Lobbyismus an Schulen

Lehrer und Schüler aufgepasst: Fragwürdiges Dossier zu TTIP von der Industrielobby

Das Internetportal „Wirtschaft und Schule“ bietet kostenlose Unterrichtsmaterialien und Informationen für Lehrer an. Doch Vorsicht: Das Portal ist industriefinanziert und untergräbt seinen eigenen Anspruch der Ausgewogenheit, wie unsere Auswertung von Materialien zum Freihandelsabkommen TTIP zeigt.
von 26. März 2015

Das industriefinanzierte Internetportal „Wirtschaft und Schule“ bietet kostenlose Unterrichtsmaterialien an. Zusätzlich zu den Unterrichtsmaterialien finden sich auch allgemeine Informationen für Lehrerinnen und Lehrer, darunter auch welche zum TTIP-Freihandelsabkommen. Diese sind auf den zweiten Blick inhaltlich keineswegs so ausgewogen, wie von dem Portal behauptet. Das zeigt unsere kurze Analyse.

„Wirtschaft und Schule“ – Wessen Interessen stecken dahinter?

Das Foto zeigt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das industriefinanzierte Insitut steckt hinter dem Internetportal "Wirtschaft und Schule."

Das Foto zeigt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das industriefinanzierte Institut steckt hinter dem Internetportal „Wirtschaft und Schule.“

„Wirtschaft und Schule“ stellt sich selbst folgendermaßen vor: Es „unterstützt Lehrerinnen und Lehrer bei der Vorbereitung ihres Unterrichts zum Thema Wirtschaft und bietet ihnen die Möglichkeit, sich fundiert über aktuelle Ereignisse und deren Hintergründe zu informieren.“ Das Portal gibt an, „ausgewogene“ Schulmaterialien und Informationen für Lehrerinnen und Lehrer anzubieten.

Bis Anfang 2014 zeichnete noch die von der Elektroindustrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) für das Portal verantwortlich. Aktueller Herausgeber ist die IW Medien, die wiederum eine Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln ist. Es wird jedoch für die Besucher der Webseite nicht ohne Weiteres klar, dass das Institut durch die Industrie finanziert wird und damit deren Interessen hinter dem Portal stehen.

Manipulative Informationen zu TTIP

Dies bestätigt sich in den Materialien und Dossiers von „Wirtschaft und Schule“. Hier drei Beispiele für Meinungsmache in einem Dossier zum TTIP-Freihandelsabkommen:

1. Wachstums- und Beschäftigungseffekte

In dem Dossier wird behauptet, es gäbe eine wissenschaftliche Übereinstimmung über die Wachstums- und Beschäftigungseffekte:

„Welche positiven Auswirkungen das Freihandelsabkommens haben wird, darüber sind sich Ökonomen im Wesentlichen einig:

  • TTIP erleichtert kleinen und mittelständischen Unternehmen den Zugang zum US-Markt.
  • Für die Bürger und Unternehmen in der EU werden Importgüter aus den USA billiger.
  • Das Angebot an Produkten in Europa wird (noch) vielfältiger. Der Handel zwischen den USA und der EU intensiviert sich und die Wirtschaft beiderseits des Atlantiks erhält einen Wachstumsschub.“

Gerade über die positiven Wachstum- und Beschäftigungsseffekte sind sich Ökonomen jedoch nicht einig. Hierzu gab es unter anderem kritische Stimmen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).  Selbst Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, ein ausgewiesener Befürworter des Abkommens, räumte bei der TTIP-Konferenz der SPD ein, dass solch langfristige Wachstums- und Beschäftigungsprognosen zum TTIP derzeit nicht wirklich machbar seien. Zitat: „Hinter so was steckt meistens so ein bisschen Vodoo Ökonomie.“

Und auch die oben genannten Vorteile für kleinere und mittlere Unternehmen sind höchst umstritten. In einer Lobbyveranstaltung während der letzten TTIP-Verhandlungsrunde in Brüssel im Februar beschwerten sich Unternehmer darüber, dass sie sich mit dem vorgesehenen Kapitel zu kleinen und mittleren Unternehmen in TTIP nicht ernst genommen fühlen. Lesen Sie hierzu unseren Blog zum Lobbyevent von Forum Europe während der letzten TTIP-Verhandlungsrunde im April.

2. Transparenz bei TTIP?

Eine recht fragwürdige, zugleich häufig in der Politik genutzte Rechterfertigung des Geheimcharakters der TTIP-Verhandlungen findet sich auch bei „Wirtschaft und Schule“ wieder: „Dass die Gespräche hinter verschlossenen Türen stattfinden, hat strategische Gründe – denn wenn sämtliche Verhandlungslinien offen lägen, gäbe es letztlich auch nicht mehr viel zu verhandeln.“

Das ist eine etwas dubiose Rechtfertigung von Intransparenz. Wenn man politische Verhandlungen von solcher Tragweite führt, ist es demokratisch nicht vertretbar, Verhandlungspositionen und später auch den Verhandlungstext der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Wie Roland Reuß es in der FAZ ausdrückt: „Die Zurückhaltung von Information ist ein Herrschaftsinstrument, das in einer freien Gesellschaft unstatthaft ist.“ Wenn beide Verhandlungspartner nicht von diesem Herrschaftsinstrument Gebrauch machen, dann hat auch niemand einen Nachteil.

Auch zur Transparenz gegenüber den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament „informiert“ Wirtschaft und Schule: „Seit dem Beginn der Verhandlungen hat sich die Kommission in mehr als 45 Sitzungen – auch auf Ministerebene – mit den EU-Mitgliedstaaten beraten. Genauso wird das Europäische Parlament konsultiert und informiert.“

Dabei wird die Kritik zahlreicher EU-Parlamentarier und der Öffentlichkeit ausgeblendet. Diese hatte erst dazu geführt, dass die Informationslage für Mitglieder des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente verbessert wurde. Auch jetzt noch beschweren sich Parlamentarier zurecht darüber, dass die Informationen – gerade zur US-Verhandlungsposition – nur mit großem Aufwand einsehbar sind. Dies einfach auszublenden, wenn man auf die Transparenzfrage bei TTIP eingeht, ist inakzeptabel.

3. Umstrittene Schiedsgerichte kommen gut weg

Zwar gibt es eine Pro-Kontra-Debatte zu den umstrittenen Schiedsgerichten auf der Website von „Wirtschaft und Schule“, die auch durchaus den Namen Kontroverse verdient. Dort kommt sowohl die zivilgesellschaftliche Seite als auch die Industrie zu Wort. Allerdings wird dann unter den abschließenden Grafiken im Dossier zur Schiedsgerichtsbarkeit nochmal positiv dazu Stellung genommen: „Schiedsgerichte sind deshalb nötig, weil den Unternehmen der normale Rechtsweg versperrt ist: Völkerrechtliche Abkommen – und dazu wird das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP aller Voraussicht nach zählen – können häufig nicht vor normalen Gerichten durchgesetzt werden.“ Diese Bewertung ist in der öffentlichen Debatte durchaus umstritten, erscheint hier aber als neutrale Information für Lehrerinnen und Lehrer.

TTIP-Dossier wird eigenem Anspruch nicht gerecht

Unsere Auswertung zeigt, dass in den Informationen des industriefinanzierten Anbieters „Wirtschaft und Schule“ zum TTIP-Freihandelsabkommen subtil Stimmung zugunsten des Freihandelsabkommens mit den USA gemacht wird. Damit wird das Portal dem eigenen Anspruch nach Ausgewogenheit nicht gerecht. Hinzu kommt, dass für jemanden, der die Website besucht, nicht sofort deutlich wird, dass das Portal industriefinanziert ist. Lehrkräfte und Schüler/innen müssen im Umgang mit den Materialien also doppelt vorsichtig sein.

Bildquelle: Raimond Spekking; Foto: Institut der deutschen Wirtschaft, Köln; Lizenz: CC BY-SA 3.0

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