Lobbyismus in der EU

Politmagazin leakt Teildokument des Glyphosatberichts

Das Politmagazin Fakt hat ein Teildokument des Glyphosatberichts des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) veröffentlicht: Das BfR bleibt bei seiner Bewertung, dass Glyphosat zugelassen werden kann. Leider hält die EU-Kommission den vollständigen Bericht noch immer unter Verschluss und hält an einem fragwürdigen Zulassungsverfahren fest.
von 23. Oktober 2015

Das Politmagazin Fakt hat am 20. Oktober ein Teildokument des Glyphosatberichts veröffentlicht: Es handelt sich um die Bewertung eines in der Debatte um das Ackergift Glyphosat zentralen Dokuments durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Die Schlussfolgerung der Weltgesundheitsorganisation WHO vom März dieses Jahres, Glyphosat sei für den Menschen „wahrscheinlich krebserregend“. Das BfR bleibt im Ergebnis bei seiner Bewertung, dass die Hinweise auf die krebserregende Wirkung nicht ausreichend seien und Glyphosat zugelassen werden kann. Leider hält die EU-Kommission den vollständigen Bericht immer noch unter Verschluss.

Umstrittene Ergebnisse der BfR-Studie

Das Bild zeigt Nina Katzemich von LobbyControl bei dem Versuch der Übergabe unserer Unterschriften an die EU-Kommission in Brüssel.

Das Bild zeigt Nina Katzemich von LobbyControl bei dem Versuch der Übergabe unserer Unterschriften an die EU-Kommission in Brüssel.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC der WHO hatte eine Reihe frei zugänglicher Studien zur Wirkung von Glyphosat auf Menschen und Mäuse untersucht und war im März 2015 zu dem Schluss gekommen, dass das Ackergift für den Menschen „wahrscheinlich krebserregend“ ist. Das Ergebnis war aufsehenerregend, auch deshalb, weil zugleich das BfR Glyphosat für die EU-Kommission darauf testete, ob es für weitere zehn Jahre in der EU zugelassen werden darf. Glyphosat ist das meistbenutzte Ackergift der Welt, die Hersteller verdienen Milliarden an ihm.
Das BfR war mit seinen Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass Glyphosat nicht krebserregend für den Menschen ist und weitere zehn Jahre in der EU zugelassen werden sollte. Die Europäische Aagentur für Lebensmittelsicherheit EFSA, die den BfR-Bericht letztendlich beurteilen soll, hatte das BfR damit beauftragt, die umstrittene Auswertung des IARC selbst noch einmal zu untersuchen. Das Ergebnis sollte in die Beurteilung einfließen. Die Untersuchung hatte das BfR Ende August vorgelegt, sie ist nun von Fakt „geleakt“ worden.

BfR nutzte vor allem Studien der Hersteller

Bei aller wohlwollenden Feststellung, dass man gar nicht so weit auseinanderliege: Letzten Endes bleibt das BfR bei seiner Meinung. Als einen der Gründe für die verschiedenen Ergebnisse führt das BfR in seiner Beurteilung an, dass das IARC andere Studien verwendet habe – Studien, die im Gegensatz zu denen des BfR frei zugänglich sind, aber nicht der so genannten „guten Laborpraxis“ (GLP) entsprechen. Dies ist eine Praxis, die die Industrie in den 80er-Jahren für sich selbst eingeführt hatte, nachdem massive Datenfälschungen bei Industriestudien aufgedeckt worden waren. Sie gilt im allen OECD-Ländern und dient dazu, die Motivation zu Betrügereien bei der Datenerzeugung zu senken.

Es ist natürlich gut, dass es solche Standards gibt. Mit dem Fokus auf GLP-Studien fallen allerdings viele andere Studien durch das Raster regulatorischer Entscheidungen, die durchaus auch nach Standards erstellt werden, die als wissenschaftlich gelten: Studien, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstellt werden, die unabhängig von der Industrie oftmals an staatlichen Einrichtungen wie Universitäten forschen, und die nach den Standards ihres Fachs arbeiten. Dies ist wohl auch im Fall Glyphosat passiert: Das BfR hat sich, so erklären viele Kritiker, viel zu sehr auf Studien der Hersteller konzentriert.

Absurde Geheimhaltung: Wissenschaftler mussten mit alten Versionen arbeiten

Auch bei einer Anhörung im Bundestag zur Glyphosat-Zulassung am 28. September hatten internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem die Kritik stark gemacht, das BfR habe bestimmte unabhängige Studien konsequent ignoriert. Die Fachleute hatten übrigens mangels einer aktuellen Version des Glyphhosat-Berichts alle mit älteren Versionen argumentieren müssen. Das zeigt, wie absurd die Geheimhaltung des Dokuments durch die EU-Kommission ist. Man wolle die Integrität des Entscheidungsprozesses schützen, betont auch das geleakte Dokument noch einmal. Dieses Kind ist aber längst in den Brunnen gefallen. Erstens, weil die Hersteller eine viel aktuellere Version des Berichts kennen als die Öffentlichkeit. Und zweitens, weil die Debatte längst in der Gesellschaft angekommen ist, wie auch die Anhörung im Bundestag zeigt. Jetzt sollte die EU-Kommission endlich den gesamten Bericht veröffentlichen, damit alle auf dem gleichen Sachstand argumentieren können.

ECHA soll nun andere Inhaltsstoffe der „Pflanzenschutzmittel“ untersuchen

Bei BfR und der EU-Kommission ist man nach all der Kritik scheinbar doch bereit, seine Ergebnisse noch einmal zu überprüfen. Das BfR erklärt in dem Dokument auch (und hat dies auch auf der Anhörung angekündigt), man habe bisher nur die Aufgabe gehabt, Glyphosat zu beurteilen und nicht die vermarkteten Pflanzenschutzmittel. Diese würden zahlreiche andere Inhaltsstoffe enthalten, die durchaus gefährlich sein könnten, insbesondere im Wechselspiel miteinander. Das Institut arbeite daran, mit der Europäischen Chemikalienagentur ECHA zu einer vernünftigen Einstufung dieser Beistoffe zu kommen. „Wir sind jederzeit bereit unseren Standpunkt zu revidieren, wenn es entsprechende Fakten gibt“, erklärte BfR-Präsident Hensel.

Kritik am gesamten Zulassungsprozess

Nicht nur das finale Dokument des BfR gehört endlich auf den Tisch. Vielmehr brauchen wir auch eine grundsätzliche Debatte über den gesamten Zulassungsprozess. Er ist intransparent und von potenziellen Interessenkonflikten geprägt, wie auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in seiner Studie Note Mangelhaft: Das EU-Zulassungsverfahren für Glyphosat darstellt. Hier nur einige Beispiele:

  • Die Hersteller suchen selbst aus, welches Land die Studie zur Frage der erneuten Zulassung („Renewal Assessment Report“) erstellt. Im Fall Glyphosat haben sie mit Deutschland das Land mit der europaweit größten Chemieindustrie ausgesucht – sowie außerdem das Land, das bereits den Bericht zum vergangenen Zulassungsprozess erstellt hat. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die Zulassung diesmal verweigert wird.
  • Die EU-Pestizidgesetzgebung legt fest, dass vor allem auf Studien der Hersteller zurückgegriffen wird. Diese Studien können außerdem als Geschäftsgeheimnis eingestuft werden und bleiben unveröffentlicht – eine Beurteilung durch unabhängige Wissenschaftler wird damit vereitelt.
  • Die Hersteller bestimmen auch, auf welche unabhängigen Studien zurückgegriffen wird.
  • Die finale Version der Studie bleibt nach einem ersten Konsultationsverfahren unter Verschluss. Nicht nur, dass die Öffentlichkeit damit nicht einschätzen kann, wie die Behörde genau zu ihrem Urteil kommt – Nichtregierungsorganisationen können auch nicht sehen, ob ihre Eingaben im Konsultationsverfahren berücksichtigt wurden.

Grundlegende Änderung des Zulassungsverfahrens überfällig

Wir werden diese Kritik an die EU-Kommission herantragen und uns für grundlegende Änderungen am Zulassungsverfahren einsetzen. Es darf nicht sein, dass die Hersteller darüber enscheiden, wer ihre Produkte überprüft und welche Studien dazu zu Rate gezogen werden.

Von EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis erwarten wir, dass er jetzt endlich handelt und der Geheimnistuerei rund um den Glyphosatbericht ein Ende setzt: Der vollständige BfR-Bericht gehört veröffentlicht und das Zulasssungsverfahren von Produkten künftig transparent und ausgewogen gestaltet.

Zum Weiterlesen:

 

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