Reichtum und Einfluss

Armuts- und Reichtumsbericht: Bundesregierung zensiert unliebsame Studie

Wer mehr Geld hat, dessen Interessen werden bei politischen Entscheidungen in Deutschland stärker berücksichtigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die die Bundesregierung für den Armuts- und Reichtumsbericht beauftragt hat. Doch noch brisanter als dieses Ergebnis ist: Die Bundesregierung möchte, dass die Öffentlichkeit davon lieber nichts erfährt – und hat die Passagen aus dem Bericht gestrichen.
von 15. Dezember 2016

Das Fazit der Forscher ist so banal wie brisant: Wer mehr Geld hat, dessen Interessen werden bei politischen Entscheidungen in Deutschland stärker berücksichtigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie eines Forscherteams des Osnabrücker Professors Armin Schäfer, die dieser im Auftrag der Bundesregierung für den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht verfasst hat. Doch noch brisanter als dieses Ergebnis ist: Die Bundesregierung möchte, dass die Öffentlichkeit davon lieber nichts erfährt – und hat die relevanten Passagen kurzerhand aus dem Bericht gestrichen.

Armuts- und Reichtumsbericht: Neuer Schwerpunkt Reichtum

arb

Screenshot: www.armuts-und-reichtumsbericht.de – die Webseite zum Regierungsbericht

Doch der Reihe nach. Der im Frühjahr 2017 erscheinende Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung soll sich diesmal in einem neuen Schwerpunkt dem Thema Reichtum widmen. Dabei wollte das federführende Arbeitsministerium erstens die bislang äußerst dünne Datenbasis erweitern und zweitens „Fragen von gesellschaftlicher Macht durch Reichtum“ untersuchen. Die Antwort der Wissenschaftler ist eindeutig. Zum einen sinkt die politische Partizipation mit sinkendem Einkommen und beruflichem Status. Dieser Zusammenhang ist schon länger bekannt. Neu war, dass Schäfers Forscherteam die politischen Einstellungen von sozialen Gruppen mit Bundestagsentscheidungen abglich.

Klare Ergebnisse: Wer mehr Geld hat, findet mehr Gehör in der Politik

Dabei fanden sie heraus: Wer mehr Geld hat, dessen Interessen werden bei politischen Entscheidungen stärker berücksichtigt. Reiche finden in der Politik mehr Gehör. Dies gelte besonders für die Themenfelder „Wirtschaft und Finanzen“ sowie „Arbeit und Soziales“ die wiederum in hohem Maße Auswirkungen auf die soziale Ungleichheit im Land haben.

In einer früheren Version, die noch nicht von den anderen Ministerien bewertet wurde, hatten die Autoren des Berichts die Studie ausführlich dargestellt. In der aktuell vorliegenden Version wurde nun der Teil, der die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und politischen Entscheidungen darstellt, weitgehend gelöscht. Die Bundesregierung zensiert also die unliebsamen Ergebnisse ihrer eigens beauftragten wissenschaftlichen Studie.

Soziale Ungleichheit: Sprengkraft für die Demokratie

Das Design der Schäfer-Studie erinnert an eine ähnliche Studie aus den USA (Page/Gilens 2008), die dort für viel Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Die Bundesregierung möchte wohl, dass sich dies hierzulande nicht wiederholt. Ein großer Fehler. Denn soziale Ungleichheit und die Konzentration von Reichtum ist ein Thema mit Sprengkraft für unsere Demokratie. Eine ungleiche Berücksichtigung politischer Interessen hebelt das demokratische Gleichheitsgebot „ein Mensch, eine Stimme“ aus. Die Frage nach einem Ausgleich sozialer Ungleichheit gewinnt so für die Debatte über den Zustand der Demokratie höchste Bedeutung. Angesichts wachsender Politik- und Demokratieverdrossenheit sind die Ergebnisse der Studie höchst aktuell.

Die erste Version des Armuts- und Reichtumsberichts geht dazu detailliert auf die Ursache der viel zitierten „Krise der Repräsentation“ ein: „In Deutschland beteiligen sich Bürgerinnen mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen. Damit droht ein sich verstärkender Teufelskreis aus ungleicher Beteiligung und ungleicher Responsivität, bei dem sozial benachteiligte Gruppen merken, dass ihre Anliegen kein Gehör finden und sich deshalb von der Politik abwenden – die sich in der Folge noch stärker an den Interessen der Bessergestellten orientiert.“ Doch auch diese Passage wurde ersatzlos aus dem Bericht gestrichen.

Lobbyismus, Machtungleichgewichte? Gestrichen.

Das Kapitel „Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit“ wurde gleich vollständig aus dem Bericht getilgt. Dabei erleben wir immer wieder, dass finanzstarke Akteure politische Entscheidungen massiv beeinflussen. Erst kürzlich hat die Auseinandersetzung um die Erbschaftssteuer gezeigt, dass eine gut organisierte und finanzstarke Lobby von Firmenerben und Superreichen ihre Interessen in der Politik durchsetzen konnte. Ungleiche Lobbyeinflüsse verhindern ausgewogene Politikentscheidungen und sind so eine Gefahr für die Demokratie. Doch die Bundesregierung ist offensichtlich nicht gewillt, diese Themen in ihrem offiziellen Bericht überhaupt nur zu erwähnen.

Noch in der ersten Version des Berichts heißt es, dass „Lobbyismus und politische Kontakte“ eine Ursache der ungleichen Berücksichtigung politischer Interessen sei. Hier spiegelten sich gesellschaftliche Machtungleichgewichte wider, etwa wenn „leistungsfähige Organisationen, eingespielte persönliche Kontakte, privilegierter Zugang zu Informationen, überzeugend plausibilisierte Argumente, finanzielle Mittel für Öffentlichkeitsarbeit oder unmittelbare Zuwendungen in ausreichendem Maße“ zur Verfügung stünden, um andere gesellschaftliche Gruppen zum Beispiel „durch gezielte Kampagnen“ zu schwächen. Der Bericht in der Vorversion wörtlich: „So können Partikularinteressen von Eliten und Unternehmen in modernen Demokratien einen übergroßen Einfluss gewinnen, mit der Folge einer zunehmenden Entpolitisierung und damit eines Legitimitätsverlustes.“

Stiftungen als Lobbyakteure

Die Akteure, die ihre Interessen gegenüber der Politik formulieren, wurden zumindest stichpunktartig in der ersten Version genannt – fielen nun aber vollständig den Streichwünschen der anderen Ministerien zum Opfer. Hier tauchten in der ersten Version nicht nur die klassischen Verbände und Unternehmensrepräsentanzen mit ihren Lobbyvertretern auf, sondern auch Think Tanks und Stiftungen. Zur Erinnerung: Stiftungen sind ein zunehmend beliebtes Mittel von Reichen, Unternehmern und deren Erben, um Einfluss auf die Politik zu nehmen. Sie eindeutig auch als als politische Akteure zu bezeichnen war deshalb ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht. Dort wurden Reiche und ihre Stiftungen noch ausschließlich unter dem Aspekt der Philanthropie diskutiert.

Nach der Zensur bleibt festzuhalten: In der neuen Version des Berichts sucht man vergeblich nach den Begriffen Lobbyismus, Einflussnahme, Machtungleichgewichte oder Stiftungen. Die entsprechenden Passagen wurden in der Abstimmung zwischen den Ministerien komplett gelöscht. In einem anderem Kontext nennt man so ein Verhalten: Realitätsverweigerung.

Weitere Informationen:

Zum Hintergrund: LobbyControl wurde eingeladen, im Beraterkreis zum Armuts- und Reichtumsbericht mitzuarbeiten. Diese Einladung haben wir gerne angenommen und uns rege an den Diskussionen in den Symposien des Beraterkreises beteiligt. Uns war es dabei ein Anliegen, dass das Thema soziale Ungleichheit und Demokratie und speziell Reichtum und Einflussnahme in dem Bericht ausführlich diskutiert wird. Um die Datenlage zu diesen Thema zu verbessern, plädieren wir für die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters.

Update (April 2017):

[button]Unterstützen Sie unsere Aktion zu den Streichungen im Armuts- und Reichtumsbericht: Die Macht der Reichen aufdecken![/button]

Bleiben Sie informiert über Lobbyismus.

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter.

Datenschutzhinweis: Wir verarbeiten Ihre Daten auf der Grundlage der EU-Datenschutz-Grundverordnung (Art. 6 Abs. 1). Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Zur Datenschutzerklärung.

Teilen

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert. Neue Kommentare erscheinen erst nach Freigabe auf der Webseite.

Interesse an mehr Lobbynews?

Newsletter abonnieren!