Lobbyismus in der EU

Aktion: Stoppen Sie das Absahnen von EU-Kommissaren! Stoppen Sie Verheugen!

Unterschreiben Sie jetzt!
von 20. September 2010
Günter Verheugen / Bild: Michael Thurm

Günter Verheugen / Bild: Michael Thurm

Gerade sechs Monate nachdem Günter Verheugen als Industriekommissar aus der Europäischen Kommission ausgeschieden ist, hat er vier Beratungstätigkeiten in der Wirtschaft ergattert, unter anderem als Chefberater bei der Royal Bank of Scotland und im internationalen Beirat der Lobbyagentur Fleishman-Hillard. Jetzt kam heraus, dass er bereits im April eine eigene Lobbyberatung gegründet hat. Unterschreiben Sie unsere Online-Aktion, um diese Seitenwechsel zu unterbinden!

Verheugen schlägt aus seinen alten Kontakten und internen Kenntnissen als Kommissar kräftig Kapital. Auch fünf weitere Ex-Kommissare haben in den letzten Monaten Lobby- und Beraterposten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände ergriffen. Die Kommission hat alle Seitenwechsel großzügig genehmigt und bietet sich damit selbst zum Ausverkauf an.

Nun soll die EU-Kommission darüber entscheiden, ob Herr Verheugen seine Beratungsagentur aufrecht halten darf, die er ihr obendrein verschwiegen hatte. Wenn auch Sie der Meinung sind, dass Kommissarinnen und Kommissare nicht länger absahnen sollen, indem sie ihre internen Kenntnisse und Kontakte an das meistbietende Unternehmen verkaufen, unterschreiben Sie unseren Appell. Fordern Sie Kommissionspräsident Barroso auf, Demokratie, Moral und Verantwortung zu schützen und die Seitenwechsel von EU-Kommissaren zu stoppen.

Aktualisierung Januar 2011:

Die Aktion ist abgeschlossen – danke an alle, die mitgemacht haben! Es gibt noch keine endgültige Entscheidung über Verheugens Tätigkeit bei der European Experience Company. Aber seine Bürochefin darf die Firma weiter betreiben, mit kleinen Einschränkungen. Die Debatte über die Seitenwechsel hat durch unsere Aktion und Kampagnenarbeit an Dynamik gewonnen – aber die EU-Kommission ist nur zu kleinen Verbesserungen bereit. Sie hat inzwischen einen Vorschlag für einen neuen Verhaltenskodex für EU-Kommissare vorgelegt, der auf jeden Fall nachgebessert werden muss. Hier ist nun das Europaparlament gefragt. Weitere Details in unserer Analyse vom 20. Januar 2011.

Hintergrund:

Günther Verheugen ist einer von sechs Kommissarinnen und Kommissaren der letzten Kommission, die in Tätigkeiten in der freien Wirtschaft gewechselt sind, bei denen es zu Interessenkonflikten kommen kann (von 13 Kommissisaren insgesamt, die die Kommission im Februar 2010 verlassen haben).

Es gibt gute Gründe, wieso man aufgrund vieler dieser Fälle von Seitenwechslern besorgt sein sollte, wie der Wechsel von Charlie McCreevy zu Ryan Air, von Meglena Kuneva zu BNP Paribas und von Joe Borg zum Lobbyunternehmen FIPRA. Die Gründung einer eigenen Lobbyberatung durch Günter Verheugen allerdings stellt den wohl himmelschreiendsten Verstoß gegen die Verhaltensregeln für Kommissarinnen und Kommissare dar.

Günter Verheugen war einer der mächtigsten Kommissare der letzten zehn Jahre. In seiner Rolle als Kommissar für Unternehmen und Industrie (2004-2009) zog er heftige Kritik auf sich, als er die Interessen der Großindustrie anderen wie dem Umweltschutz oder sozialen Bedenken vor zog, so etwa bei der Entscheidung der EU zur Chemikalienrichtlinie REACH und bei den CO²-Emissionen von Autos. Umstritten war auch seine Angewohnheit, viele hochrangige Beratungsgremien einzuberufen und überwiegend mit Industrielobbyisten zu besetzen.

Seit er aus der Kommission ausgeschieden ist, hat Verheugen vier Tätigkeiten in der Wirtschaft übernommen. Dem Code of Conduct für Kommissare zufolge hätte er die Kommission informieren müssen, BEVOR er diese Stellen antrat. Verheugen hat aber „vergessen“, dies zu tun. Als die Kommission Verheugen im April 2010 bat, sie über seine beruflichen Tätigkeiten zu informieren, erwähnte er sein neues Beratungsunternehmen nicht mit einem Wort. Er gab stattdessen nur seine Anstellungen bei der Royal Bank of Scotland (RBS), der globalen Lobbyagentur Fleishmann-Hillard, dem türkischen Rohstoffbörsenverband TOBB sowie dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken an. Nach einer sehr oberflächlichen Bewertung bezüglich eines möglichen Interessenkonflikts gab ihm die Kommission im Juli 2010 grünes Licht. Die Kommission war der Meinung, dass Verheugen bei seinen neuen Tätigkeiten nicht in irgendwelche Lobbytätigkeiten involviert sei. Das sah die Royal Bank of Scotland offensichtlich anders: Dort freute man sich öffentlich sehr über Verheugens Reichtum an politischen Kontakten: “Seine Erfahrung in der europäischen Politik und seine nationalen wie auch internationalen Kontakte sind sehr wertvoll für die RBS.“

Ende August deckte die Wirtschaftswoche auf, dass Verheugen auch eine eigene Lobbyagentur mit dem Namen „European Experience Company“ ins Leben gerufen hatte, die eine breite Palette an EU-Lobbying-Dienstleistungen anbietet. Nach einer breiten Medienberichterstattung begann man sich in der Kommission die Frage zu stellen, inwieweit es angemessen ist, wenn ein Ex-Kommissar eine Lobbyagentur gründet. Verheugen und seine Geschäftspartnerin Petra Erler allerdings argumentieren, dass Verheugen für seine Geschäftsführertätigkeit nicht bezahlt werde. Über unternehmerische Tätigkeiten sage der Verhaltenskodex für Kommissare nichts. Und dass das Unternehmen keine Lobbyarbeit gegenüber europäischen Institutionen betreibe und damit in vollkommener Übereinstimmung mit den Anforderungen des Kodex sei. In den Augen von ALTER-EU handelt es sich klar um Lobbyberatung, wenn auf der Seite der European Experience Company „die richtige Strategie für Ihren Erfolg im Umgang mit europäischen Institutionen“ angeboten wird.

Dem Beschluss der Kommission wird ein Vorschlag ihres dreiköpfigen Ad-hoc Ethik-Komitees zugrunde liegen. Ihr Vorsitzender, Michel Petite, stand 2008 selbst wegen eines Seitenwechsels aus der Kommission in die Wirtschaft in der Kritik. Die schlussendliche Entscheidung wird aber von der gesamten Europäischen Kommission getroffen.

Wenn die Kommission Verheugen die Genehmigung erteilt, legitimiert sie, dass ehemalige Kommissare aus ihrem Insider-Wissen und ihren Kontakten, die sie während ihrer Zeit in öffentlichen Ämtern erworben haben, Profit schlagen. Solch eine Entscheidung würde dem Einfluss von großen Unternehmen und anderen gut ausgestatteten Interessen auf die Entscheidungsfindung in der EU noch weiter Tür und Tor öffnen. Werden Sie aktiv, um dies zu verhindern und sorgen Sie dafür, dass die Kommission Demokratie, Moral und Verantwortung schützt, indem sie die Drehtür anhält.

Transparenz-Aktivistinnen und -Aktivisten und Mitglieder des Europäischen Parlaments fordern seit langem strengere Regeln, um Interessenkonflikten vorzubeugen. 2009 hat eine Parlamentarische Studie als Ergebnis einen strengeren Verhaltenskodex für Kommissarinnen und Kommissare gefordert. Kommissions-Präsident Barroso versprach im September 2009 eine Überprüfung des Code of Conduct. Dieses Versprechen blieb unerfüllt und die fünf weiteren Drehtür-Fälle wurde ebenfalls gemäß der laxen Regelungen gehandhabt, die alle zu sehr oberflächlichen Überprüfungen führten.

Siehe auch die älteren Blogbeiträge zum Thema:

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10 Kommentare

Uwe Schupp26. Oktober 2010 um 22:25

Da wird einem nur noch schlecht wenn man sieht wie sich viele Politiker bedienen und das Volk beschei….
Wann steht das Volk endlich auf und jagt solche korrupten Polis aus dem Land. Und alles unter dem Deckmantel der Demokratie ..pfuiii.

Gertrud Schäfer27. Oktober 2010 um 7:46

Guten Morgen,

es ist einfach eine Schweinerei was sich unsere Politiker heraus nehmen – bedienen sich auf unser aller Kosten schamlos – frage mich – wer bremst bzw. prüft mal ernsthaft was hier in unserer Regierung und Parteien abgeht.

Lobbyistenwirtschaft vom feinsten – die Schwachen unserer Gesellschaft werden unter Generalverdacht gestellt – und das nur – damit keiner mal denen in Berlin und anderswo auf die Finger schaut.

Wer bittschön sind nun die Schmarotzer der Nation?

Man sollte denen mal in aller Deutlichkeit sagen, das sie von UNSEREN Steuergeldern bezahlt werden.

Der EID welcher mal geleistet wurde ist das Papier nicht wert auf dem es geschrieben steht.

lg

Linden K. H.28. Oktober 2010 um 4:37

Ach wäre Herr Verheugen doch nur bei der FDP geblieben. Dann hätte er jetzt Last mit uns, statt wir mit ihm.

Klaus Bredene1. November 2010 um 18:50

Hallo liebe Blogkommentatoren,

ihr müßt nicht in jedem sich bietenden Block immer nur jammern, dass sich etwas ändern muss. Erst einmal selbst tätig werden. Einfach nicht zur Wahl gehen, das reicht nicht. Das sond keine Protestwähler,
nein die stützen das System. Selbst bei einer 30 %tigen Wahlbeteiligung würden die sich da oben „Ihre Koalition zu recht kungeln“ Ihr müsst schon euren Hintern bewegen, und irgend eine Partei
wählen die bessere Ziele hat als die etablierten.
Auch wenn diese dann nicht über die 5 %-Hürde kommt. Ihr müsst einfach
zeigen, dass ihr eben nicht „politikverdrossen“ seid.
Vielleicht klappt es mit der Partei ja bei der übernächsten Wahl.
Mit Nichtwählen dient ihr nur den etablierten Parteien.

Um diese Lobbyisten los zu werden, müsst ihr schon mehr tuen als aus
Protest den Wahlen fern zu bleiben.

MfG.
K.B.

Herwart Denzol13. November 2010 um 10:47

„Klaus Bredene“:ich sehe das dito.Den Wölfen mussen die Zähne gezogen
werden.Geht nur über Nichtwahl von verlogenen Parteien wie CDU/SPD/insbondere Grüne etc. !

Ralf Kneistler26. November 2010 um 13:13

Das einzige was hilft ist Volksabstimmung. Unsere Nachbarn in der Schweiz sollten uns ein Vorbild sein. Weiterhin sollten unabhängige Ermittler an Staatsverbrecher und deren Taten ermitteln.
„Alle Macht dem deutschen Volke!“

Michael Dur24. Februar 2011 um 14:19

Macht Bild die Volksmeinung oder das Volk die Bildmeinung?

Trap26. März 2011 um 20:06

Als Rumänien Probleme bei der Erfüllung der nötigen Auflagen zwecks EU-Beitritt – diktiert durch das EU-Parlament und der EU-Kommission, wurde Herr Verheugen (als zugewiesener EU-Kommissar für den Beitritt von RO & BG) in der rumänischen Presse kolossal angegriffen bezüglich der Dreistigkeit und Unverschämtheit für die Art und Weise wie dieser (bis dahin hoch angesehene dt. SPD-Politiker und ehemals dt.Bundesminister) sich für die durch und durch korrupte (zum damaligen Zeitpunkt) regierende rumän.Partei fürsprechend eingesetzt hatte und der Korruption bezichtigt wurde, durch eine regierende rumän.Partei bestehend hauptsächlich aus ehemaligen Handlanger, Seilschaften und führenden Köpfe der rumän.kommunist.Partei(PCR/RKP) und des rumän.kommunist.Staatssicherheitsorgans (vergleichbar mit dem „MfS“ der DDR), aus Figuren entstandene größte rumän.Partei (anfangs als „FSN“, danach als „PDSR“, um seit 2000 als „PSD“ agierende und umgewandelte „einzig wahre sozial-demokratischer Partei“ Rumäniens – nach Zusammenführung unter einem Dach der bis dahin als sozial-demokratisch benannten rumän. Parteien, in der BRD jedoch mit der ehemals „PDS“ (in der Zwischenzeit in „DieLinke“ umbenannte) dt.Partei zu vergleichen ist, wie auch mit den agierenden dt. volkshetzenden Karikaturpolitiker wie Krenz(ganz am Anfang), sowie Modrow, und insbesondere Gisy bis dato.

Auch die rumän. innerparteiliche „sozial-demokratische Lichtgestalt“ (der rumän.“PSD“) in der Person des inzwischen im EU-Parlamentskandal überführten rumän. EU-Parlamentmitglieds (und ehemaligen rumän. Außenministers) Herr Adrian Severin gehörte zu den offiziellen Ansprechpartner des Herrn Verheugens, in der Zeit der Vorbereitung des EU-Beitritts Rumäniens !

Deutsche, österreichische und französische EU-Kommissare und entsprechende EU-Parlamentfraktionsführer (inkl. der sozialist. EU-Fraktion zu der auch Herr Verheugen automatisch als dt.SPD-Mitglied angehört) hatten sich eindeutig gegen den Beitritt (wenigstens) Rumäniens geäußert, solange Rumänien zumindest eindeutige Antikorruptionsschritte nicht nur einleitet (und auf dem Papier die diktierte Auflage als implementiert deklariert) sondern auch effektiv durchgeführt hat, denn so käme Rumänien unmittelbar nach dem EU-Beitritt unausweichlich im kritisierten (bestehenden) völligen Korruptionszustand (in der vertikalen Staatsstrukturierarchie), entsprechend dem damals noch vor dem EU-Beitrittsvotum von Cohn-Bendit (EU-Parlamentmitglied d.franz.Grünen-Fraktion) vehement argumentiert und auf dem Punkt gebracht wurde, dass ein nicht gewissenhaft für den EU-Beitritt vorbereitetes Rumänien weder der EU-Gemeinschaft, noch den rumän.Staatsbürgern ein Gewinn sein wird und dies kann man durchaus konkret (in unzähligen rumän.juristischen Fällen, sowohl vor wie auch nach dem EU-Beitritt) bestätigen !!!

SCHANDE Herr VERHEUGEN für die beschämende Art und Weise wie Sie (wenigstens) im Beitrittsfall Rumäniens agiert haben !!!!!!!

homer schmitz7. April 2011 um 22:38

Das die breite Masse das alles so hinnimmt ist unfassbar!!!

Uli Meyer17. August 2011 um 13:56

Egal wie die Parteifarbe verkörpert, in der Sache sind alle einig. Eine alte Weisheit: „man pinkelt sich nicht ans eigene Bein“. Da kann ich mich aufregen oder auch lächeln, es wird sich nie etwas ändern. Politiker haben keinen Anstand und das was sie sagen, kommt nicht von ihnen. Mal sehen wie lange das so weitergeht?!