Lobbyismus in der EU

Studie: Expertengruppen der EU-Kommission von der Industrie dominiert

Das europäische Bündnis ALTER-EU, an dem sich LobbyControl beteiligt, veröffentlicht heute eine Studie, die die Zusammensetzung von Expertengruppen der EU-Kommission untersucht. Das Fazit: über die Expertengruppen dominieren Industrielobbyisten Teile des europäischen Gesetzgebungsprozesses. Zudem mussten die Autoren feststellen, dass die EU-Kommission ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit nicht nachkommt, da sie die Mitglieder der Expertengruppen nicht offen […]
von 25. März 2008

Das europäische Bündnis ALTER-EU, an dem sich LobbyControl beteiligt, veröffentlicht heute eine Studie, die die Zusammensetzung von Expertengruppen der EU-Kommission untersucht. Das Fazit: über die Expertengruppen dominieren Industrielobbyisten Teile des europäischen Gesetzgebungsprozesses. Zudem mussten die Autoren feststellen, dass die EU-Kommission ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit nicht nachkommt, da sie die Mitglieder der Expertengruppen nicht offen legt.

Die komplette Studie (in Englisch) finden Sie hier (pdf), eine deutsche Zusammenfassung hier (pdf).

In unserer Pressemitteilung heißt es weiter:
Die Alliance für Lobbying Transparency and Ethics Regulation (ALTER-EU) fordert die Europäische Kommission auf, einige ihrer Expertengruppen aufzulösen, weil sie von Industrielobbyisten dominiert werden. Ihre Studie “Secrecy and corporate dominance – a study on the composition and transparency of European Commission Expert Groups” enthüllt, dass die Industrie übermäßigen Einfluss in einigen höchst umstrittenen Expertengruppen hat, darunter Beratergremien zu Themen wie Gentechnik, „clean coal“ und Autoabgasen. Expertengruppen werden von der EU-Kommission zur Beratung bei der Entwicklung neuer Gesetze und politischer Richtlinien eingerichtet; der Studie zufolge verfügen ihre Mitglieder über beachtlichen Einfluss auf die EU-Politik und EU-Gesetzgebung.

Der Verfasser des Berichts, Yiorgos Vassolos von Corporate Europe Observatory, erklärt:
„Expertengruppen sind für die Politikgestaltung in einigen der kontroversesten Themen verantwortlich, die die Kommission zu bearbeiten hat. Wer in dieser entscheidenden Frühphase der Entscheidungsfindung Zugang hat, wird nicht bekannt gemacht. Unsere Recherche zeigt jedoch, dass Vertreter der Industrie eine zentrale Rolle spielen. Diese Expertengruppen sollten im öffentlichen Interesse handeln, es scheint aber, dass einigen erlaubt wird, ihre eigenen geschäftlichen Interessen voranzutreiben.“

ALTER-EU warnt, dass das Gemeinwohl aufgrund der Vorherrschaft der Industrievertreter in diesen Gruppen bedroht ist.
Die Studie über Expertengruppen ergab, dass in einem Viertel der untersuchten Gruppen Industrievertreter mehr als 50% Prozent aller Mitglieder ausmachen. Insgesamt knapp zwei Drittel der Gruppen waren einseitig zu Gunsten der Wirtschaft besetzt und nur 32% der Gruppen bezogen eines breites Spektrum unterschiedlicher Interessen ein und schienen ausgewogen besetzt.

Die EU-Kommission veröffentlicht bislang keine Daten zur genauen Zusammensetzung und der Arbeit der verschiedenen Expertengruppen. Es gibt nur ein Online-Register, dass wenige, sehr begrenzte Informationen über die Sektoren bereithält, die in den Gruppen vertreten sind. Mithilfe der “Access-to-documents”- Verordnung konnten sich die Autoren detailliertere Unterlagen beschaffen. Wesentliche Daten wurden von der EU-Kommission unter Angabe von Sicherheits- oder Datenschutzbedenken zurückgehalten.

Die Studie zeigt deutlich das Versagen der EU-Kommission, die benötigten Informationen bereitzustellen. In 34% aller Fälle antwortete sie gar nicht auf die Anfragen auf Basis der “Access-to-documents”-Verordnung, in 34% gab sie nur unvollständige Informationen heraus. Paul de Clerck von Friends of the Earth Europa kritisiert: “Die Kommission will scheinbar nicht preisgeben, wer in ihren Expertengruppen sitzt. In einigen Fällen scheint sie nicht einmal zu wissen, ob manche Gruppen tatsächlich existieren oder nicht. Dies offenbart eine erschreckende Haltung zu Transparenz und öffentlicher Rechenschaftspflicht im Gesetzgebungsprozess.“

Auf Drängen des Europäischen Parlaments versprach EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im vergangenen Jahr, die Informationen über die Expertengruppen und ihre Mitglieder verfügbar zu machen. Im Februar dieses Jahres erhöhte das Europäische Parlament den Druck und verlangte aufgrund anhaltender Bedenken über die unzureichende Transparenz eine Untersuchung der Zusammensetzung von Expertengruppen.

ALTER-EU fordert, dass Expertengruppen, die von der Industrie dominiert werden, aufgelöst und Regeln erarbeitet werden, die den privilegierten Zugang für Expertengruppen unterbinden vermeiden. Die Allianz verlangt zudem die sofortige Offenlegung der Mitgliederlisten aller Expertengruppen, die die EU-Kommission eigentlich für dieses Jahr versprochen hatte.

Erläuterungen:

(1) Die Alliance für Lobbying Transparency and Ethics Regulation (ALTER-EU) ist eine breite Koalition von über 160 Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Akademikern und einzelnen Public Affairs Firmen, die wegen des wachsenden Einflusses von Wirtschaftslobbyisten in der EU und dem daraus resultierenden Demokratieverlust besorgt sind. Weitere Informationen unter:www.alter-eu.org

(2) Weitere Informationen über die Rolle von Expertengruppen und das Online-Register finden Sie auf der Webseite der EU-Kommission.

(3) Das Europaparlament forderte diese Untersuchung von der EU-Kommission in dem „Report on transparency in financial matters“ (2007/2141(INI)).

(4) Wesentliche Ergebnisse der Studie im Überblick:

Zur Effektivität der Access-to-documents-Verordnung:
– In 34% der Fälle stellte die EU-Kommission gar keine Informationen zu den Expertengruppen zur Verfügung.
– In 34% aller Fälle legte die Europäische Kommission nur eingeschränkte Informationen vor. Mit anderen Worten, nur in 32% der angefragten Fälle machte die Kommission vollständige und zufriedenstellende Angaben.
– In lediglich 36% der Fälle lieferte die EU-Kommission die Informationen innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 15 Arbeitstagen.
– Die Europäische Kommission gab nur in 43% der Fälle die Namen von Organisationen und der konkreten Personen preis, die in den Expertengruppen mitwirkten.

Zur Zusammensetzung der Expertengruppen:
– Über 25% der untersuchten Expertengruppen scheinen von Unternehmensinteressen kontrolliert zu werden: mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder (einschließlich Regierungen) sind Interessenvertreter der Industrie.
– Bei insgesamt 64% der untersuchten Expertengruppen scheinen wirtschaftliche Interessen überrepräsentiert: Industrievertreter stellen mehr als 50% derjenigen Mitglieder, die weder der EU-Kommission noch nationalen Regierungen angehören.
– Nur bei 32% der analysierten Expertengruppen scheint eine ausgewogenere Zusammensetzung der vertretenen Interessen vorzuliegen.
– Eine Expertengruppe (4%) wies ein Ungleichgewicht zugunsten von NGOs auf.

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