Lobbyismus in der EU

Sonderberater der EU-Kommission erstmals öffentlich

Die EU-Kommission hat nach massivem Druck zum ersten Mal die Liste der Sonderberater der EU-Kommission veröffentlicht. Jahrelang wurden diese Daten geheim gehalten. Jetzt kann man die Liste mit den 55 Sonderberatern erstmals online ansehen (pdf). Die Hälfte der Berater bekommt laut EU-Kommission kein Geld, die anderen maximal 600 Euro pro Tag (via European Voice). Unter […]
von 8. März 2007

Die EU-Kommission hat nach massivem Druck zum ersten Mal die Liste der Sonderberater der EU-Kommission veröffentlicht. Jahrelang wurden diese Daten geheim gehalten. Jetzt kann man die Liste mit den 55 Sonderberatern erstmals online ansehen (pdf). Die Hälfte der Berater bekommt laut EU-Kommission kein Geld, die anderen maximal 600 Euro pro Tag (via European Voice). Unter den Beratern ist der inzwischen entlassene ehemalige SPD-Europaabgeordnete Rolf Linkohr. Er war Sonderberater von Energiekommissar Andris Piebalgs und zugleich Atomlobbyist (wir berichteten). Darüber hinaus hat die Liste weitere interessante Namen zu bieten, auch wenn es länger dauern wird, die Liste auf einzelne Fälle von Interessenkonflikten zu durchleuchten.

Entwicklungshilfekommissar Louis Michel wird u.a. von Etienne Davignon beraten und zwar zur Rolle des Privatsektors in der Entwicklung Afrikas. Der frühere EU-Kommissar sitzt u.a. im Aufsichtsrat des französisch-belgischen Versorgungsunternehmens Suez und hält daran 11.111 Aktien. Das ist insofern brisant, weil Suez großes Interesse an der Privatisierung der Wasserversorgung weltweit hat und u.a. in Marokko (Abfall), Senegal und Südafrika (jeweils Wasserversorgung) aktiv ist. 1983 spielte Davignon als EU-Kommissar eine wichtige Rolle beim Aufbau des European Roundtable of Industrialists, einer einflussreichen Unternehmenslobbygruppe in Brüssel.

In Schwierigkeiten könnte auch der italienische Innenkommissar Franco Frattini kommen, der sich gerne für Law und Order stark macht. Er lässt u.a. von Walter Cretella-Lombardo beraten, gegen den laut Financial Times Deutschland im Zusammenhang mit einem Müllrecyclingskandal in Kalabrien ermittelt wird. In dem Skandal wurden bis zu 200 Mio. Euro an öffentlichen Mitteln veruntreut. Ende letzter Woche erst wurden die Büros von Cretella-Lombardos in Rom durchsucht. Frattini ist insgesamt der Spitzenreiter auf der Liste: er hat allein elf Sonderberater, den Namen nach alle aus Italien.

Der deutsche Industriekommissar Günter Verheugen hat dagegen nur eine Beraterin: die Ärztin Claudia Hennig berät ihn der Liste zufolge in Gesundheitsfragen. Sie ist stark im Feld Anti-Aging-Medizin engagiert und hat so auch klar eigene Interessen in dem Feld. Sie hat ein eigenes Anti-Aging-Institut und ist Herausgeberin bei der medox Verlagsgesellschaft. Diese gibt unter anderem das offizielle Organ der European Society of Anti Aging Medicine heraus und setzt sich für die Förderung der Anti-Aging-Medizin ein. Frau Hennig ist zudem an Veranstaltungen zum Thema Anti-Aging/ Prävention beteiligt und hat dazu 2005 auch Verheugen als Redner gewinnen können (pdf). Nach Angaben eines Sprechers von Verheugen kam die Beratung durch Hennig am Ende gar nicht zustande und sie wurde auch nicht bezahlt. Sie selbst hat aber mit ihrer Sonderberater-Rolle geworben.

Es gibt noch einige weitere Fälle, die Aufmerksamkeit verdienen. Die englische Financial Times und ihr Brussels Blog gehen noch auf zusätzliche Berater ein. Wir werden das auch weiter verfolgen.

Ein Schritt für mehr Transparenz
Insgesamt ist die Veröffentlichung der Liste ein wichtiger Schritt für mehr Transparenz und zur Bekämpfung von Interessenkonflikten und bevorzugtem Zugang einzelner Partikularinteressen zur EU-Kommission. In Zukunft sollen die Sonderberater zu Beginn ihrer Arbeit eine Deklaration unterschreiben, dass es keine Interessenkonflikte gebe. Diese Erklärung soll mit dem jeweiligen Namen veröffentlicht werden. Allerdings bleiben zwei Fragen:

1) Die Liste gibt nur über die Berater seit April 2006 Auskunft. Wer die EU-Kommission schon vorher beriet, bleibt unklar.

2) Bleibt weiterhin die grundsätzliche Frage, ob die Position von Sonderberatern wirklich notwendig ist und eine angemessene Lösung darstellt, um der EU-Kommission für bestimmte Sachfragen demokratisch und ausgewogen Informationen zu liefern. Nach welchem Verfahren werden die Beraterinnen und Berater ausgewählt? Warum haben einige Kommissare keine, andere wie Frattini aber elf? Insgesamt ist es ein willkürliches Instrument.

Auch der Journalist Andrew Bounds stellt im Brussels Blog der Financial Times implizit die Frage nach der Auswahl der Berater sowie nach der Vollständigkeit der Liste:

It is of course a good idea for commissioners to hear some independent views from outside the Brussels bubble: though there are at least three former MEPs on the list and not a few who shape future eurocrats by teaching at the College of Europe in Bruges. There is also a striking number of attendees to the secretive Bilderberg conference, run by Davignon, which is a lower-key – and more influential – Davos.

Yet the taxpayer should know who they are. And there is a question mark over whether there has been full disclosure. Some commissioners apparently feel that their colleagues have been less than open.

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