Aus der Lobbywelt

Berichterstattung über die INSM: unkritisch und nicht transparent

Die Medienberichterstattung über die Arbeitgeber-Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) übernimmt weitgehend die INSM-Perspektive und macht deren strategische Funktion für die Arbeitgeberverbände unzureichend transparent. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung von Christian Nuernbergk (Universität Münster). Eine Zusammenfassung erschien bereits im Januar in der journalistischen Fachzeitschrift message und ist seit kurzem auch auf deren überarbeiteter Webseite […]
von 21. April 2006

Die Medienberichterstattung über die Arbeitgeber-Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) übernimmt weitgehend die INSM-Perspektive und macht deren strategische Funktion für die Arbeitgeberverbände unzureichend transparent. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung von Christian Nuernbergk (Universität Münster). Eine Zusammenfassung erschien bereits im Januar in der journalistischen Fachzeitschrift message und ist seit kurzem auch auf deren überarbeiteter Webseite online zugänglich. Dass die Ergebnisse weiter aktuell sind, zeigt die Medienkooperation der INSM mit der Wirtschaftszeitschrift Impulse bei der „exklusiven“ Veröffentlichung einer Studie zur Deregulierung diese Woche.

Die Studie von Christian Nürnbergk untersuchte die Medienberichterstattung über die INSM zwischen September 2003 und April 2004 anhand von 137 Presseartikeln und 23 Pressemitteilungen der INSM. Die Untersuchung unterschied dazu drei Mediengruppen: Wirtschaftstitel, Konservativ und Linksliberal (* Details unten).

Wesentliche Ergebnisse der Analyse:

  • Die Berichterstattung über die INSM war insgesamt undifferenziert und unkritisch, wobei linksliberale Medien etwas differenzierter und kritischer waren. Konservative Presse und Wirtschaftspresse berichteten weitaus häufiger als linksliberale Medien (117 vs. 20 Artikel).
  • „Die INSM wurde lediglich in 21 Fällen (15,3 Prozent) näher beschrieben, in nur neun Beiträgen (6,6 Prozent) wurde sie als Arbeitgeber-Initiative benannt. In vier Artikeln kam es zu einer für die Leser irreführenden Darstellung, indem die INSM als eine überparteiliche Reformbewegung dargestellt wurde.“
  • INSM-Botschafter tauchten in über der Hälfte der Beiträge auf. Allerdings wurde nicht einmal in jedem sechsten Beitrag die Botschafterrolle für die INSM transparent gemacht.
  • Nur in 34 Artikeln wurden alternative Sichtweisen erwähnt (24,8 Prozent). In der linksliberalen Presse tauchten alternative Sichtweisen dabei in 55 Prozent der Beiträge auf, in der konservativen Presse und den Wirtschaftstiteln nur in 19,7 Prozent. In 76 Fällen zogen die Redaktionen neben den PR-Angeboten der Initiative keine weiteren Quellen heran.
  • Die meisten Presseinformationen der INSM wurden mit großen Veränderungen übernommen. In 60 Prozent der Beiträge, die auf einer INSM-Pressemitteilung beruhten, lieferten Journalisten zusätzliche Informationen. Allerdings kamen in weniger als der Hälfte dieser Beiträge alternative Sichtweisen vor.

Fazit der Studie:

Die untersuchte Berichterstattung nimmt überwiegend die Perspektive der INSM ein, insbesondere, wenn exklusive Medienkooperationen geboten werden. Eine geschickte Kombination aus wissenschaftlichem Anspruch und effektivem Marketing der Inhalte führt dazu, dass vor allem solche Redaktionen die aufwändigen Themenangebote aufgreifen, die politisch der INSM nahe stehen. Die INSM schafft es, dass Journalisten die Initiative und ihre versteckte Funktion als ein strategisches Element in der Interessenvertretung von Arbeitgeberverbänden nur unzureichend transparent machen. Den Rezipienten werden Informationen zur Einordnung der Berichterstattung vorenthalten.

Die Redaktionen müssen hier für mehr Transparenz sorgen. Eine schlichte Übernahme von Inhalten ohne redaktionelle Prüfung ist mit einem publizistischen Qualitätsanspruch nicht zu vereinbaren. Mit kritischer Medienberichterstattung über fragwürdige Methoden der Initiative können die Medien dagegen nur an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Der Untersuchungszeitraum der Studie erfasst die wachsende Kritik an der INSM ab Mitte 2004 nicht mehr. Seitdem hat es einige kritische Artikel über deren Hintergründe gegeben.

Kritik weiter aktuell – das Beispiel Impulse

Allerdings funktionieren die Medienkooperationen der INSM weiter wie damals – siehe die aktuelle Impulse-Ausgabe: Wer die INSM ist, wird bei der Vorstellung der Deregulierungsstudie nicht erläutert. Die Autoren der INSM-Studie dürfen erklären, wie breit die Quellenlage der Studie sei und dass die Rechenmethode allgemein anerkannt sei. Der Artikel betont ferner, „wie ausgewogen“ die Studie sei, weil sie „einen größeren Wohlstandsgewinn durch Bildungspolitik als durch gelockerte Jobvorschriften“ ermittle. „Trotzdem habe Letzteres hier Top-Priorität, weil unser Arbeitsmarkt besonders reglementiert ist.“ Alternative Sichtweise oder gar Gegenargumente: Fehlanzeige. Neben den Autoren kommen noch Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft und der Ökonom Jürgen Donges zu Wort. Dass beide auch INSM-Botschafter sind: unerwähnt. Das Fazit der Medienanalyse über die INSM gilt also zumindest für Impulse noch heute.

PS: Impulse gehört übrigens zu Gruner+Jahr und damit zu drei Vierteln zu Bertelsmann. Auf deren Webseite wird der Geschäftsbereich Gruner+Jahr vorgestellt mit der Überschrift: „Qualitätsjournalismus Seite für Seite“. Aber das ist natürlich ein Werbeslogan…

* Die Mediengruppen der Untersuchung im Detail:
Wirtschaftstitel: Financial Times Deutschland, Handelsblatt, Wirtschaftswoche
Konservativ: Bild, Welt, Frankfurter Allgemeins Sonntagszeitung, FAZ, Focus
Linksliberal: Süddeutsche Zeitung, taz, Spiegel.

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