Lobbyismus in der EU

EU-Lobbyreport: „Konzerne haben zu viel Macht in Europa“

Kurz vor der Wahl haben wir unseren EU-Lobbyreport veröffentlicht und gehen darin Lobbyismus in Brüssel auf den Grund. Unser Fazit: Europa unternimmt zu wenig gegen den einseitigen Lobbyeinfluss von Konzernen. In Sachen Lobbytransparenz ist Brüssel jedoch Berlin und anderen Hauptstädten Europas weit voraus und könnte Inspirationsquelle für die Einführung nationaler Lobbyregister werden.
von 29. April 2019

Am 26. Mai sind Europawahlen. Kurz vor der Wahl haben wir unseren EU-Lobbyreport veröffentlicht und gehen darin Lobbyismus in Brüssel auf den Grund. Unser Fazit: Europa unternimmt zu wenig gegen den einseitigen Lobbyeinfluss von Konzernen. Es fehlen wirksame Regeln, um Konzerneinflüsse über einseitig besetzte Expertengruppen, unausgewogene Lobbytreffen oder informelle Kanäle zu begrenzen. In Sachen Lobbytransparenz ist Brüssel jedoch Berlin und anderen Hauptstädten Europas weit voraus und könnte Inspirationsquelle für die Einführung nationaler Lobbyregister werden.
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Massive Lobbymacht in Brüssel

25.000 Lobbyisten sind derzeit in Brüssel aktiv, zwei Drittel von ihnen arbeiten im Auftrag von Unternehmen. Der EU-Lobbyreport dokumentiert und bewertet, was die EU-Entscheidungsträger/innen in den letzten Jahren unternommen haben, um den Einfluss von Lobbyist/innen transparent zu machen und einseitiger Einflussnahme einen Riegel vorzuschieben. Klare Regeln und Schranken für Lobbyismus sind eine wichtige Voraussetzung, um übermäßigen Einfluss von Partikularinteressen zu verhindern. Gerade in Brüssel, wo die politischen Prozesse kompliziert sind und die Öffentlichkeit nicht so genau hinschaut. Hier sind unsere zentralen Ergebnisse:

1. In Sachen Lobbytransparenz ist Brüssel Berlin weit voraus

In Sachen Lobbytransparenz haben EU-Kommission und EU-Parlament in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und sind den deutschen politischen Institutionen weit voraus. So veröffentlichen Kommissar/innen und wichtige Beamte ihre Lobbytreffen, Abgeordnete mit besonderen Funktionen müssen dies ab der nächsten Wahlperiode tun. Es gib ein Lobbyregister, auch wenn es bislang nur freiwillig ist. Und auch in Puncto Seitenwechsel, Nebentätigkeiten oder Transparenz über Einkünfte gibt es viel bessere Regeln.

2. Unternehmen dominieren bei der Einflussnahme

Nicht angepackt haben die Institutionen jedoch das große Problem der Unausgewogenheit des Lobbyeinflusses in Brüssel. Das führt immer wieder dazu, dass Unternehmen zu viel Einfluss auf europäische Gesetze nehmen können. So ist der Stoff Bisphenol A trotz Verdachts, dass er die Hormone schädigt, weiterhin in Lebensmittelverpackungen enthalten oder werden Handelsabkommen im Wesentlichen nach den Wünschen großer Unternehmen gestaltet. Das Verhältnis der Lobbytreffen mit der Kommission ist Ausdruck dieses Problems. Im Schnitt finden 70 Prozent der veröffentlichten Treffen der EU-Kommission mit Unternehmensvertretern statt.

Auch wenn die EU-Kommission Expertise einholt, sind Unternehmen ganz wichtige Ansprechpartner für sie. Zu häufig haben dann diejenigen entscheidendes Mitspracherecht, die eigentlich reguliert werden sollen. Zum Beispiel: Die Expertengruppe, die die EU-Kommission dabei unterstützen sollte, realistischere Abgastests für Fahrzeuge zu entwickeln, bestand zu 70 Prozent aus Vertreter/innen der Automobilindustrie.

Die EU hat es versäumt, Maßnahmen gegen diese unausgewogene Einflussnahme einzuführen. Das muss sich in der neuen Wahlperiode dringend ändern!

3. Nationale Regierungen als Lobbyvehikel

Eine zentrale Rolle für einseitige Lobbyeinflüsse spielen die EU-Mitgliedstaaten. Über den intransparenten Rat der EU boxen nationale Regierungen immer wieder die Interessen ihrer heimischen Industrien durch. Die Bundesregierung verwässerte oder verzögerte zum Beispiel wirksame Abgastests oder bessere Regeln beim Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung. Es ist also falsch, das Lobbyproblem allein auf EU-Ebene auszumachen. Die Mitgliedstaaten sind nicht besser.

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Acht zentrale Faktoren für die Macht der Konzerne

Der Lobbyreport benennt außerdem acht zentrale Faktoren für die Macht der Konzerne in Brüssel. Dazu gehören das Anwerben von Politiker/innen als Lobbyisten, die Abhängigkeit der EU-Bürokratie von Unternehmensexpertise oder privilegierte Zugänge durch Exklusiv-Veranstaltungen wie Oettingers „Mini-Davos“; aber auch die Komplexität des Gesetzgebungsprozesses oder das Drohpotenzial, das Konzerne aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht nun mal haben. Diese Probleme werden wir nicht alle allein mit dem Zurückdrängen ihres Lobbyeinflusses beseitigen. Aber unser 5-Punkte-Plan für die nächsten fünf Jahre könnte doch maßgeblich dazu beitragen, dass in den EU-Institutionen internationalen Konzernen Spielregeln im Sinne des Allgemeinwohls gesetzt werden.

Was ist zu tun? Unser 5-Punkte-Plan für die nächsten 5 Jahre

1. Konzerneinfluss begrenzen
Kommissare, Beamte und Abgeordnete müssen verpflichtet werden, ihre Lobbytreffen ausgewogener zu gestalten. Expertengruppen dürfen nicht mehr von Konzernvertretern dominiert sein.

2. Abhängigkeit von Unternehmensexpertise reduzieren
In der EU-Kommission arbeiten rund 32.000 Menschen. Sie sind für 510 Millionen Bürger*innen zuständig. Zum Vergleich: Allein in der deutschen Finanzverwaltung sind 45.000 Menschen beschäftigt. Deswegen: Die EU-Kommission braucht mehr interne Expertise.

3. Privilegierte Zugänge für Konzerninteressen minimieren
Strengere Regeln beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft und ein Ende der vielen Exklusiv-Veranstaltungen von Konzernen und Politik wie Oettingers Mini-Davos.

4. Reform des Rates der EU
Der Rat der EU ist das intransparenteste Gremium Europas. Das muss sich ändern. Denn zurzeit boxen die nationalen Regierungen hier viel zu oft die Interessen ihrer heimischen Industrien durch. Wir brauchen ein Lobbyregister beim Rat und Einblick in die Verhandlungspositionen der Mitgliedsstaaten.

5. Mehr Lobbytransparenz
Umfassendes, verbindliches Lobbyregister mit verlässlichen Daten für alle EU-Institutionen und eine legislative Fußspur, die den Einfluss von Lobbygruppen auf die europäische Gesetzgebung sichtbar macht.

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10 Kommentare

Lothar Benesch29. April 2019 um 20:07

Danke für diese Untersuchung und die Veröffentlichung des Ergebnisses! Was können wir tun, um eine Politik für die Interessen aller Menschen zu realisieren? Gibt es eine Partei, die wir bei der nächsten Europa-Wahl wählen sollten, um ein Zeichen zu setzen?

Hans-Peter Karrer29. April 2019 um 20:35

liebe Leute,

warum sieht man das alles so negativ, es ist doch schon mal fortschrittlich, dass das Thema an die Öffentlichkeit kommt, dass es thematisiert wird und sich bereits auch einige, zwar kleine Erfolge und Fortschritte es auch gegeben hat. Also dran bleiben und recht „dicke Bretter“ bohren.
Demokratie lebt nicht von EINZELNEN sondern nur von einem WIR.

Lemke29. April 2019 um 21:11

Hallo liebe Leute,

Kapitalismus funktioniert ohne Raubbau an der Natur nicht! Wo Rendite fließen muss, müssen große Opfer gebracht werden. Diese Opfer bringt der gemeine Bürger gerne auf, da es hier ja soviel „Schönes“ zu kaufen gibt, was uns in der Werbung angepriesen wird. Wenn man den Werbelügen nicht widerstehen kann, barucht man sehr viel Geld und da wir kein Kapital haben, müssen wir einer abhängigen Arbeit nachgehen, die uns in vielen Fällen zu Sklaven werden lässt. Sollten wir nicht mehr alles brauchen, was uns aufgeschwatzt werden soll, können die Konzere auch keine Toprenditen mehr erwirtschaften s. Automobilindustrie mit ihren sinnlosen SUVs. Ihr müsst euch schon entscheiden, wenn ihr wählt. Es sollte jedem doch langsam dämmern, wer die Interessen der Bürger oder der Industrie vertritt. Die Wahrheiten liegen doch schon auf dem Tisch und sind seit Marx bekannt, ihr müsst nur entsprechend handeln bzw. wählen. Es gibt nur rechts/Konservativ = Kapital und links = abhängig beschäftigt! ur zu Hilfe, die noch immer grübeln, die Schwarzen (CDU/CSU, FDP, AfD) sind nicht für die „kleinen“ Leute da! Die SPD sollte eigentlich links sein, dank Schröder zweifel da einige dran und das vielleicht zurecht!

Ich möchte kein Sklave von Kapital und Konzernen sein!

Liebe Grüße Matthias

Ursel Arova29. April 2019 um 22:56

Informationen sind erst einmal wichtig, um zu erkennen, wo wir stehen. Deshalb Danke an Lobbycontrol. Dann brauchen wir Ideen, wie ein Systemwechsel möglich ist.
Zum einen könnte man die Bewegung „Extinction Rebellion“ unterstützen, die ganz klare Ziele zum Klimaschutz formuliert (sofortiges Abschalten der Kohlekraftwerke, die Politiker müssen ehrlich sagen, wie es steht und die Einrichtung von Bürgerräten).
Und dann lohnt es sich, die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber anzusehen, eine alternative Wirtschaft, in der andere Werte als der Profit im Mittelpunkt stehen.
Es ist das Profitdenken, das letztendllich die großen Probleme schafft und auch die Lobbyisten antreibt.
Und die Digitalisierung wird uns noch eine Menge Energie kosten, das wird vielelicht die größte Herauusforderung für eine Energiewende.

H.Girlich30. April 2019 um 0:14

Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft !! Nicht im reinen Kapitalismus…auch wenn das die Konzerne gerne hätten.

Peter Marek30. April 2019 um 7:36

Ich finde es super, dass Ihr von Lobbycontrol euch diesen wichtigen Themen so entschieden annehmt um die Missstände zu beheben. Auch wenn es wie ein Kampf gegen Windmühlen erscheint. Wir alle zahlen viel Steuern, die nicht in unserem Sinne ausgegeben werden. Da sollten wir doch auch bereit sein mit ein wenig Geld Organisationen zu unterstützen, die sich dafür einsetzten, dass unsere Steuergelder auch für unsere Interessen eingesetzt werden. Wir sind viele und müssen deshalb keine großen Berträge spenden um etwas erreichen zu können. Nur, wenn man gar kein Geld für sinnvolle Zwecke und Dienste ausgeben will funktioniert es nicht. Dann kann man versuchen es selbst besser zu machen, wenn man nebenberuflich die Zeit dafür hat, oder sich durch andere Spender finanzieren kann.

Liebe Grüße und weiter so
Peter Marek

Carla Groß30. April 2019 um 11:17

Großen Dank! Diese Aufklärungs-Arbeit ist ungeheuer wichtig. Der Lobbyismus führt ja am Ende zur Politikverdossenheit, mit der Populisten dann leichtes Spiel haben. Hoffentlich schlägt das bei den Europawahlen weniger stark durch. Ich gebe die Infos weiter, wo ich kann!

Karl-Heinz Galler30. April 2019 um 19:04

Nur die Partei „Die Linken“ tritt konsequent für den Frieden ein, dazu gehört, die Macht der Konzerne zu brechen! Die Linken haben aus der Geschichte gelernt, dass Volkseigentum an allen PM nicht erfolgreich ist, aber die Mittel zum Leben, vom Wasser über Stromnetze bis zur Bahn, gehören in die Hand des Staates. Der Unternehmer kann es nicht besser als der Staat, er kann nur zum Schaden aller mehr Profit erwirtschaften. Also: Wähle links!

Andreas Horn1. Mai 2019 um 9:46

Hallo Matthias,

SPD, Stichwort Noske: „Einer muss den Bluthund machen“
Die SPD vertritt genauso wie die CDU die Großbour­geoi­sie, nur eben eine andere Gruppe. Mit den anderen sogenannten etablierten Parteien habe ich auch so meine Bedenken…
Solange wir keine direkte, sondern eine parlamentarische Demokratie haben – und die von uns Gewählten nur ihrem Gewissen verantwortlich sind, ist die Wirkung so, wie wir sie bei uns vorfinden. Erst die Notwendigkeit einer ständigen Rechenschaft derer, die das Volk vertreten sollen und die Möglichkeit einer Abwahl auch zwischen den eigentlichen Wahlen schafft hier den erforderlichen Druck, dass diese Leute realistische Wahlversprechen machen – und später auch einzuhalten gezwungen werden können.

„Jeder Mensch hat seinen Preis.“
Robert Walpole, Earl of Orford, (1676 – 1745), britischer Staatsmann

MfG
Andreas

wolfgang mertens4. Mai 2019 um 21:48

Die Hegemonie der großen Konzerne gefährdet die Demokratie.