu sein. Ihr Mitarbeiter Michel Petite, ehemals Generaldirektor des Juristischen Diensts, hat seine ehemalige Abteilung 2012 zweimal für Philip Morris besucht, wie LobbyControl berichtete. Wegen dieses Vorgangs läuft derzeit eine Beschwerde von uns bei der Europäischen Ombudsfrau.

Kommission und Parlament müssen fehlende Aussagekraft des Registers erkennen und endlich handeln

Weitere Details über die Fehler des Registereintrags finden sich in der Beschwerde, die unsere Partner von Corporate Europe Observatory beim EU-Transparenzregister eingereicht haben. Die Inkongruenz zwischen den geleakten Dokumenten und dem Eintrag ist eindeutig. Für diesen Bruch des zum Lobbyregister gehörenden Verhaltenskodex (Angabe unvollständiger oder irreführender Informationen) dürfte es sogar eine kleine Sanktion geben. Das Unternehmen wird es verkraften: Zunächst wird es für einige Wochen aus dem Register verbannt und hat die Möglichkeit, seinen Eintrag zu verbessern. Der schlimmste Fall, falls es seinen Eintrag nicht ändert, wäre die endgültige Verbannung aus dem Register – und damit auch der Entzug der Zugangspässe zum Parlament. Es gibt andere Möglichkeiten, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter im Parlament aufzusuchen.

Wichtiger als dieser Schritt ist daher ein anderer. Seit September verhandeln Parlament und EU-Kommission über Verbesserungen am EU-Lobbyregister. Dabei soll es ausdrücklich auch um die Frage nach einem möglicherweise verpflichtenden Charakter des Registers gehen, Darüber wurde allerdings bisher nicht gesprochen. Die High-Level Working Group aus Vertreter/innen von Parlament und EU-Kommission verhandelt heute ein weiteres Mal. Sie muss aus diesem und vielen weiteren Fällen endlich die nötigen Konsequenzen ziehen: Das Register in seiner derzeitigen Form hat überhaupt keine Aussagekraft für die Öffentlichkeit. Wer im Schatten operieren will, kann dies bis heute problemlos tun.. Und wer – sei es nun mit oder ohne Vorsatz – vollkommen irreführende Angaben zum eigenen Lobbybudget macht, muss keine allzu schmerzhafte Sanktionen fürchten. Falls der Schwindel überhaupt auffliegt – denn nur selten kommen reale Zahlen – wie jetzt im Fall von Philip Morris – ans Tageslicht.

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