Lobbyismus in der EU

Neue Studie: Wie Konzerne in Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten Gesetze kapern

Unsere Demokratie hat Schlagseite: Denn Unternehmen und ihre Lobbyisten kapern in Brüssel Gesetze und gestalten politische Prozesse zu ihrem ökonomischen Vorteil aus – auf Kosten des Allgemeinwohls. Das zeigen acht Fallstudien, die wir gemeinsam mit unserem europäischen Netzwerk ALTER-EU veröffentlichen.
von 24. September 2018

Unsere Demokratie hat Schlagseite: Denn Unternehmen und ihre Lobbyisten kapern in Brüssel politische Prozesse und gestalten Gesetze mit – zu ihrem ökonomischen Vorteil und auf Kosten des Allgemeinwohls. Das zeigen acht Fallstudien, die wir gemeinsam mit unserem europäischen Netzwerk ALTER-EU veröffentlichen.

Nicht nur in Brüssel wird Gesetzgebung gekapert – auch in den Mitgliedstaaten

Deutlich machen die Fallstudien, dass nicht nur in Brüssel einiges schief läuft. Auf Ebene der Mitgliedstaaten lässt die Politik ebenfalls zu, dass Unternehmen ihre Gesetze vereinnahmen. Oft machen sich die Regierungen sogar in Brüssel dafür stark, dass ihrer heimischen Industrie nur ja nicht weh getan wird.

Die Studie im Überblick

Bestes Beispiel: Der Abgasskandal in Deutschland. Die Bundesregierung nimmt infolge des Skandals die Autoindustrie vor Einschnitten und Maßnahmen der EU massiv in Schutz. Nicht anders geht es in den Niederlanden zu: Die niederländische Regierung schaffte im Oktober 2017 auf Wunsch von Shell und Unilever die Quellensteuer auf Dividenden ab – ein Steuerausfall für den Staat von 1,4 Milliarden Euro pro Jahr zugunsten der Großunternehmen.

  • TTIP: Die Fallstudie beschreibt eingehend, wie die Industrie selbst Initiatorin des transatlantischen Freihandelsabkommens war, wie stark sie die Fäden zog und wie die EU-Kommission ihre Expertise aktiv einforderte. Auch zeichnet sie nach, wie Großunternehmen Nachteile für VerbraucherInnen und für die Demokratie kleinredeten und die Vorteile überzeichneten.
  • Gaslobby: Die Fallstudie zur Gaslobby zeigt, dass in Brüssel die Gasindustrie eine Schlüsselrolle innehat, wenn über die Energieinfrastuktur beraten wird. Gasunternehmen beraten die EU dazu, wie viel Gas nötig ist – kein Wunder, dass Europa gerade eine Gasinfrastruktur aufbaut, durch die viel mehr von diesem Brennstoff zu uns kommt, als wir eigentlich bräuchten. Auch zeigt die Studie auf, dass die Industrie Gas erfolgreich zu einer zukunftsfähigen Energie erklären konnte, obwohl es sich um einen fossilen Brennstoff handelt.
  • Die Techgiganten: Eine weitere Fallstudie befasst sich mit der Macht der Digitalbranche. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Branche einerseits trotz all ihrer „Lobbymacht“ nicht verhindern konnte, dass letztlich eine relativ verbraucherfreundliche Datenschutzgrundverordnung beschlossen wurde. Dieser Fall zeigt immerhin, dass es Beispiele gibt, in denen die Lobbymacht nur von begrenztem Nutzen ist – nämlich wenn es ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit für ein Thema gibt.

Die drei oben beschriebenen Fälle finden Sie auch in unserer deutschen Kurzversion der englischen Studie. Eine Übersetzung der LobbyControl-Fallstudie zum Diesel-Abgasskandal wird folgen.

Nicht jedes beeinflusste Gesetz ist gleich gekapert

Nicht in jedem Fall erfolgreicher Einflussnahme kann man gleich von einem Kapern oder Vereinnahmen von Gesetzen sprechen. Nur wenn das Ergebnis wirklich massiv die Interessen der Unternehmen schützt und dem Allgemeinwohl zuwiderläuft, sollte man von „Corporate Capture“ oder dem Kapern von Gesetzen sprechen. Die Studie zeigt, dass zahlreiche Elemente solch ein Kapern begünstigen. Dazu gehören unter anderem:

  • dauerhafte privilegierte Zugänge zu den Entscheider*innen;
  • unzureichende Informationslage bei Gesetzgebungsprozessen, weil sie weit weg stattfindet und oftmals komplex ist;
  • eine gewisse Macht der Industrie über die Politik, z.B. weil sie viele Jobs schafft oder eine detaillierte Expertise bieten kann;
  • eine starke Lobbypower im Sinne von Geld und Mitarbeiter*innen;
  • ein erfolgreiches Steuern der Debatte (z.B. TTIP ist nötig, weil es starkes Wirtschaftswachstum schaffen wird).

Hohes Risiko für das Kapern von Gesetzen in Brüssel

Wenn viele solche Faktoren zusammenkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Gesetze gekapert werden können. In Brüssel liegt ein sehr hohes Risiko vor, dass Unternehmen Gesetze sehr massiv und gezielt beeinflussen. Es fehlt an einer europäischen Öffentlichkeit, die Berichterstattung in den Mitgliedstaaten ist eher mager, die Gesetze sind oft komplex und die Unternehmen mit zahlreichen Lobbyisten versammelt, weil es für sie um sehr viel Geld geht.

Aufbruch gegen das Kapern von Gesetzen

Wir haben zahlreiche Nichtregierungsorganisationen diese Woche zu einer großen Konferenz in Brüssel eingeladen, um gemeinsam über das Thema des übergroßen Unternehmenseinflusses zu beraten. Wo und wann ist er besonders hoch? Wie erkennt man ihn frühzeitig und vor allem, wie stellen wir uns ihm entgegen? Das Thema scheint einen Nerv zu treffen, denn der Andrang ist groß. Über unsere Ideen und Ergebnisse halten wir Sie auf dem Laufenden.

Zum Weiterlesen:

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