Lobbyismus und Klima

CDU-naher Lobbyverband als Türöffner für Klima-Desinformation?

Unsere neue Recherche zeigt, dass aus dem Lobbyverband Wirtschaftsrat heraus Kontakte zu klimawissenschaftsfeindlichen Kreisen gepflegt werden. Der „Wirtschaftsrat der CDU“ wird als Stimme von Unternehmen innerhalb der CDU wahrgenommen.

von 18. April 2024

Zusammenfassung

  • Der Wirtschaftsrat der CDU ist ein parteinaher Wirtschaftslobbyverband. Vor allem über seinen Dauergastsitz im CDU-Parteivorstand verfügt er über privilegierte Zugänge in das Machtzentrum der CDU.
  • Gleich mehrere Landesverbände des Wirtschaftsrats haben Fritz Vahrenholt als Redner zu Veranstaltungen eingeladen. Der frühere RWE-Manager ist einer der bekanntesten Klimawissenschaftsleugner in Deutschland. Seine Beiträge wurden auf den jeweiligen Veranstaltungen sehr wohlwollend aufgenommen.
  • Mehrere führende Vertreter:innen des Wirtschaftsrats treten prominent bei dem rechtspopulistischen Medienkanal NIUS auf. NIUS sendet immer wieder Desinformation zur Klimakrise und hat eine harte Klimakrisenleugnerin als Kolumnistin engagiert. Wirtschaftsrat-Präsidentin Hamker gab NIUS ein Exklusiv-Interview, Generalsekretär Steigers Kolumne wurde bei NIUS veröffentlicht, die Präsidentin des Jungen Wirtschaftsrat tritt sehr häufig als Talkgast bei NIUS auf.
  • Durch die prominenten Auftritte bei NIUS und die Einladungen der Landesverbände an Vahrenholt normalisieren diese klimawissenschaftsfeindliche Positionen. Das könnte im Interesse mancher Mitgliedsunternehmen seien, die ihr fossiles Geschäftsmodell durch den Klimaschutz bedroht sehen. Für andere Unternehmen, die Klimadebatte und auch für die CDU selbst könnte diese Nähe zum Problem werden. Doch weder der Wirtschaftsrat noch die CDU haben sich bislang abgegrenzt.
  • Wir fordern sowohl den Wirtschaftsrat als auch die CDU auf, sich klar von Einladungen an und Auftritten bei klimawissenschaftsfeindlichen Akteuren zu distanzieren. Außerdem fordern wir Parteichef Friedrich Merz anlässlich des bevorstehenden CDU-Parteitags im Mai noch einmal nachdrücklich auf, dem Wirtschaftsrat endlich den Dauergaststatus im Parteivorstand zu entziehen.

Scharnier zwischen Lobbyinteressen und Partei

Der Wirtschaftsrat ist zwar formal ein parteiunabhängiger Lobbyverband, steht aber dem Wirtschaftsflügel der CDU nahe. CDU-Parteichef Friedrich Merz ist eng mit dem Wirtschaftsrat verbunden – bis Ende 2021 war er Vizepräsident des Verbands. Zeitweise fungierte der Wirtschaftsrat wie ein Unterstützerverein während Merz‘ Wahlkämpfen um den Parteivorsitz. Aber auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und der Parlamentskreis Mittelstand der CDU-Bundesfraktion pflegen engen Austausch zu dem Lobbyverband. Der Wirtschaftsrat wird damit auch in der Auseinandersetzung um die zukünftige CDU-Kanzlerkandidatur eine Rolle spielen.

Die Präsidentin des Wirtschaftsrats, Astrid Hamker, sitzt sogar – entgegen der Regeln des Parteiengesetz – als Dauergast im Bundesvorstand der CDU. Damit haben Unternehmen einen Lobbyzugriff auf das Machtzentrum der Partei. LobbyControl unterstützt deswegen eine Klage vor dem Berliner Landgericht gegen den Gaststatus des Wirtschaftsrats im Parteivorstand (mehr zu der Klage). Außerdem hat LobbyControl Parteichef Friedrich Merz aufgefordert, den Lobbyverband aus dem Parteivorstand zu entlassen.

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Ein Klimawissenschaftsleugner als regelmäßiger Gast

Der Wirtschaftsrat fällt immer wieder als ein scharfer Bremser in Sachen Klimaschutz auf. Das haben wir schon im Jahr 2021 in einer umfangreichen Studie gezeigt. Zuletzt sprach sich der Wirtschaftsrat etwa gegen einen „verfrühten“ Kohleausstieg und für einen verstärkten Einsatz von heimischem Fracking-Gas aus. Das ist ein aus Klima- und Umweltsicht äußerst schädlicher, aber auch teurer Energieträger. Diese Forderungen tragen dazu bei, die dringend notwendige Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität auszubremsen.

Dem steht entgegen: Nicht alle Mitgliedsunternehmen des Wirtschaftsrats richten sich so deutlich gegen Klimaschutzmaßnahmen, wie die Pressemitteilungen des Verbands erscheinen mögen. Auf direkte Nachfrage teilt die Bundesgeschäftsstelle des Wirtschaftsrats LobbyControl mit, dass der Verband „selbstverständlich sehr besorgt über den Klimawandel“ sei und „konstruktiv an Konzepten“ mitarbeite, „um die Dekarbonisierung der Wirtschaft voranzutreiben“ und verweist auf seinen Einsatz für die „Weiternutzung der klimafreundlichen Kernenergie“.

Wissenschaftsleugung in die CDU hinein

Besonders problematisch ist, dass Teile des Wirtschaftsrats als Türöffner für Klimawissenschaftsleugnung in CDU-Kreise hinein dienen. So war Fritz Vahrenholt mehrmaliger Gast auf Veranstaltungen von Landesverbänden des Wirtschaftsrats - und zwar in Schleswig-Holstein, Hamburg und Sachsen. Bei letzterem trat er gleich mehrfach auf, u. a. beim Wirtschaftstag Sachsen 2021, zu dem auch Ministerpräsident Michael Kretschmer und der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz erschienen. Noch zu Jahresbeginn 2023 war Vahrenholt Gast beim Neujahrsempfang des Wirtschaftsrats in Dresden.

Vahrenholt ist ein häufiger Gast bei Veranstaltung von Landesverbänden des Wirtschaftsrats
Screenshot Wirtschaftsrat -
Vahrenholt ist ein häufiger Gast bei Veranstaltung von Landesverbänden des Wirtschaftsrats
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Vahrenholt ist ein häufiger Gast bei Veranstaltung von Landesverbänden des Wirtschaftsrats
Vahrenholt ist ein häufiger Gast bei Veranstaltung von Landesverbänden des Wirtschaftsrats

Der frühere RWE-Manager Vahrenholt ist bekannt dafür, dass er wissenschaftsfeindliche Positionen zur Klimakrise verbreitet: Er widerspricht immer wieder in vielen Punkten dem wissenschaftlichen Konsens, den der Weltklimarat IPCC in seinen Berichten zur Klimakrise zusammenfasst. Vor allem den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel schätzt er als deutlich geringer ein als der Weltklimarat – ebenso die Gefahren der Erderhitzung. In seinem Buch „Die Kalte Sonne“ schreibt Vahrenholt, dass die „postulierte Klimagefahr“ ein Mittel sei, um Klimaforscher:innen „Karrieremöglichkeiten, Prestige, Medienbühne und politische Beraterrollen“ zu verschaffen. Vahrenholt trat u.a. auch als Redner bei EIKE auf, der wichtigsten deutschen Plattform der „Klimaskeptiker“ (siehe Kasten). Seine Positionen wurden immer wieder von bekannten und renommierten Klimawissenschaftlern wie Stefan Rahmsdorf scharf kritisiert.

Auf Nachfrage teilte der Wirtschaftsrat mit, dass Vahrenholt auf „Einladung von Untergliederungen“ eingeladen worden und dort auf „mündige Bürger“ gestoßen sei. Der Wirtschaftsrat richte über 3.200 Veranstaltungen pro Jahr aus, auf denen „durchaus auch kontrovers diskutiert“ werde. Auf den Veranstaltungen der Landesverbände des Wirtschaftsrats wurden Vahrenholts fragwürdige Positionen offenbar sehr wohlwollend aufgenommen, wie entsprechende Berichte auf den Webseiten der Verbände zeigen. So schreibt beispielsweise der Landesverband Hamburg nach einer Veranstaltung mit Vahrenholt unter der Überschrift „Starke Zweifel am Klimanotstand“, dass es nicht „wissenschaftlich begründet“ sei, „warum ausgerechnet der CO2-Austoß DIE entscheidende Stellschraube in allen Berechnungen sein soll.“

Veranstaltung mit Stefan Homburg

Im April 2024 wurde außerdem bekannt, dass der Wirtschaftsrat Rheinland-Pfalz Stefan Homburg zu einer Veranstaltung eingeladen hat. Auch Homburg steht für klimawissenschaftsfeindliche und verschwörungstheoretische Positionen in der Kritik. Diese Einladung wurde in den sozialen Medien vielfach kritisiert und auch medial mehrfach aufgegriffen. Die CDU Rheinland-Pfalz grenzte sich in einem Statement von der Einladung ab. Auch die Bundesgeschäftsstelle des Wirtschaftsrats distanzierte sich in einem Schreiben davon. Die Veranstaltung soll allerdings weiterhin Ende April stattfinden.

Zweifel säen, verharmlosen, ausbremsen: Strategien und Narrative der „Klimaskeptiker“

Fossile Konzerne wie Exxon wussten schon seit den 1970er Jahren durch unternehmensinterne Forschung, dass das Verbrennen von fossilen Energieträgern die Erderhitzung befördert. Sie haben aber ganz bewusst dieses Wissen zurückgehalten und stattdessen immer wieder gezielt Zweifel an der Klimaforschung gesät. Das hat u.a. die US-amerikanische Wissenschaftlerin Naomi Oreskes gut aufgearbeitet. Sie zeigt auch, dass die fossile Lobby mit ganz ähnlichen Strategien wie die Tabakindustrie arbeitet: wissenschaftliche Belege anzweifeln und Risiken verharmlosen. Think Tanks wie das US-amerikanische Heartland Institute arbeiten noch heute auf diese Weise. Finanziert wurde das Institut u.a. von Exxon.

Harte Leugner:innen der Klimakrise gibt es in Deutschland nur sehr wenige, doch über Plattformen wie X oder Youtube und Hashtags wie #Klimaschwindel und #ClimateScam bekommen sie gerade in Zeiten von Extremwetterereignissen oder während der Weltklimakonferenzen eine größere Sichtbarkeit. Von diesen Akteuren wird entweder die Existenz des menschengemachten Klimawandels als solches abgestritten - oder dessen Auswirkungen verharmlost. Eine zentrale Strategie dabei ist es, die Integrität der Klimabewegung und insbesondere auch der Klimawissenschaft in Frage zu stellen. In Deutschland ist EIKE die wichtigste Plattform der „Klimaskeptiker“. Fritz Vahrenholt ist einer ihrer wichtigsten Stichwortgeber.

Politisch relevanter und einflussreicher sind Akteure, die Klimaschutz verzögern oder schärfere Maßnahmen verhindern. Diese arbeiteten laut dem Portal Klimafakten vor allem mit vier Argumentationsmustern: 1) Unter Verweis auf Länder wie China wird die Verantwortung der deutschen Politik heruntergespielt („nicht ich“). 2) Mit dem Verweis auf mögliche neue Technologien wird das Handeln in die Zukunft verlagert („nicht jetzt“). 3) Die Nachteile von Klimaschutzmaßnahmen werden besonders betont („nicht so“) und 4) Alles jetzige Handeln wird als nicht sinnvoll benannt, weil es eh „zu spät“ sei.

Vor allem die ersten drei Narrative sind auch bei Lobbyakteuren mit fossilen Geschäftsmodellen sehr beliebt – und ergänzen die häufigen Selbstbeschreibungen der jeweiligen Unternehmen oder ganzer Branchen als besonders grün (Greenwashing). Letzteres betreibt beispielsweise der Gaslobbyverband Zukunft Gas, indem er der Gasbranche gezielt ein klimafreundliches Image verpasst. Auch die Vorsitzende des Jungen Wirtschaftsrat, Caroline Bosbach, verweist häufig auf China und neue Technologien, um klimapolitische Maßnahmen oder Forderungen aus der Klimabewegung in Frage zu stellen (siehe auch Haupttext).

Fehlende Distanz zum rechtspopulistischen Medienkanal NIUS

Problematisch ist auch, dass Vertreter:innen des Wirtschaftsrats offenbar keine Scheu haben, beim Medienkanal NIUS des früheren Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt zu erscheinen. Die NIUS-Videos sind laut T-Online „eine Dauerwerbesendung gegen Rot und Grün und ein Trommelfeuer auf die CDU, nach rechts zu rücken“. So produzierte Reichelt unter anderem ein Video mit dem Titel „Warum die CDU wieder rechts werden muss.“ NIUS macht auf reißerische Art Stimmung gegen Einwanderung oder gegen die angebliche „Verbotspolitik“ der Grünen.

Ein zentrales Thema des Kanals ist immer wieder auch die Verharmlosung der Klimakrise. Gegenüber T-Online bezeichnet der Politikwissenschaftler Markus Linden NIUS als ein „rechtspopulistisches Agitationsformat mit journalistischem Anstrich“. Im Deutschlandfunk beschreibt Linden, dass rechtskonservative Politiker:innen durch ihre Auftritte bei NIUS die dortigen klimawissenschaftsfeindlichen und rechtpopulistischen Positionen normalisierten.

Als vermeintlicher Klimaexperte ist auch wieder Fritz Vahrenholt ein häufig geladener Gast in den Sendungen von NIUS. Außerdem ist auch die niederländische rechtspopulistische Influencerin Eva Vlaardingerbroek als Kolumnistin, Talkgast und Reporterin regelmäßig bei NIUS zu sehen. Sie fällt dadurch auf, dass sie den menschengemachten Klimawandel offen in Frage stellt und Klimaaktivist:innen diffamiert. So behauptete sie in der NIUS-Sendung „Stimmt!“, dass die Agenda von „Klimaaktivisten“ auf einer Lüge beruhe und es keine eindeutigen Beweise dafür gäbe, dass „wir Menschen Klimaänderungen“ herbeiführen würden.

Trotz dieser Ausrichtung von NIUS sind auch Vertreter:innen des Wirtschaftsrats auf dem Kanal sehr präsent: Die Vorsitzende des Jungen Wirtschaftsrats, Caroline Bosbach, tritt regelmäßig als Talkgast in der Sendung „Stimmt!“ auf. Moderator Sebastian Vorbach bezeichnete sie als „absoluten Stammgast“ im Jahr 2023. Caroline Bosbachs Themen und Positionen fügen sich gut in Reichelts Weltbild ein: Auch Bosbach wettert lautstark gegen die angebliche „Verbotspolitik“ der Grünen und hält deutschen Klimaschutz mit Verweis auf China für unwirksam. Sie sagt zwar, dass der Klimawandel die „größte Herausforderung unserer Zeit“ sei, spricht aber gleichzeitig von einer „anhaltenden Klima-Hysterie“ und einer „Klima-Lüge“. Mit Blick auf Umweltverbände und die Klimabewegung raunt sie in der NIUS-Sendung, dass „mit Sicherheit mehr dahinter“ stehe als nur Klimaschutz. Zu Caroline Bosbachs auffällig häufigen Auftritten bei NIUS teilt der Wirtschaftsrat LobbyControl gegenüber mit, dass Bosbach regelmäßig auch bei „verschiedenen demokratisch ausgerichteten, öffentlich-rechtlichen und privaten Medien“ zu Gast sei.

Exklusiv-Interview und „NIUS-Wirtschaftskolumne“

Fragwürdig ist, dass der Wirtschaftsrat sich offenbar nicht scheut, prominent bei NIUS aufzutreten. Wirtschaftsrats-Präsidentin Astrid Hamker gab NIUS im Januar 2024 ein sogenanntes „Exklusiv-Interview“ von über 40 Minuten Länge, um dort u.a. gegen eine aus ihrer Sicht zu hohe Priorisierung von Klimapolitik zu argumentieren. NIUS-Redakteur Schuler hatte nach Auskunft des Wirtschaftsrats um das Interview gebeten.

Screenshot Youtube -
Wirtschaftsrat-Präsidentin Astrid Hamker bei beim Interview für NIUS
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Wirtschaftsrat-Präsidentin Astrid Hamker bei beim Interview für NIUS

NIUS veröffentlichte außerdem im Februar eine Kolumne des Wirtschaftsrat-Generalsekretär Wolfgang Steiger auf seiner Webseite – sie erschien dort im Wochenabstand unter dem Titel „Standpunkt Steiger“. Sie wurden von NIUS als neue „NIUS-Wirtschaftskolumne“ beworben. Sowohl NIUS-Chef Julian Reichelt als auch Redakteur Ralf Schuler priesen sie über ihre X-Accounts an - Schuler interessanterweise ohne den Wirtschaftsrat als Urheber zu nennen. Es sah also sehr danach aus, als würde Steiger eine Kolumne direkt für NIUS schreiben. In diesen Texten bedient Steiger u.a. auch die üblichen Erzählungen des Wirtschaftsrats, dass Klimaschutzmaßnahmen schädlich für die Wirtschaft seien.

Erstaunlich ist: Der Wirtschaftsrat betont auf Nachfrage, dass es zu dieser Kolumne keinerlei „Zusammenarbeit“ mit NIUS gegeben habe. Über ihren Anwalt ließ der Wirtschaftsrat mitteilen, dass es die „redaktionelle Entscheidung“ dritter Medien bleibe, wie sie die „aktiv verbreiteten Inhalte unseres Mandanten verwerten“. Die Kolumne sei über einen breiten Verteiler verschickt worden. Eine ganze Kolumne – und nicht etwa eine Pressemitteilung - einfach ohne aktive Zustimmung des Autors zu übernehmen, wäre ein äußerst unüblicher Vorgang. Auch eine pauschale Freigabe zur vollständigen Übernahme der Kolumne an einen breiten Verteiler zu verschicken, ist sehr ungewöhnlich. Hier hat der Wirtschaftsrat also offenbar in Kauf genommen, dass Steigers Kolumne von einem fragwürdigen Medium wie NIUS übernommen wird und als seine eigene beworben wird.

Seit März 2024 wird die Kolumne nicht mehr bei NIUS veröffentlicht, sie ist mittlerweile prominent auf der Webseite des Wirtschaftsrats platziert. Zuvor war sie dort nur sehr versteckt veröffentlicht. NIUS berichtet allerdings weiterhin sehr ausführlich über die Kolumnen unter dem Titel „Das denkt die Wirtschaft“. Auf Nachfrage bleibt unklar, warum die Kolumne nicht mehr direkt bei NIUS erscheint. Es scheint so, als wolle der Wirtschaftsrat nach den ersten drei Veröffentlichungen doch nicht mehr, dass die Kolumne als „NIUS-Kolumne“ wahrgenommen wird. Dass die Kolumne nun auf der Wirtschaftsrats-Webseite selbst prominent platziert ist, sei laut Wirtschaftsrat der breiten positiven Resonanz auf die Kolumne geschuldet.

Screenshot Youtube -
Caroline Bosbach tritt als Vertreterin des „Jungen Wirtschaftsrat“ in einer NIUS-Sendung auf
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Caroline Bosbach tritt als Vertreterin des „Jungen Wirtschaftsrat“ in einer NIUS-Sendung auf

Frank Gotthardt: NIUS-Finanzier und ehemaliger Wirtschaftsrat-Funktionär

NIUS wird von dem Unternehmer und Milliardär Frank Gotthardt finanziert. Dieser hat enge Verbindungen zum Wirtschaftsrat: Gotthardt war langjähriges Bundesvorstandsmitglied im Wirtschaftsrat und Vorsitzender des Landesverbands Rheinland-Pfalz. In dieser Funktion war er bis Ende als Dauergast im Landesvorstand der CDU Rheinland-Pfalz - ein ebenso wie auf Bundesebene rechtswidriger Vorgang.

Gotthardt pflegt enge Kontakte zu CDU-Größen wie Julia Klöckner oder dem mittlerweile verstorbenen Wirtschaftspolitik Michael Fuchs. Auch in seinem Heimatort Koblenz redet Gotthardt offenbar mit: CDU-Stadtrat Stephan Otto sagte gegenüber T-Online, dass Gotthardt anrufe, wenn der Stadtrat die Gewerbesteuer erhöhen wolle und er wissen wolle, was „wir da machen“.

Den Wirtschaftsrat der CDU nutzte Gotthardt ganz unmittelbar, um seine Geschäftsinteressen in die Politik zu tragen: Er leitete jahrelang die Bundesfachkommission Digital Health, über die er Lobbyarbeit im Interessen seines Unternehmens CompuGroup Medical machte. Seit 2020 ist er nun Ehrenvorsitzender des Wirtschaftsrats Rheinland-Pfalz. Die Finanzierung von NIUS erfolgte in seiner Funktion als Unternehmer.

Bundesweite Aufmerksamkeit erhielt Gotthardt, als T-Online ihn als Finanzier des rechtspopulistischen Medienkanals NIUS des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt enthüllte. In seiner Eigenschaft als Unternehmer ermöglicht es Gotthardt, dass auch klimawissenschaftsfeindliche Positionen zunächst ganz ohne Werbe- und Abo-Einnahmen gesendet und professionell hergestellt werden können. Aus seinem Vermögen finanziert er Reichelts gut 30-köpfiges Team. Doch das sollte für Gotthardt kein Problem sein: Der Milliardär zählt laut Manager Magazin zu den 100 reichsten Personen in Deutschland.

Seit Gotthardts Rolle als NIUS-Finanzier bekannt ist, gibt es kritische Debatten im Eishockey-Clubs Kölner Haie, dessen Hauptinvestor Gotthardt ist. Ein Fan schrieb einen kritischen Brief an den Verein, woraufhin dieser ein Statement für Toleranz und gegen „pauschalisieren“ und „framen“ veröffentlichte. Das lässt sich zumindest als indirekte Distanzierung von NIUS verstehen. Ähnliche kritische Stimmen sind aus dem Wirtschaftsrat Rheinland-Pfalz zumindest öffentlich noch nicht zu sehen. Der Bundesverband teilt auf Anfrage mit, dass er gegen Gotthards Finanzierung des Medienkanals NIUS in seiner Eigenschaft als Unternehmer „grundsätzlich“ nichts einzuwenden habe. Gotthardt nehme seine Rechte der Meinungs- und Pressefreiheit wahr. Im Übrigen kommentiere der Wirtschaftsrat die unternehmerischen Aktivitäten seiner Mitglieder nicht. Gotthardt selbst äußerte sich auf Anfrage nicht.

Einfallstor für rechtspopulistische Stimmungsmache gegen Klimaschutz

Der Wirtschaftsrat der CDU ist in seiner Mitgliedschaft vielfältig besetzt – neben fossilen Konzernen sind auch Unternehmer:innen aus der Branche der Erneuerbaren Energien Mitglied. Inhaltlich einseitiger wird es jedoch, wenn man die Presse-Statements oder Social-Media-Posts des Wirtschaftsrats verfolgt: Hier wird mehr oder weniger deutlich vermittelt, dass mehr Klimaschutz in der Regel übertrieben sei und dem Industriestandort Deutschland schade.

Es fällt auf, dass einflussreiche CDU- und Wirtschaftsratsmitglieder wie Frank Gotthardt, Caroline Bosbach, Astrid Hamker und Wolfgang Steiger offenbar wenig Berührungsängste gegenüber rechtspopulistischen und – in Bezug auf Klimapolitik – wissenschaftsfeindlichen Positionen haben.

Der Wirtschaftsrat distanziert sich auf Anfrage zu dem Vorwurf der Nähe zu klimawissenschaftsfeindlichen Kreisen zumindest nicht öffentlich. Auf Nachfrage zu Gotthardts Finanzierung von NIUS schreibt der Wirtschaftsrat, dass er „die wirtschaftlichen Aktivitäten unserer Mitglieder grundsätzlich nicht“ kommentiere. Dazu ist der Wirtschaftsrat tatsächlich keineswegs verpflichtet. Dabei wäre es im Sinne der Mitgliedsunternehmen und letztlich auch der Demokratie, wenn es hier eine klare Positionierung gäbe.

Die CDU muss auf Abstand zum Wirtschaftsrat gehen

CDU-Wähler:innen halten Klimaschutz laut einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zu 89 Prozent für wichtig oder sehr wichtig. Für die Partei könnte es deshalb schädlich sein, dass der Wirtschaftsrat klimawissenschaftsfeindliche Positionen in seinen Reihen toleriert. Solche Positionen bekommen so den Anstrich organisierter Unternehmensinteressen – und gelangen über den eng mit der CDU-verbundenen Lobbyverband in die Partei hinein.

Zum Beispiel über Parteichef Friedrich Merz: Der ehemalige Wirtschaftsrat-Vizepräsident und mögliche CDU-Kanzlerkandidat hält das Thema Klimaschutz für überbewertet und wählt die Klimaverharmloser-Strategie der Verzögerung, wenn er sagt: „Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht. Wenn wir in den nächsten 10 Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg.“ Von solchen und ähnlichen Aussagen mögen manche fossile Unternehmen profitieren, die ihr Geschäftsmodell erhalten wollen – oder auch rechte Kräfte jenseits der CDU. Für die Demokratie ist es ein enormer Schaden, wenn wissenschaftfeindliche Positionen normalisiert und verbreitet werden und Klimaschutz ausbremsen.

Die Parteispitze muss dringend auf Abstand zu dem fragwürdigen Lobbyverband Wirtschaftsrat in ihrem Umfeld gehen. Wir fordern Parteichef Friedrich Merz schon seit Anfang 2021 auf, dem Wirtschaftsrat nicht länger privilegierte Zugänge zum Bundesvorstand zu verschaffen. Doch die Partei hüllt sich in Schweigen. Auch auf unsere Anfrage zu dieser Recherche äußerte die CDU sich nicht.

Um diese Blockade aufzubrechen, unterstützen wir die Klage eines CDU-Mitglieds gegen den CDU-Parteivorstand. Eine erste Verhandlung vor dem CDU-Parteigericht hat bereits stattgefunden, eine zweite Verhandlung vor dem Landgericht ist für Dezember 2024 angesetzt. Bis dahin bleibt der CDU noch viel Zeit, um aktiv zu werden: Auf dem CDU-Parteitag im Mai 2024 wird der Parteivorstand neu gewählt. Dann steht es für den neu gewählten Vorstand an, die Präsidentin des Wirtschaftsrats wieder in den Vorstand zu kooptieren – oder eben, sie endlich aus dem Vorstand zu entlassen.

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