Aus der Lobbywelt

Lobbyismus: Es fehlt das Problembewusstsein

Teil zwei des Interviews mit Cerstin Gammelin und Götz Hamann anlässlich ihres neuen Buches „Die Strippenzieher“ zu ihren Vorschlägen für Gegenmaßnahmen und den Hindernissen bei ihrer Recherche (Teil 1 hier oder das ganze Interview als pdf-Datei, 100 KB): LobbyControl: Sie sehen in dem Wechsel von Politikern in den Lobbyismus ein wichtiges Problem. Welche Gegenmaßnahmen schlagen […]
von 8. September 2005

Teil zwei des Interviews mit Cerstin Gammelin und Götz Hamann anlässlich ihres neuen Buches „Die Strippenzieher“ zu ihren Vorschlägen für Gegenmaßnahmen und den Hindernissen bei ihrer Recherche (Teil 1 hier oder das ganze Interview als pdf-Datei, 100 KB):

LobbyControl: Sie sehen in dem Wechsel von Politikern in den Lobbyismus ein wichtiges Problem. Welche Gegenmaßnahmen schlagen Sie vor?

Gammelin: Zuerst müsste das Problem in den Köpfen der Verantwortlichen verankert werden. Bei den Recherchen haben wir gemerkt, dass oft überhaupt kein Problembewusstsein existiert. Das zweite wäre: Es gibt Gesetzesvorlagen, dass Ministern oder Staatssekretären eine Auszeit aufgebürdet wird, wenn sie als Lobbyisten in die Branche wechseln wollen, für die sie vorher zuständig waren. Beispielsweise zwei Jahre. Wenn sie dennoch wechseln wollen, was man es nach dem Grundgesetz nicht ganz verbieten kann, dann sollten sie auf ihre Pensionsansprüche verzichten. Das neue Parlament sollte diese Vorschläge diskutieren und Gesetzesinitiativen dazu starten.

Hamann: Was ebenfalls kein Problem wäre: Schon heute werden Gesetze und Gesetzentwürfe auf den Internetseiten der Ministerien dokumentiert. Es spricht nichts dagegen, – wie in den internen Vorlagen – die Fußnoten mit zu veröffentlichen, wo dann steht „Wörtlich RWE“ oder auch „Wörtlich Greenpeace“, „Wörtlich Transparency International“. Das würde sehr zur Transparenz und Entmystifizierung von Lobbyismus beitragen kann.

LobbyControl: Auf europäischer Ebene gibt es eine erste Debatte über stärkere Transparenzverpflichtungen der Lobbyisten, also Registrierungs- und Berichtspflichten wie in den USA. In Deutschland ist das ein schlafendes Thema. Wie kann man das Thema auf die politische Agenda bringen?

Gammelin: Das Problem ist, dass sehr viele in den vergangenen sieben Jahren – auch in den Ministerien – eng mit Lobbyisten zusammengearbeitet haben. Es muss erst mal das Problembewusstsein geschaffen werden, dass ein zu starker Einfluss dieser Interessenvertreter und ein intransparenter Einfluss gar nicht legitimiert ist.

Hamann: Bis diese Bewusstseinsänderung eintritt und jemand das Thema anfasst, werden noch einige Jahre und vier oder fünf Lobbyskandale ins Land gehen müssen. Denn die informelle, vertrauensvolle und beinah unkritische Zusammenarbeit vieler Ministerialbeamter und Minister entspricht durchaus dem Zeitgeist, der besagt, dass Politik nach ökonomischen Erfordernissen auszurichten sei. Die unkritische Haltung zu diesem Zeitgeist muss sich verändern. Dann wird man eine sehr viel nüchternere und letzten Endes für alle Seiten fruchtbarere Regelung des Lobbyismus finden.

LobbyControl: Allerdings ist es oft schwierig, politische Einflussnahme oder gar Lobbyskandale zu recherchieren. Was waren die Herausforderungen für Sie?

Gammelin: Wir sind auf eine eisige Mauer des Schweigens gestoßen. Es nimmt keiner dazu Stellung, wie der Schreibtisch gewechselt wurde oder wie Gesetze von der Industrie geschrieben wurden. Wenn man zu sehr nachfragt, bekommt man gut gemeinte Warnungen, nicht das Glashaus einzuwerfen, in dem man sitzt. Da kommt man ins Stocken und überlegt kurz, ob man da überhaupt weitermacht. Dieser Umstand erklärt auch, dass viele Geschichten, auf die Journalisten stoßen, gar nicht veröffentlicht werden.

Hamann: Es gab unterschiedliche Stufen der „Bearbeitung“, die wir erlebt haben. Stufe 1 ist, Sie bekommen freundliche Anrufe und werden zum Gespräch geladen. Auf Stufe 2 kriegen Sie den freundlichen Hinweis, nicht das Glashaus einzuschmeißen. Stufe 3 ist dann, dass zum Teil üble Nachrede betrieben wird, seit das Buch veröffentlicht ist.

Gammelin: Es gibt dann Dossiers über die Journalisten – also uns – und die werden gestreut. Einige Leute können sich nicht damit abfinden, dass Strukturen aufgedeckt werden, wie Netzwerke funktionieren und industrielle Vorhaben in der Politik durchgesetzt werden. Die Konzerne können damit viel lockerer umgehen als die Parteien. Die SPD hat ein Dossier veröffentlicht, weil sie sich falsch wiedergegeben fühlt.

Cerstin Gammelin ist Autorin und freie Journalistin u.a. für Die Zeit, Financial Times Deutschland und die unabhängige Fachzeitung Energie & Management. Götz Hamann ist Wirtschaftsredakteur bei der Zeit. Das Interview führte Ulrich Müller.

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Das ganze Interview als pdf-Datei(100 KB).

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