Handelspolitik

„Die EU und Deutschland benutzen Trump, um ihre Liberalisierungsagenda zu rechtfertigen“

Seine Thesen haben es in sich: In der Handelspolitik verfolgt Trump ähnliche Ziele wie Obama, aber mit einer anderen Taktik. Denn dem aktuellen US-Präsidenten gehe es nicht um Protektionismus, sondern um Marktöffnungen für große US-Konzerne. Die EU und Deutschland wiederum nutzen Trump, um ihre eigene Liberalisierungsagenda durchzudrücken. Das sagt Christoph Scherrer von der Uni Kassel im Interview mit LobbyControl.
von 11. Juni 2018

Seine Thesen haben es in sich: In der Handelspolitik verfolgt Donald Trump ähnliche Ziele wie sein Vorgänger Barack Obama, aber mit einer anderen Taktik. Denn dem aktuellen US-Präsidenten gehe es nicht um Protektionismus, sondern um Marktöffnungen für große US-Konzerne, zum Beispiel in der Software- oder Pharmaindustrie. Die EU und Deutschland wiederum nutzen Trump, um ihre eigene Liberalisierungsagenda durchzudrücken. Auf Strafzollandrohungen haben sie bislang verzichtet – weniger aus Prinzip, sondern eher aus politischer Schwäche. Das sagt Christoph Scherrer, Professor für Globalisierung und Politik an der Universität Kassel, im Interview mit LobbyControl. Wie erfolgreich EU und Bundesregierung mit ihrer Strategie sind, zeigen die Handelsabkommen mit Japan (JEFTA) und Kanada (CETA), welche die EU ohne großen Widerstand durchdrückt und als geostrategische Antwort auf den angeblichen US-Protektionismus präsentiert. Dass diese Abkommen vor allem die Interessen deutscher und europäischer Großkonzerne vertreten, gerät da schnell in den Hintergrund.

© Universität Kassel, Prof. Dr. Christoph Scherrer

© Universität Kassel, Prof. Dr. Christoph Scherrer von Universität Kassel, Prof. Dr. Christoph Scherer Alle Rechte vorbehalten

LobbyControl: Inwiefern trifft die weit verbreitete Auffassung zu, dass die Handelspolitik der Trump-Administration eine neue Phase des US-Protektionismus ist?

Scherrer: Diese Auffassung teile ich nicht. Sondern ich sehe den Protektionismus als Instrument, um andere Länder dazu zu bringen, ihre Märkte auf spezifischen Gebieten zu öffnen. Nämlich auf den Gebieten, wo amerikanische Konzerne sehr stark sind. Das ist eine Taktik, die auch schon in den Reagan-Jahren angewandt wurde. Und zwar durchaus mit Erfolg.

Der Hintergrund ist der, dass über andere Taktiken das Ziel der Marktöffnung in der letzten Zeit nicht erreicht wurde. Und nun wird eben diese Androhung von Strafzöllen genutzt, um die Handelspartner zu Zugeständnissen zu bringen. Und zwar vor allem in dem Bereich des Datenflusses. Hier besteht ein starkes Interesse der großen amerikanischen IT-Konzerne selbst zu bestimmen, wo die Daten verarbeitet werden.

Man hat in den USA wenig Verständnis für die Regeln in Europa, die jetzt auch in China aufgegriffen worden sind, dass insbesondere Daten auf Rechnern gespeichert werden müssen, die in dem jeweiligen Land bzw. in unserem Fall in Europa stehen. Dann natürlich alles, was mit dem geistigen Eigentum zu tun hat. Denn das ist ebenfalls die Stärke amerikanischer Konzerne, der Pharmaindustrie, aber eben auch der Softwareindustrie.

LobbyControl: Welche Taktiken sind in der Vergangenheit gescheitert, etwa unter der Obama-Administration?

Scherrer: Unter Obama wurde die Strategie verfolgt, einen besonders großen Handelsraum mit für die USA günstigen Regeln zu schaffen, und mit diesem dann insbesondere China zu konfrontieren. Mit dem Abschluss des Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP) waren die USA diesem Ziel nahe gekommen.

Doch war TPP in den USA nicht populär. Die traditionelle Freihandelsskepsis der US-Bevölkerung konnte zum ersten Mal im Wahlkampf erfolgreich mobilisiert werden. Vor allem Trump nutzte diese Mobilisierung, die auch Hilary Clinton dazu zwang, sich von TPP zu distanzieren. Der Grund liegt wohl darin, dass früher die Präsidenten die weiteren Liberalisierungen im Handel stets als eine Führungsstärke der USA verbrämen konnten – die USA eben als Führungsnation der freien Welt. Zur Führung gehörte eben auch die Liberalisierung des Handels.

Und heute, ohne das von Reagan bezeichnete „Evil Empire“, also ohne die Sowjetunion, fast 30 Jahre nach dem Mauerfall, zieht diese Nummer mit der „Führung der freien Welt“ nicht mehr. Damit ist diese Strategie innenpolitisch erstmal gescheitert.

Der handelspolitische Forderungskatalog von Trump unterscheidet sich kaum von dem unter Obama. Sprich, nun versucht die US-Regierung diesen recht ähnlichen Forderungskatalog mit einer anderen Taktik gegenüber den Handelspartnern durchzusetzen.

LobbyControl: Wenn wir das Gebaren der EU und der USA vergleichen: Kann man da überhaupt real Unterschiede erkennen? Oder agieren nicht beide Handelsblöcke mit selektivem Protektionismus?

Scherrer: Die Europäer haben die Taktik Strafzölle zu erheben nicht verfolgt. Sie haben andere Taktiken. Sie setzen in der Regel – gerade auch, weil sie schwächer sind als die USA – auf multilaterale Regeln oder im Wesentlichen auf ihr ökonomisches Schwergewicht als solches. Sie verzichten bislang bewusst auf die Taktik, Strafzölle anzudrohen – wohl in dem Bewusstsein, dass diese Taktik nach hinten losgehen kann.

Die Androhung oder gar Verhängung von Strafzöllen muss auch im Fall der USA nicht automatisch zum Erfolg führen. Dem relativ kleinen und sicherheitspolitisch abhängigen Südkorea konnte Trump einige handelspolitische Zugeständnisse abringen. Doch ob diese Taktik gegenüber den größeren Partnern gleichfalls erfolgreich sein wird, muss sich erst zeigen.

Eine andere Dimension der Trump’schen Taktik ist ebenfalls risikobehaftet. Zum ersten Mal hat ein US-Präsident öffentlich die Verkopplung von Geopolitik und Handelspolitik vorgenommen. Das hat man in der Vergangenheit tunlichst vermieden. Man hat so getan, als würde man nur über Handel reden. Wobei natürlich im Hintergrund die anderen Instrumente der USA (Militärhilfe etc.), zum Vorschein kamen. Aber eben immer nur im Hintergrund. Jetzt hat Trump die Geopolitik in den Vordergrund gestellt, und zwar mit der Folge, dass auch die Gegenseite, sprich derzeit konkret China, den Konflikt mit Nordkorea für sich in der handelspolitischen Auseinandersetzung mit den USA nutzen kann.

LobbyControl: Wer sind die Profiteure der US-Handelspolitik? Macht Trump bzw. sein Handelsbeauftragter Lighthizer Politik im Interesse der US-Bürgerinnen und Bürger?

Scherrer: Trump ist ein Demagoge. Er macht Politik für die Eliten. Das hat sich ganz deutlich bei seiner Steuer- und Deregulierungspolitik gezeigt, die bei all dem medialen Getöse ein wenig in den Hintergrund gerät. Sie hat aber durchaus sehr negative Folgen für normale AmerikanerInnen.

Die Idee, dass man die Kohle- oder Stahlindustrie in den USA zur alten Blüte wiederbeleben könnte, ist auch Teil der Demagogie. Das wird so nicht stattfinden. Es wird vielleicht kleine Veränderungen geben, aber nicht ähnlich umfangreich zu gut bezahlten Industriearbeitsplätzen führen wie das in der Vergangenheit der Fall war. Diese Möglichkeit ist im Zuge der Globalisierung und des technischen Fortschritts verloren gegangen.

Es ist eher zu vermuten, dass es bei symbolischen Aktionen bleibt, wie ganz zu Anfang von Trump’s Präsidentschaft. Etwa bei einem US-Hersteller von Klimaanlagen, den Trump öffentlich kritisierte, als dieser plante, Arbeitsplätze nach Mexiko zu verlagern, und infolge von Trumps Kritik darauf verzichtete. Dafür hat der Hersteller sehr viel Geld von dem Bundesstaat bekommen, in dem er sitzt. Später hat man allerdings rausgefunden, dass dennoch Arbeitsplätze nach Mexiko verlagert wurden.

Trumps Kampf für die Arbeiterschaft wird eher auf einer symbolischen Ebene bleiben. Es wird für sie im Bereich der Handelspolitik nicht wirklich etwas gewonnen werden.

LobbyControl: Was ist mit der Stahl- und Aluminiumbranche?

Scherrer: Die Stahl- und Aluminiumbranche wird nur kurzfristig von der Trump’schen Außenhandelspolitik profitieren. Der Verband der Aluminiumhersteller in den USA hat bereits seine Bedenken gegenüber den Strafzöllen vorgebracht.

LobbyControl: Welche Branchen oder Einzelkonzerne profitieren am meisten von der US-Handelspolitik? Ist Trump – wie oftmals öffentlich behauptet – auch außenwirtschaftspolitisch ein Gegner der großen Internetplattformen und Technikkonzerne? Oder fördert er deren Interessen nicht vielmehr?

Scherrer: Die Forderungskataloge, die gegenüber den Handelspartnern in Anschlag gebracht werden, enthalten die Forderungen der IT-Konzerne und der Pharmabranche. Diese Konzerne haben sich zudem sehr über die Steuerreform gefreut.

LobbyControl: Kommen wir zur Situation in Deutschland. Sind die Befürchtungen der großen Wirtschaftsverbände wie BDI und DIHK nur gespielt oder real?

Scherrer: Die US-Androhungen können natürlich auch ihr Eigenleben haben. Das liegt meiner Ansicht nach etwas näher, weil diese Androhungen auch mit Beleidigungen einhergehen. Es geht dabei also auch um nationalen Stolz. Das ist sehr klar im Fall von Mexiko. Aber auch europäische Firmen und Länder sind sehr direkt angegriffen worden. Das ist etwas, was bisher noch nie so passiert ist. Und da könnte man sich eben vorstellen, dass es doch zu stärkeren Gegenmaßnahmen führen könnte, die dann die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten. Trumps Strategie ist keinesfalls eine Strategie, die auf alle Fälle zum Erfolg führt. Hier muss man erstmal abwarten.

LobbyControl: Worunter könnte die deutsche Exportindustrie leiden?

Scherrer: Es gibt unterschiedliche Szenarien. Das eine Szenario wäre, wenn die Chinesen vom amerikanischen Markt stärker ferngehalten werden. Das würde dazu führen, dass chinesische Unternehmen umso stärker versuchen werden, ihre Waren in Europa loszuwerden. Das würde zunächst weniger die deutsche Industrie betreffen, sondern eher die europäischen Nachbarländern, die mehr Produkte herstellen, die in direkter Konkurrenz zu den Chinesen stehen. Das wäre wahrscheinlich für die deutsche Exportindustrie gar nicht so problematisch.

Eine andere Sache wäre es natürlich, wenn der amerikanische Markt als solcher schwerer zugänglich wäre. Schon jetzt beträfen die Stahlzölle die deutsche Stahlindustrie, deren gesamtwirtschaftlichen Bedeutung allerdings sehr geschrumpft ist.

Schlimmer wäre es aus deutscher Sicht, wenn auch die Autoindustrie in den Fokus gerät. Trump hat in diese Richtung schon manches angedeutet. Allerdings muss dann erstmal ein Prozedere durchlaufen werden. Trump kann nicht von einem Tag auf den anderen Strafzölle durchsetzen. Deswegen hat die Entscheidung für Strafzölle aufgrund der nationalen Sicherheit auch bei Stahl und Aluminium sehr lange gedauert. Am Ende eines solchen Verfahrens wird es wahrscheinlich schwerer, der deutschen Autoindustrie das vorzuwerfen, was man den Stahlkonzernen vorwirft. Aber auszuschließen ist dieses Szenario nicht. Und das wäre natürlich sehr unerfreulich für die deutschen Exporteure von Kraftfahrzeugen.

Wenn die Taktik von Trump insgesamt aufgeht und eine Liberalisierung im US-Interesse durchgesetzt wird, die ja auch für deutsche Konzerne – etwa aus der Pharmaindustrie – von Interesse ist, dann werden sich diese in Deutschland beheimateten Konzerne freuen.

Wenn allerdings Trumps Taktik nicht sofort greift und es deswegen zu längeren Auseinandersetzungen kommt, wird die deutsche Industrie darunter leiden, selbst wenn sie nicht direkt betroffen ist. Denn Handelskriege verursachen eine allgemeine Verunsicherung der Handelsbeziehungen.

LobbyControl: Spielt dabei vielleicht auch die Rolle Chinas und der Handelskrieg der USA mit China mit rein? Deutsche Konzerne produzieren ja auch für den chinesischen Markt in den USA.

Scherrer: Das betrifft zunächst natürlich nur die deutschen Konzerne, die in den USA herstellen. Allerdings fokussieren sich die Chinesen bei ihren Gegenmaßnahmen vor allem auf Produkte, die in den Regionen hergestellt werden, wo Trump starke Unterstützung bekam. Das betrifft insbesondere den Agrarsektor. Hier geht die chinesische Regierung sehr gezielt vor. Und da muss man dann erstmal sehen, ob davon deutsche Konzerne wirklich betroffen wären.

LobbyControl: Wirtschaftsminister Altmaier und andere haben in letzter Zeit immer wieder Andeutungen gemacht, die auch von der Industrielobby aufgegriffen wurden: Steht ein TTIP light oder gar ein umfassendes TTIP Abkommen erneut vor der Tür?

Scherrer: Es kann durchaus sein, dass die USA mit dem Instrument des Strafzolls die Europäer dazu bekommen, Forderungen nachzugeben, die vorher schon bei den TTIP-Verhandlungen erhoben worden waren, die aber damals nicht akzeptiert wurden, nicht zuletzt weil gegen sie auf breiter Basis mobilisiert wurde.

Nun wird Stimmung gemacht, dass die USA ganz schlimm seien und wir den Welthandel retten und weiter liberalisieren müssen. Die EU-Kommission und die Bundesregierung nutzen systematisch die Politik von Trump, um ihre Liberalisierungsagenda zu rechtfertigen.

LobbyControl: Immer wieder werden wir von der deutschen Wirtschaft auch vor China gewarnt. Sind die deutschen Exportinteressen tatsächlich von China bedroht? Und was haben wir in dieser Hinsicht von der Exportindustrie in den kommenden Jahren an Positionen zu erwarten?

Scherrer: Die chinesische Exportstruktur war bisher weitgehend komplementär zur deutschen. Die deutsche Industrie steht deutlich weniger in direkter Konkurrenz zu den chinesischen Herstellern als ihre europäischen Pendants. Aber die Chinesen holen auf. Gerade in der Autoindustrie gibt es ja einen Paradigmenwechsel weg vom Verbrennungsmotor, die bisherige Spezialität der deutschen Hersteller, hin zum Elektromotor. Da gibt es starke Befürchtungen, dass China auf diesem Gebiet deutsche Hersteller überholt. Auch im IT-Bereich verzeichnen chinesische Hersteller große Erfolge. In den Gebieten, wo deutsche Unternehmen noch stark sind, etwa im Maschinenbau, besteht ebenfalls die Befürchtung, dass die chinesischen Unternehmen sich so Manches abgucken und dann mit ihren eigenen Forschungskapazitäten, die sehr stark ausgebaut worden sind, auch auf diesem Feld in direkte Konkurrenz zu deutschen Firmen kommen. Diese Befürchtungen sind berechtigt. Allerdings ist eine aufholende Strategie eines bisher armen Landes gleichfalls sehr berechtigt.

LobbyControl: Der chinesische Handyhersteller Huawei ist mittlerweile sehr präsent mit Lobbyisten in Brüssel. Warum ist dies der Fall?

Scherrer: Huawei ist eher als Handyhersteller bekannt, doch im Wesentlichen stellt dieser Konzern große Telekominfrastrukturen her. Infrastrukturprojekte sind zumeist staatliche Angelegenheiten, deshalb muss ein Konzern wie Huawei viel Lobbyarbeit betreiben.

LobbyControl: Könnten die Bemühungen der EU-Kommission um Handelsabkommen mit Japan und den USA als reale geostrategische Maßnahme gegen China gewertet werden? Oder worum geht es real? Welche Interessen, etwa geistige Eigentumsrechte, werden bedroht.

Scherrer: Es ist deutlich zu sehen, dass China gerne die USA aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft raushaben möchte. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und mit der gleichzeitig nach innen gewandten Diktatur hat der chinesische Nationalismus stark zugenommen. Entsprechend wird um Einflussspähren gerungen.

LobbyControl: Letzte Frage: Welche Konsequenzen hat die US-Steuerreform? Kann man ähnliche Forderungen seitens der europäischen Wirtschaftslobby erwarten?

Scherrer: Das ist sehr zu vermuten. Da die amerikanische Konkurrenz mit einer deutlich geringeren Steuerlast in den Wettbewerb tritt, werden europäische Unternehmen das ebenfalls wollen. Wenn man gesehen hat, dass dies in einem großen Land wie den USA durchsetzbar ist, dann hoffen Unternehmen, dass das auch hier der Fall ist. Mit einer Lobbyoffensive in diese Richtung muss man also unbedingt rechnen und schauen, wie solche Steuersenkungen in Europa verhindert werden können.

LobbyControl: Herr Scherrer, vielen Dank für das Interview.

Scherrer: Gerne.

Zur Person: Christoph Scherrer ist ein deutscher Volkswirt und Politologe. Er ist Professor für Globalisierung und Politik an der Universität Kassel seit 2000.

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