Lobbyismus in der EU

Europaabgeordnete und Wirtschaftsinteressen – zu enge Verbindungen?

Unsere englischen Partner von Spinwatch haben die Verbindungen von Europaabgeordneten zu Wirtschaftsinteressen unter die Lupe genommen. Die heute vorgestellte Studie „Too Close for Comfort?“ listet 12 problematische Fälle auf, in denen Europaabgeordnete bezahlt für Unternehmen tätig sind, die ein spezifisches Interesse an ihrer gesetzgeberischen Arbeit haben, selbst finanzielle Interessen in Branchen haben, die sie fördern […]
von 17. Juli 2008

Unsere englischen Partner von Spinwatch haben die Verbindungen von Europaabgeordneten zu Wirtschaftsinteressen unter die Lupe genommen. Die heute vorgestellte Studie „Too Close for Comfort?“ listet 12 problematische Fälle auf, in denen Europaabgeordnete

  • bezahlt für Unternehmen tätig sind, die ein spezifisches Interesse an ihrer gesetzgeberischen Arbeit haben,
  • selbst finanzielle Interessen in Branchen haben, die sie fördern oder
  • besondere Parlamentsfunktionen haben (wie Ausschussvorsitzender) und zugleich eng mit einflussreichen Lobbygruppen verbunden sind.

Drei der zwölf Abgeordneten kommen aus Deutschland: Klaus-Heiner Lehne (CDU), Elmar Brok (CDU) und Jorgo Chatzimarkakis (FDP). Einzelheiten folgen weiter unten.

Spinwatch fordert strengere Regeln für Europaabgeordnete, u.a. dass Abgeordnete bezahlte Lobby-Tätigkeiten aufgeben, wenn sie ins Europaparlament (EP) einziehen. Zudem sollen die Angaben der Abgeordneten zu ihren finanziellen Interessen (Declarations of Financial Interests) enthalten, wie viel Geld sie für ihre Nebentätigkeiten bekommen. Die Erklärungen sollten zudem genauer geprüft und für alle Jahre einer Legislaturperiode online gestellt werden. Für die Europawahl 2009 sollen die Kandidaten ihre Interessen bereits vor der Wahl offen legen. Aktuell bereiten die Parteien bereits die Listen für die Europawahl vor – da lohnt sich ein genauerer Blick auf die Verflechtungen der Abgeordneten und neuer Kandidatinnen und Kandidaten.

Die deutschen Fälle

Klaus-Heiner Lehne (CDU) ist neben seinem Abgeordnetenmandat Partner bei der Anwaltskanzlei Taylor Wessing (und zwar im Bereich „Regulatory Affairs“). Ein Schwerpunkt von Taylor Wessing sind Patentfragen und Klaus-Heiner Lehne war einer der großen Befürworter von Software-Patenten im Europaparlament. Er selbst bestreitet jedoch jeglichen Interessenkonflikt.

Elmar Brok (CDU) ist zugleich Lobbyist für den Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann. Er hat diese Doppelfunktion nie verheimlicht, weigert sich aber offen zu legen, wie viel Geld er von Bertelsmann erhält. Brok engagiert sich zudem in Lobbygruppen wie dem „Transatlantic Policy Network“ (TPN) stark für eine transatlantische Freihandelszone zwischen den USA und der EU. Das Thema ist brisant – gerade im Bereich Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards -, erhält aber wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Bertelsmann mit seinen Konzernbeteiligungen in Europa und den USA ist ein engagierter Verfechter dieses Projekts und unterstützt auch das TPN. Brok hat dazu verschiedene Anträge im EP eingebracht und dabei auf vorgefertigte Textbausteine des TPN zurückgegriffen (Mehr zum TPN findet sich auch im Lobby Planet Brüssel. Auch die Sozialdemokratin Erika Mann spielt eine wichtige Rolle bei TPN).

Jorgo Chatzimarkakis war Geschäftsführer der Lobby-Agentur Polit Data Concept (PDC), bevor er 2004 Europaabgeordneter wurde. Sein größter Kunde damals war Infineon. Eine Technik von hohem Interesse für Infineon sind RFID-Funkchips, für die sich Chatzimarkakis als Abgeordneter stark einsetzt. Allerdings schreibt Chatzimarkakis auf seiner Webseite, eine Tätigkeit als Interessenvertreter sei mit einem Abgeordnetenmandat unvereinbar: „Daher habe ich meine Arbeit als Geschäftsführer der polit data sofort nach der Wahl niedergelegt. Das als GbR agierende Unternehmen wurde aufgelöst und ohne meine Beteiligung mit neuen Partnern wieder gegründet.“

Nach Analysen von Spinwatch stellt sich das Bild etwas anders dar und die Verbindungen bestanden länger fort: im Juli 2004 – einen Monat nach der Europawahl – erhöhte Chatzimarkakis seine Anteile an polit data concept von 50 auf 55 Prozent. Die Firma wurde erst im Januar 2008 aufgelöst, mit Chatzimarkakis als Liquidator. In seiner Interessenerklärung für 2007 fehlt allerdings der Hinweis auf seine PDC-Anteile. Im Frühjahr 2007 gründeten Thomas Krings und Lutz Dommel “pdc EU Affairs” als Nachfolger für PDC. Thomas Krings war mit Chatzimarkakis bereits Teilhaber von PDC gewesen und arbeitet heute für die liberale Fraktion im Europaparlament. Krings bestreitet laut Spinwatch in die neue Firma eingebunden zu sein, er habe nur einem Freund geholfen, sie zu gründen. Laut Handelsregister hält er aber 60% der Gesellschaftsanteile. Lutz Dommel war von 2004 bis Juli 2007 Leiter von Chatzimarkakis’ Abgeordnetenbüro und arbeitete danach weitere sechs Monate für Chatzimarkakis (als er schon Geschäftsführer von pdc EU Affairs war). Einer der ersten Kunden der Agentur war wiederum Infineon. (Weitere Details zu den Unstimmigkeiten im Fall Chatzimarkakis im Spinwatch-Bericht)

> Korrektur, 25.7.: laut Auskunft von Lutz Dommel hat Thomas Krings ihm noch am Tag der Gründung von „pdc EU Affairs“ seine Anteile überschrieben, so dass Dommel alleiniger Gesellschafter von pdc EU Affairs ist. Im belgischen Handelsregister würden Anteilsübertragungen in einem separaten Anteilsbuch notiert, so dass diese Übertragung nicht im Handelsregistereintrag sichtbar sei. Hintergrund ist, dass eine Firmengründung durch zwei Personen eine geringere Kapitaleinlage erfordert als durch eine Person allein.

Neben den deutschen Fällen listet der Spinwatch-Bericht noch Fälle aus Großbritannien, Frankreich, Finnland und Rumänien, u.a. mit engen Verbindungen zur Energie- und Autoindustrie, der Finanzbranche oder zu Vertragspartnern des US-Militärs.

Ausblick: die Listenaufstellung für 2009
Über striktere Regeln und Kontrollen hinweg wäre es eigentlich Aufgabe der Parteien und der Parteimitglieder selbst, auf mögliche Interessensverflechtungen derjenigen zu achten, die sie als Kandidaten aufstellen. Dabei gibt über die drei von Spinwatch aufgeführten Fälle noch weitere Europaabgeordnete, die einen genaueren Blickes würdig wären. Leider bekommen die Listenaufstellungen selten die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie verdienen (es sei denn es geht um Parteiwechsler wie jüngst Oswald Metzger). Vielleicht wäre das ja mal ein interessantes Thema für Journalistinnen und Journalisten in den nächsten Wochen?

PS: Diese Art von Verflechtungen thematisieren auch die Worst EU Lobbying Awards 2008 mit dem Sonderpreis für den „Worst Conflict of Interest“. Nominierungen können noch bis 12. September eingereicht werden.

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