Handelspolitik

TTIP-Lesesaal an Absurdität nicht zu überbieten

Der überwachte TTIP-Lesesaal für Bundestagsabgeordete ist eine Farce und verspottet unsere Forderung nach Transparenz und öffentlicher Diskussion über die Verhandlungsinhalte. Transparenz sieht anders aus und ist notwendiger denn je in der EU-Handelspolitik.
von 10. Februar 2016

Der überwachte TTIP-Lesesaal für Bundestagsabgeordete ist eine Farce und verspottet unsere Forderung nach Transparenz und öffentlicher Diskussion über die Inhalte der Verhandlungen zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen. Während Vizekanzler Sigmar Gabriel den Lesesaal „überflüssig“ findet und ihn trotzdem als Fortschritt anpreist, sagen wir: Ein überwachter Leseraum für eine begrenzte Anzahl von Abgeordneten pro Woche, die über die gelesenen Inhalte nicht einmal öffentlich reden dürfen, ist kein echter Fortschritt. Transparenz sieht anders aus und ist zugleich notwendiger denn je in der EU-Handelspolitik.

Das Foto zeigt den Lesesaal der Sächsischen Staatsbibliothek in Dresden. Dieser ist im Gegensatz zum TTIP-Lesesaal für die Öffentlichkeit zugänglich.

Das Foto zeigt den Lesesaal der Sächsischen Staatsbibliothek in Dresden. Dieser ist im Gegensatz zum TTIP-Lesesaal für die Öffentlichkeit zugänglich.

Unser Zitat dazu im Interview mit Zeit-Online:

„Dieser Leseraum ist an Absurdität nicht zu überbieten. Es ist bitter, dass Bürgerinnen und Bürger seit Beginn der Verhandlungen mehr Transparenz fordern und dieser Raum nun das Ergebnis sein soll. Die Abgeordneten dürfen kaum Aufzeichnungen von den Verhandlungsunterlagen machen, sie dürfen vor allem nicht darüber reden. Wie soll so eine kritische Debatte über die Verhandlungsinhalte stattfinden? Das ist momentan nicht gewährleistet. Es wird nur das Misstrauen gegenüber TTIP erhöht. Ein Abkommen, das weiter geheim verhandelt wird und Demokratie gefährdet, gilt es zu verhindern.“

Reaktion von Bundestagsabgeordneten

Auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete haben sich kritisch zum Lesesaal zu Wort gemeldet. Hier eine Auswahl von kritischen Stimmen:

  • Hier die kritische Reaktion der Grünen Bundestagsfraktion:
    „Denn Einsichtsmöglichkeiten für Abgeordnete sind noch nicht gleichbedeutend mit ausreichend Transparenz und Öffentlichkeit. Die jetzt zur Einsicht frei gegeben Dokumente sind streng geheim. Unsere Handlungsmöglichkeiten sind also sehr begrenzt. Wenn Bundeswirtschaftsminister Gabriel es aber ernst meint mit der Akzeptanz für TTIP, muss er erklären, weshalb Bürgerinnen und Bürgern der Blick auf die konsolidierten Texte weiter verwehrt bleibt.“
  • Im Bericht von Katja Kipping, Parteivorsitzende Die Linke, aus dem TTIP-Lesesaal heißt es:
  • „Es ist bezeichnend, wie viel Aufwand das Wirtschaftsministerium betreibt, um den bisherigen Text geheim zu halten. Offensichtlich haben sie allen Grund dazu. Denn wer Verhandlungen im Sinne von mehr Umweltschutz und mehr Verbraucher_innenschutz und besseren Arbeitsnormen im Sinne der Beschäftigten führt, der müsste sich vor Transparenz nicht fürchten. Wer sich hingegen am Ausverkauf der Demokratie beteiligt, scheut offensichtlich das Licht der Öffentlichkeit. Wenn die Unterhändler und Sigmar Gabriel wirklich überzeugt wären vom TTIP, könnten sie es ja für alle zugänglich ins Netz stellen.“

Weitere Infos:

Bildquelle: Malte Larsen; Foto: Lesesaal der SLUB Dresden; Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2.

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10 Kommentare

Wolfgang19. Februar 2016 um 11:13

An den Beispielen der sogenannten Freihandelsabkommen zeigt sich wohl klar, wohin die Reise gehen soll: Das Kapital, sprich Banken im Weltmaßstab, sichern sich ihre Handlungsfreiheit durch Verträge und Abkommen um ihre Interessen global durchsetzten zu können. Letztendlich befindet sich die Industrie in den Händen des Kapitals und alle Bestrebungen dienen nur der Mehrung des Geldes ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Dinge wie soziale Verantwortung für die Menschen oder Umweltschutz werden, wenn überhaupt und es dem Ziel dient, nur verbal wahrgenommen. Diese Abkommen sind durch ausgefuchste Experten (hier sind nicht unsere Politiker gemeint) ausgearbeitet, zudem in Englisch. Die Anmaßung unserer sogenannten Volksvertreter, dieser Aufgabe entsprechen zu können und das noch unter dem Mantel der Geheimhaltung, lässt vermuten, das entweder ein nicht zu überbietendes Maß an Naivität, gepaart mit einer unvergleichlichen Selbstüberschätzung, oder gegebenenfalls ein außergewöhnliches Interesse, das aber in keinem Fall dem Staatswohl zuzuschreiben wäre, vorliegt. Hier ist ein voll transparentes Verfahren erforderlich. Abschließend sollen die Herrschaften Politiker an ihre Verpflichtung an das Wohl des Volkes und des Staates nachdrücklich erinnert werden.

Leins19. Februar 2016 um 15:53

Denken wir dochmal ganz einfach: In einer wahren Demokratie dürfte es weder Geheimnisse, Geheimnisträger, Geheimausschüsse noch Geheimpapiere und Geheimverhandlungen geben. Für Geheimniskrämerei gibt es nur einen Grund: Mächtige Einzelinteressen seitens der Wirtschaft und der Politik geben (oder reiben?) sich die Hände auf Kosten der Allgemeinheit. Der Finanzcrash hat den Trend offenbart: Gewinne privatisieren und Verluste + Risiko dem Volk aufs Auge, sprich Geldbeutel, drücken und dies dazu noch unter Ausschluß unseres Rechtssystems. Das geht wahrhaftig an die Grundpfeiler unserer Gesellschaft!!! Und w i e d e r , ein gewisser Schröder ist noch nicht vergessen, hat ein SPD-Oberster seine Finger in einem Spiel gegen die Interessen der überwältigenden Mehrheit der Bürger. Und jetzt der TTIP-Lesesaal mit allen Einschränkungen und Vorschriften als fleischgewordenes Beispiel des Ränke“spiels“:
Das ist doch die Verhöhnung von uns allen. Und wie tief wollen die Herren Abgeordneten in unserem Ansehen denn noch fallen, daß sie sich dies – in unserem Namen!! – gefallen lassen? Armer Souverain. Doch sollten wir all dies zum Anlaß nehmen, endlich zu beginnen, d i e s e s Demokratiesystem gründlichst zu überdenken!
WIR SIND DAS VOLK, der Souverain: Handeln wir endlich danach!!!

Jules20. Februar 2016 um 0:06

In der Endphase zu den Freihandelsabkommen werden sich weitere Abgeordnete, Parteien und Bundesbehörden, neben der Kanzlerin u. Wirtschaftsminister, sich gegen die sog. Demokratie, dessen Wesensgehalt nach dem Grundgesetz die Rechts- und Sozialstaatlichkeit ist, positionieren müssen. Diese Personen und Körperschaften müssen identifiziert und mit Klarnamen in die Öffentlichkeit getragen werden.

Spannend hierzu wäre nach Klageeinreichung auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts.

MaoX20. Februar 2016 um 17:36

Im Grundgesetz steht viel zum Gemeinwohl, aber es weist auch in Art. 38 GG auf die faktische Entmachtung des Bürgers hin. Demnach ist der sog. Volksvertreter nur seinem „Gewissen unterworfen“. Dieses Gewissen lässt sich durch die Fraktionsdisziplin ohne die üppigen Vergünstigungen eingerechnet mit satten Diäten, z. Z. mtl. in Höhe v. 9082 Euro incl. Diätenerhöhung von 250 Euro ab Juli 2016, versüßen. Abgeordnete die nur über den Listenplatz ihrer Partei im Bundestag rumlungern werden sich 2-fach überlegen, ob sie in „Armut“ verbringen möchten oder die Zeit damit ihr „wohlverdientes Geld“ irgendwie durch schöne Kleidung, neue Beißerchen usw. auszugeben. Keiner von denen möchte in ein Austeritätssystem (Verarmungspolitik), was er zuvor für die Gesellschaft erschaffen hat.

Jens Grüner21. Februar 2016 um 19:53

Meines Erachtens müssten diese defakto „Redeverbote“ verfassungsmäßig überprüft und verboten werden.
Mit welcher rechtlichen Begründung verweigern die EU-USA-Administativen den Zugang der Öffentlichkeit, also hunderten von Millionen Betroffenen ?
Mich wundert, dass Grüne und Linke gegen diese höchst verdächtige Geheimniskrämerei nicht gesetzlich vorgehen. Vielleicht dürfen sie es ja schon nicht aus US-Justiz-Gründen ?
Ich empfinde es als einen der größten Skandale in der Historie der Zertrümmerung der europäischen Solidaritäts-und Demokratie-Geschichte.
Letztlich eine weitere sehr massive negative Bestätigung, dass wir leider keine „Völker-Vertreter“ mehr haben, bzw. dass diese den globalen Oligarchen und Konzernen völlig unterlegen sind.

Bochumer24. Februar 2016 um 15:52

Marco Bülow (MdB) hat den Leseraum besucht.
Sein Fazit: „Die Bedingungen, unter denen selbst ich als Bundestagsabgeordneter die Verhandlungstexte zwischen der Europäischen Union und den USA zum Handelsabkommen TTIP einsehen darf, sind einer Demokratie unwürdig.“

http://www.marco-buelow.de/neuigkeiten/meldung/artikel/2016/februar/mein-bericht-aus-dem-ttip-leseraum-fuer-abgeordnete.html

Udo Rostalski13. März 2016 um 3:56

Hätte man ein bischen mehr Marx gelesen unter den sovielen Sozialdemokraten in der EU wäre das alles nicht passiert. Aber da ja viele Sozialdemokraten keine mehr sind ( egal wie man sich auch nennt ) passiert das halt.
Wie blöd muß man eigentlich sein, um den Kern nicht zu erkennen?
Den Tanz ums goldene Kalb machen doch die Sozialdemokraten ohne sich zu schämen?
Herr Gabriel sie gehören raus aus der SPD z.B.
Ich ko …

Udo Rostalski13. März 2016 um 3:59

„Die SPD ist die Vorhaut der Arbeiterklasse“ (Kurt Tucholsky). Leider trifft das heutzutage auf die SPD & ihren Partnern in Europa umsomehr zu. … ;-)

Udo Rostalski13. März 2016 um 4:01

… fing ja schon an mit Schröder ala „Putin ist ein lupenreiner Demokrat“ …

Udo Rostalski13. März 2016 um 4:24

was hat den „der Politiker“ für die Gesellschaft erschaffen???
Er hat vorher auf Kosten des Volkes studiert ( nicht mal mit Abschluß wie Fischer z.B.)
schleimt sich arschkriecherisch rein in irgendeine Partei & behauptet dann er wurde vom Volk gewählt …
Die wirklich Ehrlichen bleiben auf der Strecke. Das ist nunmal der Kapitalismus & man soll mir nicht kommen hier mit Volksvertreter der Demokratie.
Kommunal wo ich wohne sind 26 % der Bürger zur Bürgermeisterwahl gegangen!
Vor der Flüchtlingskrise wohlgemerkt! Wen interessiert das ?
… und jetzt!?! Lügenpresse? Die gibt es schon lange auch vor der Flüchtlingskrise …
das hat nichts mit AfD oder sonst welchen Rechten zu tun …
Die Presse selbst hat es aufgegriffen, was das Volk schon lange selbst sagt …
Der Demokratieverlust ( auf deutsch „sein Volk nicht verstanden zu haben, nicht zu verstehen“ ) existiert schon sehr lange …