Clo Catalan - CC-BY-NC-ND 4.0
Harald Schumann: Wir müssen die Demokratie schützen!
Verein

Die Demokraten sind die große Mehrheit

Er glaubte zunächst nicht an der Erfolg von LobbyControl. 20 Jahre später ist für ihn der Verein eine anerkannte Stimme. Die Aufgabe der Demokraten sei es, die Antidemokaten zurückzudrängen, so der Journalist und Autor Harald Schumann auf der Festveranstaltung zum 20. Geburtstag von LobbyControl am 27. September 2025 in Berlin. Wir dokumentieren hier seine Rede.

von Harald Schumann 14. Oktober 2025

Ich freue mich sehr, dass Ihr, liebe Freunde von Lobbycontrol, mir die Gelegenheit gebt, zur Feier dieses großartigen Jubiläums beizutragen.

Ja, großartig!

Ich weiß ja noch genau, wie das war, als ich mich damals mit Uli Müller in irgendeinem Café hier in Mitte traf, um über das Vorhaben zu sprechen. Natürlich habe ich ihn bestärkt und klar: Wir kritischen Journalisten wünschten uns eine solche Organisation natürlich.

Ich glaubte nicht an den Erfolg

Aber habe ich dran geglaubt, dass das Erfolg haben wird? Ehrlich gesagt, nein. Viel zu abstrakt, alles zu weit weg von den Bürgern, keine großen Namen dabei, dachte ich, das zieht nicht. Aber das habe ich zum Glück für mich behalten.

Und jetzt, 20 Jahre später, das: Lobbycontrol ist eine zuverlässige und unverzichtbare Institution für die öffentliche Meinungsbildung in der Republik mit mehr als 10.000 Unterstützern, einem 30-köpfigen Team und einem Etat von rund 2 Millionen Euro. Eine anerkannte, seriöse Stimme im öffentlichen Diskurs.

Das Lobbyregister ist zu großen Teilen Euer Verdienst. Der legislative Fußabdruck der Lobbyisten ist dank Eurer unermüdlichen Arbeit ein stehender Begriff geworden. Für die Datenbanken Lobbypedia und die Lobbyfacts könnte ich Euch manchmal knutschen. Denn Ihr bietet da einen Turbosatz für guten Journalismus.

Gründer*innen gingen all in

Und all das, das sei hier mal gesagt, verdanken wir ganz wesentlich dem Mut und der Energie von Uli Müller und Heidi Bank, die damals mit dem Projekt all in gegangen sind. Natürlich waren sie es nicht allein. Aber ohne sie wäre es vermutlich nichts geworden. Dafür meinen ausdrücklichen Dank!

Aber bei allen Erfolgen, diese Einschränkung muss ich Euch leider zumuten, ist bei einem entscheidenden Thema der Durchbruch bis heute nicht gelungen: Der offene Diskurs über die absurd ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen ist noch immer weitgehend blockiert.

Unter den meisten Politiker:innen jenseits der Linken ist die offene Benennung der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft sogar ein regelrechtes Tabu. Denn sie wissen genau: Wenn sie daran ernsthaft rühren, dann müssen sie mit einem organisierten medialen Sperrfeuer rechnen, das ihre Wahlchancen drastisch mindert.

Dahinter stehen die Superreichen, oder genauer gesagt deren Interessenverwalter in der Finanzindustrie und den Konzernen sowie deren Verbände und ihre Armee von Anwälten. Gemeinsam stellen sie eine ideologische Mauer gegen den offenen Diskurs zur Verteilungsfrage.

Kriminelle Steuerfreiheit

Nichts dokumentiert das besser, als das einst im Jahr 2009 vom Sozialdemokraten Peer Steinbrück wieder eingeführte Adelsprivileg, also Reichtum und Macht als Geburtsrecht. Denn seitdem müssen die Erben von Unternehmen keine Steuern mehr auf ihr Erbe zahlen.

Darum werden selbst Milliardenkonzerne steuerfrei vererbt, und im Ergebnis entgehen dem Fiskus jährlich bis zu zehn Milliarden Euro. Schon 2014 hat das Bundesverfassungsgericht diese Praxis als verfassungswidrig gebrandmarkt. Aber die Folge war nur eine Pseudoreform, die an dem Privileg nichts geändert hat. Das nenne ich Macht!

Und das ist ja nur eine der vielen strukturellen Ursachen der Ungleichheit. In die gleiche Kategorie gehört die absurde Nichtverfolgung der Steuerkriminalität mit Kosten für den Fiskus im mindestens zweistelligen Milliardenbereich, wie der Bundesrechnungshof vorsichtig schätzte.

Clo Catalan - CC-BY-NC-ND 4.0
Harald Schumann, geboren 1957, ist Autor und Journalist. Er war Redakteur beim Tagesspiegel und ist Reporter bei Investigate Europe.
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Harald Schumann, geboren 1957, ist Autor und Journalist. Er war Redakteur beim Tagesspiegel und ist Reporter bei Investigate Europe.

Und politisch geradezu kriminell ist die Steuerfreiheit für Immobiliengewinne: Allein deswegen kaufen die Reichen aus aller Welt jedes Jahr für mehr als 100 Milliarden Euro deutsche Immobilien und treiben damit Normalverdiener in die Verzweiflung, weil das die Wohnkosten zusehends unbezahlbar macht.

Würde nur dieses Staatsversagen korrigiert, gäbe es allein damit genug Geld, um ganz ohne Schulden endlich für sozialen Ausgleich zu sorgen.

Rassismus greift um sich

Und das ist unbedingt notwendig! Denn die exzessive Ungleichheit hat dramatische politische Folgen: Während die Minderheit der Vermögenden immer mehr Kapital und damit Macht auf sich konzentriert, breitet sich in der übrigen Gesellschaft die Angst vor dem Abstieg aus. Und das ist das gefährliche soziale Gift für die Demokratie. Denn diese Statusängste verunsichern die Menschen in ihrer Identität, in ihrer Vorstellung über ihren Platz in der Gesellschaft.

Und das führt überall zur selben Konsequenz: Wer sich von Ausgrenzung bedroht sieht, trachtet seinerseits nach Ausgrenzung der noch Schwächeren und der Fremden. Beinahe automatisch greifen darum Rassismus und der Ruf nach Abschottung gegen das böse Ausland um sich.

Nicht die Armut selbst ist eine Gefahr für die Demokratie, aber umso mehr die Angst davor. Dies ist eine historische Konstante, die über alle Zeiten und Kulturen hinweg gilt: Wachsende Ungleichheit stärkt unvermeidlich die irrationalen politischen Kräfte. Schon klar, es gibt auch gut bestallte Rassisten und die Kulturkämpfer von rechts. Aber die gab es schon immer.

Erfolgreich sind sie erst, seitdem sie die Abstiegsängste im großen Stil für sich instrumentalisieren können. Und genau das tritt jetzt weltweit ein – auch und gerade bei uns.

Lobbymacht tabuisiert Verteilungsfrage

Jetzt werden manche von euch vielleicht fragen: Was hat das mit Lobbycontrol zu tun? Wir sind ja keine Partei oder Gewerkschaft. Dafür sind andere zuständig. Aber das entlastet nicht von der Aufgabe, sich dem Problem zu stellen.

Zum einen handelt es sich ja bei der Tabuisierung der Verteilungsfrage auch um organisierte Lobbymacht. Nur setzt diese eben im vorpolitischen Raum ein. Wenn da etwa die Stiftung Familienunternehmen Journalistenschulen sponsert, wie das in der Vergangenheit mal vorkam, dann gilt es, schon das zu problematisieren.

Auch Journalisten sollte man nicht schonen, wenn sie sich der impliziten Korrumpierung mittels hochdotierter Moderationen ergeben und dann willfährige Artikel und Sendungen ausstoßen. Oder die Einladungen der Politiker zu eben diesen Veranstaltungen. Auch diese dienen der gegenseitigen Instrumentalisierung: Du verschaffst mir Aufmerksamkeit bei den Wählern, ich decke deine Interessen.

Vor allem aber untergräbt die Polarisierung durch die neue Rechte auch die Wirksamkeit der Arbeit von Lobbycontrol. Ein sicherer Indikator dafür ist, wenn die einst ehernen Maßstäbe der politischen Moral plötzlich nicht mehr gelten. Dafür steht etwa der Fall Jens Spahn.

Spahns Maskenskandal ohne Folgen

Zu dessen Maskendeals stellte Lobbycontrol fest, es sei „unmissverständlich klar, dass Spahns persönliche Alleingänge die Ursache für die Verschwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe sind. Erst vergibt Spahn Milliardenaufträge an Firmen aus seinem politischen Netzwerk, dann wird nur wenige Monate später bei einem Dinner um intransparente Spenden an sein Wahlkreisbüro gebeten.“

Ein solcher Vorgang hätte noch vor ein, zwei Jahren jede Politikerkarriere wenn nicht beendet, dann zumindest unterbrochen. Man denke nur an die Bonusmeilen-Affäre von Cem Özdemir. Aber Spahn sitzt das einfach aus und kommt damit durch. Und das ist ja nur ein Zeichen unter vielen, wie die Missachtung demokratischer Grundnormen durch die Rechten in die Gesellschaft eindringt.

Mit anderen Worten: Die Überwindung der sozialen Spaltung ist nicht alles, aber ohne sie wird alles nichts. Für Lobbycontrol sollte das heißen, dass all die Themen, die damit im Zusammenhang stehen, Priorität haben sollten, also Wohnen, Inflation, Steuern, Kassenbeiträge, Arbeitnehmerrechte etc.

Es gilt so nah wie möglich, an die alltäglichen Ursachen für die Angst der Bürger heranzukommen. Dazu bedarf es auch der Vernetzung mit Gleichgesinnten über die Organisationsgrenzen hinweg, um das Wissen um Lobbymacht dorthin zu tragen, wo die Leute damit vielleicht noch mehr anfangen können, zum Beispiel in die Aufsichtsbehörden für Telekommunikation und Datenschutz.

Gleichgesinnte müssen Demokratie schützen

Denn wenn wir die Demokratie schützen wollen, dann ist es zwingend nötig, die Techkonzerne und ihre asozialen Medien der öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen. Sie machen über ihre Verstärker-Algorithmen mit dem Hass der Rechten ein Geschäft.

Und diese unheilige Allianz muss ein Ende finden. Es gibt sogar schon das nötige Gesetz: Den Digital Services Act. Die Behörden müssten es nur endlich anwenden und eine Entschärfung der Algorithmen erzwingen. Sofort würde die Wirkungsmacht der Rechtsradikalen schrumpfen.

Die gute Nachricht ist doch: Wir, die Demokraten, die für Transparenz, Rechtsstaat und Gerechtigkeit streiten, wir sind immer noch die große Mehrheit in diesem Land und in ganz Europa. Die größte Lüge der Rechten ist ihre Behauptung, sie seien die eigentliche Stimme des Volkes.

Die große Aufgabe ist es, die tatsächliche Mehrheit sichtbar zu machen und zu ermächtigen, die Ungleichheit und zugleich die Antidemokaten zurückzudrängen. Oder, um es mit dem Philosophen Antonio Gramsci zu sagen: Es gilt, die kulturelle Hegemonie zurück zu gewinnen.

Wenn wir genügend Gleichgesinnte dazu bringen, endlich in die Puschen zu kommen, dann schaffen wir das auch. Oder wie Gramsci einst schrieb: "Klärt auf, bewegt euch, organisiert euch“. Organisation, Organisation, Organisation. Jetzt bloß nicht nachlassen. Noch können wir gewinnen.

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