Lobbyismus an Schulen

Meinungsmache an Schulen: So öffnet sich die Schultür

Lobbyismus macht auch vor dem Klassenzimmer nicht halt. Die Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche wird professionell organisiert und ist Teil langfristiger und umfassender Lobbystrategien. Wie schafft es diese Meinungsmache eigentlich in die Schulen und Klassenzimmer?
von 28. Mai 2013

Lobbyismus macht auch vor dem Klassenzimmer nicht halt. Die Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche wird professionell organisiert und ist Teil langfristiger und umfassender Lobbystrategien.

Wie schafft es diese Meinungsmache eigentlich in die Schulen und Klassenzimmer? Damit Lobbyisten mit ihrer Botschaft in den Unterricht vordringen können, müssen sie ihr Engagement entsprechend legitimieren und mögliche Bedenken zerstreuen. Wie das funktioniert, haben wir uns für unser Diskussionspapier „Lobbyismus an Schulen“ genauer angeschaut. Hier das entsprechende Kapitel aus dem Diskussionspapier.

Hervorheben von Mängeln
Um den Zugang zu Schulen zu erleichtern, werden Mängel künstlich erzeugt oder bestehende Mängel in den Vordergrund gestellt. Diese Probleme und Mängel zu beseitigen, ist dann das erklärte Ziel, mit dem sich die Schultüren öffnen sollen.

Diejenigen, die für ein Fach Wirtschaft eintreten, verweisen beispielsweise auf die großen Wissenslücken im diesem Bereich. Da Wirtschaft in unserem Leben eine wichtige Rolle spiele, müssen diese Lücken geschlossen werden, so die Argumentation. So kommt beispielsweise der Bankenverband in seiner Jugendstudie 2012 zu dem Ergebnis: „Bei fast jedem zweiten Jugendlichen gibt es größere Defizite im Verständnis von Wirtschaft und Wissen über Wirtschaftsthemen.“ Um daran wiederholt die Forderung nach einem eigenständigen Schulfach Wirtschaft anzuknüpfen. Doch auch in anderen Fachbereichen gibt es Wissenslücken. Vom Standpunkt einer bestimmten Fachrichtung ist das Wissen in einem bestimmen Bereich immer zu gering, und das kann auch leicht demonstriert werden.

In zahlreichen Studien werden Mängel des Bildungssystems betont, um so das Engagement von Unternehmen und Verbänden an Schulen argumentativ zu untermauern. In der Öffentlichkeit werden diese Studien selten hinterfragt und meist unkritisch wiedergegeben.

Ein Beispiel ist eine Studie des Georg-Eckert-Instituts von 2007, die von der arbeitgeberfinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bezahlt wurde. Im Fazit der Studie heißt es: „Eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber Unternehmertum und Marktwirtschaft kann deutschen Schulbüchern nirgendwo attestiert werden, wohl aber eine Werthaltung, die unternehmerisches und rein marktwirtschaftliches Handeln nicht als höchstes Gut einordnet.“

Die INSM betitelte die Pressemitteilung zu der Studie mit den Worten „Deutsche Schüler lernen nicht, Unternehmer zu werden“ und sieht Handlungsbedarf in Deutschland: „Erziehung zum Unternehmertum ist ein wichtiger Teil der Politik für Wachstum und Beschäftigung.“ Die Schlussfolgerung lautet, die Darstellung des Unternehmertums in deutschen Schulbüchern sei mangelhaft und einseitig. Deswegen stelle das Engagement von privatwirtschaftlichen Akteuren eine notwendige Korrektur dar.

Dies kann allerdings nicht einmal mit der eigens beauftragten Studie belegt werden. Die INSM setzt darauf, ihre eigene Lesart in die Öffentlichkeit zu tragen – und hat damit durchaus Erfolg. So titelt die Zeitung die Welt über die Studie: „Schulbücher machen Unternehmer schlecht“ und schreibt „Deutsche Schüler lernen nicht viel Gutes über die Marktwirtschaft. In ihren Schulbüchern werden nur die Exzesse des Systems und Fehlentscheidungen von Managern gelehrt.“

Positive und unverfängliche Themen
Ein weiterer Türöffner ist die Wahl vermeintlich unverfänglicher Themen. Ein Beispiel ist das Thema Schulden bei Jugendlichen. Mit dramatischen Worten etwa wies die Allianz auf ihrer Webseite auf das Problem hin: „die Zahlen sind alarmierend“, „Immer mehr Jugendliche […] immer früher“, „Besonders erschreckend ist die Zunahme bei Kindern“, ein Anstieg „um 358 Prozent!“ und „jeder Zehnte ist betroffen“ – um anschließend damit ihr Engagement an Schulen zu rechtfertigen: „Die gemeinnützige Initiative My Finance Coach hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, junge Leute vor Schulden zu bewahren“. Nach dieser erschreckenden Analyse soll es LehrerInnen leichter fallen, die externen Berater von My Finance Coach für den Unterricht zu engagieren.

Das Thema Schulden in den Vordergrund zu stellen, erschwert es zudem, argumentativ gegen das Engagement der Finanzbranche an Schulen vorzugehen. Denn kaum jemand – vor allem Eltern nicht -, haben etwas dagegen, wenn die SchülerInnen lernen, mit Geld umzugehen und Schulden zu vermeiden. Auch Themen wie Berufswahl, Energiesparen oder gesunde Ernährung können als Türöffner dienen.

Befürworter enger Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen sehen in der Wahl unverfänglicher Themen zudem die Chance, grundsätzliche Bedenken abzubauen: „Im Fokus bundesweiter Aktivitäten […] steht zunächst eine bessere Berufswahlorientierung und der Aspekt der Netzwerkbildung. Im Fahrwasser dieser Entwicklung wächst auch die Akzeptanz für Partnerschaftskonzepte zwischen Schulen und Unternehmen.“ (Vollmer 2005, S. 14)

Der direkte Zugang zu Verantwortlichen in Schule und Verwaltung kann so aufgebaut werden. Die SchülerInnen sollen sich an die Präsenz außerschulischer Akteure gewöhnen und diese mit einem positiven Ereignis verbinden. Die Motive, die hinter den Angeboten stehen, sollten also in jedem Fall kritisch hinterfragt werden.

Patenschaften, Siegel und Auszeichnungen
Ein weiterer Türöffner sind Patenschaften, Siegel oder Auszeichnungen, die Glaubwürdigkeit und Seriösität signalisieren. Besonders hilfreich ist es, wenn Aktivitäten von einem unbeteiligten Dritten als qualitativ hochwertig ausgezeichnet werden.
Zwei solcher Auszeichnungen sind in Deutschland verbreitet: das Comenius EduMedia Siegel und die Auszeichnung der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Diese Auszeichnungen befinden sich meist gut sichtbar auf den Unterrichtsmaterialien und signalisieren so auf den ersten Blick Seriösität und Qualität. Nach eigenen Angaben werden die Projekte für die UN-Dekade nicht im Detail bewertet, sondern nur auf „Basis der eingereichten Darstellungen“. So besteht die Gefahr, dass auch manipulatives Unterrichtsmaterial das prestigeträchtige UNESCO-Siegel erhält. Mit dem Unterrichtsmaterial „Hoch im Kurs“ und der Initiative „My Finance Coach“ hatten zwei Projekte beide Auszeichnungen erhalten, die inhaltlich zweifelhaft sind.

Kooperationen
Kooperationen mit wissenschaftlichen Instituten können ähnliche Funktionen haben wie Auszeichnungen. Genießt ein Kooperationspartner besonderes Ansehen, so profitieren alle Beteiligten davon. Beispielsweise geben das Handelsblatt, die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) und das Institut für Ökonomische Bildung der Universität Oldenburg gemeinsam eine Unterrichtseinheit heraus, in der die DVAG besonders positiv dargestellt wird. Durch die Kooperation wird das Projekt aufgewertet und so der Zugang zu Schulen erleichtert.

Scheinkontroversität
Als Türöffner dient zudem die geschickte Verpackung der inhaltlichen Einflussnahme. Eine einseitig positive, werbende Darstellung ist häufig leicht zu durchschauen. Schwieriger zu erkennen ist das gezielte Weglassen einzelner unerwünschter Inhalte.

So kann sich eine auf den ersten Blick kontroverse Darstellung auf den zweiten Blick als Scheinkontroversität entpuppen. Dabei können starke Gegenargumente verschwiegen, die Gegenseite eher mit Allgemeinplätzen zitiert oder Pro und Contra durch einen vermeintlich neutralen Experten ergänzt werden, der dann das Interesse der Herausgeber stützt. Auf Pro und Contra, das von Akteuren mit eingenen Interessen zusammengestellt wurde, sollte man sich daher nicht verlassen.

Ein Beispiel bietet das Unterrichtsmaterial „Klimaschutz und CCS“, hinter dem versteckt die großen deutschen Energiekonzerne stehen. Bei CCS handelt es sich um die umstrittene unterirdische Speicherung von CO2. In dem Heft werden sowohl Vorteile als auch Nachteile von CCS genannt. Laut Informationen der Zeitung taz sind bei den Argumenten jedoch Zweifel angebracht. So wird die Speicherung von Gasen im Untergrund als problemlos dargestellt. Mögliche Probleme mit dem Grundwasser könnten jedoch nicht ausgeschlossen werden, heißt es in der taz.

Wenn im Rahmen einer Pro- und Contra-Argumentation kritische Stimmen genannt werden, sinkt – so das Kalkül – die Motivation der LehrerInnen sich anderswo weitergehende Informationen zu besorgen. Schließlich wurde der Anschein der Kontroversität gewahrt.

Je geschickter die Verpackung, desto schwerer sind Manipulationen erkennbar. Um diese Fälle zu entdecken, ist viel Zeit nötig, die im Arbeitsalltag von LehrerInnen häufig fehlt.

Wer sich genauer informieren möchte, kann unsere Broschüre kostenfrei bestellen oder hier herunterladen.

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