Lobbyismus in der EU

Filmtipp: The Brussels Business – Wer hat das Sagen in der EU?

Ein Dokumentarfilm über Lobbyismus in Brüssel im Kino – kann das funktionieren? Offensichtlich schon.  Mit „The Brus$€ls Business – Who Runs the European Union?“ ist eine informative und fesselnde Doku über die engen Verflechtungen zwischen Wirtschaftslobby und den Brüsseler EU-Institutionen gelungen. Der österreichische Regisseur Friedrich Moser zeichnet in Zusammenarbeit mit dem belgischen Sozialwissenschaftler und Filmproduzenten […]
von 2. April 2012

Ein Dokumentarfilm über Lobbyismus in Brüssel im Kino – kann das funktionieren? Offensichtlich schon.  Mit „The Brus$€ls Business – Who Runs the European Union?“ ist eine informative und fesselnde Doku über die engen Verflechtungen zwischen Wirtschaftslobby und den Brüsseler EU-Institutionen gelungen. Der österreichische Regisseur Friedrich Moser zeichnet in Zusammenarbeit mit dem belgischen Sozialwissenschaftler und Filmproduzenten Matthieu Lietaert ein kritisches Porträt der europäischen Einigungsgeschichte. In Bildern voll kalter Ästhetik und begleitet von meist recht düsterer Hintergrundmusik bekommt der Zuschauer in dem aufwändig produzierten Film einen Einblick in die undurchsichtige Welt des professionellen Lobbyings im Machtzentrum der Europäischen Union.

So begleitet man Pascal Kerneis, den Geschäftsführer des European Service Forum (ESF), einem Lobbyverband der Dienstleistungsindustrie, auf seinem Weg durch die Straßen von Brüssel und zu Treffen und Veranstaltungen, zu denen sonst nur wenige Zugang haben. Man sieht Kerneis im Gespräch mit Catherine Ashton oder auch bei einem Treffen der Global Services Coalition in Washington D.C.  Auch eine Veranstaltung des industrienahen Think Tanks Friends of Europe ist zu sehen. Kerneis spricht gerne über seine Arbeit: „Lobbying ist eigentlich nur Networking, es geht lediglich um Kontakte zwischen Menschen.“ Dabei beeindruckt es, wenn er durch die Hallen der EU-Institutionen läuft und sich bewusst macht: „Ich repräsentiere sechzig Prozent des europäischen Bruttoinlandprodukts!“ Etwas aus der Ruhe gebracht wirkt Kerneis nur, als er sich an die globalisierungskritischen Proteste zur WTO-Ministerkonferenz im Jahr 1999 in Seattle erinnert. Nachdem die Verhandlungen über globale Freihandelsabkommen ins Stocken gerieten, setzt sich Kerneis und der ESF heute für bilaterale Freihandelsabkommen zwischen der EU und Drittländern ein.

Mit sechzig Prozent des EU-Inlandprodukts im Gespräch

Es ist durchaus der Zugang zu interessanten, meist wenig in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten, der die Dokumentation besonders sehenswert macht. So plaudert Keith Richardson, der ehemalige Generalsektretär des European Roundtable of Industrialists, ein wenig aus dem Nähkästchen. Darüber, wie jener Club aus Vorstandsvorsitzenden großer europäischer Unternehmen den Prozess der Europäischen Integration kontinuierlich begleitete, vorantrieb und wesentlich auf richtungsweisende Entscheidungen Einfluss nahm. Durch solche Rückblicke werden weniger bekannte Facetten der EU-Geschichte aufgedeckt, bei der die öffentlich bekannten Protagonisten der europäischen Einigung seltsam blass bleiben und teilweise wie von der mächtigen Wirtschaftslobby vor sich her getrieben erscheinen. Hier wäre es interessant gewesen ergänzend die Perspektive zum Beispiel eines Jacques Delors, Präsident der EG-Kommission von 1985-94, zu hören, auf dessen Initiative 1985 das Weißbuch Binnenmarkt der Kommission erarbeitet wurde. Wie nahmen die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten oder führende EU-Beamte die Einflussversuche von Gruppen wie dem European Roundtable of Industrialists wahr?

Unermüdlich aktiv für Lobbytransparenz

Neben den geschichtlichen Reflexionen der Wirtschaftslobbyisten erfährt man auch etwas über die spannende Geschichte derjenigen Aktivisten, die sich seit über 20 Jahren in Brüssel für mehr Transparenz und Schranken für den Lobbyismus einsetzen: Olivier Hoedeman und Erik Wesselius, die heute die Brüsseler NGO und Partnerorganisation von LobbyControl, das Corporate Europe Observatory, leiten. Hoedeman und Wesselius berichten über Aktionen wie die Besetzung des Brüsseler Büros des European Round Table, wie wenig die Medien sich für die Rolle von Lobbyisten in der EU-Politik interessierten und wie sie trotzdem unermüdlich recherchierten und für mehr Transparenz kämpften. Das geringe mediale Interesse zeigte sich zum Beispiel als Hoedeman und Wesselius im Jahr 1997 die erste Ausgabe ihres aufwendig recherchiertes Buchs über den Einfluss transnationaler Unternehmen auf die EU-Politik, „Europe Inc.“, bei einer Pressekonferenz vorstellten. Kaum ein Journalist erschien. Das hat sich inzwischen zum Glück etwas geändert und das Buch war letztlich doch ein Erfolg.

Dass das Thema Lobbyismus und Transparenz stärker auf die politische Agenda gelangte, lag auch an dem estnischen EU-Kommissar Siim Kallas. Kallas lud Hoedeman und Wesselius nach seinem Amtsantritt 2004 zum Gespräch und brachte schließlich – gegen große Widerstände – die Europäische Transparenzinitiative auf den Weg. Auch er kommt zu Wort, wobei er leider die Frage unbeantwortet lässt, warum er ein verpflichtendes Lobbyregister, wie zunächst geplant, letztlich nicht durchsetzen konnte.

Vom Beginn des EU-Binnenmarkts bis zur Lissabonstrategie

Mit einem freiwilligen und dadurch weitgehend wirkungslosen Lobbyregister in Brüssel müssen wir bis heute leben. Auch ist der einseitige Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess in der EU nicht zurück gegangen, im Gegenteil. Das zeigt sich unter anderem an den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um einseitig mit Wirtschaftsvertretern besetzte EU-Expertengruppen oder an den Debatten über Interessenkonflikte, wenn Lobbyisten in offizielle EU-Funktionen wechseln. Diese aktuellen Probleme des Systems Lobbyismus in der EU werden von dem Film nur wenig thematisiert. Dafür ist der historische Rückblick spannend, gut recherchiert und erhellend, ohne dabei verschwörungstheoretisch zu argumentieren. Der Blick auf die EU wird durch die Außenperspektive von renommierten Wissenschaftlern wie Craig Holman aus Washington D.C. abgerundet. Holman setzt sich in den USA seit Jahren für Lobbytransparenz und ethische Regeln ein. Er arbeitete wesentlich an dem so genannten Open Government and Honest Leadership Act von 2007 mit.

Wer den Film schon jetzt sehen möchte, muss leider nach Österreich fahren. Dort läuft er bereits seit dem 16. März in den Kinos. Im April startet der Film in Brüssel. Sobald der Film in Deutschland in die Kinos kommt oder auf DVD erscheint, werden wir darauf hinweisen. Ein kurzer Trailer kann auf Youtube oder der Webseite des Films betrachtet werden:

http://www.youtube.com/watch?v=4YjtB5Ux5qQ&feature=player_detailpage

 

 

 

 

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4 Kommentare

QuoX30. August 2012 um 14:21

Bei der Vorstellung in München, die ich besuchte, war höchstens ein Dutzend Zuschauer. Leider ist das Interesse bei denen die es letztendlich trifft immer noch nicht angekommen.
Nicht nur das Thema an sich, auch der beeindruckende Film, sollte eigentlich für ausverkaufte Kinosäle sorgen.

My Name To31. August 2012 um 8:29

Kommt da auch mal eine DVD raus?

Das ist doch kein Kinostreifen sondern eine DVD-Doku.

Chris Schäfer7. September 2012 um 16:12

Es wäre genial, wenn wenigstens in allen deutschen Landeshauptstädten und/ oder größeren Städten dieser Film gezeigt würde! Hochinteressant dieser Film. Würde mich über Meldung freuen, wenn die DVD draußen ist.
Gruß

Alexander Freisinger3. Mai 2013 um 9:52

Die Menschen wachen erst auf, wenn es zu spät ist!
Wie hypnotisiert laufen die Massen dem Mainstream nach.
Eigentlich kann sich jeder nur selber helfen, indem man sich ganz einfach dem Fernseher inkl. aller Medien entledigt.
Wir sind dem System bis zum Untergang ausgeliefert.
Die Herrscher drucken sich Ihr Geld ganz einfach selber. (aus 2000 Euro mach 100 000.- Euro)
Dieses Privileg haben nun mal nur Banken und EZB plus FED
Wer zahlt schafft an, so war und wird es immer sein.
Nur ein völliger Zusammenbruch des Geldsystems kann diesen Zerstörungswahnsinn noch stoppen.
Aber wer versteht das Finanzsystem schon wirklich? Nicht mal die Banker selber.